Am 9. Oktober 2023 erklärte der damalige israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant: „Keinen Strom, keine Nahrung, keinen Treibstoff, kein Wasser. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.“ In diesem Satz verdichtet sich die Logik der Vernichtung, die seitdem in Gaza umgesetzt wird.
Seit jenem Tag ist die Absicht, die palästinensische Bevölkerung als nationale Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, für die Welt sichtbar geworden. Diese Absicht wird nicht verborgen, sie wird von hochrangigen israelischen Politikern und Militärs öffentlich formuliert, von Soldaten in unzähligen Videos verhöhnend und in sozialen Medien triumphierend reproduziert. Die Zerstörung, die Massenvertreibung und die systematische Tötung werden quasi in Echtzeit übertragen.
Zwei Jahre Verbrechen
Seit Oktober 2023 sind zwar nach UN-Angaben über 70.000 Palästinenserinnen und Palästinenser von Israel ermordet worden, mehr als die Hälfte davon Frauen und Kinder. Aktuelle Schätzungen liegen tatsächlich im hohen 6-stelligen Bereich. Über 70 Prozent der Wohngebäude in Gaza wurden beschädigt oder zerstört, 1,9 Millionen Menschen, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung, sind auf der Flucht. Ganze Städte wie Khan Yunis oder Rafah wurden ausgelöscht, der Gesundheitssektor nahezu vernichtet: Von einst 36 Krankenhäusern sind nur noch wenige notdürftig funktionsfähig. Die Landwirtschaft ist zusammengebrochen, die Trinkwasserversorgung liegt bei weniger als fünf Prozent des früheren Niveaus. Hunger wird als Kriegswaffe genutzt, indem Nahrung und Medizin blockiert, Hilfskonvois beschossen, Menschen in vermeintlich sichere Zonen gelockt und dort bombardiert werden.
Die Auslöschung von Identität und Erinnerung
Es ist der Versuch, nicht nur Leben zu vernichten, sondern Identität. Völkermord bedeutet die willentliche Zerstörung einer nationalen oder kulturellen Existenz – materiell, kulturell, symbolisch. Die vollständige Zerstörung von Universitäten, Kirchen, Moscheen und Archiven in Gaza zeigt, dass dieser Krieg nicht nur gegen Menschen geführt wird, sondern gegen Erinnerung selbst. Seit 1948 werden Palästinenserinnen und Palästinenser systematisch entrechtet, enteignet, vertrieben und getötet. Die Nakba, die Massentötung und Vertreibung von 1947 bis 1949, bei der rund 750.000 Menschen aus mehr als 400 Dörfern flohen oder gewaltsam vertrieben wurden, war kein abgeschlossenes Ereignis, sondern der Beginn eines fortlaufenden Prozesses: Vertreibung, Tötung, Annektierung, Fragmentierung. Der Völkermord in Gaza ist der vorläufige Gipfel dieser andauernden Nakba, begleitet von der schleichenden, aber nicht minder brutalen Zerstörung der Westbank durch Enteignung, Siedlungsexpansion und permanente Gewalt.
Deutschlands Rolle in diesem Verbrechen
Während Gallant die Palästinenserinnen und Palästinenser als „menschliche Tiere“ bezeichnete, wurde das Brandenburger Tor in den Farben der israelischen Flagge beleuchtet. Nur drei Tage später, am 12. Oktober 2023, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz: „In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite Israels.“ An der Seite also eines Staates, dessen führende Repräsentanten gerade erklärten und umsetzten, dass eine Gruppe ausgelöscht werden solle.
Dieser Völkermord wäre nicht möglich ohne die militärische, juristische und diplomatische Unterstützung westlicher Staaten, darunter Deutschland. Berlin liefert Waffen, legitimiert Kriegsverbrechen, relativiert sie politisch und diskreditiert jene Institutionen, die Rechenschaft fordern: den Internationalen Gerichtshof, den Internationalen Strafgerichtshof, UN-Sonderberichterstatter und Menschenrechtsorganisationen. Deutschland steht deshalb nicht nur moralisch, sondern juristisch in der Verantwortung. Eine Klage wegen Beihilfe zum Völkermord wurde vor dem Internationalen Gerichtshof eingereicht, eine weitere Anzeige gegen mehrere amtierende und ehemalige Regierungsmitglieder sowie Rüstungsmanager liegt der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vor. Das Reden über „das Leid der Zivilbevölkerung“ ändert nichts an dieser Mitschuld, solange die Politik der aktiven Unterstützung fortgesetzt wird.
Schweigen, Repression und Verantwortung
Repressionen gegen die Palästina-solidarische Bewegung, Demonstrationsverbote, Kriminalisierung von Kritik – all das soll verschleiern, was klar ist: Die Verpflichtung, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen, ist absolut. Sie gilt immer, überall, für alle.
Wer die Bilder aus Gaza täglich sieht, wer die Stimme von Hind Rajab hört, dem sechsjährigen Mädchen, das allein in einem Auto zwischen den Leichen seiner Familie um Hilfe flehte und starb, weil niemand sie retten durfte, wer das Foto von Ward Al-Sheikh Khalil sieht, einem Kleinkind in den Flammen eines Zeltes, kann nicht mehr von „Selbstverteidigung“ sprechen, ohne das Unhaltbare zu verteidigen.
Was auf dem Spiel steht
Es geht nicht nur um Zahlen, sondern um ein System, das die Auslöschung einer Bevölkerung legitimiert – und um eine Weltordnung, die das zulässt. Nach den Worten von Raji Sourani, Direktor des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte:
„Es soll ein Palästina geben – und ein Volk, das anerkannt wird. Mögen all diese Worte, Erklärungen und Bekenntnisse uns eindringlich vor Augen führen, was auf dem Spiel steht – nicht nur für Gaza, sondern für die grundlegenden Werte der Menschheit: Rechtsstaat, Demokratie, Menschenrechte und Würde. Möge dies die Welt zum Handeln rufen und diesen Völkermord ein für alle Mal beenden.“


