Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels dauert der Völkermord in Gaza fast 11 Monate an. Jahreszeiten sind gekommen und vergangen; die Solidaritätsbewegung ist durch Schnee, Regen und sengende Sonne marschiert. Aber das Töten hat nicht aufgehört. Es ist normal geworden, ebenso wie die fortwährenden Demonstrationen auf der ganzen Welt und die Unterdrückung des Aktivismus in Deutschland, sei es durch bürokratische Mittel oder durch Polizeigewalt. Egal wie viele Videos von ihren Schlägereien auf Instagram verbreitet werden, es bleibt straffrei. Und warum auch nicht? Warum sollte ein Land, das Völkermord unterstützt, Einwände gegen ein paar verprügelte Demonstranten haben? Ein Artikel von Wieland Hoban, Vorsitzender der jüdischen Stimme für gerechten Frieden.
Seit meinem letzten Artikel für The Battleground im Dezember 2023 haben die repressiven Maßnahmen der deutschen Regierung gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung noch empörendere Formen angenommen. Der auffälligste Fall war vielleicht der Palästina-Kongress, eine große Veranstaltung in Berlin, die für Mitte April 2024 geplant war.
Mit einem dichten Wochenendprogramm aus Vorträgen und Workshops von internationalen Rednern war es ein kraftvolles Zeichen des Widerstands, sowohl gegen die staatlichen Versuche, die Bewegung zu unterdrücken, als auch gegen Deutschlands materielle und politische Mitschuld am Völkermord, das es mit dem Motto „Wir klagen an!“ unterstrich.
Zwar nicht beispiellos in Deutschland, war es jedoch eine dringend benötigte Gelegenheit für den Wissensaustausch, internationale Vernetzung und gegenseitige Stärkung, mit einer erwarteten Teilnahme von über 800 Personen.
Für das politische Establishment, insbesondere im militanten anti-palästinensischen Umfeld Berlins, war dies offensichtlich inakzeptabel. Wochen im Voraus begann die hysterische Hetze in den lokalen Medien und politischen Kreisen.
Am 14. März veröffentlichte eines der Schmierblätter der Stadt, die B.Z. – „Die Stimme Berlins“, einen Artikel mit dem Titel „Antisemiten planen Hass-Gipfel in Berlin“, in dem der Kongress als „die größte Hassveranstaltung gegen Israel in Berlin seit dem Hamas-Pogrom am 7. Oktober“ bezeichnet wurde.
Da B.Z.-Schlagzeilen und Zusammenfassungen in Berliner U-Bahnen angezeigt werden, wurde diese groteske Darstellung weit über den aktiven Leserkreis der Zeitung hinaus verbreitet.
Diese Verleumdung setzte sich fort, mit einem konservativen Politiker, der den Kongress öffentlich als „Schande für Berlin“ bezeichnete, und vielen anderen, die ein Verbot forderten. Praktisch jeder pro-israelische „Antisemitismus-Experte“ ließ irgendwo seine Meinung veröffentlichen, während die Perspektive der Organisatoren selten gefragt war.
Hinter den Kulissen setzte die Polizei das Organisationsteam unter Druck, den geplanten Veranstaltungsort preiszugeben, welcher wegen der langjährigen Erfahrung an Belästigungen der Eigentümer durch pro-israelische Interessenverbände geheim gehalten wurde. So wurde sogar eine Spendenaktion in einem Café, nach einem Drohanruf, von der Polizei wegen „Sicherheitsrisiken“ verhindert.
In den letzten Tagen vor dem Kongress, als die Polizei nach einer Durchsuchung der gesamten Stadt endlich den Veranstaltungsort entdeckt hatte, gipfelte diese Einschüchterung in einem Treffen mit dem Eigentümer. Sie sagten ihm, seine zukünftige Existenz sei in Gefahr, wenn er dem Kongress einen Raum zur Verfügung stelle. Obwohl er durch das Treffen zutiefst verstört war, sagte er den Vertrag nicht ab.
Ein weiteres Hindernis, das den Organisatoren in den Weg gelegt wurde, war die Sperrung des Bankkontos der Jüdischen Stimme bei der Berliner Sparkasse, einer staatlichen Bank. Wir hatten unser Konto für die Sammlung von Spenden und die Einnahmen der Kartenverkäufe bereitgestellt. Da es sich als unmöglich erwies, den Kongress im Vorfeld zu verbieten, warum dann nicht seine Finanzierung blockieren?
Die Berliner Sparkasse versteckte sich hinter bürokratischen Erklärungen, aber die politische Motivation offenbarte sich schließlich in dem ausführlichen Anwaltsschreiben als Reaktion auf unsere rechtliche Anfechtung, in dem auf unsere politischen Positionen und Aktivitäten Bezug genommen wurde.
Die Anwälte der Bank behaupteten sogar, der ungewöhnliche Schritt, eine vollständige Mitgliederliste anzufordern, sei notwendig, um sicherzustellen, dass niemand auf der EU-Terrorliste stehe.
Dank einer anderen teilnehmenden Organisation wurde schnell eine Lösung gefunden, und der Kongress begann schließlich am 12. April.
Erstaunliche 2500 Polizeibeamte waren für das Wochenende mobilisiert worden. Sie machten ihre feindselige Präsenz bereits Stunden vor Beginn der Veranstaltung spürbar und beriefen sich auf Brandschutzvorschriften, um die zulässige Teilnehmerzahl von 800 auf 250 zu reduzieren.
Trotz all der Einschränkungen und Schikanen war es dennoch ein Triumph, dass der Kongress überhaupt beginnen konnte.
Der Sieg währte nur kurz; ein Vortrag der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Hebh Jamal konnte ungestört stattfinden. Doch kaum eine Minute nach Beginn der nächsten Präsentation, einer Videoaufzeichnung des palästinensischen Historikers Salman Abu Sitta, griff die Polizei ein indem sie die Wiedergabe und den Livestream unterbrach und schaltete den Strom ab, indem sie in den Kontrollraum einbrach, ohne überhaupt nach dem Schlüssel zu fragen.
Beamte stürmten den Raum, blockierten die Leinwand und umstellten den Bühnenbereich. Als Verantwortlicher für die Koordination mit der Polizei fragte ich, was hinter dieser gewaltsamen Unterbrechung steckte.
Nach einigem Hin und Her wurde schließlich erklärt, dass Salman Abu Sitta sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert habe (basierend auf einem Artikel über den Anschlag am 7. Oktober) und seine Äußerungen auf hasserfüllten Inhalt überprüft werden müssten. Da er auf Englisch gesprochen hatte, müssten sie zudem erst übersetzt werden.
Während die Unterbrechung immer länger dauerte, wurden meine wiederholten Bitten um Klarstellung mit einer Ausflucht und halben Erklärung nach der anderen abgewiesen.
Zunächst wurde gesagt, die Wiedergabe könne fortgesetzt werden, sobald sichergestellt sei, dass Abu Sitta nichts Illegales gesagt habe (wie Holocaustleugnung oder Aufruf zur Gewalt). Der leitende Beamte schlug vor, man könne zur nächsten Präsentation übergehen – einem Live-Video-Vortrag von Yanis Varoufakis – aber den Livestream ausgeschaltet lassen, da die Möglichkeit bestehe, dass potenziell hasserfüllte Inhalte global verbreitet würden, wenn er eingeschaltet bliebe.
Kurz darauf folgte eine Polizeimitteilung, dass der gesamte Kongress abgebrochen worden sei.
Diese harte Störung, abgerundet durch ein nationales Einreiseverbot für Yanis Varoufakis und ein Schengen-weites Einreiseverbot für den palästinensisch-britischen Chirurgen Ghassan Abu Sitta, den Rektor der Universität Glasgow, der am Berliner Flughafen gestoppt und zurück nach Großbritannien geschickt wurde, verschaffte dem Kongress internationale Aufmerksamkeit, die er nie ererhalten hätte, wenn man ihn einfach hätte fortsetzen lassen.
Die deutsche Regierung hatte sich selbst blamiert und Zuschauer weltweit schockiert.
Bemerkenswert ist, dass in etlichen Artikeln der deutschen Presse Jüdische Stimme nicht als Veranstalter erwähnt wurde, vermutlich weil dies das Narrativ des Kongresses als antisemitische Veranstaltung gestört hätte. Es ging sogar noch weiter, indem Innenministerin Nancy Faeser der Polizei zu ihrem Eingreifen gratulierte und die Bedeutung der Bekämpfung der „islamistischen Szene“ betonte.
Tatsächlich waren die meisten Organisatoren linke Gruppen, darunter die Diem25-Bewegung von Varoufakis. Als auf einer späteren Pressekonferenz auf die linke und jüdische Zusammensetzung des Organisationsteams hingewiesen wurde, erklärte der Ministeriumssprecher dem Journalisten lediglich selbstgefällig, er solle doch die Definition des Ministeriums von Islamismus nachschlagen.
Seitdem haben wir die Bank dazu gezwungen, das Konto der Jüdischen Stimme wieder freizugeben, und ein Berliner Gericht hat den Einspruch der Bank gegen diese Entscheidung abgewiesen, die der Richter als äußerst unregelmäßig beschrieb. Die Bank beabsichtigt jedoch, erneut Berufung einzulegen.
Durch meinen Aktivismus seit Oktober 2023 habe ich wahrscheinlich mit mehr Menschen gesprochen, ihnen zugehört und sie getroffen (sowohl Aktivisten als auch Nicht-Aktivisten) als in den zehn Jahren davor. Von all den anerkennenden Worten, die mir von Leuten auf aktivistischen Veranstaltungen gesagt wurden, bei denen ich mitgewirkt habe, sticht eine einfache Aussage hervor: „Ihr gebt uns Hoffnung.“
Ich habe das mehrmals gehört, meistens von Palästinensern oder Menschen mit anderen arabischen oder muslimischen Hintergründen. Da sie nicht nur mit den völkermörderischen Aktionen Israels in Gaza und der ethnischen Säuberung anderswo in Palästina zu kämpfen haben, sondern auch mit zunehmend offenem und normalisiertem Rassismus in Deutschland, sind sie oft dankbar für die Unterstützung aus der weißen Bevölkerung, insbesondere von Juden, die die Gleichsetzung ihrer Identität mit Zionismus ablehnen.
Einige von ihnen erwägen zum ersten Mal, Deutschland zu verlassen, und die Harmonie zwischen der Unterstützung des Staates für Israel und der Dämonisierung von Migranten, nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch von der so genannten politischen Mitte, macht deutlich, dass etwas zutiefst Schädliches zum Tragen gekommen ist. Sobald gewisse Illusionen erst einmal ausgeräumt sind, ist das weder neu noch verwunderlich.
Die hochgelobte deutsche Erinnerungskultur und Sühne war immer eine strategische Fiktion.
Zweifellos gab es in den letzten Jahrzehnten eine intensive akademische und kulturelle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit einer institutionalisierten Rekonstruktion und Dokumentation der Nazi-Verbrechen und ihres sozialen Kontextes einerseits und den ausgelöschten jüdischen Gemeinden andererseits.
An der Oberfläche ist dieses Engagement vorbildlich, besonders im Vergleich zu Amerikas relativ geringer Auseinandersetzung mit seiner Geschichte von Völkermord und Sklaverei oder der fortwährenden Verherrlichung des britischen Empires. Doch man muss nur ein wenig kratzen, um den Fäulnis zu finden.
Und Fäulnis gibt es: die Fäulnis eines Rassismus, der nie wirklich konfrontiert wurde.
Wenn ich Vorträge über Antisemitismus und den kaputten deutschen Diskurs über Israel-Palästina halte, erwähne ich manchmal Settela Steinbach, ein Sinti-Mädchen, das 1944 im Alter von neun Jahren nach Auschwitz deportiert und dort getötet wurde.
Das Foto von ihr, welches weltweit bekannt wurde, zeigt sie, wie sie durch die Tür des Zuges zu ihrem Tod schaut. Bevor ihre Identität durch Forschung aufgedeckt wurde, war sie einfach als „das Mädchen mit dem Kopftuch“ bekannt.
Ich stelle sie, die aus einer westlichen Perspektive wegen ihres Kopftuchs bereits als „anders“ angesehen wird, Anne Frank gegenüber, die hier als bürgerliches, weißes Mädchen besser nachvollziehbar ist.
Die Nazis machten sie natürlich zu gleichwertigen Gefährtinnen in der Vernichtung. In der Gegenwart jedoch ist diejenige, die „so aussieht wie wir“ (wie manche TV-Reporter über die ankommenden ukrainischen Flüchtlinge 2022 sagten), eher beklagenswert als diejenige, die es nicht tut.
Was für Settela Steinbach gilt, gilt doppelt für die Kinder Palästinas, die entweder als menschliche Schutzschilde, zukünftige Terroristen oder als Feinde des Staates, der sie unterdrückt und ermordet, reduziert werden.
In den frühen 1950er Jahren, als das Thema der Nazi-Verbrechen in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft unterdrückt wurde und staatliche Strukturen voll von Ex-Nazis waren, von Richtern bis zu Ärzten, die Rassenexperimente durchgeführt hatten, unterzeichnete Bundeskanzler Konrad Adenauer das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel (1952, in Kraft ab 1953). Einige Jahre später begann er, Waffen an den zionistischen Staat zu verkaufen.
Bis Washington 1967 diese Rolle übernahm, blieb Deutschland der größte Waffenlieferant Israels (und ist derzeit der zweitgrößte). Nach dem weltweiten Entsetzen über den Holocaust erkannte Adenauer, dass der Weg zur internationalen Rehabilitation über Israel führen musste – weil man, wie er 1965 in einem Interview rückblickend erklärte, „die Macht der Juden auch heute noch […] nicht unterschätzen“ sollte.
Während er betonte, dass Deutschland schreckliche Verbrechen gegen die Juden begangen habe, machte er deutlich, dass dies realpolitische und nicht nur ethische Belange hatte.
Was die mittlerweile berüchtigte Staatsräson betrifft, so wird viel darüber diskutiert, doch gibt es so wenig, was verstanden werden muss: Wie jedes von einer Regierung proklamierte „nationale Interesse“ hat es wenig mit den Interessen der Bevölkerung zu tun, sondern alles mit dem Selbstbild und den materiellen Interessen des Staates.
Das Schuldnarrativ ist lediglich ein Deckmantel dafür und selbst ein Slogan wie „Befreit Palästina von deutscher Schuld“, der treffend zusammenfasst, wie es dem deutschen Diskurs gelungen ist, das Stigma des Antisemitismus von der weißen Mehrheitsgesellschaft auf Migranten zu verlagern, gibt dieser Schuld zu viel Glaubwürdigkeit.
In manchen Teilen der Zivilgesellschaft, ja – aber nicht in den politischen Maßnahmen eines Staates, der seit langem versucht, seine materiell motivierte Teilnahme am westlichen Imperialismus und jetzt am Völkermord durch das ewige Wiederkäuen derselben abgegriffenen moralischen Narrative reinzuwaschen.
Diese Fassade kann die bittere Wahrheit von Deutschlands tiefgreifendem moralischen Versagen nicht verbergen. Die vielen Menschen, die meinen, dass sie in Nazi-Deutschland nicht geschwiegen hätten, haben ihren Mund gehalten, mit unendlich viel weniger Bedrohung für ihre Sicherheit als die Menschen damals.
Was vielleicht am deprimierendsten ist, aus sicherer Entfernung des Westens, ist nicht der Schrecken der täglichen Gräueltaten in Gaza und zunehmend auch im Westjordanland (das, wie Gaza, von seiner palästinensischen Bevölkerung befreit werden müsste, bevor es annektiert werden kann, da sonst die jüdische Mehrheit des resultierenden Staates gefährdet wäre), sondern die Normalisierung von allem, was damit zusammenhängt.
Dank des Internets und Smartphone-Kameras haben wir den grausigen „Luxus“, jeden Tag von morgens bis abends Bilder von zerstückelten Kindern und explodierenden Nachbarschaften betrachten zu können.
Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen gegen Israels Handlungen in Gaza ist, doch nur ein winziger Bruchteil von ihnen nimmt an den Protesten teil.
Die Vehemenz ihrer Ablehnung scheint kaum größer zu sein als ihre Vorliebe für eine Eissorte gegenüber einer anderen, die ebenso gut in einer Umfrage erfasst werden könnte. Wer weiß? Vielleicht mögen 61 % der Deutschen auch kein Schokoladeneis.
Das wird sie jedoch nicht auf die Straße treiben, um zu protestieren – besonders wenn das Stigma des Antisemitismus stets im Hintergrund lauert.
Es ist nicht nur der tägliche Tod und die Zerstörung, die normalisiert wurden, sondern auch die Proteste dagegen. Und in Berlin, wo jede Demonstration von Polizeigewalt begleitet wird und unzählige Aufnahmen dieser Gewalt auf Instagram geteilt werden, ist auch das Schlagen und Würgen von Demonstranten normal geworden.
Es gibt viele Berliner, die nichts gegen solche Reaktionen auf Demonstrationen haben, welche sie entweder als bedrohlich oder zumindest lästig empfinden.
In Städten hingegen, in denen es weniger Widerstand gegen pro-palästinensischen Aktivismus gibt, führt die distanzierte Duldung solcher Ereignisse schnell zu Gleichgültigkeit. Sie werden zum Hintergrundrauschen, wie die Detonation der Häuser von Zivilisten.
Weder die Propaganda der deutschen Regierung noch die Lethargie der Mehrheit werden durch irgendetwas erschüttert, weder durch tatsächliche (im Gegensatz zu erfundenen) enthauptete Kleinkinder, die Ausbreitung von Hunger und Krankheiten, noch durch Enthüllungen über das Folterlager Sde Teiman, wo nicht angeklagte Gefangene, darunter sogar Sanitäter, mit Schlagstöcken vergewaltigt wurden.
In Israel ist einer der Täter mittlerweile zu einem Talkshow-Star geworden, und Politiker haben öffentlich über die Vor- und Nachteile der Gruppenvergewaltigung von Gefangenen debattiert.
Einer der wenigen ermutigenden Faktoren für die Fortführung von Solidaritäts- und Anti-Kriegs-Aktivitäten sind die Dankesbotschaften aus Gaza, von Menschen, die täglich mit der Möglichkeit des Todes konfrontiert sind, uns aber ermutigen weiterzumachen und uns daran erinnern, wie viel es ihnen bedeutet.
Solche Hoffnungsanker können den Unterschied zwischen Aufgeben und Weitermachen ausmachen. Ein weiterer Satz, welcher mir im Gedächtnis geblieben ist, stammt aus dem letzten November, als ich in Marburg einen Vortrag des israelischen Historikers Ilan Pappé, Autor des Buches The Ethnic Cleansing of Palestine und Direktor des European Centre for Palestine Studies an der University of Exeter, besuchte.
Gegen Ende sagte Pappé, eher als Aktivist denn als Akademiker: „Wir haben nicht den Luxus, die Hoffnung aufzugeben.“ Seine Aussage bringt perfekt die Spannung zwischen Verzweiflung, Entschlossenheit und Privileg auf den Punkt, welche die Position von Aktivisten im Westen prägt.
Trotz all der Schwierigkeiten wäre es falsch, die erzielten Fortschritte nicht zu erwähnen.
Die Urteile des Internationalen Gerichtshofs zum Völkermord und zur Besatzung haben den Weg für immer mehr Länder geebnet, ihre offene und verdeckte Zusammenarbeit mit Israel neu zu bewerten, und die Palästina-Bewegung ist seit Oktober 2023 immens gewachsen.
Auch in Deutschland haben sich viele neue Aktivistengruppen gebildet, insbesondere solche, die von Studierenden geführt werden, unter denen viele Palästinenser zweiter oder dritter Generation sind.
Nachdem im Frühjahr in den USA Protestcamps auftauchten, zeigte sich dieser Trend auch hier. Viele junge Aktivisten haben in bemerkenswert kurzer Zeit viel gelernt, sowohl über praktische Organisation wie auch über Kolonialgeschichte. Zwar kann nicht jede Aktivität aufrechterhalten werden, doch ist etwas in Bewegung geraten, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Auch die Organisationen pro-palästinensischer Juden wachsen stetig.
Während dies in den USA, wo fast so viele Juden wie in Israel leben, am sichtbarsten ist, gibt es ein wachsendes internationales Netzwerk von immer mehr jüdischen Gruppen, die nicht nur diesen Völkermord, sondern auch die zionistische koloniale Unterdrückung insgesamt ablehnen, ebenso wie die Verknüpfung dieser rassistischen Ideologie häufig unangefochtener Teil ihrer kollektiven Identität.
Auch hier zeigt vor allem die Jugend das größte Potenzial.
Wenn ich auf globale Tendenzen und den Zustand der deutschen Gesellschaft blicke, kann ich nicht umhin, an ein rätselhaftes Zitat von Franz Kafka zu denken: „Oh, es gibt Hoffnung, unendlich viel Hoffnung… nur nicht für uns.“
Dieser Beitrag von Wieland Hoban erschien zuerst bei The Battleground – übersetzt von Michael Täuber