CDU und SPD wollen Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit zu Bürgern zweiter Klasse machen

„Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ So lautet der erste Satz des ersten Absatzes von Artikel 16 des Grundgesetzes. Er wurde als unmittelbare Konsequenz aus der willkürlichen Ausbürgerungspraxis unter der NS-Diktatur formuliert. Doch genau dieses Grundprinzip, das staatsbürgerschaftliche Gleichheit garantiert, steht nun unter Beschuss durch CDU und SPD – die mit ihrem Vorstoß einmal mehr offen als verlängerter Arm der AfD agieren.

Deren aktuelles Sondierungspapier sieht vor, Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn sie verdächtigt werden, „Terrorismus zu unterstützen, antisemitische oder extremistische Einstellungen“ zu vertreten. Ein solcher Schritt würde die Grundrechte von etwa drei Millionen Menschen mit doppeltem Pass in Deutschland massiv beschneiden und sie zu Bürger*innen zweiter Klasse degradieren. Denn ihnen droht im Fall einer Straftat im gegebenen Zusammenhang nicht nur die reguläre strafrechtliche Verfolgung – wie es für alle gilt –, sondern zusätzlich der Verlust ihrer Staatsbürgerschaft und damit ihrer gesicherten Existenz in der Bundesrepublik. Dies wäre eine gleich doppelte Bestrafung für Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft und damit eine krasse Ungleichbehandlung, die einem demokratischen Staat nicht gut zu Gesicht steht.

Vermeintlicher Kampf gegen Antisemitismus im Namen des Autoritarismus

Dabei wirkt es fast zynisch, dass ausgerechnet allen voran der Kampf gegen Antisemitismus nun als Vorwand dient, um das Grundprinzip der Gleichheit vor dem Gesetz aufzuweichen. Während die bürgerliche Politik betont, dass Antisemitismus entschieden bekämpft werden muss, versucht sie Gesetze der Nachkriegszeit mit direktem Bezug zu den Grauen der Shoah außer Kraft zu setzen. Die größte Bedrohung für Jüd*innen in Deutschland – die rechtsextreme Gewalt – bleibt dabei oft weitgehend unerwähnt. Doch die Statistik ist hier eindeutig: Die Mehrheit antisemitischer Straftaten und insbesondere der Gewalttaten wird nach wie von deutschen Rechtsextremen begangen. Dennoch konzentrieren sich CDU und SPD auf den sogenannten „importierten Antisemitismus“ und machen Migrant*innen zur Zielscheibe ihres bürgerlichen Autoritarismus.

Ein Blick in die USA zeigt, wohin solche Maßnahmen führen können. Der palästinensische Aktivist Mahmoud Khalil wurde trotz Greencard festgenommen und soll abgeschoben werden. Ein offensichtlicher Versuch, unliebsame politische Meinungen mundtot zu machen und einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen. Merz‘ CDU und seine Handlanger*innen von der SPD folgen diesem Kurs und adaptieren Trumps rassistisches Playbook erschreckend präzise. Erst nach und nach wird, wie auch in den USA, die breitere Gesellschaft erkennen, was für weitreichende Einschnitte in die politische Meinungsäußerung hier vorgenommen werden. Das ist auch möglich, weil außer der Linkspartei keinerlei parlamentarische Opposition zu einer solchen Politik mehr existent ist. Die SPD hat Abschiebungen aller Art längst zu ihrer politischen Kernforderung gemacht und feiert das Sondierungspapier als Erfolg, die Grünen scheinen trotz ihrer neuen Oppositionsrolle aus rein ideologischem Interesse nur wenig Bedenken an dieser extremen Entwicklung zu verspüren.

Einen ersten Vorgeschmack was insbesondere Aktivistinnen, Aktivisten, Abweichler und Abweichlerinnen von der deutschen Staatsräson bevorsteht liefert ein aktueller Vorgang in Berlin. Dort erließ die örtliche Ausländerbehörde Abschiebungsanordnungen gegen vier junge ausländische Menschen aufgrund angeblicher Beteiligung an Protesten gegen Israels Krieg in Gaza – ein beispielloser Schritt. Der Vorgang erfolgten unter politischem Druck auf Erlass des Bundeslands Berlin, dessen Senatsverwaltung für die Durchsetzung von Einwanderungsrecht zuständig ist. Die Maßnahme soll in weniger als einem Monat in Kraft treten. Cooper Longbottom, Kasia Wlaszczyk, Shane O’Brien und Roberta Murray haben die Staatsbürgerschaft der USA, Polens und Irlands. Keine der vier Personen wurde eines Verbrechens verurteilt.

Instrumentalisierung, wie sie der AfD gefällt

Statt Antisemitismus wirklich konsequent zu bekämpfen, wird Anti-Antisemitismus zunehmend missbraucht, um Migrant*innen zu diskreditieren und politische Gegner*innen einzuschüchtern. Antisemitismus ist in dieser Logik immer ein eingewandertes Problem mit klaren Schuldigen, die nur in seltensten Fällen in Deutschland geboren zu sein scheinen. Im Zweifelsfall werden sogar Jüd*innen selbst des Antisemitismus bezichtigt, wenn sie in deutlichen Worten die Politik der israelischen Regierung kritisierten. Daran ist deutlich zu erkennen, in welch absurder Weise der Begriff des Antisemitismus mitunter verwandt wird.

Bereits die im Januar verabschiedete Resolution der Ampelparteien unter dem wohlklingenden Titel „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ zeigte eindrücklich, wie der Kampf gegen Antisemitismus instrumentalisiert wird, um die bis ins Unendliche aufgeblasene migrationspolitische Debatte in eine noch restriktivere Richtung zu lenken. Damals äußerten eine Vielzahl in Deutschland lebender jüdischer Intellektueller, Künstler*innen und Wissenschaftlicher*innen Kritik an dem Antrag, auch israelische NGOs kritisierten die grundrechtlich einschränkenden Vorhaben und die Einführung der umstrittenen IHRA Definition für Antisemitismus in deutschen Ämtern. Statt diese Vorbehalte Ernst zu nehmen, drückten die damaligen Regierungsparteien mit Unterstützung von CDU und einer feixenden AfD die Resolution unbeeindruckt durch den Bundestag. Der Zweck heiligt die Mittel – dabei ist es der Zweck, den es zu hinterfragen gilt.

Symbolpolitik statt echter Lösungen

Denn Antisemitismus ist ein ernstes Problem, das entschieden bekämpft werden muss. Doch wer diesen Kampf dazu nutzt, Grundrechte auszuhebeln, missbraucht ihn für autoritäre Bestrebungen. Was kommt als Nächstes? Die Ausbürgerung politischer Gegner*innen? Wer diese Tür öffnet, schafft eine gefährliche Dynamik. Würden CDU und SPD Antisemitismus wirklich nachhaltig bekämpfen wollen, würden sie auf Prävention und gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen, statt auf symbolpolitische Repression. Was wir brauchen, sind echte Lösungen, die unsere Demokratie stärken und antisemitischer und rassistischer Gewalt den Nährboden entziehen – keine Maßnahmen, die neue Ungleichheiten schaffen und Grundrechte untergraben.

Der Blick in die Geschichte sollte eigentlich für Klarheit sorgen und die historische Brisanz des Artikels 16 keinerlei Zweifel daran lassen, dass die Absichten von CDU und SPD absolut zu verurteilen sind. Doch wir nehmen vermehrt wahr, dass die Lehren aus der deutschen Geschichte insbesondere von den bürgerlichen Parteien immer flexibler interpretiert werden.

Tragisch werden vor allem die Auswirkungen für Migrantinnen und Migranten sein. Menschen, deren politische Teilhabe bereits jetzt strukturell unterrepräsentiert ist, werden sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie ihre Sorgen, Ängste und Kritik öffentlich äußern, wollen sie nicht Gefahr laufen, ihre Staatsangehörigkeit zu verlieren. Deutsche Nazis haben dieses Problem nicht. Die können weiterhin antisemitische Äußerungen tätigen und ihre menschenverachtende politische Ideologie zum Besten geben – ihnen droht im Fall der Fälle nur die eine Bestrafung – wenn überhaupt.

Ein Beitrag von Vinzenz Glaser, Mitglied des Bundestags für Die Linke

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