Fünf Bundesländer setzen „Distanzelektroimpulsgeräte“ im Streifendienst ein, weitere folgen. Auch die Bundespolizei testet die Einführung in Berlin. Die Polizei preist Taser als „nicht-tödliche“ Alternative zur Schusswaffe – doch bereits mindestens zehn Menschen starben in Deutschland nach ihrem Einsatz.
In Deutschland nutzt die Polizei Taser seit der Jahrtausendwende, jedoch bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich bei Spezialeinheiten. In Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt soll dies nach derzeitigem Stand so bleiben – trotz Getrommel von Polizeigewerkschaften. Jedoch werden die als „Distanzelektroimpulsgeräte“ bezeichneten Waffen in immer mehr Bundesländern im Polizeivollzug und im Streifendienst eingeführt. Damit normalisiert sich eine vergleichsweise neue Waffe, die von der Polizei gern als nicht-tödliche Alternative zur Pistole bezeichnet wird.
Taser schießen mit hohem Gasdruck zwei Elektroden ab, die an Drähten befestigt sind und sich wenige Millimeter unter die Haut bohren. Die Reichweite gibt der Hersteller mit über sieben Meter an. Sofern beide Pfeile treffen, erzeugt ein Stromimpuls mit einer Spannung von bis zu 50.000 Volt eine Muskelverkrampfung bei dem Opfer. Möglich ist auch der Einsatz im „Kontaktmodus“, dabei wird das Gerät ohne Abschuss der Pfeile direkt an den Körper der Zielperson gehalten.
Allerdings soll schon der Anblick der Waffe einen einschüchternden Effekt haben. Dies erfolgt, nachdem der Taser nach dem Ziehen aus dem Holster aktiviert wurde. Dabei zeigt sich ein Lichtbogen zwischen den Elektroden, begleitet von einem farbigen Laser, mit dem die Zielperson markiert wird.
Zuerst hatte 2018 Rheinland-Pfalz Taser im Streifendienst eingeführt, es folgten Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Brandenburg und bald Schleswig-Holstein. In Bremen bleiben sie Spezialkräften vorbehalten, nach einem Pilotprojekt soll aber auch die reguläre Polizei damit ausgerüstet werden – in Bremerhaven ist dies schon umgesetzt. In Bayern dürfen neben Spezialeinheiten alle „geschlossenen Einheiten“ die Waffe nutzen, die Ausweitung auf den Polizeivollzug wird seit Jahren diskutiert. In Hamburg und Berlin steht die Einführung nach einem mehrjährigen Test bevor. In der Hauptstadt testet zudem die Bundespolizei den Taser-Einsatz an vier Direktionen.
Die zahlenmäßig meisten Taser gibt es wohl in Nordrhein-Westfalen. Nach Abschluss eines Pilotprojekts und einer Koalitionsvereinbarung von CDU und Grünen wurden ab 2022 mindestens 1.360 Geräte beschafft, die Gesamtkosten betragen inklusive Training mindestens 8,5 Millionen Euro. Der deutsche Markt für Taser wird ausschließlich von der US-Firma Axon versorgt, deren Produktname sich für die „Distanzelektroimpulsgeräte“ weltweit durchgesetzt hat.
Wo sie bereits im Polizeialltag vorhanden sind, werden Taser auch immer öfter eingesetzt, wie eine dpa-Umfrage für das Jahr 2024 jüngst ergab. Allerdings werden dort nur Zahlen ohne das vierte Quartal verzeichnet. Genauere Daten erhielt das nd über Informationsfreiheitsanfragen für 2023 aus den Bundesländern. Daraus geht hervor: In über zwei Dritteln aller Fälle genügte die Androhung von Schüssen.
In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wurden Taser in 1.348 Fällen gezogen, davon waren 1.087 reine Androhungen. In Rheinland-Pfalz kam es zu 393 Einsätzen, davon 335 Androhungen. Im Saarland gab es 31 Taser-Einsätze, wobei 15 Mal der bloße Anblick genügte. Bayern meldete für 2023 insgesamt 102 Einsätze, auch dabei reichte meist die Drohung. Die Polizei in Brandenburg zog ihre Taser im Jahr 2023 in 252 Fällen.
Nicht jeder Beschuss mit den Taser-Pfeilen führt zur Lähmung des Opfers. Rheinland-Pfalz gibt für 2023 an, dass von den 393 Einsätzen 55 nicht erfolgreich waren und gibt als Gründe „Fehlfunktion/Fehlschuss/Kleidung/Sonstiges“ an.
Ohne Risiko ist die Waffe auch aus Polizeisicht nicht, bei Älteren, Schwangeren und Menschen mit gesundheitlichen Problemen kann sie tödliche Folgen haben und soll deshalb gegen diese Bevölkerungsgruppen nicht eingesetzt werden. Allerdings erweist sich die Regel als nutzlos, denn Vorerkrankungen der Betroffenen sind der Polizei in den allermeisten Fällen nicht bekannt.
Ein im November im Düsseldorfer Landtag vorgestelltes Gutachten für den Taser-Einsatz bilanziert „Gesundheitliche Folgeschäden sind insgesamt selten und meist weniger schwer als zum Beispiel nach dem Einsatz von Schusswaffen, können aber vorkommen“. Meistens geht der Beschuss mit Blessuren einher, verzeichnet werden etwa oberflächliche Hautverletzungen durch die Elektroden. Verletzungen erfolgen aber auch durch einen Sturz nach der Lähmung. Die Bundesländer sind gehalten, diese Zahlen jährlich an die Deutsche Polizeihochschule zu schicken. Rheinland-Pfalz gibt für diese Statistik auf Anfrage des nd für das Jahr 2023 bei 393 Einsätzen 162 „oberflächliche Hautverletzung durch Pfeile/Elektroden“ an, 27 durch „Sturz“ und drei durch „Strom“. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen verzeichnet in jedem elften Fall eine Verletzung durch „Sturzfolgen“.
Seit 2018 hat die Zeitschrift CILIP/Bürgerrechte und Polizei insgesamt zehn Tote nach dem Beschuss mit Tasern registriert, davon je einen in Bayern und Niedersachsen, zwei in Hessen, drei in Rheinland-Pfalz und drei in Nordrhein-Westfalen. Die meisten Vorfälle ereigneten sich in Wohnhäusern, häufig bei Personen in psychischen Ausnahmezuständen oder unter Drogeneinfluss. Anders als die Zählung durch CILIP wird die Todesursache von den Behörden aber in keinem der Fälle offiziell den „Distanzelektroimpulsgeräten“ zugeschrieben. Die Opfer starben demnach an Herz- oder Kreislaufstillstand, Organversagen oder anderen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Einsatz.
- 13.01.2018, Fulda: Ein Mann schoss mit einer Kleinkaliberwaffe in seiner Wohnung, weshalb ein SEK gerufen wurde. Das Opfer wurde getasert und starb vier Tage später. Die Elektroschockwaffe soll „mitursächlich“ gewesen sein.
- 22.10.2018, Nürnberg: Ein angeblich randalierender und unter Drogeneinfluss stehender Mann wurde von einem SEK überwältigt. Nach einem Taser-Einsatz und einer späteren Sedierung kollabierte er und starb.
- 18.01.2019, Pirmasens: Ein Mann sollte in eine psychiatrische Klinik gebracht werden und leistete massiven Widerstand. Ein Taser wurde im Kontaktmodus eingesetzt. Das Opfer kollabierte auf dem Weg ins Krankenhaus und starb in der Notaufnahme. Todesursache war ein Herzinfarkt, der Taser galt laut Obduktion als nicht ursächlich.
- 30.04.2019, Frankfurt: Ein übergewichtiger Diabetiker mit psychischer Erkrankung wehrte sich gegen dringend benötigte Medikamente. Nach einem Taser-Einsatz kollabierte er und starb später in der Klinik an einer Lungenentzündung und Blutvergiftung. Ein direkter Zusammenhang mit dem Taser wurde nicht festgestellt.
- 03.10.2021, Garbsen: Ein Mann rief den Notruf und bedrohte eintreffende Polizisten mit einem Messer. Ein SEK setzte einen Taser ein, woraufhin er später im Krankenhaus starb. Ursache war angeblich multiples Organversagen infolge von Alkoholentzug. Ein direkter Zusammenhang mit dem Taser wurde nicht festgestellt.
- 06.10.2021, Neustadt: Ein Mann, der auf der Straße schrie und Bewohner:innen angriff, wurde von der Polizei mit einem Taser überwältigt. Die Ursache des anschließenden Todes soll ein Herzinfarkt gewesen sein.
- 19.10.2022, Dortmund: Ein wohnungsloser Mann leistete Widerstand gegen einen Polizisten und starb nach einem Taser-Einsatz. Ursache war eine schwere Herzerkrankung, begleitet von Alkoholintoxikation.
- 05.11.2023, Köln: Ein angeblicher Randalierer wurde in einem Mehrfamilienhaus von einem SEK mit einem Taser überwältigt. Nach der Verabreichung eines Medikaments durch einen Notarzt kollabierte er und starb.
- 06.01.2024, Mülheim an der Ruhr: Der Guineer Ibrahim Barry starb nach einem Polizeieinsatz in einer Erstaufnahmeeinrichtung nach zweimaligem Taser-Einsatz. Todesursache war laut Obduktion Herz-Kreislauf-Versagen. Jedoch sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Ein toxikologisches Gutachten soll ergeben haben, dass Barry beim Tasern unter akutem Kokaineinfluss stand. Auch habe er eine COPD-Erkrankung sowie eine rechtsseitig muskelkräftige Belastung des Herzens gehabt.
- 30.04.2024, Landstuhl: Ein Mann randalierte in seiner Wohnung und griff Polizisten an. Nach einem Taser-Einsatz verlor er das Bewusstsein und starb. Die Todesursache konnte morphologisch nicht eindeutig festgestellt werden, es wurde eine Herzrhythmusstörung vermutet.
Die Polizei argumentiert, Taser könnten die Lücke zwischen Schlagstock, Pfefferspray und Schusswaffen schließen. In den Polizeigesetzen der Länder werden sie diesbezüglich aber mitunter als „Schusswaffe“ eingeordnet, was höhere Hürden für den Einsatz bedeutet. Vor allem rechte Polizeigewerkschaften wie die DPolG fordern deshalb, Taser wie andere „nicht-tödliche Waffen“ zu behandeln, ohne etwa nach jedem Einsatz ausführliche Berichte schreiben zu müssen.
Dieser Text erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe 1/2025 der Rote Hilfe Zeitung. Wir bedanken uns recht herzlich für das Recht zur Übernahme!
Hier findet ihr unser ausführliches Interview mit dem Autor Matthias Monroy über tödliche Polizeischüsse in Deutschland:
