Ich kann es nicht mehr hören. Das ewige Genörgel eines Teils der Medien über die Dauer der Koalitionsverhandlungen täuscht darüber hinweg, um was es hier eigentlich geht. Entscheidend ist nämlich nicht, wer wie lange bei Mettbrötchen und Blubberwasser in den Hinterzimmern der Parteizentralen verhandelt hat. Entscheidend ist auch nicht, wer anschließend auf den Ministersesseln im Plenarsaal des Bundestags Platz nehmen wird. Entscheidend ist, welche inhaltlichen Akzente diese neue Regierung in alter Konstellation setzen wird und da sieht es so aus, als wären die Verhandlungen der Auftakt für ein kräftiges „Weiter so“ mit einer Tendenz zum „Schlimmer geht immer“.
Gerade im außenpolitischen Teil glänzt der Koalitionsvertrag mit einer Menge fröhlicher Floskeln und blumiger Umschreibungen, die die Aufrüstungspläne von Union und SPD kaschieren sollen. So heißt es etwa, man wolle „ein neues konventionelles … Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden“, man legt aber im gleichen Text fest, dass bis 2024 das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Rüstungszwecke erreicht werden soll. Bislang erreicht nur ein NATO-Staat, nämlich Griechenland, diese Zielvorgabe. Für Deutschland bedeutet sie eine glatte Verdoppelung der Militärausgaben. Der Volksmund nennt so etwas Aufrüstung. So würde es vermutlich auch manches SPD-Basismitglied nennen, das bei der Mitgliederbefragung Anfang März nun um seine Zustimmung zu diesem Koalitionsvertrag gebeten wird. Speziell für diese hat sich die GroKo 2.0 etwas Besonderes einfallen lassen, um das NATO-Aufrüstungsprogramm aufzuhübschen: „Prioritär“ sollen neben dem Rüstungsetat auch diejenigen Haushaltsposten erhöht werden, die auf die so genannte ODA-Quote angerechnet werden können, das sind die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit, zivile Krisenprävention, Humanitäre Hilfe sowie auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Im Gegensatz zur Aufrüstung gibt es dort allerdings keine klaren und messbaren Ziele. Im Entwurf des Koalitionsvertrages hieß es noch, man wolle die Mittel für die ODA-Quote „eins zu eins“ an die Steigerung der Rüstungsausgaben koppeln. Davon ist in der Endfassung nichts mehr übrig.
Auch der Teil zur nuklearen Abrüstung strotzt nur so vor verbalen Wohlfühl-Slogans ohne realen Wert. So steht da etwa: „Ziel unserer Politik ist eine nuklearwaffenfreie
Welt. Wir unterstützen daher regionale Initiativen für Zonen, die frei von Massenvernichtungswaffen sind.“ Wo diese Zonen sein sollen? Jedenfalls nicht in Mitteleuropa, denn im übernächsten Absatz wird es dann konkreter: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“ Also kein Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe, kein Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel und keine Unterschrift unter den UN-Vertrag zum Atomwaffenverbot mit dieser Bundesregierung. Stattdessen heißt es Vertagung konkreter Abrüstungsschritte auf den Sankt Nimmerleinstag.
Sehr viel konkreter sind hingegen die Aufrüstungsschritte. So soll weiter die Entwicklung der Euro-Drohne vorangetrieben werden und bis zu deren Einsatzfähigkeit die israelische Drohne Heron TP geleast werden. Für den Einsatz von Killerdrohnen sollen „konzeptionelle Grundlagen“ geschaffen werden. Wozu diese Grundlagen für den Einsatz, wenn doch derselbe Koalitionsvertrag erklärt: „Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen“? Wenn bewaffnete Drohnen heutzutage eingesetzt werden, zum Beispiel durch die US-Armee in Jemen, Somalia oder Pakistan, dann ja gerade zum Zwecke völkerrechtswidriger Tötungen, zur Vollstreckung von Todesurteilen ohne Gerichtsverfahren. Warum also erklärt die Koalition ihre Ablehnung solcher Verbrechen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen? Müsste sie dann nicht unmittelbar mit der US-Regierung in Verhandlungen eintreten mit dem Ziel, die Steuerung von Drohneneinsätzen über die Relaisstation im rheinland-pfälzischen Ramstein zu unterbinden? Nein, mit Logik und Konsistenz hat das alles nicht viel zu tun: Friedenspolitische Ansatzpunkte im Koalitionsvertrag kommen weitgehend nicht über Lyrik hinaus, während Aufrüstung, Kriegsvorbereitung und Gewaltanwendung mit konkreten Maßnahmen mehr als deutlich ausgestaltet sind.
Etwas Bewegung erkennt man zumindest beim Waffenhandel. So sollen Kleinwaffen gar nicht mehr in Staaten außerhalb von EU und NATO geliefert werden und Rüstungsexporte sollen zumindest nicht mehr in Länder genehmigt werden, solange diese „unmittelbar“ am Krieg in Jemen beteiligt sind. Das Wörtchen „unmittelbar“ wurde offenbar nachträglich eingefügt, um nicht in die Situation zu kommen, Rüstungsexporte in die USA, nach Frankreich oder Großbritannien stoppen zu müssen. Eine grundsätzliche Absage an Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete sowie an autoritäre Regime ist das allerdings noch nicht. Stattdessen wird auch die neue Bundesregierung die „Ertüchtigung“ genannte Auf- und Ausrüstung von Militärs in Konfliktregionen weiter fortsetzen.
Auch ein Rüstungsexportstopp gegen die Türkei wegen ihres völkerrechtswidrigen Angriffs auf Afrin fehlt im Koalitionsvertrag. Der Einmarsch in die kurdische Provinz in Nordyrien wurde auch mit Leopard-Panzern der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall durchgeführt. Stattdessen heißt es: „Die Türkei ist ein wichtiger Partner Deutschlands und Nachbar der EU, zu dem wir vielfältige Beziehungen haben. Deshalb haben wir ein besonderes Interesse an einem guten Verhältnis zur Türkei.“ Wie dieses hergestellt werden soll, wenn das Interesse nicht gegenseitig ist? Darauf, wie auf so viele unangenehme Fragen, bleibt die GroKo 2.0 eine Antwort schuldig.