Die Union verschiebt das Machtverhältnis zugunsten des Kapitals – Im Gespräch mit Patrick Kaczmarczyk

Fürs Kapital setzt sich die Regierung immer ein, doch wenn es um die Menschen geht, bleibt das Mikro leider aus.
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Die schwarz-rote Koalition will mit einem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen die Wirtschaft ankurbeln – doch für den Politökonomen Patrick Kaczmarczyk ist das Programm weder fiskalisch durchdacht noch sozial gerecht. Im Interview warnt er vor einem Rückfall in neoliberale Reflexe, einem Abbau von Arbeitnehmerrechten und Investitionen, die vor allem dem Kapital nützen – während Arbeitslosigkeit und Nachfragekrise weiter eskalieren.

etos.media: Wie bewerten Sie das aktuelle Regierungsprogramm der schwarz-roten Koalition?

Patrick Kaczmarczyk: Fiskalpolitisch wird es voraussichtlich ein kleiner Schritt nach vorn, sofern die Investitionen aus dem „Sondervermögen“ effizient auf die Straße gebracht werden. Andererseits sind noch viele Fragen offen. Zum einen betrifft dies den „Konsolidierungsbeitrag“, den die Koalition erbringen möchte, der den expansiven Impuls abwürgen wird. Zum anderen ist die Struktur der Ausgaben unklar. Werden die fiskalpolitischen Spielräume etwa genutzt, um bei großen Infrastrukturprojekten privates Kapital zu „mobilisieren“, wie es der Koalitionsvertrag beim Netzausbau zum Beispiel vorsieht, werden öffentliche Gelder zugunsten der oberen zehn Prozent der Gesellschaft verschwendet – während Haushalte und Unternehmen belastet werden. Doch insgesamt glaube ich, dass wir 2026 moderate Wachstumsraten sehen könnten, falls keine unvorhergesehene Krise zuschlägt. Alles in allem aber wird das kein nachhaltiges Wachstum sein, und für einen Strukturwandel, der die deutsche Wirtschaft fit macht für das 21. Jahrhundert, sind wir sehr weit entfernt.

etos.media: Wie sehen Sie die Einschätzung, dass die Koalition auf Kosten von Arbeitnehmerrechten und sozialer Absicherung Wachstum generieren will?

Patrick Kaczmarczyk: Das geht am Problem vorbei. Wir haben es neben einer strukturellen Krise auch mit einer Nachfragekrise zu tun. Die Unternehmen bauen stellen ab, die Arbeitslosigkeit steigt. Fast 40 Prozent der Unternehmen klagen über einen Mangel an Aufträgen. Das bedeutet: Nach fünf Jahren Stagnation haben die Unternehmen angesichts der schwachen Nachfrage „zu viel“ Arbeit und entlassen deshalb ihre Beschäftigten. Dass man glaubt, man könne mit ökonomischer Gewalt die Wirtschaft wiederbeleben beziehungsweise transformieren, zeigt, dass der Neoliberalismus noch tief in den Köpfen der politischen Entscheider verankert ist.

etos.media: Ist es nicht ein Widerspruch, auf der einen Seite Milliarden für Konjunktur- und Industriehilfen bereitzustellen, während auf der anderen Seite soziale Leistungen auf den Prüfstand gestellt werden?

Patrick Kaczmarczyk: Die Frage ist, ob die Milliarden für die Konjunktur- und Industriehilfen überhaupt kommen. Da sehe ich derzeit nämlich wenig Bewegung. Alle reden über Konsolidierung. Maßnahmen, die in die Kategorie der Konjunktur- und Investitionshilfen fallen würden – wie etwa Steuersenkungen oder „Investitionsbooster“ – mögen zwar für einige kurzfristig die Gewinne erhöhen, doch das Wachstum stärken oder den wirtschaftlichen Strukturwandel vorantreiben werden diese Maßnahmen nicht. Dazu sind sie zu schlecht strukturiert und kommen mit zu hohen Nebenwirkungen daher, insbesondere für die Kommunen.

etos.media: Wie sieht es mit dem in diesem März beschlossenen 500-Milliarden-Euro-“Sondervermögen“ aus? Wem nützt es konkret und wer wird es langfristig finanzieren müssen?

Patrick Kaczmarczyk: Das ist die große Frage – und die Antwort hängt davon ab, wie das Geld ausgeben wird. Im Koalitionsvertrag finden sich dazu widersprüchliche Aussagen. Nehmen wir wieder das Beispiel des Netzausbaus: Einerseits soll zur Finanzierung privates Kapital mobilisiert werden – was nichts anderes bedeutet, als dass der Staat über Garantien und Zuschüsse die hohen Renditen von Finanzinvestoren absichern wird. Andererseits sollen strategische Beteiligungen an Netzbetreibern in Erwägung gezogen werden. Angesichts der Besetzung des Kabinetts und des Drucks im Lobby-Berlin wird es voraussichtlich auf die Option des privaten Kapitals hinauslaufen. Aber sicher ist das noch nicht. Wenn die Investitionen effizient strukturiert werden würden, würden sie auch das Wachstum ankurbeln, sodass die Schulden sich von selbst refinanzieren.

Dr Patrick Kaczmarczyk

etos.media: Sehen Sie die Gefahr, dass die geplante Arbeitszeitverlängerung vor allem auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen wird, während Unternehmen entlastet werden?

Patrick Kaczmarczyk: Definitiv! Was wir gerade erleben, ist, dass die Union ihre Klientelpolitik durchdrückt und das Machtverhältnis zwischen Arbeit und Kapital zugunsten des Kapitals verschiebt. Die SPD macht dabei mit, was sie in Zukunft weiter an Glaubwürdigkeit und Stimmen kosten wird. Aber das ist ein Spiel, das sich seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert permanent wiederholt – von einigen Ausnahmen abgesehen.

etos.media: Wie passt die Arbeitszeitverlängerung zur Diskussion um sogenannte Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der oft zitierten „modernen Arbeitswelt“?

Patrick Kaczmarczyk: Sie passt da überhaupt nicht rein, aber es ist eben Krise – und in solchen Zeiten starten die Arbeitgeber über ihre Verbände, Stiftungen und Parteien (Union, FDP und AfD) Angriffe auf den Sozialstaat. Das war in den 1970er und 1980er Jahren so. Es wiederholte sich mit Schröder zu Beginn der 2000er Jahre. Nun erleben wir dasselbe Muster. Was die Politik nicht begreift: macht sie so weiter, wird sie irgendwann merken, auf was für einem Holzweg sie ist, wenn sie in einer Nachfragekrise und bei steigender Arbeitslosigkeit davon faselt, dass „zu wenig“ gearbeitet wird. Hätten wir „zu wenig“ Arbeit, würden die Unternehmen doch keine Stellen abbauen.

etos.media: Wie soll die Arbeitszeitverlängerung mit dem Fachkräftemangel gelöst werden, wenn sie gleichzeitig das Risiko birgt, den Beruf für viele unattraktiver zu machen?

Patrick Kaczmarczyk: Woran machen wir überhaupt fest, dass wir zu wenig arbeiten und einen Fachkräftemangel haben? Gäbe es einen allgemeinen Mangel, so müsste der Preis für Arbeit doch steigen. Davon sehen wir aber herzlich wenig. In manchen Branchen mag es einen Qualifikationsmangel geben, das sehe ich ein. Aber von einem Mangel zu sprechen, wenn die Löhne dahinkrebsen und die Arbeitslosigkeit weiter steigt, ist absurd.

etos.media: Wie soll soziale Teilhabe noch gewährleistet werden, wenn Kürzungen beim Bürgergeld diskutiert werden, obwohl die Lebenshaltungskosten weiter steigen?

Patrick Kaczmarczyk: Ich denke, dass in diesem Fall die Union früher oder später auf den Boden der Tatsachen kommen wird. Schon 2019 hatte das Bundesverfassungsgericht der Politik einen Dämpfer versetzt, als es die Sanktionen im Hartz-IV-System zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten für verfassungswidrig erklärte. Ähnliches dürfte auch bei der Abschaffung des Bürgergelds beziehungsweise der „aktivierenden Grundsicherung“, wie sie die Union nennt, zu erwarten sein. Ob die Politik dieser Rechtsprechung dann tatsächlich folgt, steht auf einem anderen Blatt. Gerade erleben wir ja bei den Zurückweisungen bei Grenzkontrollen, dass Gerichtsurteile der Union herzlich egal sind. Ob und wie lange die SPD das noch mitmacht, bevor die Union die ausgestreckte Hand der AfD ergreift, ist dann die nächste Frage.

Patrick Kaczmarczyk ist Politökonom, Entwicklungsberater und Autor. Er arbeitet am Kompetenzzentrum für Transformation der Universität Mannheim und berät darüber hinaus die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Sein jüngstes Buch „Raus aus dem Ego‑Kapitalismus: Für eine Wirtschaft im Dienste des Menschen“ ist 2023 bei Westend erschienen.

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