Gewerkschaften in der Zeitenwende – Zwischen Rüstungstransformation und Kriegswirtschaft

Teil V der 5-teiligen Reihe Gewerkschaften in der Zeitenwende von Ulrike EiflerSusanne Ferschl und Jan Richter. (zu Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV)

Rüstungstransformation

Mit Beginn des Ukraine-Krieges haben sich die Wertschöpfungsketten der Rüstungsindustrie verdichtet und stabilisiert. Während der Krieg für viele Industriezweige aufgrund von Markteinbrüchen oder gestiegenen Energiekosten zum Krisenbeschleuniger wurde, beschert er der Rüstungsindustrie einen beispiellosen Aufwärtstrend. Rekordgewinne winken und die Rüstungsbranche spricht von der größten Einstellungswelle seit Ende des Kalten Krieges.1 So bemüht sich der deutsch-französische Rüstungskonzern KNDS derzeit darum, ab März 2026 auf dem Gelände des Alstom-Konzerns in Görlitz gepanzerte Fahrzeuge zu produzieren und zu warten. Letzterer hatte erst kürzlich das Ende des Schienenbaus in der deutsch-polnischen Grenzstadt angekündigt, und KNDS hat bereits signalisiert, den 700 überwiegend jungen und hochqualifizierten Beschäftigten eine Perspektive geben zu wollen. Nicht zufällig ordnet der Tagesspiegel die Pläne des Rüstungsproduzenten als „industriepolitisches Großprojekt mit verteidigungspolitischer Relevanz“ ein.2 Auch der Automobilzulieferer Continental und der Rüstungskonzern Rheinmetall haben eine Kooperation beschlossen. Ein Beispiel, das Schule machen könnte, denn während die deutsche Automobilindustrie knietief in einer Strukturkrise steckt, erleben die Rüstungshersteller durch das Sondervermögen Bundeswehr ein nie dagewesenes Wachstum – nicht zuletzt, weil das Verteidigungs- und das Finanzministerium nach Angaben des Handelsblattes Druck in Richtung Aufrüstung machen: „Rüstungsaufträge mit einem Volumen von mehr als 25 Millionen Euro müssen dem Parlament vorab zur Zustimmung vorgelegt werden. Bis zur parlamentarischen Sommerpause sind bis August 2024 42 dieser sogenannten 25-Millionen-Euro-Vorlagen im Gesamtvolumen von knapp 27 Milliarden Euro im Haushaltsausschuss gebilligt worden“.3

Ein Kleine Anfrage an die Bundesregierung im Sommer 2024 ergab, dass die Arbeitsplätze in der bayrischen Rüstungsindustrie im Zeitraum von 2013 bis 2023 um 35 Prozent gewachsen sind, während die Zahl der Arbeitsplätze bei den traditionellen Automobilzulieferern in Unterfranken wie ZF, Bosch-Rexroth oder Schaeffler derzeit im großen Stil abgebaut werden.4 Im September hatte der Haushaltsausschuss zudem den Weg frei gemacht für den Staatseinstieg bei der angeschlagenen Meyer Werft. Er sprach sich dafür aus, dass sich der Bund mit 200 Millionen Euro an der Stabilisierung des Konzerns beteiligt. Der Grund für die Rettung durch die Scholz-Regierung ist nicht etwa die Sicherung der rund 7.000 Arbeitsplätze, sondern die mögliche militärische Nutzung. So könnte „die Meyer Werft bei einer Verschärfung der geopolitischen Lage potenziell eine bedeutende Rolle im deutschen militärischen Schiffbau einnehmen“, zitierte das Handelsblatt aus einem als „Verschlusssache“ eingestuften Bericht des Bundesfinanzministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestages.5

Beschäftigungsaufbau findet aber nicht nur in den klassischen Rüstungsbetrieben statt. Auch die Dual Use-Industrie wächst. Sie stellt Produkte her, die für den militärischen und den zivilen Bereich relevant sind. Allein in Bayern arbeiten 120.000 Menschen in dieser Branche. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer werden hier jedes Jahr über sieben Milliarden Euro an Wertschöpfung erzeugt.6 Prosperierend ist vor allem der Bereich, der wie die Würzburger Axsol GmbH auf technologische Neuerungen setzt. Das Unternehmen entwickelt riesige in Energiecontainer integrierte Batteriespeicherlösungen, die für die kritische Infrastruktur interessant sein können, aber eben auch militärisch zum Einsatz kommen, weil die moderne Kriegsführung mit einem wachsenden Stromverbrauch einhergeht. Getestet wurde die Technologie bei einem Manöver der NATO in den Niederlanden in diesem Jahr. „Dort wurden keine Verbrenner mehr benutzt, sondern alles unter dem Motto ‚Electrified battlefield‘ elektrisch eingesetzt. Die Energieversorgung kam von uns. Unsere Container wurden benutzt, um beispielsweise alle Ersatzteile mit einem 3D-Drucker auszudrucken, der natürlich Strom braucht. Wie auch die eingesetzten E-Fahrzeuge aller Klassen, verschiedenste Drohnen oder die Kaffeemaschinen der Soldatinnen und Soldaten. Es war das erste Testszenario dieser Art, das auf allen Ebenen funktioniert hat“, schwärmt Axsol-Gründer Jürgen Zinecker.7 Auch in anderen Bereichen entsteht ein riesiger Wachtumsmarkt.

Umstellung auf Kriegswirtschaft?

Mit der Verkündung der Zeitenwende leitete die Scholz-Regierung eine Phase offener Kriegsvorbereitungen ein: Auf das Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze der deutschen Militärausgaben und die Einrichtung eines 100 Milliarden schweren Sondervermögens für die Bundeswehr folgte eine rüstungspolitische Debatte, bei der sich Regierungsvertreter gegenseitig darin überboten, eine Verdopplung (Robert Habeck) oder Verdreifachung (Eva Högl) zu fordern. Dass dies keine Einzelmeinungen waren, zeigt ein Blick in die erst kürzlich erschienene Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie, die als eine erste Weichenstellung auf dem Weg in die Kriegswirtschaft eingeordnet werden muss. Hier werden nicht nur relevante Schlüsseltechnologien definiert, sondern auch industriepolitische Schritte zur Expansion der heimischen Rüstungsindustrie festgelegt.8 Damit wurde eine „staatliche Rüstungs-Planwirtschaft“9 auf den Weg gebracht. Der Operationsplan Deutschland enthält zudem detaillierte Planungen für den Spannungsfall und wird zur Grundlage für ein umfassendes Beratungsprogramm für Handelskammern und Unternehmen durch die Bundeswehr.10 Besonders besorgniserregend: Auch nukleare Abschreckung ist kein Tabuthema mehr: Nicht nur Katarina Barley und Joschka Fischer befürworten sie. Mit dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, und dem Professor der Bundeswehrhochschule in München, Carlo Masala, wird diese zudem von Personen gefordert, die die Bundesregierung in sicherheitspolitischen Fragen beraten. Die bilaterale Vereinbarung zwischen Joe Biden und Olaf Scholz über die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen stellt einen weiteren kriegsvorbereitenden Kulminationspunkt dar.

Begleitet wird diese Entwicklung als Folge gezielter rüstungspolitischer Weichenstellungen, bei der die Rüstungsunternehmen die Bundesregierung in die Verantwortung nehmen und durch staatliche Abnahmegarantien Planungssicherheit fordern. So drängt Rheinmetall-Chef Pappberger darauf, kurzfristig noch vor der Wahl, weitere 10 Milliarden für Ukraine-Hilfen freizugeben und mittelfristig 250 bis 300 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen, damit die Rüstungsbranche ausreichend Planungssicherheit habe, um in neue Fabriken zu investieren. Noch weiter geht der Cheflobbyist der Rüstungsindustrie, Hans Christoph Atzpodien in einem Zehn-Punkte-Plan, den er dem CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz überreichte. „Totale Verteidigung erfordert schnelle Ausführung“, heißt es darin. Es brauche mehr Geld, mehr Planbarkeit, mehr Waffenexporte und mehr Fabriken. Gleichzeitig brauche es Ausnahmen bei Umweltschutzgesetzen – zwischen Sicherheit und Nachhaltigkeit müsse abgewogen werden.11 Die deutschen Rüstungskonzerne machen Druck für eine stabile Auftragslage und stellen mit Serienfertigung auf Kriegsproduktion um. Dass es dabei künftig auch zu deutlich stärkeren personellen Wechseln der Branche in die Politik kommen könnte, zeigen die Gerüchte um Susanne Wiegand. Die Chefin des Augsburger Panzergetriebebauers Renk hatte im vergangenen Jahr ihr vorzeitiges Ende als Vorstandsvorsitzende zum 31. Januar 2025 angekündigt. Seitdem hält sich das Gerücht, die Managerin liebäugele mit dem Amt der Verteidigungsministerin in einer Regierung unter Merz.12

Aber auch die Scholz-Regierung signalisiert den Wunsch, stärker mit der Rüstungsindustrie kooperieren zu wollen. In ihrer Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie skizziert sie die industriepolitischen Leitplanken für den Weg in die Kriegswirtschaft. Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) soll gestärkt werden.13 Dafür sollen die erforderlichen politischen, wirtschaftlichen, regulatorischen, aber auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene geschaffen werden.14 Eine umfassende finanzielle Ausstattung der Bundeswehr, unternehmerische Planbarkeit, garantierte Abnahmesicherheit, Wirtschaftsförderung für Unternehmen der SVI sowie ein verbesserter Zugang zu Krediten und kapitalmarktbasierten Finanzierungen, Zugang zu gut ausgebildeten und sicherheitsüberprüften Fachkräften und ein verlässlicher Zugriff auf Rohstoffe, Teilkomponenten und Vorprodukte stehen dabei im Fokus.

Die Scholz-Regierung sagt darin zudem die Prüfung einer engeren Verzahnung von ziviler und sicherheits- und verteidigungsbezogener Forschung und Entwicklung zu. Bei der Vergabe von Forschungsaufträgen soll den sicherheits- und verteidigungsrelevanten Forschungsaufträgen Vorrang eingeräumt werden. Gleiches gilt für Vergabeverfahren. Planungs-, Haushalts- und Beschaffungsprozesse sollen mit Blick auf die SVI beschleunigt werden. Zudem solle die Bundesregierung „im regelmäßigen Austausch mit der Industrie weitere verlangsamende und hemmende Regulation identifizieren und bei Bedarf regulatorisch nachbessern“.15 Dies wirft Fragen im Hinblick auf Vorgaben bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit auf, aber auch in Bezug auf Arbeitszeit- oder Arbeitsschutzregeln. Die Diskussion zur erleichterten Anwendung des Arbeitssicherstellungsgesetzes spielt hier sicherlich auch eine Rolle. Aber auch eine Novellierung des Kriegswaffenrechtes soll geprüft werden, zum „etwaige Wettbewerbsnachteile“ im internationalen Vergleich auszugleichen. Insgesamt geht die Scholz-Regierung in dem Papier von einer Beschaffungspolitik für die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus aus.

Umfang und Tempo des Hochfahrens von Rüstungskapazitäten haben den Charakter konkreter Kriegsvorbereitungen, sowohl im Hinblick auf die Quantität – so hat allein Rhein-Metall seine Granatenkapazität in den letzten drei Jahren verzehnfacht von 70.000 produzierten Granaten auf jährlich 700.000 Granaten -, als auch im Hinblick auf die Qualität. Die wachsenden Waffenlieferungen an die Ukraine, der Bestellschub der Bundeswehr und die zunehmenden Rüstungsexporte forcieren den Wandel von Manufakturbetrieben zu Großserienherstellern bei Kriegsgeräten und zum Massenproduzenten bei Munition und Granaten. Die Unternehmen, die immer auf das Einhalten der Regeln des freien Marktes verweisen und sich Regulierungen im Hinblick auf Arbeitsschutz, Kündigungsschutz oder Klimaschutz als Bevormundung verbitten, appellieren jetzt an den Staat, mit langfristigen Aufträgen und Abnahmegarantien die Rüstungsproduktion zu stabilisieren. Staatliche Planwirtschaft wird damit zum ökonomischen Steuerungsinstrument in der Zeitenwende. Dazu passt die Aussage des Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, man müsse abwägen, „wie viel Marktwirtschaft in Zeiten des Krieges in Europa möglich und wie viel Planwirtschaft nötig ist“.16 Die Überlegungen gehen soweit, dass sogar Staatseinstiege bei Rüstungsfirmen ermöglicht werden sollen, insbesondere wenn es sich um relevante Schlüsseltechnologien handele. Diese wurden in dem Rüstungsindustriestrategiepapier auch bereits definiert und reichen von gepanzerten Fahrzeugen und Marineschiffen über Sensorien und Kommunikationstechnologie bis hin zu Künstlicher Intelligenz.

Die Ampel bewegte sich mit diesen Überlegungen im Gleichschritt mit den Militarisierungsbemühungen des Europäischen Parlamentes (EP). Dieses hat eine Umstellung auf Kriegsproduktion fest im Blick und spricht mittlerweile auch unverhohlen von Kriegswirtschaft. So hatte das EP Anfang Juni 2024 mit großer Mehrheit die vom damaligen EU-Binnenkommissar Thierry Breton gewünschte Verordnung zur Umstellung auf Kriegswirtschaft angenommen. Auf Grundlage dieses Beschlusses erhielt Breton das Mandat, mit den Mitgliedstaaten darüber zu verhandeln, wie „so schnell wie möglich“ Waffensysteme hergestellt werden können. Dafür sollte nicht nur auf Mittel für die Rüstungsproduktion zurückgegriffen werden, sondern auch auf Fonds für die Erholung und Widerstandsfähigkeit aus Covid-Schäden oder Fonds, die für den sozialen Zusammenhalt vorgesehen waren.17 Diese Priorisierung der Munitionsfabrikation auf EU-Ebene durch finanzielle Mittel, die eigentlich für die Verbesserung der Lebensqualität vorgesehen waren, ordnet Schmidt als Militarisierungsschub und als Übergang zur Kriegswirtschaft ein. Auch Demirel und Wagner kommen mit Blick auf die EU-Militarisierung zu dem Schluss: „Eine Vorfahrt für die Rüstungsproduktion ist symptomatisch für den Schwenk Richtung einer Kriegswirtschaft, in der Staat, Krieg und Wirtschaft immer enger miteinander verschmelzen“.18

Auch der Diskurs über die Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie ist geprägt von dieser Priorisierung. Wie dargestellt gewährte die Scholz-Regierung den Lieferketten und Dienstleistungen der Rüstungsindustrie im Hinblick auf Forschung und Entwicklung, Planungs- und Genehmigungsverfahren, Vergabe, strategische Rohstoffe und die Gewinnung von Fachkräften Vorrang vor anderen Industriezweigen. Das Schlüsselwort bei dieser Priorisierung lautet „sicherheitsrelevant“.

Konversion statt Krieg und Klimazerstörung

Nicht nur der Risikobericht des Weltwirtschaftsforums stellte 2023 fest, dass der Kampf gegen den Klimakollaps mehr zwischenstaatliche Kooperation erforderlich mache. Andernfalls wäre in den nächsten zehn Jahren mit anhaltender globaler Erwärmung zu rechnen sein.19 Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) warnt angesichts des Krieges vor weitreichenden und schweren Schäden mit unmittelbaren und längerfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit und die Öko-Systeme.20 Vor diesem Hintergrund zieht der Zeitenwende-Kurs der Bundesregierung nicht nur soziale Unwägbarkeiten nach sich, sondern kollidiert auch mit ihren Klimaschutzzielen: Beim Abfeuern von Geschossen und Marschflugkörpern und beim Einsatz von Militärflugzeugen, Panzern, Kampfjets oder Militärschiffen werden enorme CO2-Emissionen freigesetzt. Mit jedem Euro, den die alte wie die neue Bundesregierung für die Aufrüstung der Bundeswehr genehmigt, treibt sie die negative Klimabilanz in die Höhe. In einer Studie für „The Left“, die linke Fraktion im Europa-Parlament, schätzen die britischen Wissenschaftler Lindsey Cottrell und Stuart Parkinson den CO2-Fußabdruck der deutschen Waffenhersteller auf mehr als 3,4 Millionen Tonnen im Jahr. Für den gesamten deutschen Militärsektor kommen sie, die Bundeswehr eingeschlossen, auf 4,5 Millionen Tonnen. Das entspricht dem CO2-Ausstoß von etwa einer Million Autos pro Jahr. Steigende Militäretats ziehen also einen deutlichen Anstieg der CO2-Emissionen nach sich. Denn was die Waffensysteme gemeinsam haben, ist ihr immenser Verbrauch fossiler Treibstoffe. 6.000 Liter Kerosin verschlingt der F-35-Flieger in einer Stunde. Auf 100 Kilometer schluckt ein Leopard—2-Panzer 530 Liter Diesel. Was gut für die Kampffähigkeit ist, ist schlecht für das Klima.21 Hinzu kommen die CO2-Emissionen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die nirgendwo erfasst sind, aber immens sein dürften. So wird der Diesel-Nachschub westlicher Soldaten im Sahel mit Hubschraubern befördert, weil die Nutzung der Landroute zu gefährlich sei. Dabei verbraucht der Hubschrauber selbst mehr als die Hälfte des Kraftstoffs, den er liefert.22 Inzwischen haben verschiedenen Forschungsinitiativen Daten zusammengetragen, die zeigen: Die Klimabilanz des Militärs ist verheerend.

Schaut man auf den Ukraine-Krieg, so ist es schwierig, die Klimabilanz des Krieges genau zu quantifizieren. Das ukrainische Umweltministerium zählte bereits im ersten Kriegsjahr über 2.000 Fälle, in denen es angesichts des Krieges zu „schweren Schäden mit unmittelbaren und langfristigen Folgen für die menschliche Gesundheit und die Ökosysteme“ gekommen ist“.23 Die Bombardierung von Kraftwerken, Treibstofflagern und Anlagen der Wasserversorgung führt zu einer erhöhten Schadstoffbelastung von Luft und Grundwasser.

Hinzu kommt: Der F-35-Kampfjet ist nicht nur die teuerste Neuanschaffung der Bundeswehr, sondern auch ihre größte Klimasünde. Er stößt pro Stunde mehr CO2 aus, als ein Deutscher im Jahr verursacht.24 Wenig verwunderlich also, dass der Krieg allein im ersten Jahr so viele klimaschädliche Emissionen verursacht hat wie ein Land von der Größe Belgiens im gleichen Zeitraum. Das errechnete der niederländische Klimaforscher Lennard de Klerk. Demnach hat der Ukraine-Krieg allein im ersten Jahr 120 Millionen Tonnen CO2-Emissionen-Äquivalente ausgestoßen. Etwa 19 Prozent des Gesamtausstoßes geht auf das direkte Kampfgeschehen zurück, der Großteil kommt durch den Spritverbrauch der Truppen zustande. Den größten Teil der Emissionen, rund 50 Millionen Tonnen, entstehen nach den Berechnungen von Le Klerk allerdings erst beim Wiederaufbau, wenn Kraftwerke, Industrie und Gebäude neu errichtet werden müssen.25

Auch in Gaza wurden in den ersten zwei Monaten des Krieges gigantische CO2-Emissionen ausgestoßen. Ein britisches Forscherteam geht von einem Ausstoß von 281.000 Tonnen Kohlendioxid allein in den ersten 60 Tagen aus, von denen sich 99 Prozent auf Israels Luftangriffe und die Bodeninvasion zurückführen lassen.26 Damit war das Emissionsvolumen bereits in den ersten zwei Kriegsmonaten größer als der jährliche ökologische Fußabdruck von mehr als 20 Nationen und entspricht der Verbrennung von 150.000 Tonnen Kohle. Benjamin Neimark, Mitautor der Studie weist auf die konservativen Rechnungen hin und gibt an, dass der wahre CO2-Fußabdruck fünf- bis achtmal größer sein könnte, würde man die Emissionen der gesamten Kriegslieferkette einbeziehen. Die Studie, die Anfang Januar 2024 fertiggestellt wurde, berechnete, dass der Wiederaufbau zu diesem Zeitpunkt mindestens 30 Millionen Tonnen Treibhausgase freisetzen würde. „Dies entspricht den jährlichen CO2-Emissionen Neuseelands und ist höher als die von 135 anderen Ländern und Gebieten, darunter Sri Lanka, Libanon und Uruguay“.27 Zu dem Zeitpunkt, als die Studie fertiggestellt wurde, waren lediglich 36 bis 45 Prozent der Gebäude im Gazastreifen zerstört.

Um den drohenden Klimakollaps aufzuhalten, muss die Dekarbonisierung der Industrie also mit dem Kampf um Entspannungspolitik verbunden werden. Denn der epochale Umbruch in der Industrie, für dessen Gelingen es schon zu Friedenszeiten eine enorme politische Kraftanstrengung und finanzielle Ressourcenmobilisierung bräuchte, findet nun in Zeiten statt, in denen das Primat der Zeitenwende milliardenschwere Ausgaben für Rüstung und Krieg bindet. Die Schätzung von IMK und IW, wonach in den nächsten zehn Jahren ein Investitionsbedarf von 600 Milliarden Euro besteht, betrifft ganz wesentlich den klimaneutralen Umbau von Industrie und Gesellschaft.

Mit dem Krieg in der Ukraine und dem Aufrüstungskurs in Deutschland stellen sich daher für die Gewerkschaften die alten Konversionsdebatten mit neuer Aktualität. Eine Ausblendung der Widersprüche kann schnell zu Lasten traditioneller friedenspolitischer Positionen gehen. Dies zeigte das rüstungspolitische Papier des IG Metall-Vorstandes „Souveränität und Resillienz sichern“.28 Es zeigte sich aber auch an der Tatsache, dass der bayrische Luftverteidigungsproduzent Diehl Defence im Oktober im Nürnberger Gewerkschaftshaus tagen durfte – ein Rüstungskonzern, der in den 1930er und 1940er Jahren von der Zerschlagung der Gewerkschaften und den Möglichkeiten der Zwangsarbeit profitierte.29

Natürlich liegen die Widersprüche für die Gewerkschaften auf der Hand: Wenn Rheinmetall-Vorstandschef Pappberger sein Unternehmen auf Erfolgskurs sieht, dann sichert das auch die Arbeitsplätze von fast 34.000 Beschäftigten. Allerdings steht der richtige Ansatz, industrielle Fertigungsprozesse zu dekarbonisieren, im Widerspruch zur sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Zerstörung rüstungsindustrieller Endprodukte. Es ist daher eine politische Entscheidung, Stahl nicht für Panzerbau und Handgranaten zu nutzen, sondern für einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr und Windkraftanlagen. In einer Zeit, in der die politische Klasse sich gegenseitig in Aufrüstungsforderungen überbietet und eine ebenso gefährliche wie absurde Diskussion über Atomkriege führt, sollten die Gewerkschaften die Frage nach gesellschaftlichen Bedarfen und der friedlichen Nutzung industriell hergestellter Produkte offensiv stellen. Der Gewerkschaftstag der IG Metall hat dafür den Grundstein gelegt, als er beschloss, dass sich die IG Metall „mit Nachdruck für diplomatische Lösungen auf allen möglichen Ebenen und über alle Kanäle“ einsetzen wird. „Die Eskalations- und Rüstungsspirale darf sich nicht weiterdrehen“. Ein wegweisender Beschluss, der eine selbstbewusste Rückbesinnung auf die traditionelle Rolle der Gewerkschaften und ein offensives Eingreifen in den aktuellen Diskurs einfordert.

Dass das auch mehr Friedenspolitik im gewerkschaftlichen Transformationsdiskurs wie im politischen Diskurs erfordert, macht Anne Rieger deutlich, indem sie darauf hinweist, dass es die erfolgreichen betrieblichen Konversionsinitiativen- und mobilisierungen in den 70er, 80er und 90er Jahren ohne „die Orientierung auf gesellschaftlich nützliche Alternativen nicht gegeben“ hätte.30 Einen Blick, den auch der ehemalige Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ludwigshafen-Frankenthal, Alfred Kuffler, bestätigt. Er verweist auf die Auseinandersetzung um den Rüstungsbetrieb Vereinigte Flugtechnische Werke Speyer (VFW Speyer), der 1975 geschlossen werden sollte. Für die IG Metall stand außer Frage, um den Erhalt der 1.600 Arbeitsplätze zu kämpfen. Es folgte ein beispielloser Arbeitskampf für den Erhalt des Betriebes, bei dem nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Bevölkerung der Region mobilisiert wurde. Gleichzeitig gelang es den Mitarbeitern, in diesem Arbeitskampf einen Teil der Produktion auf alternative Produktion umzustellen. Die Diskussion habe „die Kolleginnen und Kollegen politisiert und ein Bewusstsein für die Widersprüche geschaffen. Betriebsrat und Vertrauensleute hatten lange vor dem Konflikt immer großen Wert auf politische Gewerkschaftsarbeit gelegt. Das war ihre Stärke und letztlich auch die Voraussetzung für die Konversionsdiskussion“.31

Natürlich ist die Diskussion über Konversion heute eine andere als in den 1970er Jahren. Während damals Rüstungsbetriebe durch ihre Kooperation mit Hitler zu recht politisch stigmatisiert waren und mangelnde Rentabilität der Anlass für Arbeitsplatzabbau war, boomt die Rüstungsindustrie heute, und Scholz und Pistorius lassen sich stolz neben Pappberger ablichten. Und dennoch: Kapitalismus funktioniert, weil es Entfremdungsprozesse zwischen den Produzenten und den von ihnen hergestellten Produkten gibt. Diese allerdings kann durch politische Betriebsarbeit aufgebrochen werden. Ein erfolgreicher Industrieumbau muss eine nachhaltige Produktion und die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten in den Vordergrund stellen. Er muss aber gleichzeitig der zivilen Produktion dienen, das zeigt das Ausmaß ökologischer Zerstörung in der Ukraine und in Gaza. Deshalb sollte die Gestaltung der aktuellen Transformation mit der Friedenspolitik verknüpft werden. Dazu hilft es vielleicht, den alten Diskurs über die Demokratisierung der Wirtschaft erneut aufzugreifen. Weil der Umbau unserer Produktions- und Lebensweise nur dann erfolgreich sein wird, wenn er einen vollständigen Bruch mit der profitgetriebenen Logik im Kapitalismus zur Folge hat. Dabei darf die Entscheidung, was produziert und transformiert werden soll, nicht aus der Hand gegeben werden. Die Gewerkschaften müssen diejenigen sein, die die Transformation industrieller Fertigungsprozesse mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen ihrer Produkte verknüpfen. Gesellschaftliche Bedarfe jenseits von Krieg, Zerstörung und Tod zu definieren, ist daher eine der zentralen Aufgaben in der Transformation und in der Friedensbewegung. Kampfhubschrauber und Panzer steigern zwar das Bruttoinlandsprodukt, schreibt der Ökonom Maurice Höfgen, aber nicht den zivilen Wohlstand. Und er verweist zu Recht darauf, dass sich auch das Fachkräfteproblem deutlich zuspitzen würde, wenn Ingenieure und Monteure nicht zur Sanierung von Schulgebäuden, zur Produktion von E-Autos oder zur Installation von Solarpanelen eingesetzt werden würden, sondern für die Herstellung von Kampfpanzern.32

Dies ist Teil V der 5-teiligen Reihe Gewerkschaften in der Zeitenwende von Ulrike EiflerSusanne Ferschl und Jan Richter. (zu Teil ITeil IITeil III, Teil IV)

Ulrike Eifler ist Mitglied bei der IG Metall. Sie ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft und Mitglied im Parteivorstand der Partei Die Linke.

Susanne Ferschl ist Mitglied der Gewerkschaft NGG. Sie war bis zur Bundestagswahl 2017 Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Nestlé. Von 2017 bis 2025 war sie Mitglied im Deutschen Bundestag und arbeitsmarkt- sowie gewerkschaftspolitische Sprecherin.

Jan Richter ist als gelernter Einzelhandelskaufmann Mitglied bei ver.di. Er war viele Jahre Betriebsratsvorsitzender bei H&M. In der Partei Die Linke ist er ebenfalls Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft und war von 2021 bis 2024 Mitglied im Parteivorstand.

1 „Rüstungskonzerne wollen Zehntausende einstellen“, tagesschau, 17.06.2024.

2 „Panzerwagen statt Straßenbahnen. Leopard-Hersteller KNDS plant die Zeitenwende in Görlitz“, Tagesspiegel, 08.01.2025.

3 „Konjunkturprogramm für Kriegsgerät“, Handelsblatt, 23/24/25.08. 2024.

4 Kleine Anfrage der Abgeordneten Susanne Ferschl u.a. (Die Linke): Stand der Transformation im Freistaat Bayern, Juni 2024.

5 „Geheimbericht: Bund rettet Meyer Werft auch wegen seiner militärischen Nutzung“, in: Handelsblatt, 10.09.2024.

6 Scholze, Manuel: „Rüstungsindustrie boomt: Profitiert Mainfranken?“, Wirtschaft in Mainfranken. Das Magazin der IHK Würzburg-Schweinfurt, 09/ 2024, 13.

7 Ebenda,14f.

8 „Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“, Bundesministerium für Verteidigung/ Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 04.12.2024.

9 Schmid, Fred (2024): „Die ‚Zeitenwende‘ und der Militär-Industrie-Komplex“, isw-report Nr.140, 25.

10 „Bundeswehr bereitet Unternehmen auf den Kriegsfall vor“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.2024.

11 „Kriegsbereit in 100 Jahren“, Spiegel, 049/ 2024, 02.12.2024.

12 „Jetzt spricht die Renk-Chefin: ‚Ich mache mir Sorgen um unser Land‘“, Augsburger Allgemeine, 28.11.2024.

13 Zur nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gehören für die Bundesregierung alle Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie erwirtschaften und/ oder hier Güter und Dienstleistungen zum Schutz der zivilen Sicherheit oder der militärischen Landes- und Bündnisverteidigung bereitstellen. Sie bieten Systeme, Produkte und Dienstleistungen an oder sind in der dazugehörigen Wertschöpfungskette als Zulieferer oder Produzenten tätig.

14 Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie, 04.12.2024, 5.

15 Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie, 04.12.2024,11.

16 „Mehr Planwirtschaft wagen“, Süddeutsche Zeitung, 09.08.2024.

17 Schmidt, Fred (2024), 26.

18 Demirel, Özlem Alev/ Wagner, Jürgen (2024): „Brüssel und die Rüstungsgüter: So bereitet die EU die Kriegswirtschaft vor“, Telepolis, April 2024.

19 WEF: The Global Risks Report 2023, https://www3.weforum.org/docs/WEF_Global_Risks_Report_2023.pdf

20 OECD: Environmental impacts of the war in Ukraine and prospects for a green reconstruction, 01.07.2022, https://www.oecd.org/ukraine-hub/policy-responses/environmental-impacts-of-the-war-in-ukraine-and-prospects-for-a-green-reconstruction-9e86d691/

21 Hellmonds, Sören (2023): Neues von der Klimafront, Internationale Politik, 27.02.2023. https://internationalepolitik.de/de/neues-von-der-klimafront

22 Luhmann, Jochen (2022): „Die Versorgung des Militärs mit Energie im postfossilen Zeitalter“, 06.01.2022, https://www.klimareporter.de/gesellschaft/die-versorgung-des-militaers-mit-energie-im-postfossilen-zeitalter

23 „Klima in der Zeitenwende: Das macht der Ukraine-krieg mit der Umwelt“, Frankfurter Rundschau, 04.02.2023.

24 „Der grüne Knall“, taz, 13.05.2022.

25 „Diese Folgen hat der Krieg für das Klima“, ZDF, 07.06.2023.

26 Neimark, Benjamin/ Bigger, Patrick/ Otu-Larbi, Frederick/ Larbi, Reuben (2024): A Multitemporal Snapshotof Greenhouse Gas Emissions from the Israel-Gaza Conflict, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4684768

27 „Gazakrieg verpestet das Klima: „Die ökologische Sonderstellung des Militärs muss aufhören“, Freitag, 12.01.2024.

28 „Souveränität und Resilienz sichern. Industriepolitische Leitlinien und Instrumente für eine zukunftsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, 09.02.2024, https://www.igmetall.de/download/20240130_Positionspapier_Sicherheits_und_Verteidigungsindustrie.pdf

29 „Kriegsprofiteur im Gewerkschaftshaus“, UZ, 25.10.2024.

30 Rieger, Anne (2023): „Betriebliche Friedensarbeit gestern und heute“, Marxistische Blätter, 3/ 2023.

31 Kuffler, Alfred (2024): „So viele IG Metall-Fahnen habe ich danach und davor nie wieder auf einer Demo gesehen“, BAG Betrieb & Gewerkschaft, 30.09.2024, https://betriebundgewerkschaft.de/so-viele-ig-metall-fahnen-habe-ich-danach-nie-wieder-auf-einer-demo-gesehen/

32 Höfgen, Maurice (2024): „Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Warum die Aufrüstung der deutschen Wirtschaft schadet“, Berliner Zeitung, 24.02.2024.

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