Obwohl Felix Klein als oberster Kämpfer gegen Antisemitismus auftritt, nutzt er seine Position zur Unterdrückung von Minderheiten, zur Verteidigung rechter israelischer Politik und zur Stabilisierung rassistischer Strukturen in Deutschland. Seine jüngsten Äußerungen zu Trumps Gaza-Plänen sind dabei kein Ausrutscher – sie sind System, meint Iris Hefets von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost.
Felix Kleins jüngste Äußerungen, wonach er Trumps Plänen einer vollständigen ethnischen Säuberung des Gazastreifens durchaus etwas Positives abgewinnen könne, haben erneut Empörung ausgelöst. Doch so verstörend seine Worte auch sein mögen, sie fügen sich nahtlos in ein größeres Muster ein: Seit Jahren nutzt Klein seine Position als Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, um eine politische Agenda voranzutreiben, die einerseits darauf abzielt, die extrem rechte Regierung Israels vor Kritik zu immunisieren und andererseits rassistische Strukturen in Deutschland zu normalisieren sowie die Unterdrückung von Minderheiten zu vertiefen. Seine Rhetorik, die den Kampf gegen Antisemitismus als Deckmantel zur Marginalisierung von Migrant:innen, Muslim:innen und antizionistischen Jüd:innen instrumentalisiert, ist kein Ausrutscher – sie ist System. Kleins Rolle steht damit symptomatisch für eine deutsche Politik, die historische Verantwortung selektiv deutet, um bestehende Machtverhältnisse zu festigen.
Im Westen nichts Neues
Als Angela Merkel 2015 nach jahrelanger Abschottung die Grenzen Deutschlands öffnete, durften rund eine Million Menschen aus muslimischen und arabischen Ländern einreisen und wurden von der Bevölkerung weitgehend willkommen geheißen. Deutschland braucht Migration, und die liberalen Kräfte wollten sich ja auch gerne weltoffen geben. Die konservativen Kräfte hingegen fühlten sich schnell bedroht.
Hetze gegen Muslim:innen und Araber:innen ist in Deutschland und im Westen nichts Neues und nahm seit dem 11. September 2001 verstärkt zu. Um die Kontrolle über die notwendige Migration aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die weiße Vorherrschaft zu stabilisieren, hat die liberale Demokratie ihre Tricks entwickelt: Migrant:innen werden diskriminiert, sei es durch propagierte Stereotypisierung in Form von „Islamkritik“ oder „Migrationsdebatten“ oder durch das „Neutralitätsgebot“, das es Frauen mit Kopftuch erschwert, als Lehrerinnen oder Staatsanwältinnen zu arbeiten – während sie als Putzkräfte problemlos tätig sein können. Im freien Markt aber, den die Rechten angeblich bevorzugen, sowie generell in der deutschen Realität – insbesondere im Gesundheitssystem, das ohne Migrant:innen nicht funktionsfähig wäre – zeigt sich die Notwendigkeit ihrer Präsenz besonders deutlich.
Die Chefärzt:innen-Etage wird weiterhin von weißen Männern dominiert, doch angesichts des Personalmangels, insbesondere in der deutschen Peripherie, wird dies nicht von Dauer sein. Im Gegensatz zu den „Gastarbeitern“ des Nachkriegsdeutschlands, die oft aus der Unterschicht ihrer Herkunftsländer rekrutiert wurden, kamen diesmal auch ambitionierte Fachkräfte und Intellektuelle nach Deutschland. Berlin entwickelte sich zu einem Zentrum arabischer Schriftsteller:innen, Übersetzer:innen, Künstler:innen und Akademiker:innen, die sich zwischen Dubai, New York, Beirut, Kairo, London, Doha, Cape Town und Paris bewegen. Damit wurde Diversität in Deutschland nicht mehr nur folkloristisch mit Döner, Falafel oder Gay-Henna-Tanzpartys assoziiert, sondern begann leise, die Vorherrschaft der deutschen Akademie- und Kulturlandschaft infrage zu stellen – und damit letztlich die Identität des Staates selbst.
Auch die Debatten um Postkolonialismus und Gender Studies führten zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse. So zeigte der Instagram-Talk zwischen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah über Deutsche mit Nazi-Hintergrund, wie empfindlich die weiße Ober- und Mittelschicht auf die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit reagiert. Schon der Begriff „Nazi-Hintergrund“ stellt eine Bedrohung für hegemoniale Strukturen dar: Zum ersten Mal wurden weiße Deutsche selbst zu Objekten der Untersuchung der „Gastarbeiter“, nach Jahrzehnten des Otherings und wissenschaftlicher Arbeiten weißer Deutscher über Menschen anderer „Rassen“ in den deutschen Kolonien, zur Schaustellung dieser Ausgebeuteten aus aller Welt als „Beute“ in Menschenzoos, von Juden und Jüdinnen in der deutschen Psychiatrie, in KZs und nach dem Krieg in Zentren für Antisemitismusforschung, über Frauenunterdrückung in der Anthropologie. Es kamen zwei Deutsche mit Migrationsvordergrund und rüttelten am Tabu der deutschen Verleugnungskultur: Sie gingen in den Keller und fragten nach der Kaiserzeit- und SS-Uniform und dem materiellen Nazi-Erbe der heutigen weißen Deutschen. Sie fragten, woher denn eigentlich das Geld, die Grund- und Kunststücke kommen. Schon diese zu freie Bewegung der „Köche“ im Herrenhaus ist eine Bedrohung: Sie impliziert, dass sie ihren Platz am Herd verlassen.
Das Selbstverständnis von Deutschland wird hier berührt: Die meisten weißen Deutschen wollten eine Diversität und Pluralität, wenn es um den Karneval der Kulturen geht, der materielle Reichtum ist aber unantastbar. Der Staat musste eingreifen, bevor die Tanzenden und Kochenden sich den Goldtöpfen näherten.
Hass auf Araber stiftet Identität
Die Einwanderung von rund einer Million Menschen aus arabischen und muslimischen Ländern bedrohte auch das „Lieblingskind“ Deutschlands: „die Juden“, die seit den 1980ern zunehmend in die Rolle einer bevorzugten Minderheit gedrängt wurden, an der sich die Deutschen als Projektionsfläche die eigene Vergangenheit abarbeiteten konnten. Die Rehabilitation Deutschlands war eng mit dem Schutz eines vagen, oft fiktionalisierten „jüdischen Lebens“ verknüpft.
Die kleine offizielle jüdische Gemeinde leidet verständlicherweise an einer massiven Identitätsproblem. Die „Ostjuden“ der alten Gemeinde stammten aus DP-Lagern oder waren Nachkommen von „Mischehen“, die ihnen das Überleben ermöglicht hatten. Erst durch die Einwanderung von Jüd:innen aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990ern wurde die Gemeinde mit Menschen quasi revitalisiert. Hannah Veiler beschreibt diese Identitätslücke in der offiziellen Zeitung der Gemeinde, der Jüdischen Allgemeinen, folgendermaßen: „Für viele von uns war das Jüdischsein etwas Erkämpftes. Es wurde uns von unseren Eltern nicht in die Wiege gelegt, weil das Judentum zu ihrer Zeit in der Sowjetunion unterdrückt wurde.“
Diese Lücke wurde zunehmend durch eine Identifikation mit Israel geschlossen, die oft mit der Abwertung oder dem Hass auf „Araber“ einherging, um so eine Abgrenzung und Profilierung der Juden und Jüdinnen als weiße Europäer zu konstruieren. Für Neuankömmlinge nach Israel entstand so eine ideologische Verkürzung: Jüdischsein bedeutete, „Araber“ zu hassen. In Israel wurden Einwanderer:innen aus der ehemaligen Sowjetunion – von denen ein Drittel christlich war – in Sprachschulen indoktriniert und teils gezielt in Kolonien im Westjordanland angesiedelt. Ihre Zugehörigkeit zum Judentum wurde weniger durch Religion und Kultur definiert als durch ihre Funktion in der demografischen Bilanz (Israel ist auf „jüdische Mehrheit“ angewiesen). Das machte sie zu jüdischen Israelis.
Hier zeigt sich die Parallele zwischen der offiziellen jüdischen Gemeinde in Deutschland und dem weißen deutschen Establishment: Erstere wollte ihren privilegierten Status als „Lieblingskind“ nicht verlieren, Letztere seine weiße Vorherrschaft nicht riskieren.
Im Oktober 2015 behauptete Benjamin Netanjahu, Israels rechtsextremer Ministerpräsident, der – palästinensische – Mufti von Jerusalem habe Hitler einst die Idee zur Judenvernichtung eingeflüstert. Einen Monat später griff der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland diese Erzählung auf und sagte in einem Interview mit einem Axel-Springer-Blatt: „Über kurz oder lang werden wir um Obergrenzen nicht herumkommen“, denn „viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“.
Er inszenierte sich als „differenzierter Liberaler“ mit einem aufgesetzten Einerseits-Anderseits und spielte dabei die Klaviatur seiner Herren in Israel und Deutschland gleichermaßen. So konnte er „die Juden“ geschmeidig an das deutsche Wir anheften und das Gewissen der weißen Deutschen mit Täterhintergrund bereinigen: Nicht die christlich-europäische Kultur, die für die Auslöschung des europäischen Judentums verantwortlich war, sondern angeblich die „Kulturen“ Afghanistans und Syriens seien das Problem. Ein besserer Persilschein hätte Deutschland nicht ausgestellt werden können.
Von der Theorie zur Praxis
Die Bundesrepublik Deutschland sollte sich zu einem Land kristallisieren, in dem Migrant:innen – wenn überhaupt – ihren Platz gefälligst in der Dienstleistungsbranche einzunehmen haben. Um dieses Ziel zu erreichen, empfahl der Zentralrat der Juden Felix Klein als Beauftragten für jüdisches Leben – was auch immer das eigentlich sein soll – und für den Kampf gegen Antisemitismus. Klein war die perfekte Besetzung, um die deutsche Erinnerungskultur gezielt in ein Instrument der Unterdrückung zu verwandeln.
Kurz nach seiner Ernennung im Jahr 2018 marschierte Klein in Berlin mit evangelikalen Antisemiten durch die Straßen. Jüdische Wissenschaftler:innen kritisierten ihn immer wieder für seine judenfeindlichen Äußerungen, doch er blieb unangefochten im Amt – gerade weil er die rassistische Politik sowohl Israels als auch Deutschlands perfekt verkörperte. Selbst wenn er gelegentlich explizit antisemitische Aussagen traf – etwa seine Empfehlung, Juden sollten Deutschland verlassen –, konnte er unter dem Deckmantel des „Kampfs gegen Antisemitismus“ die antisemitische Politik Deutschlands weiterführen. Hauptsache, er hilft, die weiße Hegemonie zu festigen – auch durch das gezielte Schüren von Spaltungen zwischen Minderheiten in Deutschland.
Unter Kleins Einfluss wurden Juden entmündigt und mit dubiosen Resolutionen „geschützt“, die in Gesetzesform gegossen verfassungswidrig wären und gleichzeitig Muslime, arabische Menschen und antizionistische Juden ins Visier nehmen. Seine Mitarbeiter:innen brandmarkten jüdische Personen als Antisemiten – darunter Prof. Moshe Zuckermann, Sohn von Holocaust-Überlebenden aus Frankfurt. Klein selbst hat es scheinbar besonders auf People of Color wie Achille Mbembe abgesehen. Deutsche mit Täterhintergrund erhielten wieder die Gelegenheit, lustvoll zu denunzieren und Antisemitismusvorwürfe zu instrumentalisieren, während paradoxerweise ein Drittel aller in Deutschland ausgeladenen oder gecancelten Personen Juden und Jüdinnen waren.
Kleins jüngste verstörende Äußerungen sollten daher niemanden überraschen. Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung erklärte der auf Völkerrecht spezialisierte Jurist zum Plan von US-Präsident Trump, den Gazastreifen nach dem von Israel verübten Genozid ethnisch zu säubern und in eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln: „Es lohnt sich, genauer hinzuschauen: Ich halte es nicht für verkehrt, radikal und einmal völlig neu zu denken.“ Klein verteidigte Trumps Pläne und argumentierte, diese seien in den Medien oft „übertrieben“ dargestellt worden. Schließlich habe der US-Präsident „nicht von Vertreibung gesprochen“, sondern lediglich von einer „Umsiedlung, während der Gazastreifen neu aufgebaut wird.“ Sein absurder Vergleich folgte auf dem Fuße: „Während Sie Ihr Haus renovieren, schlafen Sie schließlich auch nicht darin, und die massiven Zerstörungen verlangen im Grunde nach einem umfassenden Aufbau einer komplett neuen Infrastruktur.“ Als würden Trump und seine reichen Freunde Gaza für die Menschen aus Gaza in eine „Riviera“ verwandeln.
Neben seinen entmenschlichenden Aussagen über Palästinenser:innen äußerte sich Klein wiederholt antisemitisch, indem er bewusst Jüdinnen und Juden mit Israel gleichsetzte. Zugleich betrieb er eine gezielte Politik der Unterdrückung von Meinungs-, Versammlungs-, Kunst-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit. Alle von ihm unterstützten Bundestagsresolutionen – von der Anti-BDS-Resolution 2019 bis zur jüngsten Initiative, die den Einsatz des Verfassungsschutzes an Hochschulen vorschlägt – verfolgen das Ziel, das Konstrukt des „Schutzes jüdischen Lebens“ zu einem Hebel für den Abbau demokratischer Grundrechte und die Aushöhlung des Völkerrechts zu machen.
Während Klein durch seine sonderbare Auslegung seiner Position als höchster Antisemitismus-Beauftragter im Lande dieses System aufrechterhält und seine Unterbeauftragten strategisch für dieses Ziel einsetzt, steigen die antisemitischen Vorfälle in Deutschland, die AfD wird stärker, und die Demokratie schwächer. Genau dafür ist Klein im Amt. Und wenn er dies nicht in seiner ureigenen Aggressivität tun würde, wird sich gewiss rasch ein anderer Beamter finden, der diese Rolle im Dienste der weißen Vorherrschaft übernimmt. In Deutschland mangelt es freilich nicht an christlichen Funktionären, die judenfeindliche Positionen vertreten.
Iris Hefets ist Psychoanalytikerin und Vorstandsmitglied bei der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost.