Wir müssen über Migration reden, Oskar

Oskar Lafontaine hat es in den vergangenen Wochen immer wieder geschafft, dass die Linke über Migration diskutiert. So auch mit einem Beitrag vom vergangenen Freitag: „Wer den Sozialstaat diffamiert und das Credo der multinationalen Konzerne ’no nations, no border‘ nachplappert, ist ein Trottel des Neoliberalismus. Leute mit mangelndem Denkvermögen“ schreibt er auf der Website der Nachdenkseiten. Eine krasse Aussage, die „mal eben so“ in die Diskussion geworfen wird.

Dass neoliberale Medien kein Interesse an einem starken Nationalstaat, an einer Senkung des Rentenalters oder einer einer Reichensteuer haben, ist hinreichend bekannt. In der Linken gibt es allerdings niemanden, der der Meinung ist, die Hartz-4-Reformen, die Abschaffung der Vermögenssteuer und die Erhöhung des Renteneintrittsalters solle nicht zurückgenommen werden.Ein Nationalstaat hat keinen Selbstzweck.

Trotzdem schreibt Lafontaine:

„Die Befürworter des Bleiberechts und einer monatlichen Grundsicherung von 1050 Euro für alle, die nach Deutschland kommen, grenzen sich von denen ab, die es, wie ich, für weitaus wirkungsvoller und gerechter halten, den größeren Teil der Milliarden-Aufwendungen für die Millionen Flüchtlinge in den Lagern, den Armuts- und Hungergebieten aufzubringen. Ihre eigene Haltung – Unterstützung der Flüchtlinge in erster Linie in Deutschland – verstehen sie als Internationalismus und diffamieren die Gegenposition – einen größeren Betrag für die Flüchtlinge auszugeben, die in den Krisengebieten und den Lagern leben – als nationalistisch.“

Eine Aussage, die Lafontaine allerdings nicht belegen kann. Er bleibt den konkreten Nachweis schuldig.

Uns ist kein linker und keine linke Aktivistin bekannt, weder in der Partei, noch in größeren linken Strukturen wie der interventionistischen Linken, die sich gegen konkrete Hilfe für Flüchtlinge vor Ort aussprechen. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass der „no Borders no nations“ Teil der Linken der Meinung ist, eine Einschränkung der Migration, wie auch des Rechts auf Asyl, seien keine Lösung.

Lernen aus der linken Geschichte

Lafontaine verkennt dabei allerdings, dass er es ist, der sich in der Frage der Migration mit der Springer-Presse annähert. Denn beide fordern eine Begrenzung der Migration und eine Lösung in den Heimatländern. Was die Geflüchteten selbst wollen, spielt kaum eine Rolle. Das Medien Migranten und einheimische Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen ist dabei kein neues Phänomen.  Karl Marx schrieb richtigerweise:

„Zweitens hat die englische Bourgeoisie das irische Elend nicht nur ausgenutzt, um durch die erzwungene Einwanderung der armen Iren die Lage der Arbeiterklasse in England zu verschlechtern, sondern sie hat überdies das Proletariat in zwei feindliche Lager gespalten. Das revolutionäre Feuer des keltischen Arbeiters vereinigt sich nicht mit der soliden, aber langsamen Natur des angelsächsischen Arbeiters. Im Gegenteil, es herrscht in allen großen Industriezentren Englands ein tiefer Antagonismus zwischen dem irischen und englischen Proletarier. Der gewöhnliche englische Arbeiter haßt den irischen als einen Konkurrenten, der die Löhne und den standard of life (Lebensstandard) herabdrückt. Er empfindet ihm gegenüber nationale und religiöse Antipathien. Er betrachtet ihn fast mit denselben Augen, wie die Poor whites (armen Weißen) der Südstaaten Nordamerikas die schwarzen Sklaven betrachteten. Dieser Antagonismus zwischen den Proletariern in England selbst wird von der Bourgeoisie künstlich geschürt und wachgehalten. Sie weiß, daß diese Spaltung das wahre Geheimnis der Erhaltung ihrer Macht ist.“

Die Schlussfolgerung für Marx ist der gemeinsame Kampf für eine sozialistische Gesellschaft und die Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Menschen, die von Armut und Ausbeutung betroffen sind. Statt den Menschen, die vor Krieg, Armut oder Verfolgung geflüchtet sind das Bleiberecht abzusprechen, sollte der gemeinsame Kampf für kürzere Arbeitszeiten, um mehr Arbeitsplätze, höhere Löhne und eine kürzere Lebensarbeitszeit im Vordergrund stehen. Ein solcher Kampf ist allerdings kaum möglich, wenn die Drohung der Ausweisung immer im Raum steht. Lafontaine sollte sich stattdessen an Liebknecht orientieren, der kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs schrieb:

„völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!“

Migration ist der Normalfall menschlicher Existenz, denn die Menschheit hat sich wandernd über die Welt ausgebreitet. Die Linke sollte an der Seite aller Menschen stehen, die auf dieser Welt unterdrückt und ausgebeutet werden. Die internationale Klassensolidarität sollte ausschlaggebend sein, wie Karl Liebknecht schon wusste: „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Ländern, sondern zwischen Oben und Unten.“

Humanistische Tradition

Dem Humanismus ist die Haltung immanent, dass alle Menschen gleich viel wert sind – völlig unabhängig von Nationalität, Religion, Herkunft oder Geschlecht. Die Linke bezieht sich in Teilen auf diese philosophische Tradition. Wenn nun alle Menschen gleich viel wert sind, wie kann man dann einigen eine Einreise erlauben, anderen verweigern oder sie gar deportieren? Wenn alle Menschen gleich viel wert sind, hat dann nicht auch jeder das Recht, in Wohlstand und Frieden zu leben? Wie könnte man dann Menschen verweigern, sich dort niederzulassen, wo sie ein besseres Leben erwarten, vor allem, wenn sie selbst für die Umstände nicht verantwortlich sind:

„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (Karl Marx)

Für offene Grenzen – Gegen neoliberale Politik

Seinen Artikel schließt Lafontaine mit einer Gleichsetzung von linken Internationalisten und Trump ab:

„Wer den Sozialstaat diffamiert und das Credo der multinationalen Konzerne ’no nations, no border‘ nachplappert, ist ein Trottel […] [und] erinner[t] irgendwie an den Mann im Weißen Haus: ‚Ich bin ein Genie‘.“

Lafontaine hat Recht: wer sich gegen den Sozialstaat stellt, tut Dienst am neoliberalen Kapitalismus. Wer allerdings nur den Sozialstaat verteidigt und den Kampf für gleiche Rechte aller Menschen, die hier sind, als neoliberal bezeichnet und diesen gar mit Trump gleichsetzt, der gibt den Internationalismus auf und schwächt den Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit.

Denn der Kampf um soziale Gerechtigkeit kann nicht gewonnen werden, wenn ein Teil der Betroffenen der kapitalistischen Politik nicht einbezogen wird oder ihnen sogar die Ausweisung droht. Linke Politik bedeutet nicht nur einen Kampf um Sozialstaat und gegen Kapitalismus, sondern auch den Kampf um eine soziale Gesellschaft, in der alle Menschen gleiche soziale und politische Rechte haben.

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4 Antworten

  1. Ein Aspekt der die „no border“ Fraktion gerne unterschlägt und auch nie thematisiert. Die Flucht ist ja kein irgendwie romantisches Lebensgefühl der Menschen, die hierher kommen. Natürlich müsste es bei einer humanen Politk darum gehen Flucht zu verhindern. Es kann nicht reichen die Flucht, als Teile einer „humanen“ Lebensweise schön zu reden.

    Und es ist ja auch so, dass kein Lafontaine oder Wagenknecht verlangt das Flüchtlinge schlechter behandelt werden sollen oder weniger Rechte bekommen. Im gegenteil. Es geht genau um das, dass alle Menschen gleich sind und behandelt werden. Das schliesst aber auch die, die hier leben ein und die die in ihren Heimatländern bleiben auch.

    Das Problem das er anspricht ist, dass wer für diese Gruppen Aufmerksamkeit fordert heute massiv als „Nationalist“ beschimpft wird, aber übersieht wer von den Forderung nach „no border“ eigentlich profitiert. Die Flüchtlinge sicher nicht.

    Die wurden schon gestraft durch Globalisierung oder die Kriege die wir im Namen von Menschenrechte führen und im Zweifel durch unsere Waffen noch grausamer machen.

    Wer sich auschließlich auf die fokusiert, die es bis hierhin schaffen unterstützt eine Art der Selektion, verbessert aber nicht Welt.

    1. Ich denke die Debatte wird „überzugespitzt“. Damit meine ich einerseits Oskar, der nicht argumentiert sondern unredlich polemisiert, wenn er implizit unterstellt, dass open border Befürworter gegen Fluchtgrund – bekämpfende Massnahmen in oder nahe den Ursprungsländern sind. Hier konstruiert er ein, leicht bösartiges? „Entweder Oder“, vermutlich, um rhetorisch eine gute Figur zu machen. Zum anderen meine ich die „Oskar – Beschimpfer“, die so tun, als gäbe es keinen Diskussionsbedarf darüber, wie man mit den Fluchtbewegungen in einer nationalstaatlichen Strukturen umgehen kann oder soll. Den gibt es aber! Wenn auch aus noch ganz anderen Gründen. Alimentieren von Geflüchteten ohne politisch gewollte Integration ist sowohl politischer, als auch wirtschaftlicher, erst recht inhumaner Unsinn. Die BRD gibt sich nun auf allen Ebenen immense Mühe, Geflüchteten den Zugang zum Arbeitmarkt zu erschweren. Die Diskussion um die Kosten ist eine Schimäre, wenn alles getan wird, um Berufsanerkennungen und selbst so simple Sachen wie Führerscheine so kompliziet und schwierig zu machen, dass die verbreitet große Motivation der Geflüchteten effektiv zermürbt wird. Das könnte ganz ander aussehen, wenn …, ja wenn es einen politischen Willen dazu gäbe. Um den könnte sich Oskar ja kümmern- und die Oskarbasher auch.

  2. Die Autoren verkennen das Problem der imperialistischen Außenpolitik des Westens, welche der Hauptgrund der Migration ist. Es ist ja keine freiwillige Migration, sondern durch militärische und ökonomische Destabilisierung verursachte Migration. Deshalb ist es wichtig, den Ländern Luft für Entwicklungsmöglichkeiten zu lassen. Ebenso werden die Aufnahmekapazitäten unterschätzt. Sicherlich kann Deutschland viele Flüchtlinge aufnehmen. Aber was für ein Leben erwartet sie dann? Wie hoch ist der Integrationswille, wenn diese nicht mal freiwillig, sondern aus (von uns verursachter) Not verursacht wurde? Wollen wir wirklich unsere Kultur diesen Menschen aufzwingen? Und werden diese in unserem egoistisch geprägten Gesellschaftssystem nicht künftig wie Menschen zweiter Klasse behandelt? Ist das wirklich erstrebenswert? Das ist eine Situation in der keiner so richtig gewinnt. Weder inländische noch ausländische Arbeiter. Deswegen muss strengstens eine Umkehr in der Politik stattfinden. Und die sieht so aus, dass man zuerst die aggressive Außenpolitik beendet, andere Länder im Entwicklungsstand aufholen und erst dann kann man über die allmähliche Öffnung von Grenzen reden. Natürlich gehören Flüchtlinge jetzt bereits geschützt, doch muss das künftig gemeinsam in Europa passieren. Die egoistische deutsche Wirtschaftspolitik reißt andere europäische Länder in den Abgrund. Deren Abschottung kann man nicht verübeln. Allerdings ist das eine bereits von langer Hand vermurkste Politik (ebenso wie die abgelehnten Verteilungsschlüssel für die Migranten auf EU-Ebene). Es muss sich also auf mehreren Ebenen etwas tun, damit künftig erst gar nicht diese gewaltigen Migrationsströme entstehen und Migration möglichst auf freiwilliger Basis stattfindete,.

    1. Die Frage ist: Was tun wir, bis sich „gewaltig etwas tut“? Ich hoffe doch, dass bei der Linken Konsens darüber besteht, dass die Alternative nicht darin bestehen kann, die Geflüchteten im Mittelmeer ertrinken zu lassen, oder Erdogan dafür zu bezahlen, dass er auf sie schießen lässt? Im Übrigen ist das kapitalistische Interesse an freiem Zufluss von (möglichst billigen) Arbeitskräften evident. Der Himalayagroße Fehlschluss, dann müsse man als wahrer Sozialist für geschlossene Grenzen eintreten, ist jedoch, ganz vorsichtig und lieb ausgedrückt, mindestens eine Größenordnung zu kurz gesprungen.

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