US-Vorwahlkampf bei den Demokraten: Wer geht 2020 in Führung?

Foto: berniesanders.com

In wenigen Tagen findet in den USA die erste Vorwahl der Demokraten statt, etliche Kandidatinnen und Kandidaten sind schon ausgeschieden, doch noch immer ist das Feld groß. Oliver Völckers macht deutlich, warum nur zwei Kandidaten bei den Demokraten gewinnen können, aber nur Sanders insgesamt siegen kann.

Vor acht Monaten schrieb ich: Die Vielzahl der Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur bei der Demokratischen Partei ändert nichts daran, dass es nur zwei Kräfte gibt, die eine Chance haben, sich durchzusetzen: Entweder das Establishment oder die von Bernie Sanders repräsentierte Linke. Das Establishment setzt derzeit auf Obamas ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden, der verspricht, nichts zu ändern, was ihn bei den Reichen beliebt und bei den Armen unbeliebt macht… Nur die auch bei Linken respektierte Elizabeth Warren könnte eine Kompromisskandidatin werden, würde sich dann jedoch kaum gegen den aggressiven Trump durchsetzen können.

Das gilt noch immer: Von den zeitweise über zwanzig Kandidat/innen sind vier mit realistischen Chancen übrig geblieben: Joe Biden, Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Pete Buttigieg. Die übrigen Kandidat/innen haben ihre Kandidaturen zurückgezogen oder bleiben noch im Rennen, ohne reelle Siegeschancen zu haben. Dazu gehören Amy Klobuchar, konservative (“pragmatische”) Senatorin aus Minnesota; Tulsi Gabbard, Antikriegs-Kandidatin und Kongressabgeordnete aus Hawaii und der Anwalt und Hightech-Spekulant Andrew Yang, der ein bedingungsloses Grundeinkommen befürwortet. Dafür sind zwei Kandidaten dazugekommen, die als Milliardäre hoffen, sich die Wahlen kaufen zu können: Tom Steyer ist ein 1,6 Milliarden US-$ schwerer ehemaliger Goldman-Sachs-Banker und Hedgefonds-Gründer, der sich jetzt für Umweltschutz einsetzt. Seine Chancen sind gering. [1]

Neu ist auch der Medien-Oligarch Michael Bloomberg, mit über 50 Mrd. $ einer der zwanzig reichsten Menschen der Erde. Er machte ein Vermögen mit der gleichnamigen Finanzdaten-Agentur, die Banken und Investoren mit Daten-Informationssystemen ausrüstete. Anschließend wurde seine Agentur zum Medienimperium mit TV- und Radio-Sendern ausgebaut. Bloomberg war 2002-2013 erst als Republikaner, dann als Parteiloser Bürgermeister von New York City. Für die kommende Präsidentenwahl will er als Demokrat antreten. Da Bloomberg sich erst spät für die Kandidatur entschieden hat, wird er erst am 3. März, dem sogenannten Super Tuesday, eine Rolle spielen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Bloomberg, der mal eben 100 Mio. $ für Wahlwerbung ausgab, die Nominierung auf diese Weise kaufen kann, aber die Materialschlacht wird eine Wirkung hinterlassen. [2]

Alle derzeitigen Umfragen sind unsicher. Zum einen testen die meisten Umfragen bei einem politisch desinteressierten Publikum eher den Bekanntheitsgrad. Da sind Figuren wie Joe Biden im Vorteil, der als Vizepräsident jahrelang in den Nachrichten erwähnt wurde. Ob er jedoch mit seinen durch Gedächtnislücken unterbrochenen Reden seine ebenso müden Unterstützer/innen zur Wahl bewegen kann, geht aus der Umfrage nicht hervor. Die zweite große Unwägbarkeit ist die ideologische Verschiebung bei den Erstwähler/innen: Im Vergleich zu 2016 haben progressive Ansichten wie allgemeine Krankenversicherung, gebührenfreies Studium und ein Ausstieg aus fossilen Brennstoffen erheblich an Zustimmung gewonnen. Die Umfrageinstitute reagieren auf solche Veränderungen erst mit Verzögerung.

Am 1. Oktober 2019 fühlte sich Bernie Sanders nach einem Auftritt unwohl und musste ins Krankenhaus. Wie sich herausstellte, hatte der 78-jährige Herzprobleme, einen leichten Herzinfarkt. Er bekam zwei Stents eingesetzt, das sind kleine Röhrchen, die die Durchblutung der Arterie wiederherstellen. Zur gleichen Zeit starb seine 46-jährige Schwiegertochter an Krebs. Die Wahlkampf-Unterbrechung traf die Kampagne wie ein Schlag und viele glaubten, Bernie Sanders wäre jetzt am Ende. Senatorin Elizabeth Warren, die zweite Wahl der Linken, überholte Sanders in den Umfragen. Doch Totgesagte leben länger: Nach wenigen Tagen stand Bernie wieder auf und ist wieder der Wirbelwind, wie ihn jeder kennt. Übrigens ist Joe Biden nur vierzehn Monate jünger als Bernie Sanders, Michael Bloomberg gar nur vier Monate [3]. Gerade als die Sanders-Kampagne ihren Tiefpunkt hatte, riefen die radikal-progressiven Kongressabgeordneten Alexandra Ocasio-Cortez (AOC) und Ilhan Omar zu seiner Wahl auf. Ebenso taten dies eine Reihe anderer Basis-Kandidat/innen, die ihren Erfolg bei den Zwischenwahlen 2018 der von Bernie Sanders gegründeten Organisation „Our Revolution“ verdanken.

Die Kampagne von 2018 hatte den Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückgebracht, die sie in der Obama-Ära verloren hatten. Eine neue Generation von Aktivist/innen hatte 2018 die Wahlbeteiligung so hoch getrieben wie seit 1914 nicht mehr, den Zeiten des Sozialisten Eugene Debs. Erstmals wurden zahlreiche Frauen, Vertreter/innen ethnischer Minderheiten und LGBT-Aktivist/Innen gewählt. Ihr Hauptthema war eine Gesundheitsreform, während die Republikaner Stimmen bei dem Versuch verloren, Angst vor Einwanderern zu schüren. Seitdem bereitet die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus dem republikanischen Präsidenten Trump erhebliche Schwierigkeiten. [4a, 4b]

Nachdem die Basis-Aktivist/innen der Bernie-Kampagne im Oktober 2019 zu einem großartigen Neustart verholfen hatten, absolvierte Bernie Sanders einen Marathon von Auftritten und Kundgebungen mit teilweise über 20.000 Teilnehmer/innen. In USA-weiten Umfragen überholte Bernie Sanders erst Elizabeth Warren und steht jetzt mit Joe Biden an der ersten Position. Unermüdlich wiederholt Sanders seine zentralen Wahlaussagen: Allgemeine Krankenversicherung, Gebührenfreies Studium, Green New Deal, Mindestlohn von 15 $, Stopp der Deportationen von Migranten, Kein Krieg mit Iran. Diese Forderungen sind populär und mehrheitsfähig, deswegen gewinnt die Kampagne jedes Mal, wenn sie vorgebracht werden.

Im Gegensatz zu seinen Mitbewerbern nimmt Sanders konsequent keine Großspenden an. Das zwingt ihn dazu, Kampagnen für Kleinspender zu veranstalten, was tatsächlich funktioniert: Mit 34 Mio $ von Millionen Kleinspendern alleine im vierten Quartal 2019 überragt seine Wahlkampfkasse die aller anderen Kandidat/innen, abgesehen von den Milliardären. Da die Spendenbeträge gesetzlich begrenzt sind und seine durchschnittliche Spendenhöhe bei nur 18 $ liegt, kann Sanders weiter finanziell unterstützt werden, solange die Aktivist/innen mitmachen. Auch bei der Zahl der Aktiven für seine Graswurzel-Kampagne liegt Sanders mit vielen Hunderttausend Freiwilligen weit an der Spitze. Die größtenteils unbezahlten Freiwilligen sind hervorragend organisiert und in jedem Bundesstaat vertreten, sogar weltweit in zahlreichen Ländern einschließlich Deutschland. Diese Organisation könnte es sogar mit Milliardären aufnehmen, weil diese ihr Fußvolk bezahlen müssen. [5]

Sanders’ Mitbewerber/innen dagegen liegen nicht nur bei den Spendensummen deutlich zurück, sondern ihnen fehlt auch eine vergleichbare Organisation. Stattdessen hat insbesondere Joe Biden die Unterstützung des Establishments der Demokratischen Partei und die Unterstützung der Massenmedien. Die politischen Positionen von Joe Biden und Pete Buttigieg sind unverbindlich: Etwas weniger Trump, etwas mehr wie Obama. Elizabeth Warren wagt sich weiter vor und nähert sich in opportunistischer Weise den Positionen von Sanders an. Das tut sie jedoch nur halbherzig und sie bleibt entsprechend unglaubwürdig.

Alle Kandidat/innen, selbst Biden, Bloomberg und Buttigieg, orientieren sich mit ihren Internet-Auftritten am Vorbild Bernie Sanders und würden gerne eine ähnliche Kampagne anführen. In Wirklichkeit sind ihre Themen jedoch so konventionell, dass Biden und Buttigieg vor allem bei den über 70jährigen punkten, während Sanders bei den unter 40jährigen dominiert. Zum Beispiel fordert Buttigieg “Krankenversicherung für alle, die das wollen”, was ungefähr so klingt wie “Feuerwehr für alle, die das wollen”. Das Problem der Establishment-Kandidat/innen besteht darin, dass sie Rücksicht auf ihre Großspender und die Medienkonzerne nehmen müssen, so dass ihre Aussagen halbherzig und unverbindlich bleiben.

Bernie Sanders dagegen, der von den Mächtigen keine Schonung zu erwarten hat, attackiert diese wie sein Vorbild F.D. Roosevelt frontal. Zitat: „Der Konzernflügel der Demokratischen Partei, der mich eine existentielle Bedrohung genannt hat, greift uns wieder an, weil unsere Agenda des Kampfes für arbeitende Menschen sehr populär ist und die Konzerneliten bedroht, die ihre Taschen füllen. Wir machen sie nervös. Bleiben wir dabei.“ [6]

Für die Meinungsbildung sind die TV-Debatten wesentlich, an denen alle aussichtsreichen Kandidat/innen teilnehmen und die ein Publikum von über zehn Millionen erreichen. Die Regeln sind dabei von der Partei und den Sendern streng vorgegeben. In der Praxis heißt das, die Debatten sind einseitig zugunsten des Establishments organisiert. So bei der von CNN ausgerichteten TV-Debatte am 14.01.2020: Da beschuldigte Elizabeth Warren den Kandidaten Bernie Sanders, er hätte ihr persönlich erklärt, eine Frau könne die Präsidentschaftswahl nicht gewinnen. Diese plumpe Beschuldigung ging nach hinten los, da Sanders schon vor dreißig Jahren Schulkindern erklärt hatte, dass Frauen selbstverständlich Präsident werden können. Noch während die Sendung lief, erhielt Sanders 100.000 neue Spenden, während für Warren mehr Spenden storniert wurden als neue hinzukamen. Elizabeth Warren bekam den Spitznamen „Eliesabit“ (Lügt-ein-wenig), da sie es schon mehrfach mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte. [7]

Die nächsten TV-Debatten finden am 7., 19. und 25. Februar statt. Die Vorwahlen beginnen am 3. Februar im Bundesstaat Iowa und werden am 11., 22. und 29. Februar fortgesetzt. Beim„Super Tuesday“ am 3. März wählen fünfzehn Staaten gleichzeitig, wobei 1.344 von 3.979 Delegierten vergeben werden. Zu diesem Zeitpunkt wird sich abzeichnen, wer gewinnen könnte. Anschließend werden die Wahlen ungefähr im Wochentakt fortgesetzt bis zum 6. Juni 2020. Der Wahlparteitag der Demokratischen Partei nominiert den Sieger dann am 13.-16. Juli. Dieser Wahlparteitag könnte umkämpft werden, wenn sich vorher keine klare Delegierten-Mehrheit ergibt.

Falls sich die aktuelle Tendenz fortsetzt, wird die Bernie-Sanders-Bewegung bei den Wahlen im Februar Joe Biden besiegen. Das wird die Mainstream-Medien überraschen, die Sanders und seine Basisaktivitäten bislang ignoriert und unterschätzt haben. Als Alternative zu Biden dürfte die Milliardärsklasse im März auf Michael Bloomberg setzen. Alle Konzernmedien einschließlich Facebook und Twitter werden Bernie Sanders diffamieren. Die Partei der Demokraten wird in eine Zerreißprobe geraten, da das Partei-Establishment keinen populären Kandidaten erträgt, der das System angreift, andererseits aber auch nicht Donald Trump zur Wiederwahl verhelfen will. Die neue, radikale und buntgemischte Massenbewegung hat durch diese Turbulenzen die Chance, in den USA deutlich mehr soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz zu erkämpfen.


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[1] Aktuelle Kandidat/innenliste und die Termine:

https://en.wikipedia.org/wiki/2020_Democratic_Party_presidential_primaries#Candidates

[2] Bloombergs teure Wahlwerbung:

https://www.vox.com/2019/12/27/21039409/michael-bloomberg-ad-spending-2020-democratic-primary

[3] Bernie Sanders’ Gesundheit:

https://eu.usatoday.com/story/news/politics/elections/2019/12/31/what-does-bernie-sanders-eat-exercise-plan-stay-healthy/2786608001/

[4a] Zwischenwahlen 2018:

https://en.wikipedia.org/wiki/2018_United_States_elections

[4b] Wahlen zum Repräsentantenhaus 2018:

https://en.wikipedia.org/wiki/2018_United_States_House_of_Representatives_elections

[5] Graswurzel-Bewegung für Bernie Sanders in Deutschland:

https://germanyforbernie.com

[6] Bernie Sanders auf Twitter: „The corporate wing of the Democratic Party — which called me “an existential threat“ — is attacking us again because our agenda of fighting for working people is very popular and threatens corporate elites who fill their pockets. We’re making them nervous. Keep it up.“

[7] Die Warren-Sanders-Kontroverse bei der CNN-Debatte:https://jacobinmag.com/2020/01/2020-democratic-primary-sanders-warren-campaign

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