Refugees welcome? Nicht für Palästinenser*innen

Sind auch Refugees aus Palästina willkommen? Gehören Palästinenser*innen für diese Demonstrierenden auch zur einen Welt, zur einen Familie?

"One world - Refugees Welcome" by Ilias Bartolini is licensed under CC BY-SA 2.0.

Palästinensische Geflüchtete bleiben im deutschen Asyldiskurs weitgehend unsichtbar – und das nicht erst seit dem Krieg in Gaza. Während Behörden Rechte verweigern und neue Hürden schaffen, bleibt auch aus der flüchtlingspolitischen Zivilgesellschaft oft jede Reaktion aus. Was sagt das über solidarische Praxis in Deutschland?

„Anerkennung von Flüchtlingen aus Palästina“ – dies forderten am 4. Juni 2025 der Flüchtlingsrat Niedersachsen und der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Diese Forderung lässt aufhorchen, da palästinensische Geflüchtete und ihre Anliegen im deutschen Migrationsdiskurs bisher keine Rolle spielen.

In Deutschland leben circa 200.000 Palästinenser*innen. Viele von ihnen sind in den letzten 20 Monaten Opfer von staatlicher Marginalisierung und Repression geworden. Grundsätzlich gibt es in Deutschland zwar eine gut vernetzte flüchtlingssolidarische Zivilgesellschaft, bestehend aus Organisationen, Vereinen und Initiativen, die sich bundesweit für die Rechte von Geflüchteten und Zugewanderten einsetzen. An Solidarität mit Palästinenser*innen fehlt es aber häufig. Drei Beispiele:

Keine Asylentscheidungen

Asylsuchende aus Gaza warten seit Januar 2024 vergeblich auf einen Asylbescheid, es herrscht ein „Entscheidungsstopp“. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE erklärte die Bundesregierung im März 2025, „die Lage im Gazastreifen ist nach wie vor außerordentlich dynamisch, unübersichtlich und schwer zu bewerten„. Viele Betroffene gehen gerichtlich gegen diese Verweigerungshaltung vor. Wenig überraschend: Die Gerichte verpflichten das BAMF regelmäßig, den Betroffenen aus Gaza Schutz zu gewähren.

Öffentliche Kritik an diesem Entscheidungsstopp und Forderungen nach Schutz für Menschen aus Gaza sind bis auf wenige Ausnahmen (s. o.) von der asylpolitischen Zivilgesellschaft nicht zu hören. Als nach dem Fall des Assad-Regimes im Dezember 2024 ein Entscheidungsstopp für Asylanträge von Syrer*innen angeordnet wurde, folgte deutliche Kritik und Protest. Anders im Fall von Menschen aus Gaza: Es gibt fast keine öffentliche Kritik und keinen Druck auf die Behörden, den Entscheidungsstopp zu beenden und Schutz zu gewähren.

Kein Familiennachzug

Etwa zwei Millionen Menschen sind aktuell im Gazastreifen eingeschlossen; es gibt offiziell keine Möglichkeit der Ausreise. Vereinzelt werden Personen mit deutschem Pass aus Gaza evakuiert, doch das Vorgehen ist intransparent und offensichtlich auf absolute Ausnahmen beschränkt.

Sehr viele in Deutschland lebende Palästinenser*innen suchen verzweifelt nach Möglichkeiten, ihre Ehepartner*innen, ihre Kinder oder andere Familienangehörige aus Gaza nach Deutschland zu holen. Darunter sind auch Familien, die tatsächlich einen rechtlichen Anspruch auf Familiennachzug haben. Doch scheint dieser Anspruch ins Leere zu laufen, da es eben keine Möglichkeit der Ausreise gibt.

Doch auch diese Situation wird bisher nicht öffentlich kritisiert. Dabei ist Familiennachzug ein wichtiges Thema in der flüchtlingssolidarischen Zivilgesellschaft. Zu Recht ist in diesen Wochen der Protest gegen die geplante Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte groß. Doch Familiennachzug von und zu Palästinenser*innen und humanitäre Aufnahmen aus Gaza sind bisher quasi kein Thema. Die Folge: keine öffentliche Debatte, kein Druck auf Behörden und Politik und keine Hilfe für die betroffenen Familien.

Kriminalisierung und Gesetzesverschärfungen

Wer deutsche*r Staatsbürger*in werden möchte, muss sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennen. So weit, so gut. Seit einer Reform im März 2024 heißt es im Staatsangehörigkeitsgesetz: „Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“

Dies wird insofern zum Problem, als dass nach der sogenannten Antisemitismus-Resolution des Bundestags vom 7. November 2024 die IHRA-Arbeitsdefinition in Deutschland als maßgeblich gelten soll. Diese wird von führenden Antisemitismusforscher*innen, Rechtswissenschaftler*innen, Menschenrechtsorganisationen und zahlreichen jüdischen und palästinensische Gruppen scharf kritisiert, u. a. da so von der Meinungsfreiheit gedeckte Kritik an der Politik des israelischen Staates als israelbezogener Antisemitismus gewertet werden kann.

Unter Berufung auf den oben genannten Gesetzeswortlaut könnte einer (palästinensischen) Person theoretisch die Einbürgerung verwehrt werden, weil die Behörde eine „Handlung“, etwa die Teilnahme an einer Demo oder das Absetzen eines Posts in den sozialen Medien (eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit sind ja explizit nicht gefordert!), als „antisemitisch“ im Sinne der IHRA-Definition einstuft. Weitere derartige Gesetzesverschärfungen sind zu erwarten. In der Antisemitismus-Resolution hat sich der Bundestag vorgenommen, „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“, in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht, um eine „möglichst wirksame Bekämpfung von Antisemitismus zu gewährleisten“.

Für Personen ohne deutschen Pass, insbesondere für Palästinenser*innen und Palästina-solidarische Menschen, stellt dies eine große Gefahr dar. Eine Diskussion über die Antisemitismus-Resolution, die zugrunde gelegt IHRA-Definition und die daraus resultierende Gefahr und (Rechts-)Unsicherheit hat in der flüchtlingspolitischen Zivilgesellschaft jedoch bisher nicht stattgefunden. Es fehlt somit an wichtigen Gegenstimmen im repressiven Diskurs.

Weit verbreitete Doppelstandards

Es bleibt das Fazit: Palästinenser*innen in Deutschland werden in mehrfacher Hinsicht marginalisiert. Zum einen durch ein Nichthandeln von Behörden, wenn es um die Wahrung ihrer Rechte geht. Zum anderen durch massive Maßnahmen von Behörden (Stichwort Polizeigewalt) und eine Gesetzgebung, die vermeintlich Antisemitismus bekämpfen soll, dabei aber zu Unsicherheiten führt und Grundrechte beschneidet.

Begleitet wird all dies von einem lauten Schweigen derjenigen Organisationen und Initiativen, die sonst öffentlich für den Schutz von Geflüchteten und Migrant*innen eintreten. Im Vergleich zu Betroffenen aus anderen Herkunftsländern erfahren Palästinenser*innen somit eine Ungleichbehandlung. Ihre Rechte, ihre Interessen und auch ihr Leid bleiben damit ein Stück weit unsichtbar. In diesem Vakuum sind neue Initiativen wie beispielsweise 3ezwa und Asylum 4 Gazans Now! entstanden, die versuchen, solidarische Unterstützung zu leisten und die Interessen der Betroffenen bestmöglich zu vertreten. Was bleibt, ist der bittere Eindruck, dass auch in flüchtlingssolidarischen Kreisen Doppelstandards herrschen, die in diesem Fall zu Lasten von Palästinenser*innen gehen.

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