Am 4. September 2009 sind auf Befehl der Bundeswehr zwei im Kundus-Fluss steckengebliebene Lastkraftwagen ohne Vorwarnung bombardiert worden. Bei dem Angriff starben bis zu 140 afghanische Zivilisten, darunter zahlreiche Kinder. Viele weitere sind verletzt und traumatisiert worden.
Es ist das größte Kriegsverbrechen, für das deutsche Streitkräfte seit dem Ende des zweiten Weltkriegs verantwortlich sind. Doch die Bundesregierung verweigert jede ernsthafte Aufarbeitung. Dies wird an den Antworten deutlich, die sie auf sechs Einzelfragen gegeben hat, die ich zusammen mit anderen Abgeordneten der Linksfraktion aus Anlass des zehnten Jahrestages von Kundus gestellt habe.
Alte Lügen
In ihren Antworten behauptet die Bundesregierung unter anderem, der Luftangriff auf wehrlose Zivilisten sei – Zitat – „völkerrechtlich zulässig und damit strafrechtlich gerechtfertigt“ gewesen. Der Angriff habe sich gegen „legitime militärische Ziele im Sinne des humanitären Völkerrechts“ gerichtet.
Diese Haltung ist menschenverachtend. Die heutige Bundesregierung fällt damit noch hinter die Position zurück, die der damalige Verteidigungsminister Guttenberg eingenommen hatte. Er bezeichnete am 3. Dezember 2009 den Angriff als „militärisch nicht angemessen“.
Die Bundesregierung wiederholt in ihrer Antwort auch die Behauptung, die Tankfahrzeuge seien angegriffen worden, um zu verhindern, dass sie „für einen späteren Angriff missbraucht werden“. Sie wärmt hier eine alte Lüge neu auf. Denn unbestritten ist, dass die angegriffenen Tankfahrzeuge sich vom Lager der Bundeswehr entfernt hatten, bevor sie im Fluss steckenblieben. Die örtliche Bevölkerung sammelte sich an ihnen, um den enthaltenen Kraftstoff für den individuellen Verbrauch abzuzapfen. Die Tankfahrzeuge stellten mithin keine militärische Gefahr dar.
Der den Angriff kommandierende Oberst Klein unterschied nicht zwischen Aufständischen und Zivilisten und missachtete damit Grundregeln des Völkerrechts. Überdies ignorierte Klein selbstherrlich mehrere Einsatzregeln der NATO. So verzichtete er auf die vorgeschriebene „show of force“, also einen Überflug in niedriger Höhe als Warnung für den bevorstehenden Angriff. Stattdessen ließ Klein ohne Vorwarnung bombardieren.
Erschreckendes Maß an Gleichgültigkeit
Das hat seiner Karriere nicht geschadet. Oberst Klein wurde im Jahr 2013 zum Brigadegeneral befördert. Gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen bringt die Bundesregierung hingegen ein erschreckendes Ausmaß an Gleichgültigkeit zum Ausdruck. Die Bundesregierung muss in ihren Antworten auf die genannten Einzelfragen zugeben, dass sie sich nicht darum gekümmert hat, die Zahl der Opfer im Nachhinein zu überprüfen. Über den Zustand der Gräber der Opfer kann sie keine Auskunft geben, obgleich Informationen darüber zugänglich sind. Auf die Frage, ob sie Kontakt zu den Opferfamilien gehalten habe, antwortet die Bundesregierung gar nicht. Sie kann keine Aussage darüber treffen, ob Hinterbliebene oder Verletzte des Luftangriffs in Deutschland Recht auf Asyl bekommen.
Schließlich muss die Bundesregierung gestehen, dass sie keinerlei Gedenken zum 10. Jahrestag plant. Bereits 2010 wurde ein entsprechender Antrag der LINKEN für eine Gedenkveranstaltung im Bundestag abgelehnt. Offenbar will die Bundesregierung, dass die deutsche Bevölkerung die Bombennacht von Kundus vergisst. Denn Kundus zeigt, dass die Sorge um die Zivilbevölkerung, mit der der Afghanistaneinsatz stets gerechtfertigt wurde und wird, vorgeschoben ist.
Anspruch auf Entschädigung
Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Position, wonach die Opfer des Luftangriffs und ihre Hinterbliebenen keinen Anspruch auf eine Entschädigung hätten. Sie verweist auf freiwillige Einmalzahlungen an Opferfamilien und erweckt den Eindruck, als habe sie damit großzügig gehandelt. Das Gegenteil ist der Fall.
Die geleisteten Einmalzahlungen sind keine Entschädigung. Sie fallen geringer aus als sonst in Afghanistan geleistete Entschädigungszahlungen in vergleichbaren Fällen, und sie beinhalten kein Schuldeingeständnis. Man muss dabei bedenken, dass zum Schmerz über den Verlust der Angehörigen häufig bittere Not und Armut hinzukommt. Viele Verletzte sind infolge des Angriffs berufsunfähig und betroffene Haushalte haben nicht selten den Hauptverdiener verloren.
DIE LINKE fordert, dass die Bundesregierung endlich ihrer Verantwortung gerecht wird. Der Angriff von Kundus muss als mögliches Kriegsverbrechen behandelt und die Angehörigen der Opfer offiziell entschädigt werden.
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