Frankreich: Neuer Kampf gegen Macron wegen der angekündigten Rentenreform

By Roland Godefroy - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=127943623

Macrons Angriffe auf die Renten sind hart. Doch es ist mit Widerstand zu rechnen, und in der Vergangenheit wurden solche Angriffe bereits abgewehrt“, berichtet John Mullen aus Paris.

Emmanuel Macron kündigte jüngst die Einbringung seines neuen Gesetzentwurfs zur Rentenreform ins Parlament an. Darin wird vorgeschlagen, uns länger arbeiten zu lassen, indem das normale Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre heraufgesetzt und die Anzahl der für den Erhalt einer vollen Rente erforderlichen Beitragsjahre erhöht wird.

In Frankreich gehen jedes Jahr 750.000 Menschen in den Ruhestand. Macrons letzter Versuch, uns länger arbeiten zu lassen, wurde vor drei Jahren von Millionen auf der Straße und Hunderttausenden im Streik mit Freude verhindert. Macron wurde gedemütigt und dazu gedrängt, den verschiedenen Arbeitnehmergruppen Zugeständnisse zu machen und dann zu versprechen, dass nur die nach 1975 Geborenen betroffen sein würden. Als die Streiks weitergingen, ließ er die Reform schließlich ganz fallen und schob es auf die Corona-Pandemie.

Diesmal haben Macron und seine Premierministerin Elizabeth Borne aus Angst vor dem Massenwiderstand einige Zugeständnisse in das Rentengesetz aufgenommen. Senioren mit Armutsrenten erhalten Erhöhungen, die schrittweise dazu führen sollen, dass niemand, der voll gearbeitet hat, weniger als 940 Euro im Monat bekommen soll. Der ursprüngliche Plan, das Rentenalter auf 65 Jahre anzuheben, wurde auf 64 Jahre gesenkt. Macron stellt sich diesmal nicht an vorderste Front, das überlässt er Borne, falls etwas schief gehen sollte. Außerdem hat Macron, anders als vor drei Jahren, sich auf das Ziel beschränkt, weniger Geld auszugeben, und seinen früheren Plan aufgegeben, alle Rentensysteme nach Punkten zu strukturieren und so den Weg für die Privatisierung zu ebnen.

Damit beginnt wohl der letzte Kampf um die Renten

1982 senkte die sozialistische Regierung von François Mitterrand das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre, und die Anzahl der Arbeitsjahre für den Erhalt der vollen Rente wurde auf 37,5 Jahre festgelegt. Seit 1993 haben französische Regierungen der Rechten und der sozialliberalen Linken immer wieder versucht, an den Renten zu rütteln. Manchmal waren sie erfolgreich, manchmal wurden sie vom Widerstand zurückgedrängt, und manchmal endeten die Kämpfe mit einem Unentschieden.

Im Jahr 1993 verlängerte eine rechte Regierung die Zeit, die man im Privatsektor einzahlen musste, um eine volle Rente zu erhalten, um zweieinhalb Jahre auf 40 Jahre. Außerdem sollten die Renten im privaten Sektor auf der Grundlage eines Prozentsatzes des Durchschnittsverdienstes über 25 Jahre und nicht mehr über die besten zehn Jahre berechnet werden.

1995 scheiterte die Rechte mit ihrem Versuch, die Renten im öffentlichen Sektor zu kürzen. Über ein Monat wurde gestreikt und beispielsweise die Pariser Metro stand Wochen lang still, dies zwang den damaligen Premierminister Juppé, seinen Plan in Panik aufzugeben.

Im Jahr 2003 wurden die Renten im öffentlichen Sektor erneut angegriffen. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mussten nun ebenfalls 40 Jahre arbeiten, um eine volle Rente zu erhalten. Die Renten basieren jedoch nach wie vor auf dem Durchschnittsgehalt der letzten sechs Arbeitsmonate vor der Pensionierung.

Im Jahr 2010 wurde das normale Rentenalter von 60 auf 62 Jahre heraufgesetzt. Im Jahr 2014 war es eine Regierung der Sozialistischen Partei, die die Anzahl der erforderlichen Jahre für den Anspruch auf eine volle Rente weiter erhöhte. Neben anderen neoliberalen Verbrechen zerstörte dieser Akt die Sozialistische Partei. Die Wähler*innen straften dies mit erheblichen Stimmverlust.

Über dreißig Jahre geht der Kampf um die Rente schon, einige Reformen zu Gunsten des Kapitals wurden angenommen, während andere erfolgreich gestoppt wurden. Die Rentensysteme sind komplex, aber die Zahlen zeigen, dass es sich lohnt, sich zu wehren. In Frankreich leben heute 4,4 Prozent der über 65-Jährigen in Armut. In Großbritannien sind es 15,5 Prozent und in Deutschland 9,1 Prozent, wie aus den Zahlen der OECD hervorgeht. Wenn die Situation in Frankreich so schlimm wäre wie in Großbritannien, würde das bedeuten, dass fast zwei Millionen mehr ältere Menschen in Armut leben. Klassenkampf funktioniert!

Auf dem Weg zu einer Explosion

Die Chancen für eine soziale Explosion in diesem Monat sind ausgezeichnet. In einer jüngsten Umfrage gaben 46 Prozent der französischen Bevölkerung an, dass sie bereit sind, sich zum Widerstand zu mobilisieren! Darunter sind 32 Prozent derjenigen, die bereits im Ruhestand sind. Nur 23 Prozent der Bevölkerung sagen, dass sie sich „auf keinen Fall“ dem Widerstand anschließen werden! 60 Prozent der Bevölkerung unterstützen den Widerstand, während nur 27 Prozent ihn ablehnen.

Interessant ist, dass eine Mehrheit derjenigen, die bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr für Marine Le Pen gestimmt haben, bereit ist, sich für die Verteidigung der Renten einzusetzen. Dies hat Le Pen dazu veranlasst, lautstark zu behaupten, sie stehe in diesem Kampf auf der Seite der Arbeitnehmer. Die konservativen Medien sind sehr froh, wenn sie suggerieren können, dass der Kampf ein Bündnis zwischen der Linken und der extremen Rechten sein wird. In Wirklichkeit ist es die Linke, die den Kampf organisieren wird, und dies kann ein Moment sein, um viele derjenigen, die für die Faschisten gestimmt haben, zu einem klassenkämpferischen Weltbild zurückzubringen. Einige Gewerkschaftsverbände haben bereits angekündigt, dass sie jeden Versuch rechtsextremer Organisationen, sich an den Demonstrationen der Bewegung zu beteiligen, verhindern werden.

Die Vorsitzenden aller acht Gewerkschaftsbünde riefen für den 19. Januar zu Streiks auf. Es war das erste Mal seit zwölf Jahren, dass alle gemeinsam dazu aufgerufen haben: Normalerweise versuchen einige, die „Gemäßigten“ zu spielen, in der Hoffnung, von der Regierung besser behandelt zu werden. 1995 unterstützte einer der größten Gewerkschaftsbünde, die CFDT, das Rentengesetz und löste damit eine schwere Krise in ihren Reihen aus. Diesmal, im Jahr 2023, kritisieren sogar die Polizeigewerkschaften das Gesetz.

Führende Politiker bremsen

Die Gewerkschaftsführer, auch die radikaleren unter den großen Gewerkschaftsverbänden, sind professionelle Verhandlungsführer. Auch wenn die französischen Gewerkschaftsführer nicht so hohe Gehälter beziehen wie in Deutschland und anderswo, stellen sie den Kampf gegen die Krise nicht in den Mittelpunkt ihrer Strategie. In der aktuellen Rentenfrage ist die Reform so unpopulär und die Arbeiterklasse in den letzten Jahren so streikfreudig gewesen, dass es durchaus möglich gewesen wäre, einen Generalstreik am Tag der Ankündigung der Rentenreform zu koordinieren.

In den kommenden Wochen werden die Gewerkschaftsbürokratien es vorziehen, einzelne „Aktionstage“ auszurufen, und sie werden nur dann einen Generalstreik ausrufen, wenn sie von unten massiv unter Druck gesetzt werden. Dennoch erklärte der CGT-Vorsitzende Philippe Martinez diese Woche, dass die Streiks „besser als 1995“ sein könnten, das ist ein Anfang. Und einige Gruppen von Arbeitnehmern sind entschlossen, noch weiter zu gehen. Die Beschäftigten der Ölraffinerien haben bereits zwei- und dreitägige Vollstreiks für die nächsten Wochen angekündigt.

Die wichtigste radikale linke Partei, die France Insoumise (FI) unter der Führung von Jean Luc Mélenchon, hat zusammen mit anderen linken Organisationen eine Reihe von öffentlichen Versammlungen in ganz Frankreich organisiert, um den Widerstand aufzubauen, und Abgeordnete der radikalen Linken sind im Fernsehen sehr präsent und greifen Macrons Gesetzentwurf an. Das Programm der FI beinhaltet die Wiedereinführung des Renteneintrittsalters von sechzig Jahren für alle.

Zur ersten öffentlichen Versammlung in Paris, die am Tag der Ankündigung des Premierministers stattfand, kamen eintausend Menschen. François Ruffin, Abgeordneter von France Insoumise, hielt dort eine Rede. „Es ist unser Recht, Zeit zu haben, uns um die Enkelkinder zu kümmern, angeln zu gehen oder Zumba zu lernen, aber wir müssen in den Ruhestand gehen, solange wir noch gesund sind“, sagte er. Eine weitere FI-Abgeordnete, Mathilde Panot, betonte, das Rentengesetz sei „eine Kriegserklärung“.

Der Angriff auf die Rente ist Macrons Vorzeige-Reform, und wir müssen sie schnell zu Fall bringen.

Dieser Artikel von John Mullen erschien zuerst hier auf Englisch auf The Left Berlin.

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