Die ohnehin brüchige Waffenruhe in Gaza wurde von Israel beendet. Die Folge: massive Bombardierungen, über 700 getötete Palästinenser in nur drei Tagen, darunter mehr als 200 Kinder. Wäre eine solche Gewalt in einem anderen Krieg verübt worden, wäre der Aufschrei in Deutschland gewaltig. Doch wenn Israel Wohnhäuser und Schulen zerstört und unschuldige Zivilisten tötet, bleibt die Reaktion verhalten. Medien und Politik bedienen sich einer auffallend milden Wortwahl.
Einseitige Berichterstattung in deutschen Medien
Der Kontrast zwischen der deutschen Berichterstattung und internationalen sowie israelischen Medien wie der Haaretz ist gravierend. So titelte The Guardian zu den israelischen Angriffen: „Israel bricht den Waffenstillstand im Gazastreifen und tötet mehr als 400 Palästinenser bei IDF-Angriffen.“ Deutsche Medien hingegen sprachen fast ausnahmslos von Angriffen auf Hamas-Stellungen – eine Darstellung, die von Beobachtern vor Ort widersprochen wird. Tatsächlich wurden Schulen, Wohnhäuser, Flüchtlingslager und Arztpraxen bombardiert.
Ein weiteres Beispiel: Die Vertreibung von Palästinensern wurde in Deutschland als „Israel ruft Anwohner der Grenzgebiete in Gaza zur Flucht auf“ bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich um eine gezielte ethnische Vertreibung mit dem Ziel, diese Gebiete langfristig zu besetzen.
Die Tagesschau sprach seit dem 7. Oktober 2023 genau 196 Mal von einem „Massaker“ – jedes Mal bezogen auf den Angriff der Hamas. Kein einziges Mal wurde ein israelisches Massaker so benannt. Diese selektive Wortwahl beeinflusst die Wahrnehmung der Ereignisse erheblich.
Politische Doppelmoral
Während zumindest leichte mediale Kritik an Israels Vorgehen existiert, bleibt sie in der Politik fast gänzlich aus. Am Tag nach der Tötung von fast 500 Palästinensern kündigte Bundesbildungsminister Cem Özdemir eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Universitäten an. Zum Vergleich: Nach Russlands Angriff auf die Ukraine wurde die akademische Kooperation mit russischen Institutionen umgehend ausgesetzt.
Die Blockade von Strom und Lebensmitteln durch Russland gegen die Ukraine wurde in Deutschland einhellig als Kriegsverbrechen verurteilt. Israel tut im Gazastreifen dasselbe – und Deutschland schweigt oder liefert sogar weiterhin Waffen. In den ersten Monaten des Krieges wurde die Gewalt noch mit israelischer „Selbstverteidigung“ gerechtfertigt. Doch je deutlicher das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung wurde, desto mehr wandelte sich das Narrativ: Nun wird die „Staatsräson“, ein Begriff der auch in Bundestagsresolutionen bemüht wurde um Kritik an Israel zu delegitimieren und die Meinungsfreiheit einzuengen, als Argument für die bedingungslose Unterstützung Israels angeführt.
Die deutsche Staatsräson: Einzigartig und fragwürdig
Deutschland ist weltweit das einzige Land, dessen Staatsräson nicht nur die eigene, sondern auch die Sicherheit eines anderen Staates umfasst. Doch was bedeutet es, einen Staat zu verteidigen, der eine illegale Besatzung aufrechterhält, Kriegsverbrechen begeht und in dessen Regierung Politiker sitzen, die offen ethnische Säuberung fordern?
Selbst wenn man diesen speziellen Begriff der Staatsräson akzeptiert, gibt es unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Die Ampelparteien, sowie die Union und die AfD, sehen ihn als bedingungslose Verteidigung Israels – egal, welche Politik dessen Regierung verfolgt. Doch es gäbe eine alternative Interpretation: Wahre Staatsräson müsste darauf abzielen, eine langfristige Friedenslösung zu finden. Dies würde bedeuten, Besatzung und Krieg zu beenden, anstatt Waffen zu liefern. NGOs, die Kriegsverbrechen kritisieren, sollten unterstützt werden – nicht sanktioniert. Zudem müsste Deutschland sich für die Umsetzung der vom Internationalen Gerichtshof empfohlenen Maßnahmen gegen die Besatzung einsetzen.
Eine falsche Lehre aus der Geschichte
Immer wieder wird die deutsche Geschichte als Argument für die bedingungslose Unterstützung Israels herangezogen. Doch die Lehren aus dem Holocaust sollten bedeuten, sich weltweit gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Form der Unterdrückung einzusetzen. Stattdessen unterstützt Deutschland eine Regierung, in der sich selbsternannte Faschisten befinden, die einen Krieg führt, den namhafte israelische und internationale Wissenschaftler als Genozid bezeichnen, und die das Völkerrecht ignoriert.
Ein Beitrag von Nicole Gohlke, Janine Wissler, Lea Reisner, Cem Ince und Cansin Koktürk, der zuerst in der Frankfurter Rundschau erschien.
Eine Antwort
Können wir uns darauf einigen, dass Hass und Gewalt von beiden Seiten – von Israel und von Palästina – ausgehen?
Haben Sie den 7. Oktober 2023 vergessen? Können Sie die Ermordung und Verschleppung von Israelis rechtfertigen? Mir persönlich fällt kein einziger Grund ein. Der einzige Grund, der mir einfällt, ist der grenzenlose Hass der Hamas auf das jüdische Volk.
Dass es eine Antwort von Seiten Israels geben wird war klar – und das die Antwort kompromisslos sein wird eigentlich auch. Das sie so umfassend ist zeigt nur, dass auch hier entscheidende Kräfte von einem tiefsitzenden Hass auf Palästina und die Hamas getrieben waren und noch immer sind.
UND DAS IST DAS PROBLEM: Die entscheidenden Positionen in beiden Teilen müssten mit Leuten besetzt sein, die kompromissbereit sind und die die jeweils andere Seite verstehen. Die meisten Israelis und Palästinenser sind es.