Aktivistin vor Gericht: Symbolische Aktionen gegen Genozid und staatliche Repression

Prozessauftakt gegen Aktivistin Bahar S. am Berliner Landgericht, 10. Januar 2025 © Xénia Gomes Adães

Unter anderem wegen mutmaßlicher Brandstiftung steht Bahar S. vor dem Berliner Landgericht. Die Aktivistin beschreibt ihre Taten als Protest gegen den Genozid in Gaza und die Komplizenschaft der deutschen Regierung. Gleichzeitig zeigen massive Schikanen gegen Prozessbeobachter*innen, wie sehr die Justiz palästinasolidarische Stimmen zu kriminalisieren versucht. Ein Bericht über Widerstand, Repression und Solidarität.

Am vergangenen Freitag begann vor dem Berliner Landgericht der Prozess gegen Bahar S. Sie ist eine von Hunderten Menschen, die die Berliner Justiz wegen palästinasolidarischer Aktionen verfolgt. Die Liste der Vorwürfe gegen sie ist lang: Es geht um (versuchte) Brandstiftung an Einsatzfahrzeugen der Berliner Polizei und an der iranischen Botschaft, Widerstand gegen und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie das Verwenden von Kennzeichen verbotener Organisationen. Insgesamt umfasst die Anklage elf Vorfälle, die sich zwischen Dezember 2023 und Oktober 2024 ereignet haben sollen. Seit Anfang Oktober 2024 sitzt Bahar S. in Untersuchungshaft. Es sind vier weitere Prozesstage geplant.

Zu Beginn der Verhandlung verlas der Verteidiger eine Erklärung seiner Mandantin. Die ihr zur Last gelegten Taten ordnet sie darin als symbolische Aktionen ein, mit denen sie auf den andauernden Genozid Israels in Gaza aufmerksam machen wollte. Deutschland bestehe weiterhin darauf, Israel im Namen einer angeblichen Staatsräson zu unterstützen und rechtfertige diese politische und militärische Komplizenschaft mit seiner historischen Verantwortung. Der Buchenwaldschwur „Nie wieder“ sei längst zu einer hohlen Phrase verkommen. Gleichzeitig werde die palästinasolidarische Bewegung kriminalisiert, diffamiert und mit Repressionen überzogen.

Die Tatsache, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland angesichts des Genozids in Gaza stumm und tatenlos bleibe, habe in Bahar S. ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Frustration ausgelöst. Dazu habe die massive Polizeigewalt beigetragen, die sie auch selbst erlebt habe. Als sie im Februar und Oktober 2024 jeweils Benzin auf ein Polizeiauto geschüttet und dieses angezündet habe, habe sie gewollt, dass die Flammen, in denen seit nunmehr 15 Monaten Zehntausende Palästinenser*innen den Tod fanden, für einen kurzen Moment auch hier sichtbar werden. Es sei aber nicht ihr Ziel gewesen, Menschen zu gefährden oder die Autos in Brand zu setzen. Deshalb habe sie geringe Mengen Benzin verwendet und dieses an Stellen angebracht, an denen es nur geringen Schaden anrichten konnte. Als ausgebildete Ingenieurin habe sie das einschätzen können.

Die anschließende Beweisaufnahme zu den angeklagten Brandstiftungen an zwei Einsatzfahrzeugen der Berliner Polizei ergab, dass diese durch die Aktionen tatsächlich nicht beschädigt wurden. In beiden Fällen entstand nach Aussagen der Polizeizeug*innen zunächst eine Stichflamme, die aber innerhalb kurzer Zeit von selbst wieder erlosch beziehungsweise mithilfe eines Handschuhs schnell gelöscht werden konnte. Im Fall der versuchten Brandstiftung vor der iranischen Botschaft kam es offenbar gar nicht erst zu einem Feuer. Dort soll Bahar S. Ende Januar 2024 eine geringe Menge Benzin verschüttet haben. Nach widersprüchlichen Aussagen der Zeugen, die dort mit dem Objektschutz beauftragt waren, blieb unklar, ob sie ein Feuerzeug in die Benzinlache warf, das während des Wurfs erlosch, oder ob einer der Polizeiangestellten ihr das Feuerzeug aus der Hand schlug, bevor sie es werfen konnte. Insgesamt wurden am ersten Verhandlungstag acht Polizeizeug*innen gehört.

Schikanen gegen Prozessbeobachter*innen

Etwa ein Dutzend solidarische Prozessbeobachter*innen verfolgte die Verhandlung von den Zuschauerbänken aus. Dabei unternimmt die Justiz vieles, um Solidarität im Gericht zu behindern. Seit Monaten werden Prozesse mit Palästinabezug routinemäßig in den Sicherheitstrakt des Gerichts verlegt. Um dorthin zu gelangen, müssen Zuschauer*innen einen separaten Eingang benutzen und sich dort besonders akribischen Sicherheitskontrollen unterziehen, die unter anderem das Abtasten des Körpers beinhalten. Es werden Kopien der Personalausweise angefertigt; es gibt keine Toiletten, und es darf nicht einmal Trinkwasser mit in den Gerichtssaal genommen werden. Zudem lassen sich die Justizbeamt*innen beim Einlass der Zuschauer*innen oftmals auffällig viel Zeit, sodass nicht alle den gesamten Prozess verfolgen können.

Selbst das Mitschreiben wird zunehmend erschwert. Während es anfangs noch möglich war, eigene Notizbücher und Stifte mitzubringen, darf mittlerweile nur noch mit Bleistiften und auf Papierbögen mitgeschrieben werden, die die Justizbeamt*innen ausgeben. Diese nutzen ihre neu gewonnene Macht, indem sie willkürlich das Papier rationieren oder sich weigern, die Bleistifte anzuspitzen. Damit erschweren die Justizbeamt*innen die Kontrolle der Rechtsprechung durch die Öffentlichkeit. Bislang haben diese Schikanen indes nicht dazu geführt, dass Menschen aus der palästinasolidarischen Bewegung vor Gericht alleine gelassen werden.

Der Prozess gegen Bahar S. wird am 17. Januar fortgesetzt.

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Eine Antwort

  1. Vielen Dank für den sehr interessanten Bericht!

    Ist schon bekannt wann der nächste Hauptverhandlungstermin stattfindet? Nach meiner Erinnerung erwähnte der Vorsitzende den 27. Januar, allerdings ohne die Uhrzeit oder den Saal zu nennen. Falls Ihnen hierzu Näheres bekannt ist, wäre ich für einen Hinweis dankbar.

    Mit freundlichen Grüßen

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