Wettrennen der Kriegstreiber

In der Sache sind sich hier alle einig: Immer mehr Waffen sollen her. Eine Forderung, wie viel Prozent des BIP denn jetzt genau ins Militär gepumpt werden soll, jagt dieser Tage die nächste. In wenigen Wochen wird gewählt, und Frieden und Abrüstung gelten im Basar der Wahlkämpfer als Staubfänger. Schwarz, Rot, Grün, Rechtsaußenblau – egal: Deutschland will wieder bei den Großen mitspielen, und dafür braucht es ein aufgeblähtes Militär.

Im Spiegel-Interview forderte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche, Deutschland solle 3,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für „Verteidigung“ ausgeben. „Berechnungen von Experten“ lägen dem nämlich zugrunde, und das sei nötig, „damit Putin nicht wagt, uns anzugreifen“. Finanzieren möchte Habeck diese vielen Zusatzmilliarden über eine Reform der Schuldenbremse oder über immer neue Sondervermögen; das alte sei schließlich 2027 aufgebraucht. Wie das nun genau bezahlt werden soll, ist trotz chronisch klammer Kassen Nebensache; „Haushalts-Erbsenzählerei“ wirft Habeck hier als Schlagwort ein – jeden Euro dreimal umzudrehen, ist beim Investment in den Krieg fehl am Platze. Ob er mit solch enormen Milliardenforderungen nicht Probleme in seiner Partei bekomme, wird der Kanzlerkandidat der einstigen Friedenspartei gefragt: „Das glaube ich nicht, in der Partei ist das Konsens.“ Das ist überraschend ehrlich, aber wenig überraschend.

Kanzler Scholz – der mit seiner „Zeitenwende“-Rede am 27. Februar 2022 der Hochrüstungsspirale erst den ideologischen, antirussischen Unterbau verpasst hatte – kritisierte Habecks Vorstoß als „unausgegoren“: keine kategorische Kritik also, in der Sache gewiss richtig, nur noch nicht ganz durchgedacht. Habeck verteidigte offensiv mit einem Seitenhieb gegen den Kanzler – zuvor bekanntlich Merkels Vize und Minister für Finanzen – und behauptete, die Bundeswehr sei „unter der Großen Koalition heruntergewirtschaftet“ worden. Dieser Mythos hat sich lang im Floskelbuch deutscher Aufrüster festgefressen und mit der Realität freilich wenig zu tun – ist der deutsche „Verteidigungshaushalt“ seit Beginn der Russland-Ukraine-Krise 2014 bis zum russischen Einmarsch doch bereits um weit über die Hälfte gestiegen.

Auch die Union unter BlackRocker Friedrich Merz ist stets dabei, wenn es um Geschenke an die Rüstungsindustrie geht – so wurden etwa die 100 Milliarden Sonderschulden der Rüstungsampel im Grundgesetz verankert und nur mit den Stimmen der Union über die Zweidrittelhürde gehievt. Merz steht hinter jeder Hochrüstungsschweinerei und bekannte sich diese Woche zum Zweiprozentziel, am Spiel um abstrakte Prozentzahlen wollte er sich aber nicht beteiligen. Anders die Schwesterpartei, so forderte Söder, die Militärausgaben „auf deutlich über drei Prozent“ zu erhöhen, zitiert tagesschau den CSU-Chef, der diese Zahl bereits im Mai herausposaunte.

Und so blieb Habeck mit seinen dreieinhalb Prozent im Wettrennen der Kriegstreiber zunächst in Führung: So viel wie die Nazis im ersten Jahr nach der Machtergreifung investierten (1934: 3,4 Prozent), und auch in den Nachkriegsjahrzehnten pendelte das sich wiederbewaffnende Deutschland im Schnitt grob um diesen Wert ein, um aus der Asche der Wehrmacht die vermeintlich geläuterte Bundeswehr zu formen. (Nach der Einverleibung Ostdeutschlands wurde dann ab Mitte der 1990er gesamtdeutsch jährlich etwas über einem Prozent ins Militär gesteckt.) Doch Habeck sollte nicht lange in Führung bleiben, wurde er doch rasch von Rechtsaußen überholt. AfD-Co-Chefin Alice Weidel meinte, man müsse zunächst den Bedarf ermitteln, doch halte sie einen Wert von über fünf Prozent „für möglich und sehr wahrscheinlich“. Ob sie das denn befürworte, fragt der ZDF-Reporter: „Aber natürlich!“ Dass die in Teilen faschistische und bis ins Mark militaristische AfD den Ruf einer „Friedenspartei“ etablieren konnte, ist ebenso eine Täuschung wie die Lüge, sie würde sich für die Belange einfacher Menschen interessieren.

Abgeguckt hat sich die Rechtsextreme diese Forderung vermutlich von Donald Trump, der diese groteske Zahl am Dienstag aufbrachte und an den sich die deutsche Rechte zunehmend anbiedert. Die NATO-Mitgliedsländer würden die USA „ausnutzen“ und sollten daher „fünf Prozent und nicht zwei Prozent zahlen“, meinte der designierte US-Präsident auf einer Pressekonferenz in seinem Strandanwesen Mar-a-Lago in Florida; „sie könnten sich das alle leisten“. Ob er denn weiß, dass die USA selbst weit weniger als diese Marke in den Krieg investieren? Man weiß es nicht.

Laut dem letzten NATO-Bericht gaben die 31 NATO-Mitglieder rund 1,47 Billionen US-Dollar fürs Militär aus (Island als 32. Mitglied wird dort nicht aufgeführt, da es über kein stehendes Heer und damit keinen klassischen „Verteidigungshaushalt“ verfügt). 968 Milliarden Dollar entfallen davon auf die USA, was zwei Dritteln entspricht. 23 Länder überschritten die Zweiprozentmarke – als diese unverbindliche Richtlinie 2014 auf dem NATO-Gipfel in Wales formuliert wurde, waren es drei. Polen weist mit über vier Prozent vom BIP den mit Abstand höchsten Wert aller Staaten im Kriegsbündnis auf. Hätten im vergangenen Jahr alle Länder fünf Prozent des BIP ins Militär gesteckt, entspräche das Gesamtausgaben von 2,72 Billionen Dollar, was im Vergleich zum realen Wert einem Plus von 85 Prozent entspricht. Diese astronomische Summe ist weit mehr, als die gesamte Welt im Jahr 2023 für ihre Streitkräfte ausgab (2,44 Billionen US-Dollar, laut SIPRI).

Reale „Verteidigungsausgaben“ der NATO 2024 vs. hypothetische NATO-Ausgaben in Trumps Fünfprozentszenario vs. weltweite Militärausgaben 2023. Mittlerer Balken vom Autor berechnet nach NATO-Bericht. Diagramm erstellt von etos.media unter CC-BY-SA-Lizenz.

Die USA müssten zur Erfüllung von Trumps gefordertem Rüstungsexzess fast eine halbe Billion Dollar zulegen (463 Milliarden), Deutschland über einhundert Milliarden. In diesem Szenario würde die BRD mit einem „Verteidigungshaushalt“ in Höhe von rund 230 Milliarden US-Dollar Großbritannien, Saudi-Arabien, Indien und Russland weit hinter sich lassen und hinter China auf Platz 3 des weltweiten Militärrankings landen (laut SPIRI-Zahlen). Auch Großbritannien und Frankreich müssten jeweils jährlich über 90 Milliarden Dollar mehr ausgeben. Im Juli 2021 erklärte der damalige Direktor des Welternährungsprogramms, David Beasley, auf einem Ernährungsgipfel in Rom, dass es jährlicher Investitionen in Höhe von 40 Milliarden Dollar bedarf, um bis 2030 den Hunger auf der Welt strukturell zu beseitigen – das wären im Trumpschen Fünfprozentszenario nicht einmal anderthalb Prozent der jährlichen „Verteidigungsausgaben“ der NATO-Staaten oder die Hälfte von dem, was Kanada oder Italien jeweils zusätzlich ausgeben würden.

Auch wenn das Kriegsbündnis am Ende bei einem etwas geringeren Wert als Trumps Hirngespinst landen sollte, sind die Prioritäten im Westen klar gesetzt. Und auch wenn sich ein Robert Habeck – der im oben zitierten Spiegel-Interview damit angibt, er habe „deutsche Philosophen gelesen und darüber gearbeitet“ – und generell die liberalen Eliten in Politik und Medien in diesem Land kulturkämpferisch von der vulgären Pöbelhaftigkeit des Möchtegerndespoten maximal distanzieren und sich moralisch erhöhen wollen: Im Team Hochrüstung sind sie ideologische Verbündete und arbeiten am gemeinsamen Projekt der Militarisierung ihrer Staaten und Gesellschaften.

Deutschland solle sich an der Entwicklung und Aufstellung europäischer Atombomben beteiligen, forderte am Mittwoch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm in der FAZ und verschiebt damit das Diskursfenster weiter stramm nach rechts in Richtung Krieg. 80 Jahre nach Hitler sollen deutsche Finger um den Atomknopf kreisen – einen Aufschrei gab es im Land der „Zeitenwende“ wegen dieser dystopischen Forderung nicht. Und Grimm – die neben ihrer Beratungstätigkeit für die Bundesregierung im Aufsichtsrat des in der Atombranche tätigen Konzerns Siemens Energy sitzt und somit von nuklearer Aufrüstung gewiss persönlich profitieren würde – liefert das ideologische Narrativ gleich mit: „Die Bedrohung Europas durch das Russland von Wladimir Putin wächst“, und eine europäische Bombe sei für die Abschreckung „in der Kosten-Nutzen-Abwägung“ sinnvoller.

Der russische Überfall auf die Ukraine wird in Deutschland als einmalige Chance begriffen und missbraucht. Der Auslöser für die Pläne zu massiver Hochrüstung war der natürlich nicht: Schon Monate zuvor kursierten im Verteidigungsministerium Pläne zur Aufnahme von Sonderschulden für die Bundeswehr in Höhe von 102 Milliarden Euro, berichtete der Spiegel. Nur jetzt kann man diesen Exzess eben auch geschmeidig kommunizieren. Im Februar letzten Jahres machte in der Weltpresse die Schlagzeile die Runde, Deutschland hätte nominal Japan als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst. Und diese wirtschaftliche deutsche Macht will seit längerem in militärische und geopolitische Macht übersetzt werden. Ein Ausdruck dafür ist etwa die rein deutsche Militärstadt, die in Litauen – samt Kita für die Kinder –errichtet wird, sowie der Truppenübungsplatz für deutsche Kampfpanzer nur elf Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt. Dass deutsche Kampfjets und Kriegsschiffe mittlerweile in allen Ecken des Globus den Krieg proben, ist ein anderer.

Der mit Abstand größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall firmiert weltweit nur auf Platz 26 der Waffenschmieden – CEO Armin Papperger will das ändern und im Eiltempo zu den ganz großen Kriegsgewinnlern aufschließen, gilt der Düsseldorfer Konzern doch als einer der Hauptprofiteure der „Zeitenwende“: Zigmilliarden aus den Sonderschulden für die Bundeswehr gehen an Rheinmetall, Firmenübernahmen in den USA sichern den Einstieg in den lukrativsten aller Märkte, in Litauen wird ein Munitionswerk gebaut, für den Despoten Orbán stellt der Konzern in Ungarn den neuen Kampfpanzer Panther her, baut in der Ukraine seit letztem Jahr Lynx-Schützenpanzer und errichtet dort im Kriegsgebiet abgesichert von deutschen Steuergeldern eine neue Fabrik für Artilleriemunition.

Maximale Hochrüstung ist fürs deutsche Kapital das Gebot der Stunde – ob mit Trump oder ohne.

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