Aktivistin vor Gericht: Prozess gegen Bahar S. und die Solidarität der Straße

Landgericht in Berlin-Moabit: Dritter Verhandlungstag im Prozess Gegen die Aktivistin Bahar S. (By Membeth, CC0, Link, edited by etos.media.)

Der Prozess gegen die pro-palästinensische Aktivistin Bahar S. in Berlin wird von widersprüchlichen Zeugenaussagen der Polizei begleitet. Während die Staatsanwaltschaft sie wegen Brandstiftung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anklagt, wird vor Gericht auch Polizeigewalt gegen die Angeklagte thematisiert. Unterstützer*innen zeigen sich solidarisch – und erfahren selbst Repression der Behörden. Katharina Schoenes war für etos.media als Prozessbeobachterin vor Ort.

Am 17. sowie am 27. Januar wurde der Prozess gegen Bahar S. vor dem Landgericht Berlin fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft der Aktivistin zahlreiche Taten vor, darunter Brandstiftung an Einsatzfahrzeugen der Berliner Polizei, Sachbeschädigung sowie Widerstand gegen und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in mehreren Fällen. Zum Prozessbeginn am 10. Januar hatte Bahar S. eine Erklärung durch ihren Verteidiger verlesen lassen. Darin beschrieb sie ihre Taten als symbolische Aktionen mit dem Ziel, auf den Genozid in Gaza aufmerksam zu machen und gegen die Komplizenschaft des deutschen Staates sowie die Gleichgültigkeit der deutschen Öffentlichkeit zu protestieren.

Nachdem am ersten Verhandlungstag die Vorwürfe der Brandstiftung im Mittelpunkt gestanden hatten, drehte sich die Beweisaufnahme an den Prozesstagen 2 und 3 um Situationen, in denen Bahar S. festgenommen wurde und dabei Widerstand geleistet oder Polizist*innen körperlich angegriffen haben soll. Teilweise beziehen diese Vorwürfe sich auf Demonstrationen – etwa beim Protestcamp am Bundestag oder beim revolutionären 1. Mai in Neukölln. Teilweise soll Bahar S. zuvor Einsatzfahrzeuge der Berliner Polizei an der Polizeiwache am Kottbusser Tor in Kreuzberg beschädigt haben. Im April und Mai 2024 erlebte sie so innerhalb weniger Wochen ganze fünf Festnahmen.

Polizeigewalt gegen die Angeklagte

Während der Beweisaufnahme fiel auf, dass die Aussagen der Polizeizeug*innen sich mitunter im Detail widersprachen. Das betrifft besonders solche Passagen, in denen es um vermeintliche Bisse, Tritte oder sonstige Angriffe von Bahar S. auf Polizist*innen geht. Zugleich wurde immer wieder deutlich, dass die Beamt*innen selbst erhebliche Gewalt gegen Bahar S. ausübten. Mit Blick auf eine Festnahme am 28. Mai erklärte ein Polizeizeuge, er habe sie mithilfe einer „Drucktechnik“ zu Boden gebracht. Es habe geregnet, sie seien „ungünstig“ gefallen, er sei halb auf ihr drauf gewesen.

Ein weiterer Polizeizeuge gab an, er habe Bahar S. während einer Festnahme am 29. Mai zweimal in den Rücken geschlagen, um einen „Atemreflex“ auszulösen. Das habe er getan, damit sie aufhöre, sich zu versteifen. So sei es einfacher gewesen, sie in das Fahrzeug zu bugsieren. Ein Polizist, der ebenfalls am 29. Mai mit Bahar S. zu tun hatte, berichtete von Hämatomen an ihren Armen und ihrem Oberkörper. Es steht zumindest im Raum, dass es sich dabei um Spuren von Polizeigewalt der vorherigen Tage gehandelt haben könnte. Sowohl am 26. als auch am 28. Mai war die Aktivistin in der Nähe der Polizeiwache am Kottbusser Tor in der Adalbertstraße brutal festgenommen worden.

Die feindselige Haltung vieler Beamt*innen gegenüber der palästinasolidarischen Bewegung kam auch während des dritten Prozesstags wiederholt zum Vorschein. Rufe wie „free, free Palestine“ oder die an die Beamt*innen gerichtete Aufforderung, die Uniform auszuziehen und den Schlagstock abzulegen, beschrieben diese als „aggressiv“. Bereits am zweiten Verhandlungstag bezeichnete ein Polizist Teilnehmer*innen einer Demonstration mehrfach abwertend als „Menschenmob“.

Festnahmen vor dem Gericht

Wie schon zu den ersten beiden Prozesstagen sind auch am Montag erneut etwa ein Dutzend solidarische Prozessbeobachter*innen gekommen, um den Prozess von den Zuschauerbänken aus zu verfolgen. Weitere Unterstützer*innen von Bahar S. hielten vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung ab, die im Gerichtssaal laut zu hören war. Diese deutlich sicht- und hörbare Form der Solidarität ist dem Gericht offenbar ein Dorn im Auge. So wurden am 27. Januar im Laufe des Tages mindestens sieben Versammlungsteilnehmer*innen vorübergehend von der Polizei festgenommen – unter dem Vorwand, dass sie eine angeblich volksverhetzende Parole gerufen hätten. Drei Personen wurden sogar zur Gefangenensammelstelle gebracht, anschließend aber wieder freigelassen.

Die Verhandlung gegen Bahar S. wird am 29. Januar fortgesetzt. Eventuell werden am Nachmittag dieses Verhandlungstages bereits die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung verlesen. Das Urteil könnte dann am 31. Januar gesprochen werden.

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