Seit Monaten gehen weltweit Schülerinnen und Schüler Freitags statt in die Schule auf die Straße. Sie haben es geschafft den medialen Diskurs von der rassistischen Flüchtlingsdebatte auf den Klimawandel zu lenken. Statt allerdings inhaltlich auf die Forderungen der Protestierenden einzugehen, debattiert das politische Establishment darüber, ob es gerechtfertigt sei während der Schule zu streiken. Die Konsequenz? Es bildet sich ein starkes Hinterfragen staatlicher Kompetenzen aus: So gaben Schülerinnen und Schüler in einer Befragung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung zu 77,4% an keine Lösungskompetenz in der Regierung zu sehen. Wer protestiert eigentlich bei Fridays for Future?
Das Institut hat für ihre Studie am 15.3. beim weltweiten Klimastreik in den Städten Bremen und Berlin Fragebögen an Teilnehmende der Demonstrationen ausgeteilt. Darin fragten sie neben ihrer politischen Einstellung auch aus was für einem Elternhaus sie stammen, in was sie Lösungskompetenzen sehen oder welche Partei am Ehesten für sie in Frage käme.
Die Ergebnisse drücken eine deutliche Tendenz aus: 53% der Befragten sehen sich politisch links, 24,5% sogar als ganz links. Nur 1,5 % bewertete sich selbst als rechts oder ganz rechts. 40% sehen in keiner Partei eine gute Basis, während von den existierenden Die Grünen mit 36% am Besten, gefolgt von DIE LINKE 12%, Andere 4%, SPD 3% und CDU 1%, abgeschnitten hat.
Überdurchschnittlich häufig stammen die Demonstrierenden, laut Selbsteinschätzung, aus der Mittelschicht (Obere Mittelschicht 43%, Untere 27%), das geht allerdings mit der Tendenz der Gesamtgesellschaft einher, in der sich fast alle zur Mittelschicht zählen. Die Hälfte der Eltern können einen universitären Abschluss vorweisen. Zu 17% scheinen die Jugendlichen einen Migrationshintergrund zu besitzen. 55% besuchen das Gymnasium, nur 6% gehen zur Haupt- und Realschule, während 31% aktuell studieren. Regelmäßiger gehen Studierende auf die Demonstrationen. Zu gut einem Drittel jeweils haben die Kinder von den Demonstrationen durch die sozialen Medien oder Freunden erfahren.
Großes Misstrauen besitzen die Schülerinnen und Schüler in den Unternehmen und der Regierung. Gerade mal 1% derer, die demonstrieren, glaubt, dass Unternehmen Lösungen zu bieten haben, 4,5% in den Staat. Stattdessen sehen sie einen großen Faktor in der Änderung des Lebensstils (54%).
Ein antikapitalistisches Potential
Es scheint schwierig zu sein, nur aus den beiden Städten Bremen und Berlin für die einmalige Demonstration vom 15.3. große Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Sozialstruktur und Zivilgesellschaft in beiden Städten unterscheidet sich deutlich vom kleinstädtischen oder ländlichen Raum. Beispielsweise leben 60% der Menschen mit Migrationshintergrund in Städten (Bremen 32%, Berlin 29%) und machen insgesamt einen Anteil von 23% in Deutschland aus.[1] Und selbst in diesen Städten ist der Anteil niedriger als der Anteil im Landesdurchschnitt, obwohl unter Jugendlichen in Bremen fast 50% einen Migrationshintergrund haben.
Deutliche Tendenzen kann man trotzdem aus der Erhebung ziehen: Beispielsweise sieht sich die übergroße Mehrheit der Demonstranten als politisch links, vertraut eher keiner Partei oder am ehesten den Grünen und kommt überdurchschnittlich häufig aus Mittelschichtsfamilien.
Das kann damit zusammenhängen, dass durch das selektive deutsche Schulsystem Kinder aus Familien mit niedrigeren Bildungsschichten zu hoher Wahrscheinlichkeit auch einen solchen Abschluss erreichen und überproportional über weniger Einkommen verfügen. Insbesondere überschneidet sich das auch mit einem Migrationshintergrund. Da Protestierende auch größtenteils durch Freunde motiviert an den Demonstrationen teilnehmen, kann das einen wichtigen Einfluss auch einnehmen. Ein anderer Grund könnte natürlich auch sein, dass ärmere Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Gründen weniger bei den Protesten teilnehmen, weil sie mehr Angst über mögliche Konsequenzen fürchten könnten, weniger Motivation seitens der Eltern erfahren, da dort andere soziale Themen im Vordergrund stehen oder ihre Forderungen nicht unterstützen.
Beispielsweise bereitet die Forderung der Fridays for Future nach einer CO2-Steuer ein kontroverses Thema: Mit dem Anheben von Benzinpreisen ohne ein gut ausgebautes und günstiges ÖPNV vorzufinden, belastet ärmere Menschen aus ländlichen Regionen viel stärker als Gutverdienende. Dass das Ändern des Lebensstils nicht nur persönlich wichtig sondern auch politisch ein wichtiger Faktor für die Schülerinnen und Schüler erscheint, mag vielleicht Kinder aus armen Haushalten abschrecken, da Verzicht für sie keine Forderung sondern Alltag ist.
Ändern müsste sich dieser Zustand auf jeden Fall. Die Bewegung muss es schaffen viel stärker in die Haupt- und Realschulen, migrantische Strukturen sowie ärmeren Schichten hineinwirken und motivieren mitzumachen. Dazu sollte sie ihre richtigen umweltpolitischen Forderungen stärker sozial aufladen und zum Beispiel die ungerechten Vermögensstrukturen kritisieren und eine Umverteilung fordern.
Außerdem sollte die Partei DIE LINKE aus einer so großen Repräsentations- und Glaubenskrise stärker als linke antikapitalistische Kraft wahrgenommen werden. Wenn mehr als zwei Drittel der Befragten sich links bis sehr links einordnen und den Unternehmen und der Regierung kein Vertrauen schenken, kann es kein Zustand sein nur 12% der Befragten zu gewinnen. Denn die Basis für eine antikapitalistische Bewegung ist vorhanden, wenn die Forderung geschärft werden und stärker versucht wird auf migrantische und weniger privilegierte Jugendliche zuzugehen.
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[1] https://www.bpb.de/wissen/NY3SWU,0,0,Bev%F6lkerung_mit_Migrationshintergrund_I.html