Palästina-Solidarität in Irland: Geteiltes koloniales Erbe

Bild von Ben Kerckx auf Pixabay

Am 22. Mai gab die Irische Republik zusammen mit Norwegen und Spanien bekannt, dass sie offiziell den Staat Palästina anerkennen wird. In Irland ist dies ein Schritt für den viele Aktivistinnen und Aktivisten, die Zivilbevölkerung und die Oppositionsparteien seit vielen Jahren gekämpft haben.

Geblockt wurde die Anerkennung bislang nur von den Regierungsparteien Fine Gael und Fianna Fáil. Bereits im Jahre 2014 wurde sowohl im Seanad Éireann (Senat) als auch im Dáil Éireann (Unterhaus des Parlaments) ein Beschluss bezüglich der Anerkennung der palästinensischen Eigenstaatlichkeit verabschiedet. Allerdings weigerte sich die Regierung bislang diesen Beschluss entgegen der europäischen Marschrichtung umzusetzen.

Im März hatten Irland, Malta, die Slowakei und Spanien gemeinsam ihre Bereitschaft zur Anerkennung Palästinas „unter den richtigen Umständen“ bekannt gegeben. Diese Qualifikation erscheint während eines aktiven Völkermordes sehr fragwürdig. Doch scheinbar haben die vom Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Karim Khan, beantragten Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant nun endlich die Angst, die europäische Hegemonie zu verärgern, hinreichend geschmälert.

In seiner Ankündigungsrede erinnert Taoiseach Simon Harris an Irlands eigenes Aufbegehren gegen 800 Jahre kolonialer Besatzung durch das Vereinigte Königreich. Dieses wurde 1921 nach verzweifelten Kämpfen gewonnen. Genau diese eigene Erfahrung mit brutaler kolonialer Besatzung ist es, die die irische Bevölkerung schon seit Beginn der Nakba auf der Seite der Palästinenser gegen Israels illegale Besatzung vereinte. Israel steigerte seine 76 Jahre alte Tradition von Landraub, Apartheid, Besatzung und Bombardierung im Oktober 2023 zum Extrem des aktiven Völkermordes an der Bevölkerung Gazas. In direkter Folge standen breite Teile der irischen Bevölkerung auf und schlossen sich Aktivistinnen und Aktivisten an, die diesen Kampf schon seit Jahrzehnten führen. Zahllose lokale Gruppen entstanden und organisierten wöchentliche Protestmärsche, Benefizveranstaltungen und Spendensammlungen in fast jeder irischen Stadt.

Die 2001 gegründete Ireland Palestine Solidarity Campaign ist ein Dachverband, dem sich viele dieser regionalen Gruppen formell oder informell angeschlossen haben. Jeden Monat organisieren sie einen Nationalen Marsch in Dublin, an dem regelmäßig um die 80.000 Menschen teilnehmen. Im November ketteten sich Mitglieder der antizionistischen jüdischen Gruppe Jews for Palestine Ireland an die deutsche Botschaft in Dublin, um gegen Deutschlands blinde Unterstützung für Israels Völkermord in Gaza zu protestieren. Des Weiteren nehmen sie aktiv an lokalen und nationalen Protestmärschen teil, sprechen bei Veranstaltungen und unterstützen palästinensische und irische Gruppen im gemeinsamen Kampf gegen Israels Besatzung und Vernichtungskrieg.

Inspiriert von den Studentenprotesten in den Vereinigten Staaten errichteten Studierende, organisiert durch die Studierendenvereinigung und die TCD BDS Society des renommierten Trinity College Dublin (TCD), am 3. Mai ein Zeltlager nahe der Touristenattraktion Book of Kells. Hierbei handelt es sich um eine illustrierte Handschrift der Evangelien aus dem achten Jahrhundert. Der Zugang zum Book of Kells wurde blockiert. László Molnárfi, der Präsident der TCD Studentenvereinigung kommunizierte die Forderungen der Protestierenden zur Presse. Wichtig ist hier der Hintergrund, dass das Trinity College bereits vor der Errichtung des Camps der Studierendenvereinigung eine astronomische Bußgeldforderung in Höhe von 214.285 Euro zukommen ließ. Dies wurde versucht mit Gewinnausfällen durch zeitweise frühere Blockaden des Book of Kells während vorhergehender Proteste zu rechtfertigen. Diese Proteste bezogen sich teilweise auf die Situation in Gaza, teilweise aber auch auf geplante Erhöhungen der Studienbeiträge und Wohnheimmieten. Molnárfi bezeichnete diese Bußgeldforderung als „schmähliche Art des Union Bustings“.

Die Hauptforderungen des Zeltlagers im Trinity College waren, dass die Universität mit sofortiger Wirkung alle wirtschaftlichen und akademischen Kooperationen mit Israel beendet und ihre Unterstützung für und Kooperation mit palästinensischen Studierenden, Forscher und Forscherinnen ausweitet.

Am 8. Mai, nachdem das Book of Kells für vier Tage blockiert war, gab die Universität nach und veröffentlichte eine Erklärung. Diese besagte, dass alle Investitionen in israelische Unternehmen, die in den besetzten palästinensischen Gebieten aktiv sind, eingestellt werden. Des Weiteren verspricht das Trinity College gebührenfreie Studienplätze für palästinensische Studierende. Die Bußgeldforderung gegen die Studierendenvereinigung sowie Disziplinarverfahren gegen individuelle Aktivistinnen und Aktivisten wurden am 21. Mai offiziell fallengelassen.

Am 11. Mai wurde ein zweites Zeltlager an einer Irischen Universität errichtet, diesmal auf dem Campus des University College Dublin (UCD). Die Forderungen der beteiligten Studierenden, Lehrenden und Alumni sind im Wesentlichen:

  • eine komplette Beendigung aller gegenwärtigen und zukünftigen akademischen Verbindungen mit Israel
  • eine komplette Offenlegung aller finanziellen und akademischen Verbindungen, inklusive Aktien etc.
  • die Etablierung eines Aufsichtsgremiums durch Mitglieder der Studierendenvereinigung, der UCD BDS Society and Academics for Palestine
  • eine Beendigung aller Verbindungen zur Waffenindustrie, Militärindustrie und zu Herstellern von Dual-use-Gütern
  • die Zurverfügungstellung einer festgesetzten Anzahl von Stipendien für palästinensische Studierende, inklusive Unterkunft und Krankenversicherung
  • ein drastischer Ausbau der Zusammenarbeit mit palästinensischen Akademikerinnen, Akademiker und Universitäten sowie eine Verpflichtung, aktiv beim Wiederaufbau von Universitäten und Infrastruktur in Gaza zu helfen
  • ein Entfernen aller Israelischen Produkte vom Campus laut Vorgaben der BDS-Kampagne
  • die Etablierung eines Anti-Apartheid-Campus

Am 13. Mai veröffentlichte die Universität eine halbherzige Erklärung, die besagt, dass das UCD ohnehin nicht in israelische Unternehmen investiert. Des Weiteren besagt diese Erklärung, dass es aber gegenwärtig elf individuelle akademische Projekte mit israelischen Partnerinnen und Partnern gibt. Unter dem Vorwand der akademischen Freiheit weigert sich die UCD, Druck auf diese individuellen Forscher auszuüben, um sie zu motivieren, diese Kooperationen einzustellen. Zudem verwies das UCD auf 39 Studierende mit Vertriebenenstatus, die momentan am UCD kostenfrei studieren und darauf, dass die gleiche Anzahl im nächsten akademischen Jahr zur Verfügung steht.

Die Aktivistinnen und Aktivisten im UCD-Zeltlager sehen ihre Forderungen nicht als erfüllt an. Die Belagerung dauert an. Talks, Vorlesungen, Teach-ins und kulturelle Veranstaltungen. Tzedek, eine antizionistische religiöse jüdische Gruppe, die Jews for Palestine Ireland nahesteht, hielt am vergangenen Freitag einen Shabbat Service im Camp.

Ein drittes Camp wurde am 14. Mai im University College Cork aufgeschlagen. Die Forderungen sind denen der anderen Camps sehr ähnlich:

  • keine Politikerinnen, Politiker oder Parteien auf dem Campus, persönlich oder online, bis Irland die Occupied Territories Bill verabschiedet
  • Offenlegung und Beendigung aller akademischen, wirtschaftlichen und anderweitigen Verbindungen zu Israel oder zu Unternehmen, die von der Besatzung Palästinas profitieren
  • aktive finanzielle und akademische Unterstützung für palästinensische Studierende und Forschende sowohl am UCC als auch im internationalen Kontext
  • eine öffentliche Erklärung, in der sich das UCC zur andauernden Zerstörung Palästinas seit 1948 und zur bewussten Zerstörung palästinensischer Bildungseinrichtungen durch Israel positioniert
  • eine öffentliche Erklärung, dass das UCC einen sofortigen Waffenstillstand fordert und einen umgehenden unbehinderten Zugang zu Hilfsgütern für die Bevölkerung Gazas bereitstellt eine Anerkennung des Right of Return der vertriebenen Palästinenserinnen und Palästinenser
  • finanzielle und materielle Wiedergutmachungen für die palästinensische Bevölkerung
  • die Forderung, dass sich alle aktiv an Israels Völkermord beteiligten Personen vor Gericht verantworten müssen

Alle drei Camps fanden und finden breite Unterstützung in der Bevölkerung. Essen und Versorgungsgüter werden von Restaurants, Geschäften und Privatpersonen geliefert, Besucherinnen und Besucher kommen vorbei für Gespräche oder Veranstaltungen. Es steht zu hoffen, dass die offizielle Anerkennung Palästinas als souveräner Staat den Camps des UCD und des UCC den Weg zum Erfolg erleichtert. Bis dahin werden sie weiter bestehen.

Annie de Bhal ist Mitglied bei Jews for Palestine und der britischen Organisation Tzedek, die sich weltweit für die Bekämpfung extremer Armut einsetzt.

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