Neue Repressionen in Ägypten – Die Bundesregierung schaut zu

Vor kurzem wurde in Ägypten der bekannte Karikaturist Aschraf Omar verhaftet, es ist Teil einer neuen Repressionswelle gegen kritische Stimmen und die freie Presse. Aktuell gibt es im Land etwa 60.000 politische Gefangene, diese werden willkürlich verhaftet und teilweise gefoltert. Statt die Entwicklung zu kritisieren unterstützen die EU und Deutschland das Regime mit Waffen und Geld. Eine Analyse von Omnia Magdy.

“Die Stabilität Ägyptens zu gewährleisten und seine politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung sind essentiell für die Aufrechterhaltung der regionalen Stabilität.” Das sagte der außen- und sicherheitspolitische Berater von Olaf Scholz und ehemalige Leiter des Auswärtigen Amtes Jens Plötner am 23. Juli im Gespräch mit dem ägyptischen Außenminister Badr Abdalati. Man schätze besonders Ägyptens Rolle angesichts der aktuellen Lage in Palästina und dem Sudan.

Nur einen Tag zuvor, in der Nacht vom 21. zum 22. Juli stürmten Männer der ägyptischen Staatssicherheit die Wohnung des Journalisten Aschraf Omar, beschlagnahmten Geld, Laptop und Handy. Sie verschleppten ihn für zwei Tage bevor sie ihn einem Richter vorführten: 15 Tage Untersuchungshaft für den „Eintritt in eine terroristische Vereinigung“, die „Verbreitung von Falschinformationen“ und den „Missbrauch sozialer Netzwerke“ lautete das vorläufige Urteil Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit. Aschraf Omar ist Karikaturist, Journalist und Übersetzer für unabhängige, regimekritische Medien.

Repressionen gegen Oppositionelle und die kritische Presse gehören zum Alltag

So ist auch die Verhaftung von Aschraf Omar kein Einzelfall. Bereits für TikTok Videos wurden Ägypterinnen und Ägypter verhaftet und hinter Gitter gebracht. Der ägyptische Staatsapparat ist berüchtigt dafür, kritische Stimmen willkürlich zu verhaften, zu foltern und sogar zu töten. Durch derlei drakonische Maßnahmen versucht der ägyptische Staat Oppositionelle zum Schweigen zu bringen. In den letzten neun Monaten betraf dies neben Journalisten auch vermehrt Aktivisten, die für Palästina auf die Straße gegangen sind, um ihrer Solidarität Ausdruck zu verleihen.

Lippenbekenntnisse für Palästina

Das Sisi-Regime bringt Lippenbekenntnisse in Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern. Doch gleichzeitig riegelt auch Ägypten die gemeinsame Grenze zum Gazastreifen weitgehend ab – und unterstützt so faktisch Israel

Das ägyptische Volk weiß das. Deshalb fürchtet die Sisi-Diktatur, dass Palästina-Solidarische Akteure im Inland ihre Wut auch gegen das Regime richten, so wie es bei den Demonstrationen für Palästina vergangenen Oktober der Fall war.

Militärputsch 2013

Sisi kam 2013 durch einen Putsch gegen den ersten frei gewählten Präsidenten in der Geschichte Ägyptens, Mohammad Mursi, an die Macht. Die friedlichen Protestcamps von Morsis Anhängern wurden auf offener Straße in Kairo und Giza mit Waffengewalt niedergeschlagen. Mehr als tausend Menschen brachte das Militär dabei um. Die damalige Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel schwieg dazu – weil Präsident Mursi aus der langjährigen Oppositionspartei der „Muslimbruderschaft“ stammte.

Seitdem herrscht eine brutale Diktatur, die unzählige ägyptische Oppositionelle von Mitgliedern der Muslimbrüder bis zu Sozialisten und Sozialistinnen ins Exil gezwungen hat. Neben der politischen Unterdrückung verschlechtert sich auch die ökonomische Lage für die verarmten Massen des Landes beständig.

Militärdiktatur mit Unterstützung aus Berlin und Brüssel

Der deutsche Staat ist tatkräftiger Unterstützer der ägyptischen Militärdiktatur. 2021 lieferte die Bundesregierung Rüstungsgüter in Höhe von über vier Milliarden Euro nach Ägypten; das entsprach damals fast der Hälfte der Gesamtsumme an militärischen Lieferungen ins Ausland. Im März 2024 unterzeichneten nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der ägyptische Militärdiktator Abdel Fattah Al Sisi ein acht Milliarden Dollar schweres „Hilfspaket“.

Das EU-Ägypten-Hilfspaket besteht aus Zuschüssen und Darlehen für die nächsten drei Jahre und soll offiziell die Zusammenarbeit zwischen Ägypten und der EU ausbauen.

In einer gemeinsamen Erklärung hieß es: „Die Europäische Union erkennt Ägypten als zuverlässigen Partner und seine einzigartige und wichtige geostrategische Rolle als Stütze der Sicherheit, Mäßigung und des Friedens im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und in Afrika an.

Nach Angaben der Europäischen Kommission zielt das Abkommen darauf ab, „Demokratie, Grundfreiheiten, Menschenrechte und Geschlechtergleichheit“ zu fördern. Worum es bei dem Deal eigentlich geht, wird schon im Kleingedruckten deutlich: Geflüchtete von der EU fernzuhalten.

Ägypten: Europas neue Außengrenze in Nordafrika

AP berichtete im Märtz 2024: „Die EU wird die ägyptische Regierung bei der Befestigung ihrer Grenzen unterstützen, insbesondere zu Libyen, einem wichtigen Transitpunkt für Migranten, die vor Armut und Konflikten in Afrika und im Nahen Osten fliehen. Der 27-Nationen-Block wird die Regierung auch bei der Aufnahme von Sudanesen unterstützen, die vor fast einem Jahr vor den Kämpfen zwischen rivalisierenden Generälen in ihrem Land geflohen sind. Ägypten hat seit April letzten Jahres mehr als 460.000 Sudanesen aufgenommen.“

Die EU hat ähnliche Vereinbarungen zur „Beschränkung der Migration“ mit Tunesien und Mauretanien unterzeichnet. Die Unterstützung der libyschen Küstenwache und ihre Menschenrechtsverletzungen oder das EU-Türkei-Abkommen von 2016, bei dem die EU Erdogan 6 Milliarden Euro zahlte, um syrische Geflüchtete von der EU fernzuhalten.

Neun Millionen Migrantinnen und Migranten, hauptsächlich aus anderen afrikanischen Ländern, leben in Ägypten, 480.000 davon sind beim UN-Flüchtlingshilfswerk als Flüchtlinge und Asylsuchende registriert. Aufgrund der ernsten Wirtschafts- und Menschenrechtslage in Ägypten suchen auch immer mehr Ägypter nach einem Ausweg. Die meisten Ägypter, die nach Europa fliehen, erreichen Italien über das Mittelmeer. Solche Zahlen hatten die EU in den Jahren zuvor dazu veranlasst, mit Ägypten Deals abzuschließen. Beispielsweise unterstützte sie mit 80 Millionen Euro die ägyptische Küstenwache, um nach Europa flüchtende Menschen abzufangen.

Deal mit dem IWF

Ebenfalls im März 2024  hatte Ägpten einen Deal mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Rettungskredit ebenfalls über 8 Milliarden Dollar abgeschlossen: „Der Deal mit dem IWF ist mit Wirtschaftsreformen verbunden, zu denen die Freigabe des Wechselkurses des ägyptischen Pfunds und eine starke Anhebung des Leitzinses gehörten.“

Diese Abkommen müssen im Kontext des laufenden Kriegs in Gaza betrachtet werden, welchen EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland militärisch, wirtschaftlich, politisch und ideologisch mit unterstützen. Deutschland hat seit Oktober 2023 seine Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht – während die grüne Außenministerin Baerbock gleichzeitig von einer „wertegeleiteten“ deutschen Außenpolitik spricht.

Diese Heuchelei ist leicht zu erklären. Deutschland und die EU sind an einem “stabilen” ägyptischen Regime interessiert, als wirtschaftlicher Partner, zur „Eindämmung“ von Flüchtlingsbewegungen – und als de-facto Bündnispartner Israels bei seinen Verbrechen in Gaza.

Freiheit für Aschraf Omar und alle politischen Gefangenen

Doch die Situation ist keineswegs ausweglos. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Reaktion auf die Verhaftung des Journalisten Aschraf Omars. In Ägypten, aber auch in  Deutschland, formiert sich aktuell eine Kampagne für seine Freilassung. Am 29. Juli versammelten sich Protestierende im Gewerkschaftshaus der Journalistengewerkschaft für einen symbolischen Sitzstreik. Auch in Deutschland wird die Kampagne wahrgenommen. Viele derjenigen, die sich seit Monaten gegen den Genozid in Gaza engagieren, erkennen die Rolle der  Politik der Regime in der Region – und wie sich die Bundesregierung hierzu positioniert.

Die Bundesregierung unterstützt das Regime in Kairo trotz der Unterdrückung. Sie sind beide Teil einer internationalen herrschenden Klasse. Daher ist es wichtig, auch den Kampf gegen ihre Repressionen gemeinsam und international zu führen und sich für die Freiheit der 60.000 politischen Gefangenen und der kritischen Presse in Ägypten einzusetzen.

Die Kampagne für Aschraf Omar hat in diesem Sinne eine immense Bedeutung für den Kampf gegen die Repressionen in Ägypten generell. Informationen findet man beim MENA Solidarity Network und den Revolutionary Socialists in Ägypten.
Übersetzt von Revolinks.

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