Gerade einmal anderthalb Wochen ist es her, dass sich die NATO-Spitzen in Warschau getroffen haben, um die künftige Strategie in Afghanistan, den Umgang mit Russland und die Aufstockung der NATO-Etats der einzelnen Mitgliedsländer zu beraten. Das Ergebnis war enttäuschend, wenn auch nicht überraschend. Die Eskalation mit Russland soll mit allem Mitteln weitergeführt werden und die nationalen Haushalte sollen dafür herhalten.
Nicht umsonst ist die Wahl des Austragungsortes auf Warschau gefallen. Die durch die Ukraine-Krise angestiegene anti-russische, nationale Hysterie hat die Zustimmung zur NATO wachsen lassen. Polen hat in den letzten Jahren seinen Haushalt an die Erwartungen der NATO angepasst und beteiligt sich nicht nur an NATO-Manövern, sondern bietet der NATO auch Stützpunkte, die in der Auseinandersetzung mit Russland strategisch immer wichtiger geworden sind.
Im offiziellen NATO-Kommuniqué, das das Resultat der Beratungen des Gipfels ist, steht folgender bezeichnender Satz: „The Alliance faces a range of security challenges and threats that originate both from the east and from the south.“ (Punkt 5 Satz 2 Warsaw NATO Communiqué) Klingt ganz nach den alten Tagen, aber das nur nebenbei. Viel wichtiger ist, wie das Vorgehen gegenüber Russland sich weiter gestalten wird. Und dieses Vorgehen nimmt immer mehr die Gestalt der Einkreisung ein. Die Militärmanöver in den baltischen Ländern waren nur ein erster Schritt dazu, eine Machtdemonstration, vielleicht ein erster Warnschuss. Längst arbeitet die NATO an weiteren Feldern der Kontrolle über westliche russische Grenzen. Als Beispiel hierfür sollen der Punkt 23 des Kommuniqué dienen. Dieser besagt relativ deutlich, dass beispielsweise die Kooperation mit Schweden und Finnland dazu dienen soll, „um auf weitere Herausforderungen zeitnahe reagieren zu können“ (Punkt 23 Abs. 2 Satz 3). Übersetzt heißt es, die NATO will auch in den bisher neutralen Ländern ihren Einfluss ausbauen, um effektiver gegen Russland vorgehen zu können.
Um die Widersprüchlichkeit dieser Strategie zu offenbaren, genügt ein Blick in den Punkt 14 des Kommuniqués. Darin steht: „Die Allianz [NATO] sucht keine Konfrontation und stellt keinerlei Gefahr für Russland dar. […] Die NATO wird weiterhin transparent, vorhersehbar und entschlossen sein.“ (Punkt 14 Satz 1 und 3 des NATO-Kommuniqués) Dabei stellen sich zwei Fragen unweigerlich in den Raum. Erstens, welchen Zweck sollen dann die Militärmanöver und Truppenstationierungen vor den russischen Grenzen haben? Abschreckung? Nein, das wäre eine Bedrohung und davon nimmt die NATO Abstand. Absicherung der Länder? Nein, im Falle eines Krieges würden die stationierten Truppen nicht ausreichen, um einen bewaffneten Konflikt zu überstehen. Die Frage also bleibt: Welchen Zweck haben Militärmanöver und Truppenstationierungen vor den russischen Grenzen? Und zweitens, warum sollte die NATO transparent und vorhersehbar bleiben? Will man eine vermeintliche russische Gefahr abwehren, ist das im besten Falle leichtfertig, wenn nicht gar dilettantisch, transparent und vorhersehbar zu agieren. Beides ist die NATO nicht. Folglich bleibt auch diese Frage offen im Raum stehen.
Dabei darf man nicht vergessen, dass all die Manöver und Truppenübungen eines großen finanziellen Aufwandes bedürfen. Und dieser kommt nicht von ungefähr. Seit der Ukraine-Krise braucht die NATO mehr Geld und die treibenden Kräfte hinter der Organisationen werden nicht müde, das zu betonen. So sagte Barack Obama bei seinem Besuch im Frühjahr in Hannover, dass die Europäer zu „selbstzufrieden“ sind und dass sie ihren Anteil zur kollektiven Sicherheit zahlen sollen. Kurz darauf hat sich nicht nur die Verteidigungsministerin, sondern selbst die Bundeskanzlerin der Forderung angeschlossen. Die zwei Prozent des BIP sollen das neue Mantra der Verteidigungspolitik Deutschlands werden, so wie die Schwarze Null zuvor für den Bundeshaushalt. Apropos Schwarze Null. Nach den Plänen der Bundesregierung soll diese noch ein Paar Jährchen anhalten. Doch auch hier drängt sich die Frage auf, wie soll diese Zielmarke der zwei Prozent BIP finanziert werden? Derzeit zahlt Deutschland unter 1,5 % des BIP in die NATO-Kasse ein. Eine Erhöhung der Ausgaben um mehr als 0.5 % ist eine schöne Summe, die im deutschen Haushalt aus einem anderen Etat genommen werden müsste, wenn man es mit der Schwarzen Null ernst meint. Was wird es diesmal sein? Soziales? Bildung?
Aber das bleiben vorerst Randfragen, wenn man sich die weiteren Ziele der NATO in den nächsten Jahren genauer anguckt. So wurde beispielsweise der bereits mehrfach für gescheitert erklärte Afghanistaneinsatz der NATO über 2016 hinaus noch weiter beschlossen. Es soll wie immer etwas erreicht werden, was in den letzten mehr als 10 Jahren nicht gelungen ist. Immer mit der Logik, noch ein bisschen mehr und dann klappt es. So wie auch der KFOR-Einsatz im Kosovo. Das Überbleibsel des verbrecherischen Krieges gegen Jugoslawien soll bis heute den Einfluss des Westens auf dem Balkan sichern. Und natürlich nicht zuletzt der NATO-Einsatz in der Ägäis, der tausende vor den Folgen der westlichen Kriege Flüchtende davon abhalten soll, sich in Sicherheit zu bringen.
Gerade die Türkei spielt dabei bis heute eine eher verheerende Rolle. Nicht nur hatte das Erdoğan-Regime, den IS massiv unterstützt, sondern trägt es auch dazu bei, dass genau diese Flüchtenden gar nicht erst die Chance bekommen, nur in die Nähe Europas zu kommen. Und wenn wir schon von der Türkei und der NATO sprechen, müssen wir feststellen, dass das Verhältnis der Türkei zum Rest der NATO ein höchst widersprüchliches ist, gerade weil die Türkei sich in den letzten Jahren in eine Präsidialdiktatur verwandelt. Wie kann noch das Versprechen vermeintlicher „westlicher Werte“ aufrecht erhalten werden, wenn die Türkei sich langsam aber stetig zu einer Diktatur entwickelt? Gerade nach dem vermeintlichen Putsch der letzten Woche, aus dem Erdoğan als strahlender Sieger hervorging, ist das Land auch militärisch zunehmend eine Gefahr, die nicht kalkulierbar ist. Der Abschuss des russischen Jets, für den sich Erdoğan entschuldigt hatte, als er merkt, dass sein Rückhalt im Westen schwindet, ist nur ein Beispiel hierfür. Nicht auszudenken, was wäre, wenn ein unberechenbarer Autokrat einen Bündnisfall provozieren würde.
Wie wir sehen können, ist die Welt in den letzten Jahren nicht friedlicher geworden und einen großen Beitrag dazu leistet die NATO. Die Eskalation mit Russland, imperiale Begehren in Afghanistan und dem Kosovo, sowie der Einsatz gegen Flüchtende in der Ägäis sind lediglich Symptome einer imperialen Logik des NATO-Bündnisses. Deshalb muss Deutschland schnellstens die NATO verlassen und diese soll dann in der Folge aufgelöst werden. Die Frage der NATO ist für Linke keine Frage der Beliebigkeit, sondern eine realisierte Notwendigkeit der Abschaffung der NATO. Wir dürfen keine begeisterten NATO-Anhänger werden und werden es nie sein, diese Frage ist nicht verhandelbar.
Ein Gastbeitrag von Julius Zukowski-Krebs, Bundessprecher der linksjugend [’solid].