Balibar begreift ähnlich wie Laclau die Gesellschaft durch Diskurse konstruiert. So gilt es der Frage nachzugehen, „in welchem Maße eine relativ neue Sprache als Ausdruck einer neuen Artikulation zu begreifen ist, in der sich in einer auf Dauer angelegten Weise gesellschaftliche Praxis und kollektive Vorstellungen, Lehren von Wissenschaftlern und politische Bewegungen miteinander verbinden“ (Balibar 1992: 27).
Rassismus, wie er sich im diskursiven Feld Immigration (Migrationsdebatte) nicht nur in Deutschland konstruiert, begreift Balibar als einen „Rassismus ohne Rassen“, da dieser sich von Genetik und Blut als Explanans löst und stattdessen kultureller Zugehörigkeit, sowie Differenzen thematisiert (vgl. Balibar 1992: 28f). Es wird keine Hierarchie zwischen Völkern aufgestellt, stattdessen behauptet dieser Neo-Rassismus „die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen“ (Balibar 1992: 28). Es erfolgt eine Naturalisierung der Kultur, bei der „Individuen und Gruppen a priori in eine Ursprungsgeschichte, eine Genealogie einzuschließen, in ein unveränderliches und unberührbares Bestimmtsein durch den Ursprung“ (Balibar 1992: 30).
Neo-Rassismus wird auch differentialistischer Rassismus bezeichnet, dessen „Prototyp […] der Antisemitismus [ist]“ (Balibar 1992: 32).
Eine vermeintliche Berechtigung erhält diese Diskriminierung durch die Vorstellung, „die historischen Kulturen der Menschheit ließen sich in zwei große Teilmengen einordnen, nämlich in diejenigen, die universalistisch und fortschrittlich und in diejenigen, die unheilbar partikularistisch und primitiv seien“ (Balibar 1992: 33). Balibar weist darauf hin, dass „[e]in »konsequenter« differentialistischer Rassismus […] notwendigerweise ganz einheitlich konservativ sein und für die Fixierung aller Kulturen eintreten“ (Balibar 1992: 33) müsse. Zudem sei Neo-Rassismus auch konservativ, da er „unter dem Vorwand, sie [gemeint ist die europäische Kultur- und Lebensweise, Anmerkung P.K.] vor jedem Einfluß der Dritten Welt […] schützen zu wollen“ (Balibar 1992: 34), sich jeder Progressivität verschließt.
Balibar unterstellt ein Zusammenhang zwischen Gesellschaft, (gesellschaftliche oder rassistische) Theorien und Rassismus, bei dem Intellektuelle Rassismus mittels Theorien der Gesellschaft rationalisieren (vgl. Balibar 1992: 25). Seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden Gesellschaften „um den Signifikanten der »Rasse« herum [ge]bildet“ (Balibar 1992: 25).
Rassistischen Ideologen konzipierten einen Rahmen für Individuen, „das zu interpretieren, […] was sie innerhalb der gesellschaftlichen Welt sind“, wobei es sich „um ein ganz elementares Wissen handelt, das nichts weiter tut, als deren spontane Gefühle zu rechtfertigen bzw. diese Massen zur Wahrheit ihrer Instinkte zurückzuführen“ (Balibar 1992: 26). Das Erleben der „kulturelle[n] Differenz“ stelle die „»natürliche Umwelt« des Menschen“ (Balibar 1992: 30) dar. Wenn diese in ihrem Bestand – der Differenz – als bedroht empfunden wird, resultieren Konflikte aus den Abwehrreaktionen (vgl. ebd.). Gesellschaftliche Konflikte – etwa rassistische Gewalt – sei laut Balibar eine logische Konsequenz aus dem Fakt, dass „we [die Menschen, Anm. P.K.] are different“ (Balibar 1994: 200). Dies ist die „universal essence“ (ebd.) unserer Existenz nicht als Individuen, sondern – aufgrund von Ähnlichkeiten – als Kollektive.
Trotz dieser vermeintlichen ‚Unheilbarkeit von schlechter Kultur‘ wird aber zugleich seitens der herrschenden Bevölkerung ein superiores Selbstbild [Fußnote: Im Falle Frankreichs als das Land der Menschenrechte (vgl. Balibar 1992: 32).] konstruiert, während der beherrschten Bevölkerung eine Anpassung an dieses nahegelegt wird. Logische Konsequenz hieraus ist „Individuen oder Gruppen nach ihrer mehr oder minder großen Eignung bzw. nach ihrem mehr oder minder großen Widerstand gegen diese Assimilierung zu unterscheiden und zu bewerten“ (Balibar 1992: 32f). Anderseits findet eine „vorbeugende Behandlung gegen die »Krankheit der Vermischung« […] statt,“ um „die institutionell etablierte Kultur[,] die [zugleich] Kultur des Staates, der herrschenden Klassen und, zumindest offiziell, auch die der »nationalen« Massen ist“ (Balibar 1992: 33). Wo es eine solche offizielle und institutionell etabliertev Kultur gibt, werden „Lebens- und Denkweise durch die Institution für legitim erklärt“ (Balibar 1992: 33), also in Hegemonieapparaten im Sinne Gramscis reproduziert. In solchen werden unterschiedliche kulturelle Hintergründe als Hürde wahrgenommen, die Kultur der Herrschenden anzunehmen, oder sie werden diskursiv als solche dargestellt (vgl. Balibar 1992: 34).
[Fußnote: Universalismus als solcher sorgt für eine Rationalisierung institutionellen Rassismuses, da die an den Nationalstaat gebundene Institutionen stets von einer Ethnie oder Nation – die auch äußerlich erkennbar ist – geführt werden (vgl. Balibar 1994: 195).]
Der Neo-Rassismus will nun „nicht die rassische Zugehörigkeit, sondern das rassistische Verhalten zu einem natürlichen Faktor“ (Balibar 1992: 30) erklären. Der Neo-Rassismus ist somit „ein Meta-Rassismus, […] d.h. ein Rassismus der vorgibt, aus dem Konflikt zwischen Rassismus und Antirassismus seine Lehren gezogen zu haben“ (Balibar 1992: 30). Er will rassistisches Verhalten erklären und um Gewalt unter den Kulturen zu vermeiden emphielt er die Trennung der Kulturen als Wahrung eines Toleranzbereiches (vgl. Balibar 1992: 30). Entsprechend passend konstatiert Balibar, dass „neorassistische Theoretiker […] keine Mystiker des Erbguts [sind], sondern ganz »realistische« Techniker der Sozialpsychologie“ (Balibar 1992: 31).
An anderer Stelle definiert Balibar Rassismus als einen „genuine mode of thought, that is to say, a mode of connecting not only words with objects, but more profoundly words with images, in order to create concepts“ (Balibar 1994: 200). Gegenwärtig richtet sich rassistisches Verhalten vornehmlich gegen eine Vorstellung über ‚den Islam‘, die ihn „als einer mit dem europäischen Denken (europeicite) unvereinbaren »Weltanschauung« und als eines auf universelle ideologische Herrschaft angelegten Unternehmens“ (Balibar 1992: 32) betrachtet und so kulturelle Zugehörigkeit mit Minderheitspositionen eines militanten Islamismus planmäßig vertauscht.
Balibar hält es für möglich, dass „die gegenwärtigen Varianten des Neorassismus nur eine ideologische Übergangsformation bilden“ (Balibar 1992: 35), um Diskurse vorzubereiten, in denen nicht „genealogische Mythen“, sondern „psychologische Bewertungen intellektueller Fähigkeiten und der »Disposition« zu einem »normalen« gesellschaftlichen Leben […], sowie zu einer […] »optimalen« Reproduktion“ (Balibar 1992: 35). Diese normativen Dimensionen eröffnen dann Möglichkeiten von weitreichende Eingriffen in die Privatsphäre und individuelle Freiheiten bis hin zur Beseitigung ‚lebensunwerten Lebens‘ und anderer Biopolitik (vgl. ebd.). Wie kann man sich einen solchen Post-Rassismus vorstellen? Balibar ist der Auffassung, dass die Grenzen zwischen den Nationalstaaten weniger von Belang sind, jedoch – so wird es von Balibar skizziert – werden „[d]ie technologischen Strukturveränderungen […] dazu führen, daß ungleiche Schulausbildungen und intellektuelle Hierarchien eine immer wichtigere Rolle im Klassenkampf spielen, in der Perspektive einer verallgemeinerten techno-politischen Selektion der Individuen (Balibar 1992: 36).
Ein Gastbeitrag von Patrick Kahle
Literatur:
Balibar, Etienne (1992): Gibt es einen »Neo-Rassismus«? In: Balibar, Etienne und Immanuel Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Berlin/Hamburg: Argument-Verlag.
Balibar, Etienne (1994): Racism as univeralism. In: ders.: Masses, Classes, Ideas. New York / London: Routledge.
Eine Antwort
macht es doch nicht so kompliziert. Die Menschheit unterscheidet sich in Arschlöcher, in gute Typen und in solche, die irgendwo dazwischen anzusiedeln sind, also die Mehrheit. Ob die nun gelb oder grün, schwarz oder rosa, blau oder weiss sind ist völlig egal. Dass viele Linke gerne mit Etiketten arbeiten, vor allem dann wenn sie sich Rassisten herbeischreiben wo keine sind, ändert daran nichts.