Ende 2024 wurde der Palästinenser Ramsis „Ramsy“ Kilani nach einer beispiellosen Diffamierungskampagne der Springer-Presse wegen seines palästinasolidarischen Engagements aus der Partei Die Linke ausgeschlossen. Ramsy ging in Berufung. Zu diesem legten die Antragsteller des Ausschlussverfahrens, Katina Schubert und Martin Schirdewan, neue „Beweise“ für sein angeblich parteischädigendes Verfahren vor. Ein unübliches Verfahren: Denn eine Berufung ist im juristischen Kontext ein Rechtsmittel, mit dessen Hilfe ein Angeschuldigter in erster Instanz die Entscheidung überprüfen lassen kann. Es ist nicht der Ort für neue Anschuldigen. Etos.media sprach mit Ramsy über das Berufungsverfahren und warum der Platz einer linken Partei an der Seite der Palästina-Solidarität sein muss.
etos.media: Ramsy, du wurdest Ende des letzten Jahres wegen deines palästinasolidarischen Engagements aus der Partei Die Linke ausgeschlossen. Zwei hochrangige Funktionäre der Partei, Katina Schubert und Martin Schirdewan, stellten den Ausschlussantrag gegen dich. Die Berliner Landesschiedskommission ist dem gefolgt und urteilte, ein Ausschluss sei gerechtfertigt. Du hast von deinem Recht einer Berufungsverhandlung Gebrauch gemacht. Was war der Grund dafür?
Ramsy Kilani: Die Ausschlussbegründung zog teils gefälschte und teils entstellte Zitate meinerseits im Rahmen einer rechten Medienkampagne heran. Der Kontext war meine Widerlegung von Kriegslügen zur Rechtfertigung des Genozids in Gaza. Die Unterstellungen der Billigung von Kriegsverbrechen konnte ich widerlegen. Über meinen Einsatz gegen den Genozid hinaus haben Schubert und Schirdewan mir im Kern die Positionen meiner Gruppe „Sozialismus von unten“ zum Vorwurf gemacht, da wir für eine demokratische Einstaatenlösung eintreten und nicht hinter das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Widerstand gegen Besatzung zurückfallen. Mein Ausschluss ist sachlich wie politisch nicht zu rechtfertigen. Für mich ist entscheidend, dass solche konsequent palästinasolidarischen Positionen einen Raum in der Partei Die Linke sowie in der öffentlichen Debatte haben. Aus diesen Gründen gehe ich gegen den politisch motivierten Ausschluss vor.
etos.media: Mitglieder des Parteivorstandes argumentieren, dass man dir nicht die Palästinasolidarität vorwirft, sondern ein die Partei schädigendes Verhalten. Was sagst du dazu?
Ramsy Kilani: Das, was Teile des rechten Parteiflügels als „parteischädigendes Verhalten“ behaupten, ist eine vermeintliche Rufschädigung im Konflikt mit der deutschen Staatsräson, die sie in solchen rechten Medienkampagnen sehen. Die deutsche Staatsräson legt auch während des Genozids in Gaza die Unterstützung Israels als unhinterfragbar fest. Tatsächlich lehnen aber über 80 Prozent der Deutschen ab, dass die deutsche Bundesregierung Israel militärisch unterstützt. 79 Prozent der Wählerbasis der Partei Die Linke erkennen an, dass Israel in Gaza einen Genozid begeht. Das Spektrum, das aufgrund meines Einsatzes gegen Genozid und für Palästinasolidarität Sorge vor Parteischädigung hat, kann sich also nicht auf die Mehrheitsbevölkerung oder die eigene Parteibasis beziehen. Den an der Hetzkampagne gegen mich Beteiligten ist bewusst, dass die Solidarität mit Palästina gegen die Machtoption einer Regierungsbeteiligung auf der Grundlage der Staatsräson steht. Selbst die Frage eines Genozids wird den Regierungserwägungen untergeordnet. Daher ist es auch alles andere als ein Zufall, dass gleichzeitig die der Bundesregierung genehmen, aber von der Parteilinie abweichenden Positionen für Waffenlieferungen an die Ukraine von Bodo Ramelow und Katina Schubert oder auch die Befürwortung einer israelischen Annektion der syrischen Golanhöhen, wie sie Andreas Büttner vertritt, geduldet werden.
etos.media: Wie verlief die Verhandlung?
Ramsy Kilani: Im Vorfeld der Verhandlung erfuhr ich überwältigend viel Rückhalt und Solidarität aus der Linkspartei, sowohl von der Parteibasis als auch von Teilen des Parteivorstands und der Bundestagsabgeordneten. Mir ist klar, dass ich diese Verfahren nicht nur für mich durchmache, sondern für alle anderen in der Linken, die ähnliche Positionen vertreten. Die erneute Verhandlungssituation war für mich äußerst belastend. Der öffentliche Diskurs ist für die, die Familie in Gaza haben, schon eine Belastung, weil es keinerlei Empathie gibt. Von der Regierung und den bürgerlichen Medien erwartet man das auch nicht anders. Sich aber im Kontext der Linken in so einer Situation zu befinden, fühlt sich für mich besonders schmerzhaft an. Die Verhandlung endete schließlich ohne Ergebnis mit einer Verschiebung auf den 22. November. Das lag daran, dass der eigentliche Verhandlungsgegenstand des Berufungsverfahrens aus dem Fokus gerückt wurde.
etos.media: In einem ersten Statement nach der Verhandlung erwähntest du, dass die Antragsteller „neue Beweise“ vorlegten und ihren Vorwurf bekräftigten. Was genau ist damit gemeint?
Ramsy Kilani: Am Vortag des Berufungsverfahrens, in dem es eigentlich um meine Anfechtung des sachlich wie politisch ungerechtfertigten Parteiausschlusses durch die Berliner Landesschiedskommission gehen sollte, ließen Katina Schubert und Martin Schirdewan ein neues schriftliches Dokument an die Bundesschiedskommission senden. Obwohl die Kommission anerkannte, dass das viel zu kurzfristig sei, um die Inhalte spontan im mündlichen Berufungsverfahren zu behandeln, wurden mir mehrere Fragen dazu gestellt. Dahingegen hat meine Entgegnung auf die von mir beanstandete Ausschlussbegründung der Berliner Landesschiedskommission eine untergeordnete Rolle gespielt. Schlussendlich wurde mit diesem neuen Dokument von der Bundesschiedskommission begründet, dass die Entscheidungsfindung auf Ende November verschoben werden müsse.
etos.media: Worum geht es in dem neuen Dokument?
Ramsy Kilani: Eine der neuen Unterstellungen in dem nachträglich eingereichten Dokument ist, dass ich nach meinem Parteiausschluss bestätigt hätte, dass die Entscheidung zu meinem vorigen Parteiausschluss durch die Landesschiedskommission Berlin zuvor „zutreffend“ gewesen sei. Diese Behauptung ist weder chronologisch noch sachlich für eine Entscheidung der Bundesschiedskommission zulässig, weil sie nachfolgende Reaktionen auf den Parteiausschluss zu dessen Ursache verdreht. Nach Entzug meiner Parteimitgliedschaft handelte es sich nicht länger um parteiinterne Debatten, über die Katina Schubert und Martin Schirdewan behaupten, sie zeugten nicht von einem gemeinsamen „Boden innerparteilicher Solidarität“. Mir wird unter anderem vorgeworfen, dass ich einen kritischen Beitrag über das zu lange „Schweigen“ der Linkspartei zum Genozid in Gaza geteilt habe, obwohl sich die Parteivorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, genau für dieses Schweigen bereits öffentlich entschuldigt hat. Im Übrigen habe ich vor meinem Ausschluss von beiden nie „innerparteiliche Solidarität“ erfahren, als ich von der bürgerlichen Presse angegriffen wurde, im Gegenteil: Katina Schubert selbst hat mich zu meiner Zeit als Parteimitglied über die Presse angegriffen und nie mit mir persönlich gesprochen …
etos.media: Ich vermute, das ist noch nicht alles …
Ramsy Kilani: Zweitens behaupten Katina Schubert und Martin Schirdewan in dem Dokument, meine Ablehnung des Zionismus und Verteidigung von Symbolen für das Recht auf Widerstand gegen Besatzung in Gaza seien damit gleichzusetzen, dass sich „jüdische Menschen in Berlin“ per se unsicher fühlen müssten. Ich kämpfe dafür, dass sich niemand wegen seiner Religion oder Herkunft unsicher fühlen muss. Verallgemeinernde Gleichsetzungen jüdischer Menschen mit dem Zionismus und Besatzungstruppen in Gaza lehne ich als antisemitisch ab. Jüdische Menschen sind politisch heterogen wie jede andere Menschengruppe auch. Ich arbeite in Berlin mit zahlreichen jüdischen Gruppen und Einzelpersonen zusammen, die meine Positionen in diesen Fragen teilen.
Drittens werfen Katina Schubert und Martin Schirdewan mir ein fehlendes „Bekenntnis zur Gewaltfreiheit“ vor. Das ist zumindest von Katina Schubert völlig unglaubwürdig, da sie Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet. Selbstverständlich strebe ich als Sozialist in jeglicher Hinsicht gewaltlose Verhältnisse an. Zugleich habe ich als Linker die Verantwortung, strukturelle Gewalt und Unterdrückungsverhältnisse zu benennen, die etwa den Ereignissen vom 7. Oktober und dem Genozid in Gaza zugrunde liegen. Dabei falle ich nicht hinter das auch von der Linkspartei eingeforderte Völkerrecht zurück, das in einem Kontext von gewaltsamer Besatzung und Unterdrückung den Palästinenser:innen wie den Kurd:innen und anderen Unterdrückten das Recht auf Widerstand zuspricht.
etos.media: Im juristischen Kontext spricht man bei einer Berufung von einem Rechtsmittel in erster Instanz, mit dessen Hilfe ein Angeschuldigter die Entscheidung überprüfen lassen kann. Es ist unüblich, dass neue Anschuldigungen erhoben und dafür neue Beweismittel vorgelegt werden. Was sagst du dazu?
Ramsy Kilani: Damit bestätigt sich mein Eindruck aus dem bisherigen Verfahren, dass Katina Schubert und Martin Schirdewan als Protagonisten des Reformerflügels keine Mittel scheuen, um palästinasolidarische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Über dieses Manöver haben sie eine Entscheidung verzögert und weitere Nebelkerzen geworfen, die vom eigentlichen Streitthema ablenken.
etos.media: Eine Bundesschiedskommission, die neue Anschuldigungen zulassen würde, würde eine unzulässige Vermischung neuer und alter Fakten zulassen und damit das Recht auf Berufung einschränken bzw. aushöhlen. Wie hat sich die Bundesschiedskommission verhalten?
Ramsy Kilani: Die Bundesschiedskommission erkannte zwar an, dass ich auf so eine kurzfristige schriftliche Intervention in das Berufungsverfahren mit einem Dokument, das mir bis dahin nicht einmal vorlag, gar nicht eingehen könne. Trotzdem lenkten Martin Schirdewan und Katina Schubert wiederholt den Fokus darauf, woraufhin Nachfragen und Entkräftigungen meinerseits folgten. Diese Einschränkung meines Rechts auf Berufung hat eine faire und sachgerechte Behandlung negativ beeinflusst.
etos.media: Wir erleben derzeit, dass sich die Palästinabewegung globalisiert. Im globalen Süden gehen die Menschen auf die Straße, weil auch sie jahrzehntelange Unterdrückungserfahrungen gemacht haben. Im Norden, weil dieselben Regierungen, die Palästina die Anerkennung verweigern, Sozialabbau durchsetzen. Immer mehr Menschen wehren sich dagegen und man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass die „Palästinafrage“ neue gesellschaftliche Brüche produziert. Muss eine linke Partei nicht an der Seite dieser antikolonialistischen Bewegungen stehen?
Ramsy Kilani: Eine linke Partei muss unbedingt fest und entschlossen an der Seite der Palästina-Bewegung stehen. Es ist richtig, dass für Unterdrückte und Ausgebeutete auf der ganzen Welt das Beobachten dieses Genozids im Livestream eine enorme Identifikation und Solidarität ausgelöst hat. Am offensichtlichsten verband sich dieses Element in Italien, wo mit Meloni eine Staatschefin in der Tradition des faschistischen Diktators Mussolini in der Regierung sitzt. Eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung stellte sich mit wiederholten landesweiten Streiks an die Seite Palästinas. Unter diesem Druck standen Herrschende weltweit, als Trumps 20-Phasen-Plan eine unsichere Waffenruhe veranlasste. Gaza erlebt einen kurzen Moment des Aufatmens und das freut mich für meine Familie und alle anderen.
etos.media: Doch vorbei ist es damit noch nicht, oder?
Ramsy Kilani: So ist es. Aus meiner Sicht besteht die ernste Gefahr, dass sich Menschen in Deutschland und anderswo der Illusion hingeben, dass es damit vorbei sei, und sie sich wieder in die Passivität zurückziehen. Doch die Vergangenheit hat erwiesen, dass weder Trump noch Netanjahu bei der Einhaltung eines Waffenstillstands zu trauen ist. Zudem löst eine Waffenruhe alleine das Grundproblem, die Wurzel der Gewalt, nicht auf. Denn darüber hinaus braucht es ein Ende der Besatzung, Apartheid und Siedlungspolitik sowie die Verwirklichung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts.
etos.media: Die Proteste müssen also weitergehen?
Ramsy Kilani: Richtig. Wir sollten Bundeskanzler Merz‘ Hoffnung und falscher Behauptung, dass es jetzt „keinen Grund mehr“ gebe, für die palästinensische Bevölkerung zu protestieren, auf keinen Fall nachgeben. Gerade jetzt kommt es darauf an, dass die Menschen, die im Gazastreifen weiter unter der Vernichtung der lebensnotwendigen Infrastruktur und der Blockade leiden und sterben, unsere Solidarität bekommen. Weder hat die Bundesregierung jegliche militärische Kooperation mit Israel beendet, noch hat sie den Menschen in Gaza, die mit der Beteiligung deutscher Waffen bombardiert wurden, mit medizinischer Behandlung geholfen. Der Winter naht und Israel hat nahezu alle Wohnhäuser im Gazastreifen vernichtet. Auch die Verteilung der benötigten Mengen von Hilfsgütern bleibt weiter aus. Der Genozid am palästinensischen Volk geht weiter und wir müssen weiter gegen ihn vorgehen. Die Demonstration von mehr als Hunderttausend Menschen am 27. September in Berlin, an deren Mobilisierung auch Die Linke in Zusammenarbeit mit uns einen wichtigen Anteil hatte, gibt mir die Zuversicht, dass wir auch dafür Unterstützung in der Bevölkerung finden.
Lieber Ramsy, die Redaktion von etos.media dankt dir für das Gespräch und für dein unermüdliches Engagement gegen den Genozid. Wir wünschen dir für die Fortsetzung der Verhandlung viel Erfolg.
Das Gespräch führte etos.media-Redakteurin Ulrike Eifler



