Die Linke darf sich nicht von der Palästina-Solidarität abtrennen lassen – Ulrike Eifler im Gespräch mit Ramsis Kilani

Ramsis Kilani ist aktiv in der Palästina-Solidarität und Mitglied der Partei Die Linke. Seine Familie kommt aus Nord-Gaza. Dort findet seit 14 Monaten die brutalste Vernichtung palästinensischer Zivilisten statt. Ramsis ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Durch die israelische Blockade Gazas war er jedoch 1994 das letzte Mal im Gazastreifen, um seine Familie zu besuchen. Inzwischen hat die israelische Armee (IDF) viele seiner Familienmitglieder getötet. 2014 starben sein Vater und seine Halbgeschwister bei einem Angriff der IDF. Die ehemalige Bundesgeschäftsführerin, Katina Schubert, und der ehemalige Parteivorsitzende Martin Schirdewan stellten am 21. Oktober einen Antrag zum Ausschluss aus der Partei Die Linke gegen ihn. Für etos.media sprach unsere Redakteurin Ulrike Eifler mit Ramsy über den Ausschlussantrag und wie er ihn einordnet.

etos.media: Ramsy, du bist seit vielen Jahren Mitglied der Partei Die Linke. Jetzt haben Katina Schubert und Martin Schirdewan einen Antrag auf Parteiausschluss gegen dich gestellt. Was wird dir vorgeworfen?

Ramsis Kiliani: Im Kern wird mir vorgeworfen, dass ich gegen die Grundsätze der Partei verstoßen haben soll. Sie argumentieren, dass ich das Existenzrecht Israels und die Zwei-Staaten-Lösung in Frage stellen würde, ohne zu belegen, woher sie diese Unterstellungen hernehmen. Stattdessen führen sie entweder Zitate von mir an, die sie aus dem Zusammenhang reißen. Oder sie legen mir Dinge in den Mund, die ich gar nicht gesagt habe. Meine Positionen werden künstlich in die Nähe von ‚Antisemitismus‘ gerückt.

etos.media: Was sagst du zu diesen Vorwürfen?

Ramsis Kiliani: Ich weise diese Vorwürfe als Unterstellungen zurück. Und ich hätte mir gewünscht, die beiden hätten das persönliche Gespräch mit mir gesucht. So erwarte ich es eigentlich in einer Partei, in der man auf Augenhöhe miteinander umzugehen behauptet.

etos.media: Verstehe ich es richtig, die beiden haben nie mit dir gesprochen? Katina Schubert war immerhin Bundesgeschäftsführerin und Martin Schirdewan Parteivorsitzender – beide waren hohe Funktionäre der Linken. Ein solcher Vorgang wäre fahrlässig und unsolidarisch, es fällt mir schwer, das zu glauben…

Ramsis Kiliani: Es ist leider so. Es gab keinerlei Gespräche. Den ersten Kontakt zu Katina und Martin hatte ich, als ich die Mailinfo über die Einleitung des Ausschlussverfahrens gegen mich erhielt.

etos.media: Das ist eigentlich ein ziemlich empörender Vorgang, ebenso wie die Tatsache, dass das Ausschlussverfahren kein interner Vorgang mehr ist, weil sie ihn ja offenbar auch noch an die Presse durchgestochen haben. Der Tagesspiegel berichtete bereits. Wie wirkt ein derart unsolidarischer, und ich möchte hinzufügen: auch autoritärer, Umgang auf dich?

Ramsis Kiliani: Enttäuschend. Aus meiner Sicht ist das ein kalter, bürokratischer Umgang mit mir und meinen politischen Positionen. Der Vorwurf, ich sei antisemitisch, ist ein haltloser Vorwurf, der mich trifft. Gleichzeitig erfahre ich viel Rückhalt und Solidarität. Aber für mich ist klar, dass es bei diesem Angriff nicht allein um mich geht. Der Ausschlussversuch gegen mich findet vor dem Hintergrund steigender Repressionen gegen die Palästina-Solidarität statt.

etos.media: Worauf willst du hinaus?

Ramsis Kiliani: Die Unterstützung des israelischen Völkermordes in Gaza durch die Bundesregierung mit Waffenlieferungen steht im Widerspruch zu den Meinungsumfragen, in denen die deutsche Mehrheitsgesellschaft Waffenlieferungen nach Israel ablehnt. Die Verbindungen innerhalb der Partei Die Linke zur Palästina-Bewegung sollen isoliert werden, um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verschieben. Als tief in der Bewegung für die Menschenrechte der Palästinenser und Palästinenserinnen verankerter Aktivist und Parteimitglied bin ich eines der Ziele einer Medien-Kampagne gegen alle antiimperialistischen Kräfte in der Linkspartei.

etos.media: Und der Druck steigt natürlich gerade jetzt, wo uns Neuwahlen ins Haus stehen und die Auseinandersetzung um den Kriegskurs der Bundesregierung immer wichtiger wird…

Ramsis Kiliani: Ganz genau. Deshalb sage ich: Diese Kampagne gegen mich muss im Kontext der steigenden Kriegsgefahr weltweit, der deutschen Militarisierung und des Fokus’ der Linkspartei auf Koalitionsfähigkeit mit SPD und Grünen gesehen werden, bei der sowohl von außerhalb, als auch innerhalb der Partei Druck ausgeübt wird, um Positionen der internationalen Solidarität gegen Krieg und Wettrüsten abzuräumen. Deshalb ist dieser Angriff ein Angriff auf alle, die sich international für einen gerechten Frieden einsetzen.

etos.media: Stein des Anstoßes ist ja unter anderem der Landesparteitag in Berlin Mitte Oktober. Im Anschluss gab es eine Medienkampagne gegen dich und weitere Genossen. Was ist da passiert?

Ramsis Kiliani: Das weiß ich ehrlich gesagt genauso wenig wie du, denn ich war gar nicht da. Parteimitglieder um Klaus Lederer hatten einen Antrag mit dem Titel eingebracht, in dem sich die Delegierten gegen „jeden eliminatorischen Antisemitismus“ aussprechen und sich einseitig auf die Seite Israels stellen sollten. Daraufhin gab es Änderungsanträge, von denen auch ich aber erst im Nachhinein erfahren hatte. Nachdem der Antrag zuungunsten von Schubert, Breitenbach und Lederer ausging, verließen einige der Antragsteller den Parteitag. Elke Breitenbach zeigte den Genossinnen und Genossen dabei den ausgestreckten Mittelfinger. Alles was ich getan habe, war, mich im Nachhinein auf meinem X-Profil dazu zu äußern. Im Spiegel-Interview über den Parteitag räumte Katina Schubert ein, dass sie mich gar nicht kennt. Trotzdem brachte sie meinen Namen mit dem Berliner Landesparteitag ins Gespräch.

etos.media: Das ist ehrlich gesagt ziemlich unlauter und eigentlich auch ein Zeichen doppelter Standards in der Linken, wenn man gegen dich einen Ausschlussantrag anstrengt. Ich habe beispielsweise über die sozialen Medien wahrgenommen, dass es Parteimitglieder gab, die die menschenverachtende Explosion der Pager an den Körpern libanesischer Zivilisten in den sozialen Medien feierten. Ich bin mir nicht sicher, wie bekannt das in der Partei ist, weiß aber, dass auch führende Funktionäre der Bundespartei davon Kenntnis haben. Einen Ausschlussantrag hatte diese Reaktion jedoch bislang nicht zur Folge…

Ramsis Kiliani: Ja, das sind eindeutig Doppelstandards. Als Linke sollte unsere Position an der Seite der Unterdrückten, der Opfer von Krieg und Imperialismus sein, und unsere Solidarität dem Widerstand gegen Krieg, Besatzung und Imperialismus gelten. Die über 16 Jahre andauernde Blockade hat den Gaza-Streifen zum größten Freiluftgefängnis gemacht und den Menschen die Luft zum Atmen genommen. Selbst die UN sagen, dass Gaza unbewohnbar ist. Die Menschen dort traten für die banalsten Menschenrechte ein und wurden dafür massakriert und beschossen. Diese Vorgeschichte können wir nicht einfach ausblenden, ebensowenig wie wir ausblenden dürfen, dass die Palästinenser entmenschlicht werden – das gilt ganz besonders für den Umgang mit uns in Deutschland.

etos.media: Das ist eine gute Überleitung zu meiner nächsten Frage: Der Ausschlussantrag gegen dich ist vor allem deshalb so empörend, weil man das Gefühl hat, dass in der öffentlichen Berichterstattung Palästinenser gar nicht mehr vorkommen. Es wird über euch geredet, nicht mit euch. Eure Trauer und die Wut über die Bombardierungen, das Aushungern, den Völkermord haben in der deutschen Debatte keinen Platz, sie sollen nicht präsent sein und schon gar nicht legitim werden. Deshalb erleben wir aus meiner Sicht einen repressiven Umgang mit Palästinensern: Demonstrationen werden verboten, der Palästina-Kongress aufgelöst, Hochschullehrer durch das Bundesbildungsministerium mit politischen Listen diszipliniert. Das ist aus meiner Sicht alles kein Zufall: Die Palästina-Solidarität setzt sich momentan am kritischsten mit der deutschen Außenpolitik auseinander und wird deshalb auch am schärfsten bekämpft. In einer solchen Zeit ist ein Ausschlussantrag der Entzug von Empathie und Solidarität innerhalb der Linken, der eigentlich parteiintern zu einem Aufschrei führen müsste…

Ramsis Kiliani: Du hast völlig Recht. Ich kann dir versichern, es war eine unaushaltbare Situation, allein zuhause zu sitzen, verbunden nur mit dem Internet, in dem wir die Horrormeldungen verfolgten. Unsere Demonstrationen, auf denen wir zusammenkommen und uns gegenseitig trösten und bestärken wollten, wurden verboten. Dass wir jetzt auf die Straße gehen können, haben wir uns von unten erkämpft, weil wir nicht locker gelassen haben und weil es trotz allem auch Solidarität gab. Hätten wir es nicht getan, würden wir noch immer allein vor unseren Computern sitzen. Dass Deutschland bedingungslos an der Seite Israels steht und damit die Repression nach innen begründet, macht deutlich, wie sehr diese Angriffe im Zusammenhang mit dem Streben nach einer stärkeren Führungsrolle auf der internationalen Ebene stehen. Was man verstehen muss ist, dass Militarisierung nach außen auch immer mit einer Militarisierung nach innen einhergeht. Die Heimatfront muss geschlossen werden. Dass die Repressionen zunehmen – im übrigen ja nicht nur gegen die Palästina-Solidarität – ist darauf zurückzuführen, dass Deutschland nach einer neuen globalen Führungsrolle strebt.

etos.media: Kannst du das etwas näher erläutern?

Ramsis Kiliani: Wir leben in einer Welt, in der die interimperialistischen Spannungen zunehmen, weil die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den Staaten in eine geopolitische Konkurrenz umschlägt. In einer solchen Situation versucht auch das auf Export angewiesene Deutschland seine Rolle neu zu definieren. Olaf Scholz sendet das Signal aus, dass „auf uns“ Verlass sei. Gleichzeitig spiegeln die Meinungsumfragen aber wieder, dass die Mehrheit der Bevölkerung durch die weltweiten Kriege verunsichert ist und die neue Rolle Deutschlands ablehnt. Der Versuch, den Keil in die Palästina-Solidarität zu treiben und Die Linke von ihr abzutrennen, soll die gesellschaftlichen Mehrheiten zugunsten des Regierungskurses verschieben – ein Kurs, der den Haftbefehl gegen Netanyahu und Gallant nicht anerkennt, sondern im Gegenteil, Israel weiterhin mit Waffen unterstützt.

etos.media: Das heißt, es bräuchte jetzt ein kräftiges Signal aus der Linken, dass sie sich nicht spalten lässt, sondern sich selbstbewusst an die Seite derjenigen stellt, die gegen Völkermord, Aufrüstung und Krieg kämpfen?

Ramsis Kiliani: Ja, dieses Signal bräuchte es. Wir erleben aktuell eine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Militarisierung der gesamten Gesellschaft. Und weil Die Linke ihrer Verantwortung nicht gerecht wird, diese Militarisierung anzuprangern, kann sich die AfD als Friedenspartei inszenieren. Eine aus meiner Sicht schreckliche Entwicklung, die zeigt, dass es gerade jetzt eine politische linke Kraft bräuchte, die polarisieren und in die Zeitenwende-Widersprüche intervenieren will.

etos.media: Das klingt, als ob es dir nicht egal ist, dass man versucht, dich aus der Partei herauszudrängen…

Ramsis Kiliani: Ich bin Marxist und Internationalist. Und ich weiß, wie wichtig es ist, gerade in diesen Zeiten organisiert zu sein, weil wir die Kämpfe gemeinsam führen müssen. Ich wünsche mir, dass Die Linke eine große, sichtbare Kraft gegen Imperialismus, Krieg und für die unteren Klassen wird. Ich werde aber auch für mein Recht kämpfen, zu sagen, was ist. Wenn das dem einen oder anderen in der Linken nicht gefällt, dann kann ich das nicht ändern. Es wird von mir kein Schuldbekenntnis geben. Ich werde auch weiterhin gegen den Genozid an den Palästinensern und für gleiche Rechte für alle Menschen sowie für ein Ende der Unterdrückung, Besatzung und Vertreibung im Nahen Osten eintreten.

etos.media: Ramsy, ich danke dir für das offene Gespräch und hoffe sehr, dass Katina und Martin sich mit ihrem Ausschlussverfahren nicht durchsetzen werden. Auch, weil genau das ein wichtiges Signal in die Friedensbewegung und in die Palästina-Solidarität wäre. Dir alles Gute!

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Eine Antwort

  1. ich bin selbst seit mehr als 10 Jahren Mitglied von Landesschieds-Kommissionen. dieser Vorgang wird keinen Bestand haben. die Bundesschieds-kommission oder spätestens ein ordentliches Gericht wird diese Entscheidung aufheben.

    aus gutem Grund gibt es bisher in der Partei im Gegensatz zu anderen Parteien keine abgestuften Sanktionen, sondern allein den Ausschluss.

    dieser bedingt nur 2 Handlungen:
    A
    Kandidatur auf einer konkurrierenden Liste bei einer Parlamentswahl
    B
    vorsätzlich parteischädigendes Verhalten

    Auch ohne die Aussagen im Einzelnen zu bewerten,

    ein parteischädigendes Verhalten liegt nicht vor.

    ein Vorsatz ist an sich ohnehin kaum zu konstatieren.

    hier erkenne ich lediglich eine Meinungsäußerung, diese ist streitbar, aber nicht parteischädigend.

    Ein Mitglied einer Partei ist sicherlich nicht dazu verpflichtet, das gesamte Programm zu 100% zu kennen und in jedem einzelnen Punkt zu teilen.

    eine vom Programm abweichende Meinung ist nicht per se parteischädigendes Verhalten.

    So teilt eine Recht große Minderheit der Parteimitglieder der LINKEN nicht die Position für das „BGE“.

    Sollte das etwa bereits den Tatbestand eines parteischädigendes Verhalten darstellen?

    Die real existierende persönliche Interpretation des Parteiprogramms einzelner Funktionäre muss weder verpflichtend von der gesamten Parteibasis geteilt noch gar öffentlich ach außen vertreten werden.

    das Verhalten der Kläger / Antragsteller auf Parteiausschluss ist Demokratie unwürdig. es trägt Züge autoritärer Machtausübung.

    mir stellt sich die Frage, ob die Berliner Schiedskommission hier regelbasiert gehandelt hat
    ODER
    als loyale Vollstrecker ihrer innerparteilichen Machtclique.

    Zusätzlich ist es sehr destruktiv, die Partei im Laufe eines zur Zeit stattfindenden existenzbedrohenden Wahlkampfes ein solches Verfahren anzustoßen.

    Der leider wenig erfolgreiche ehemalige Parteivorsitzende erweist seiner Partei damit einen letzten Bärendienst.

    Frau Schubert missbraucht die Opfer des Nazi Terrors um die Opfer eines anderen Unrechts zu relativieren.

    Dieses hier erkennbare inflationäre beliebige und unhistotische Gleichsetzen von Nazi Verbrechen mit dem Handeln der Hamas stellt eine Relativierung des historischen Verbrechens desvdeutschen Hitler Faschismus da.

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