„Das israelische System ist nicht willens und nicht in der Lage, sich selbst zu untersuchen“

In einem offenen Interview legt Sarit Michaeli, die Leiterin International Advocacy der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, die systematische Straffreiheit offen, die israelischen Soldaten und politischen Entscheidungsträgern für Verbrechen gegen Palästinenser gewährt wird. Sie beschreibt das israelische Rechtssystem als eine Fassade der Rechenschaftspflicht und entlarvt eine beunruhigende Entwicklung hin zur offenen Billigung von Gewalt ohne Konsequenzen. Lest, wie B’Tselem sich diesen Herausforderungen stellt und sich inmitten der eskalierenden Spannungen für internationale Rechenschaftspflicht einsetzt.

etos.media: Israels Ruf als westlich-liberale Demokratie basiert zu einem großen Teil auf seinen demokratischen Kontrollmechanismen. Bitte erläutern Sie, inwieweit das israelische Rechtssystem in der Lage oder willens ist, israelische Verbrechen gegen Palästinenser zu verfolgen.

Sarit Michaeli: Lassen Sie mich etwas zurückgehen. Wir würden argumentieren, dass die israelischen Behörden über viele Jahre hinweg den Anschein von Rechenschaftspflicht (accountability) erweckt haben, indem sie enorme Ressourcen und Arbeit investiert haben, hauptsächlich um die Fassade eines funktionierenden Rechtssystems aufzubauen. Ein Beispiel dafür sind die verschiedenen Ermittlungen gegen Soldaten, die von der Militärpolizei durchgeführt wurden, aber nie zu einer tatsächlichen Anklage führten. Vor 2016 war B’Tselem oft an der Einleitung und Durchführung solcher Ermittlungen beteiligt. Aber dann haben wir uns entschieden, nicht mehr mit den Behörden zusammenzuarbeiten, weil wir zu dem Schluss gekommen sind, dass sie eher als Whitewashing-Mechanismus dienten und nicht als legitimes Mittel, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Täter auf sinnvolle Weise zur Verantwortung zu ziehen. Seit 2016 unterstützen wir keine Fälle mehr bei den Ermittlungsbehörden. Wir haben viel Arbeit investiert, um zu zeigen, wie das System als Whitewashing-Mechanismus funktioniert. Heute ist das in gewisser Weise überflüssig geworden, weil zentrale Elemente der Regierung selbst im Grunde dasselbe sagen.

Das beste Beispiel ist der Minister für nationale Sicherheit (Itamar Ben-Gvir, Anm. d. Red.), der gesagt hat, dass Grenzpolizisten und Polizisten für nichts, was sie Palästinensern antun, zur Verantwortung gezogen werden sollten. Kürzlich drang ein Mob rechtsextremer Aktivisten in den Militärstützpunkt Sde Teiman ein, um Soldaten zu „retten“, die des schweren sexuellen Missbrauchs und der Misshandlung eines palästinensischen Gefangenen verdächtigt wurden.

etos.media: Was geschah mit diesen Soldaten? Hatte der Fall weitere Konsequenzen?

Sarit Michaeli: B’Tselem hat keine systematischen Informationen mehr, um solchen Fällen nachzugehen. In der Vergangenheit gab es so etwas wie die Fassade eines funktionierenden Rechtssystems. Es war eine Gratwanderung, den Soldaten freie Hand zu lassen, um Gewalt gegen Palästinenser auszuüben – denn es ist offensichtlich, dass viel Gewalt nötig ist, um die Besatzung aufrechtzuerhalten – und gleichzeitig über Lippenbekenntnisse den Anschein von Demokratie zu wahren. Heute, nach den Ereignissen auf dem Militärstützpunkt Sde Teiman und nach einer Reihe von Äußerungen von Regierungsvertretern über das Rechtssystem, ist glasklar geworden, dass es einfach keine Möglichkeit gibt, Angehörige der Sicherheitskräfte wirklich und effektiv zur Rechenschaft zu ziehen.

etos.media: Wie würden Sie das Problem der anhaltenden Straflosigkeit für israelische Soldaten in Bezug auf ihr Vorgehen in Gaza und im Westjordanland angehen, insbesondere im Hinblick auf zivile Opfer und mutmaßliche Verstöße gegen das Völkerrecht?

Sarit Michaeli: Wenn man sich anschaut, was in Gaza geschieht, wenn Soldaten offen Videos posten, die eindeutige Verbrechen zeigen, und immer wieder nichts geschieht. Oder wenn Soldaten im Westjordanland in voller Straffreiheit Palästinenser töten und es geschieht einfach nichts. Gelegentlich wird eine militärpolizeiliche Untersuchung eingeleitet. Es ist ganz offensichtlich, dass das System weder in der Lage noch daran interessiert ist, solche Fälle zu verfolgen. Denn es gäbe einen öffentlichen Aufschrei, wenn ein Soldat tatsächlich angeklagt oder vom System ernsthaft zur Verantwortung gezogen würde – und das ist absurd.

Ich würde noch etwas weiter gehen wollen, denn ausbleibende Untersuchungen mutmaßlichen Fehlverhaltens von Soldaten beschreiben noch nicht das ganze System. Wenn man sich die Zahl der Palästinenser anschaut, die im letzten Jahr von der israelischen Armee getötet wurden, dann stellt man fest, dass die meisten nicht aufgrund von Entscheidungen einzelner Soldaten vor Ort getötet wurden. Die überwältigende Mehrheit wurde durch rechtswidrige Entscheidungen von politischen Entscheidungsträgern, Politikern, aber vor allem auch von militärischen Offizieren und militärischen Rechtsinstanzen getötet, die weitreichende Änderungen der Schießbefehle ermöglichten. Das Gleiche gilt für die Interpretation dessen, was als akzeptable Kollateralschäden durchgeht. Es gibt so etwas wie eine Formel für Kollateralschäden. Das sind politische Entscheidungen. Außerdem haben andere Dinge, wie die Politik, die Häuser von Menschen in Gaza zu bombardieren, während die Familie anwesend war, um einen einzelnen Kämpfer zu töten, dazu geführt, dass eine riesige Zahl an Zivilisten getötet wurde.

Schließlich werden politische Entscheidungen in der Regel von keinem der militärischen Untersuchungsorgane untersucht. Die Entscheidung etwa, eine vollständige Blockade über den Gazastreifen zu verhängen, die Entscheidung, keine Lebensmittel, kein Wasser und keinen Strom hineinzulassen, oder die, eine Bevölkerung hungern zu lassen – all das wird nicht untersucht. Doch all diese Maßnahmen führten zur Tötung vieler unbeteiligter palästinensischer Zivilisten, aber sie können von den derzeitigen israelischen Ermittlungsbehörden nicht untersucht werden. Wenn wir also in der Vergangenheit beides kritisiert haben, die Entscheidungen vor Ort und auch die Politik, so ist heute überdeutlich geworden, dass die Zahl der Menschen, die infolge all dieser Dinge getötet wurden, so hoch ist, so außergewöhnlich und schockierend hoch, dass es offensichtlich ist. Jeder ernsthafte, ehrliche Blick auf das System sollte unweigerlich zu dem Schluss führen, dass das israelische System nicht willens und nicht in der Lage ist, sich selbst zu untersuchen.

Ich glaube, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs zum selben Schluss gekommen ist, weshalb er Haftbefehle beantragt hat. Wir warten noch darauf, ob die Vorverfahrenskammer dem Antrag tatsächlich stattgibt. (Das Interview wurde vor der Entscheidung des IGH vom 21. November geführt, tatsächlich Haftbefehle gegen Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant zu erlassen, Anm. d. Red.)

Ich möchte vielleicht noch eine letzte Sache erwähnen, die FFA, die Faktenermittlung und -bewertung. Sie verfügt über einen Mechanismus zur Untersuchung von so genannten Ausnahmefällen in Kriegszeiten. Nicht während der Besatzungszeit, da untersucht die Militärpolizei die Dinge, sondern wenn es einen bewaffneten Konflikt gibt. Wir wissen, dass es Dutzende von Fällen gibt, die in diesem Rahmen noch untersucht werden. Aber es handelt sich nicht wirklich um eine Untersuchung. Es gibt eine Analyse sowohl von B’Tselem als auch von Yesh Din, einer anderen israelischen Organisation, die zeigt, dass dieser Mechanismus völlig ungeeignet ist, um diese mutmaßlichen Verbrechen zu untersuchen.

etos.media: Welche Arbeit leistet B’Tselem, um die internationale Accountability angesichts dieser weit verbreiteten Straflosigkeit im israelischen System zu fördern?

Sarit Michaeli: Das gesamte Material, das wir aufgedeckt haben, steht online jedem zur Verfügung, der es sehen will oder es benötigt, um israelische Politiker zur Rechenschaft zu ziehen. Wir haben auch die Legitimität des IGH-Prozesses klar bekräftigt. Zusammen mit anderen israelischen Menschenrechtsorganisationen haben wir mehrere Stellungnahmen dazu abgegeben, weil wir glauben, dass Verbrechen begangen wurden. Aus unserer Sicht handelt es sich um einen legitimen Prozess, und die internationale Gemeinschaft sollte die Unabhängigkeit des Tribunals akzeptieren und respektieren und jegliche Form der israelischen Einflussnahme stoppen und nicht mit ihr kooperieren.

Wir halten auch das IGH-Verfahren gegen die Hamas-Führung für legitim. Sie haben eindeutig Verbrechen begangen, sowohl Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschheit, und es war immer unsere Position, dass sie auch für diese Gräueltaten und Verbrechen, die sie begangen haben, zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Aber Israel hat bereits alle drei Palästinenser getötet, deren Verhaftung der IGH-Chefankläger gefordert hatte. Deshalb werden diese Fälle nicht weiter verfolgt. Aber auch sie hätten für die Schrecken, die sie verursacht haben, zur Verantwortung gezogen werden müssen.

etos.media: Bei der Podiumsdiskussion von Amnesty International in Berlin haben Sie gesagt, dass Israel nach dem 7. Oktober einen großen Teil seiner Gefängnisse oder Stützpunkte in ein Netzwerk von Folterlagern umgewandelt hat. Könnten Sie etwas zu diesem systematischen Einsatz von Folter sagen?

Sarit Michaeli: Das ist das Fazit eines kürzlich von B’Tselem veröffentlichten Berichts über die Behandlung von Palästinensern im israelischen Gefängnissystem seit dem 7. Oktober. Der Bericht trägt den Titel Welcome to Hell. Ich kann nur einen kleinen Teil unser Arbeit dazu kommentieren. Wir haben den Bericht auf die Aussagen von 55 palästinensischen Gefangenen gestützt, die entweder nach dem 7. Oktober inhaftiert wurden oder schon vorher inhaftiert waren. Diese Palästinenser kamen nicht nur aus Gaza. Im Gegenteil, sie kamen aus der gesamten Region: aus Gaza, dem Westjordanland, Ostjerusalem und einige aus Israel selbst. Sie alle erlebten sehr ähnliche Bedingungen und Behandlungen.

Wir würden das, was Israel den Palästinensern in seinem Haftsystem antut, als Folter bezeichnen – in Bezug auf den physischen Missbrauch, den emotionalen Missbrauch, die Bedingungen, unter denen sie festgehalten werden, den Hunger und die verschiedenen Arten von Gewalt und Druck, die auf sie ausgeübt werden. Wir kommen zu dem Schluss, dass dies die Schwelle zu Folter und Misshandlung erreicht hat, was natürlich verboten ist. Vieles davon war nicht einmal ein Geheimnis. Es war eine Politik, die vom Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, inspiriert wurde und Teil seines langfristigen Projekts war, palästinensische Gefangene harten Bedingungen auszusetzen. Dies ist Teil eines breiteren Phänomens, das wir beobachtet haben, bei dem die israelische Regierung das schreckliche Trauma, das die Israelis am 7. Oktober erlitten haben, zynisch ausnutzt, um ein politisches Ziel zu verfolgen, das sie jedoch schon vorher verfolgte. Das ist unsere Analyse der Situation der palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen seit dem 7. Oktober.

etos.media: Im Gegensatz zur israelischen Führung scheint sich ein großer Teil der israelischen Öffentlichkeit immer noch um die mehr als 100 Geiseln in Gaza zu sorgen. Sie haben erwähnt, dass sich B’Tselem für einen „Geiselaustausch“ einsetzt. Könnten Sie unseren Lesern bitte erklären, was das bedeutet und wie das mit den Geiseln zusammenhängt, die Israel festhält?

Sarit Michaeli: Das erfordert eine Erklärung, denn in Israel herrscht eine Kultur des Krieges, und die Geiseln werden als eine Art Kampf betrachtet, den Israel gegen die Palästinenser führt. Wenn man sich die Situation innerhalb Israels ansieht, den Kampf der Geiseln und ihrer Familien und der Israelis wie mir, die sie unterstützen, dann ist es eigentlich ein Kampf der Opposition. Es ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es Israelis gibt, deren Leben aufgrund der Bedingungen, unter denen sie von der Hamas, dem Dschihad und anderen bewaffneten Gruppen im Gazastreifen festgehalten werden, langsam versiegt und dem Ende entgegengeht. Es ist eine schockierende Situation.

Grundsätzlich muss die Beendigung des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen oberste Priorität haben, denn jeder weitere Tag bringt Gaza schreckliche Verluste an Menschenleben. Die Freilassung der israelischen Geiseln ist ebenfalls von zentraler Bedeutung und eine dringende moralische und menschenrechtliche Frage. Es gibt etwa 101 israelische Geiseln, aber man geht davon aus, dass etwa 50 von ihnen nur noch am Leben sind. Andere wurden entweder während ihrer Gefangenschaft getötet, und andere am 7. Oktober, und ihre Leichen wurden von der Hamas mitgenommen. Auch diese Menschen sollten gerettet werden. Einige von ihnen sind Zivilisten, einige sind Soldaten, aber sie alle werden von der Hamas illegal festgehalten, denn Geiselnahme ist illegal.

Sie sollten sie bedingungslos freilassen, doch wissen wir freilich, dass sie das nicht tun werden. Die einzige Möglichkeit, mit der wir derzeit eine Deeskalation erwarten können, ist ein Geiselabkommen. Dies würde die Freilassung der israelischen Geiseln und die Freilassung der inhaftierten Palästinenser bedeuten. Das ist die schlichte Realität des historischen Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern. Das ist in der Vergangenheit schon oft geschehen. Und es würde auch einen Waffenstillstand und einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen erfordern.

Das sind die Forderungen der Hamas. Ich unterstütze sie nicht. Ich finde sie empörend. Aber wenn man realistisch darüber nachdenkt, diese israelischen Leben zu schützen und zu retten, dann muss man auf einen Geiselaustausch hinarbeiten. Es gibt keinen anderen Weg, diese Israelis nach Hause zu bringen als durch einen Deal, denn es ist inzwischen absolut klar geworden, dass der militärische Druck sie tötet. Es gefällt mir nicht, aber das ist die Realität. Jeder, der die israelischen Geiseln zurückbringen will, muss akzeptieren, dass es dafür einen Preis gibt. Der Preis ist, den Krieg zu beenden und die palästinensischen Gefangenen freizulassen. Ich persönlich, als Israeli, glaube, dass dieser Preis es wert ist, gezahlt zu werden, um das Leben dieser Menschen zu retten. Doch die israelische Regierung hat sie im Stich gelassen.

Das soll natürlich nicht rechtfertigen, was die Hamas getan hat. Ganz und gar nicht. Auch Geiselnahme ist ein Kriegsverbrechen. Die israelische Regierung hat es versäumt, die Bewohner des Südens und die Partybesucher des Nova Rave zu schützen. Die Mehrheit der Israelis ist sich bewusst, dass die Freilassung der palästinensischen Gefangenen und die Beendigung des Krieges notwendig sind, um die Geiseln zu ihren Familien zurückzubringen und die Leichen der toten Geiseln für eine angemessene Bestattung zu bergen. Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Israelis dies akzeptiert und unterstützt. Aber es ist sehr deutlich geworden, dass die Regierung dazu nicht bereit ist, weil sie einen ewigen Krieg in Gaza will. Sie wollen Gaza wieder besetzen, sie wollen den Krieg nicht beenden, sie wollen die Armee nicht aus Gaza abziehen. Das ist in etwa der Stand der Dinge.

etos.media: Auf dem Podium in Berlin sprachen Sie von einem zynischen Missbrauch der Sicherheit von Israelis und Juden. Könnten Sie das vor dem Hintergrund der jüngsten sogenannten Antisemitismus-Resolution des deutschen Bundestages näher erläutern?

Sarit Michaeli: Wir haben zusammen mit anderen NGOs einen Brief verfasst, in dem wir unsere Position darlegen. Ich werde mich hier kurz fassen, weil der Brief das viel eloquenter ausdrückt. Es ist völlig klar, dass es realen Antisemitismus gibt. Das bestreitet niemand. Es gibt Antisemitismus aus dem Anti-Besatzungslager, es gibt Antisemitismus von der extremen Rechten. Er existiert. Ich würde argumentieren, und viele Experten würden das auch tun, dass die Gefahr des rechtsextremen Antisemitismus im Vergleich zur Gefahr des Antisemitismus von links systematisch heruntergespielt wird.

Ich glaube nicht, dass es ernsthafte Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, dass es Antisemitismus in Deutschland gibt. Aber die systematische und bewusste Gleichsetzung von Kritik an Israel mit Antisemitismus trägt nicht nur nicht dazu bei, echten Antisemitismus zu bekämpfen, sondern zerstört auch jede Möglichkeit, eine informierte öffentliche Debatte über die Besatzung in Deutschland zu führen. Es schadet auch unserer Arbeit, weil wir ständig in eine Situation gebracht werden, in der unsere Legitimität von deutschen Gesprächspartnern in Frage gestellt wird. Nicht nur meine Legitimität als Israeli, sondern auch die meiner Freunde und Kollegen, die in Deutschland leben, israelische Juden, von denen einige, wie ich, Verwandte im Holocaust verloren haben, und die trotzdem ständig des Antisemitismus bezichtigt werden. Das erstickt jede Art von Debatte und ist eindeutig eine zynische Manipulation seitens der israelischen Regierung. Die israelische Regierung steigt ins Bett mit einigen der schlimmsten rechtsextremen neofaschistischen Kräfte in Europa, die jetzt wieder auftauchen, und sie verbünden sich auf der Grundlage ihres gemeinsamen Hasses auf den Islam und die Palästinenser.

etos.media: Wie hat sich die Abhängigkeit von spezifischen Definitionen des Antisemitismus, wie der IHRA-Definition, auf den politischen Diskurs und die Meinungsfreiheit, insbesondere in Deutschland und im Westen, ausgewirkt?

Sarit Michaeli: Deutsche Politiker scheitern immer wieder an diesem Test, aufgrund innerdeutscher Probleme und innerdeutscher Politik. Das beste Beispiel dafür ist die inakzeptable Berufung auf die IHRA-Definition von Antisemitismus, insbesondere in der Art und Weise, wie sie legitime Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzt. Ich formuliere es anders: Es ist in den letzten Jahren ziemlich kontrovers geworden, weil es viele Wissenschaftler gibt, sehr seriöse Wissenschaftler, deren Glaubwürdigkeit nicht in Frage gestellt wird, die auf andere Definitionen von Antisemitismus hinweisen, die als angemessener angesehen werden. Zum Beispiel die Jerusalemer Definition von Antisemitismus und viele andere.

Wir sehen, wie im Westen diese sogenannte Kampagne gegen den Antisemitismus in der Praxis dazu dient, die Meinungsfreiheit zu beseitigen, Kritik zu beseitigen. Wir sehen das in der Praxis. Wir haben es in den Vereinigten Staaten gesehen, wir sehen es in Europa. Der gemeinsame Brief, den wir unterzeichnet haben, spiegelt unsere Haltung zu diesem Thema wider. Auch ich als Israeli habe, wie viele andere Israelis, meine Urgroßeltern im Holocaust verloren. Sie waren deutsch-polnische Juden. Uns Israelis, Juden und internationalen Beobachtern, deren grundlegende Lehre aus dem Holocaust ist, dass so etwas nie wieder jemandem passieren darf, ist es glasklar, dass dies eine universelle Botschaft ist, die langsam ausgehöhlt wird.

Israel als erklärter jüdischer Staat wird nun plausibel des Völkermordes verdächtigt, und die Richter des IGH sehen sogar die plausible Notwendigkeit, Maßnahmen zur Verhinderung eines Völkermordes zu ergreifen. Das ist historisch schockierend und moralisch skandalös. Die deutschen Politiker, die sich dem beugen, tun dies vielleicht aus den richtigen Gründen, aber das Ergebnis ist, dass demokratische Kräfte zum Schweigen gebracht werden und antidemokratische Kräfte gedeihen können.

Sarit Michaeli ist internationale Leiterin der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem. Ihr könnt ihr auf X und Instagram folgen.

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