Im Jahr 2014 erschien im ISP Verlag die deutsche Ausgabe des Buches: „Die politische Ökonomie der israelischen Besatzung – Unterdrückung über die Ausbeutung hinaus“ von Dr. Shir Hever, Spezialist für Wirtschaftsfragen in Palästina / Israel, mit Fokus auf die wirtschaftlichen Vorteile der Besatzung für Israel.
Es ist das Ergebnis einer fünfjährigen Forschungsarbeit über die Ökonomie der Besatzung. In seinem 263-seitigen Buch analysiert er, wie die Besatzung (System der Kontrolle, Unterwerfung, Ausbeutung) dazu dient, die Wirtschaft, die Arbeitskraft und die Ressourcen in den besetzten palästinensischen Gebieten (BPG) zu kontrollieren, in einem Staat, der den Juden die höchsten Rechte einräumt und Nicht-Juden in verschiedene Kategorien einteilt und beherrscht. Shir Hever illustriert seine Analyse anhand eines Fallbeispiels: der Mauer in Jerusalem. Es werden die Möglichkeiten zur Beendigung der Besatzung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realitäten diskutiert, wobei die marxistische Theorie und die Sozialtheorien von Thorstein Veblen, Pierre Bourdieu und Amartya Sen herangezogen werden, um das „Wesen der Besatzung und ihre scheinbaren Widersprüche“ zu beleuchten.
Wirtschaftlich gelten überall die gleichen Gesetze, aber es existieren zwei Ökonomien unter israelischer Kontrolle: die israelische Wirtschaft (israelische Bürger*innen) und die palästinensische Wirtschaft (ohne israelische Staatsbürgerschaft, wie z.B. im Westjordanland oder in Gaza). Die Verantwortung für die Lebensbedingungen der unter Besatzung lebenden palästinensischen Bevölkerung liegt beim israelischen Staat, der diese Verantwortung jedoch vollständig an internationale Hilfsorganisationen abgegeben hat. Gleichzeitig sabotiert Israel diese Hilfslieferungen und baut zahlreiche Hürden auf, damit die Hilfe ihr Ziel nicht erreicht. Palästinensische Arbeiter erhalten meist nur einen Bruchteil dessen, was ein israelischer Arbeiter verdienen würde. Die Verhinderung einer lebensfähigen Industrie in den palästinensischen Gebieten verstärkt das Abhängigkeitsverhältnis, so dass Israel zum Hauptimporteur von BPG1 geworden ist. Diese Entwicklung verstärkte sich seit den 70er Jahren, als immer mehr palästinensische Arbeiter in Israel zu arbeiten begannen und ihr Ackerland brach liegen ließen, was zur Folge hatte, dass immer mehr Ackerland für den Bau illegaler Siedlungen, militärischer Zwecke, Umgehungsstraßen, Trennmauern usw. konfisziert wurde. Israel kontrolliert die Zölle und den Handel in allen Gebieten und erzielt dadurch enorme Einnahmen. Erst seit 1995 wird ein Teil der Einnahmen an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) abgeführt. Hilfsorganisationen, die die hohen Zölle umgehen wollen, kaufen lieber direkt auf dem israelischen Markt, der billiger ist.
In den Osloer Jahren (1994 – 2000) verbesserte sich die israelische Wirtschaft jedes Jahr, während sich die palästinensische Wirtschaft verschlechterte. Die Rolle der NGOs wird ab 2006 tragend, da quasi öffentliche Dienstleistungen, die der Autonomiebehörde unterlagen, von NGO-Mitarbeitern übernommen werden. Die UNRWA, seit 1948 die wichtigste Verwaltungsinstanz für die unter Besatzung lebenden palästinensischen Flüchtlinge, ist rechtlich nicht für die Flüchtlinge verantwortlich, sondern Israel. Daher kann Hilfe unter Besatzung als indirekte Hilfe für die Besatzung wirken. Alle Hilfsgelder umgehen die Frage nach der eigentlichen Verantwortung für die prekäre Lebenssituation der Palästinenser, die ein Recht auf Entschädigung und den Wiederaufbau ihrer zerstörten Infrastruktur haben, und sollten ursprünglich dem Aufbau einer eigenen Wirtschaft dienen. Für alle Hilfsgüter müssen Abgaben an den israelischen Staat geleistet werden. Die katastrophale Situation der Palästinenser wurde durch die zweite Intifada (2000-2005), die eine Folge der Massenarbeitslosigkeit war, verschärft und führte zu einem beispiellosen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf um 40 %. Das Problem der Auslandshilfe, die auch für humanitäre Zwecke verwendet werden kann, besteht darin, dass die Autonomiebehörde keine Souveränität über die Verteilung und Kontrolle der Hilfe hat und diese daher nicht planen kann. Die meisten Gelder fließen daher an NGOs, die über mehr Geld und Einfluss verfügen als die PA selbst, deren Budget im Jahr 2002 nur 0,42% des israelischen Staatshaushalts ausmachte. Die Ernährungsunsicherheit wird durch Checkpoints, Ausgangssperren etc. verschärft und treibt die Lebensmittelpreise in die Höhe, während die Einkommen stetig sinken. Durch Landenteignungen werden auch palästinensische Teil-Selbstversorger in den Hunger getrieben. Mit der Wahl der Hamas 2006 wurde diese Spirale durch die militärische und humanitäre Blockade des Gazastreifens noch verschärft. Seitdem gibt es in Gaza keine Todesfälle durch natürliche Ursachen mehr, sondern nur noch durch Bombardierungen, schlechte Wasserqualität und unzureichende Gesundheitsversorgung sowie Mangelernährung. Die ausländische Hilfe ist daher einerseits notwendig, andererseits aber auch destruktiv, da sie zu einer Normalisierung der Besatzung führt. Erwähnenswert ist, dass vor der zweiten Intifada mehr ausländische Hilfe nach Israel floss als in die Palästinensischen Gebiete, obwohl Israel kein verarmtes Land ist und eigentlich keinen Anspruch auf humanitäre Hilfe hätte, sondern eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen. Im Gegenzug ist die palästinensische Wirtschaft eine der am stärksten von Hilfe abhängigen. Die israelische Wirtschaft ist in hohem Maße von Kapitalimporten in Form von ausländischen Spenden und Kompensationszahlungen abhängig. Mit diesem Kapital finanziert Israel seine Importe, Militärkosten und Staatsdefizite. Gleichzeitig ist es eines der westlichen Länder mit der größten Kluft zwischen Arm und Reich, gleich nach den USA. Als einziges Land darf es diese US-Hilfen auch für Rüstungskäufe aus eigener Produktion verwenden. So erhielt Israel bis 2002 die höchste Pro-Kopf-Hilfe aller Länder. Der Zusammenhang zwischen Ölpreisen und Kriegen in der Region ist einer der Hauptgründe für die Hilfe aus Europa an die BPG. Sie dient ihren eigenen Interessen, da die Ölpreise in Krisenzeiten stark ansteigen können.
Israelische Firmen erwirtschaften ihre Profite durch die subventionierten billigen Arbeitskräfte der PA. Sie haben den Auftrag, die palästinensische Bevölkerung mit Konsumgütern zu versorgen und die Palästinenser zu Konsumenten zu machen, die keine eigene Industrie haben und müssen daher auch nicht mit palästinensischen Firmen konkurrieren. Die BPG sind nach den USA der zweitgrößte Exportmarkt. Die Checkpoints erschweren den Handel zwischen den Palästinensern, so dass es einfacher ist, vom benachbarten israelischen Markt zu importieren als innerhalb der BPG. Auch die Lebensmittel der NGOs werden auf dem israelischen Markt gekauft, da sonst Zölle auf Lebensmittel aus anderen Ländern anfallen würden. Somit fließen 45% der Hilfe für die BPG zurück in den israelischen Markt. Der größte Gewinn ist die Befreiung der israelischen Regierung von der Last der Verantwortung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, die faktisch unter ihrer Kontrolle steht. Die Unterordnung der palästinensischen Wirtschaft wurde, durch die von Israel im Pariser Protokoll erzwungene und durchgesetzte Zollunion etabliert, deren Teil, der palästinensischen Arbeitern freien Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren sollte, von Israel ignoriert wird. Die administrativen Hürden sind so hoch, dass es für Palästinenser günstiger ist, Waren aus Israel zu importieren als aus den billigeren Märkten der arabischen Nachbarländer. Das System der Grenzschließungen hat seit den 1990er Jahren zur Zerstörung der palästinensischen Wirtschaft geführt. Die Hilfe für die Palästinensischen Gebiete wurde von Israel in eine Einnahmequelle zur Finanzierung der Besatzung umgewandelt. Versorgungsleistungen wie Wasser, Strom, Telefon werden von Israel kontrolliert. Eigentlich stehen diese Hilfsgelder der PA zu, die für die Versorgungsleistungen zuständig ist, aber diese Gelder werden von Israel konfisziert, um diese Leistungen selbst zu erbringen, mit überhöhten Preisen für die Palästinenser. Die Hilfe unterstützt somit Israel, seine Angriffe auf die PA fortzusetzen, sie zu finanzieren und daraus Profit zu schlagen, und befreit Israel von jeglicher Rechtfertigung gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Die UN beklagt seit Jahren, dass sie in keiner Region der Welt so große Schwierigkeiten hat, ihre Hilfe zu leisten.
Einerseits ist die Hilfe notwendig, um die palästinensische Bevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren, andererseits verewigt die Hilfe die Besatzung und hält sie aufrecht, auch wenn sie nicht vollständig durch die Hilfe finanziert wird. Die Strukturen werden durch die Hilfe aufrechterhalten, andererseits ist Israel nicht bereit, die Bedürfnisse der unter seiner Kontrolle lebenden Palästinenser zu befriedigen. Der Aufbau eines Staates wird dadurch verhindert, da die NGOs dem Staat seine Regierungsaufgaben abnehmen. Die Geber könnten viel mehr Druck auf Israel ausüben, z.B. den Verlust von Geldern für Entwicklungsprojekte durch israelische Zerstörung und Verhinderung einklagen und so Israel zur Rechenschaft ziehen.
Da die PA über keine eigene Währung verfügt, haben die Hilfsgelder zu einem massiven Anstieg der Reserven der israelischen Zentralbank geführt, d.h. die Besatzung wird „exportiert“ und das Elend genutzt, um den Zufluss ausländischer Devisen aufrechtzuerhalten. Durch die unterschiedliche Inflationsentwicklung in Israel und in den palästinensischen Gebieten wird einerseits die israelische Wirtschaft angekurbelt, andererseits die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen durch Preissteigerungen unterminiert. Die Ausbeutungsstrukturen werden somit indirekt durch die Hilfe gefestigt. Insbesondere Gaza stärkt durch seine wirtschaftliche und militärische Blockade die israelische Wirtschaft, da es zu einer der am stärksten von Hilfslieferungen abhängigen Regionen geworden ist. Die Tunnel wurden vor allem zur Umgehung der israelischen Wirtschaftskontrollen nach Ägypten gebaut, um Lebensmittel, Vieh etc. in die Gebiete zu schmuggeln, aber auch für Waffenlieferungen genutzt, aber nicht ausschließlich, wie in den Medien meist dargestellt. Somit stellten die Tunnel eine wirtschaftliche Bedrohung außerhalb der Kontrolle Israels dar, die auch gleich mit der ersten Bombardierung angegriffen wurde.
Israel nutzt die BPG auch, um seine minderwertigen Waren loszuwerden. Die Beschäftigung palästinensischer Niedriglohnarbeiter trägt zur Profitsteigerung israelischer Unternehmen bei. Die Checkpoints wurden teilweise privatisiert und werden von Sicherheitsfirmen betrieben, die von ehemaligen israelischen Offizieren geleitet werden. Für marxistische Ökonomen ist die Besatzung aus imperialistischer Sicht eine Quelle des Profits.
Israels Wirtschaftswachstum basiert auch auf Steuersenkungen und lockeren Vorschriften für internationale Unternehmen. Das Argument der inneren Sicherheit wird benutzt, um neoliberale Reformen mit wenig Widerstand durchzusetzen. Die Gesamtkosten der Besatzung lassen sich jedoch nicht beziffern, da die israelische Armee und das Verteidigungsministerium viele Daten mit dem Argument der “nationalen Sicherheit“ zurückhalten. Diese Strategie der Verschleierung von Fakten gilt auch für die Höhe der kommunalen Subventionen für die Siedlungen. Damit soll der öffentlichen Empörung über die Günstlingswirtschaft der Siedler vorgebeugt werden. Ebenso wird die internationale Empörung im Zaum gehalten, da die Siedler gegen das Völkerrecht (Vierte Genfer Konvention) verstoßen, das den Transfer in illegal besetzte Gebiete verbietet. Ein finanzielles Durcheinander wird durch einmalige Zahlungen, Sonderbudgets, Ad-hoc-Fonds geschaffen, um die tatsächlichen Zahlen der Subventionen für die Siedler zu verschleiern.
Palästinensische Arbeiter zahlen in die Sozialversicherung ein, erhalten aber nicht die Leistungen, die sie erhalten sollten. Palästinensische Arbeiter müssen eine Sicherheitssteuer für ihre eigene Überwachung am Arbeitsplatz zahlen. Sie sind Zwangsmitglieder der israelischen Gewerkschaft Histadrut, die ihnen jedoch keinerlei Schutz oder Unterstützung gewährt. Im Jahr 2001 machte die Ausbeutung der billigen palästinensischen Arbeitskräfte (Marktabhängigkeit, Import-/Exportzölle, Wasser- und
Landressourcen) zehn Prozent des israelischen Bruttoinlandsprodukts aus. Die seit 1994 an die PA geleisteten Zahlungen (Zölle, Gebühren, Mehrwertsteuer, Abgaben der palästinensischen Arbeiter) sind faktisch Teilrückzahlungen der Besatzungsprofite.
Die Siedlungen werden wie folgt subventioniert: Landwirtschaft vor allem durch Investitionen aus der WZO (World Zionist Organisation); Bildung durch mehr Investitionen in Schulen in den besetzten Siedlungen als in Israel plus Anreize für Lehrer, geringere Schülerzahlen, Schülertransport etc.; Gesundheit durch überdurchschnittliche Versorgung mit mehr Kliniken, Anreize für Ärzte, gepanzerte Fahrzeuge, Wachpersonal etc.; Wohnungsbau durch subventionierte Kredite und Zuschüsse für den Bau von Häusern in den Siedlungen; Industrie durch spezielle Zuschüsse für Industriezonen innerhalb der Siedlungen; Stadtverwaltung durch überdurchschnittliche Zuschüsse in den Siedlungen, doppelt so viel Zuschüsse pro Kopf wie für normale Stadtverwaltungen innerhalb der Grünen Zonen; Straßen durch mehr Straßenbau innerhalb und zu den Siedlungen als innerhalb Israels. Die tatsächlichen Kosten werden vom Verteidigungsministerium geheim gehalten; Steuervergünstigungen durch reduzierte Einkommenssteuern für Siedler; Wasser durch Investitionen in die Ausbeutung des Grundwassers in der Westbank, an dessen Nutzung die palästinensische Bevölkerung gehindert wird, obwohl der Wasserverbrauch der Palästinenser nur ein Drittel des Verbrauchs der Israelis beträgt. Diese Subventionen sind ein großer Anreiz für die Bevölkerung, in die Siedlungen zu ziehen.
Die Sicherheitskosten zur Aufrechterhaltung der territorialen Kontrolle in der BPG sind der größte Kostenfaktor. Ziel ist es, jeglichen Kontakt zwischen Israelis und Palästinensern zu verhindern. Hier fallen die höchsten Kosten für Polizei und innere Sicherheit an. Die Mauer, die als Sicherheitsmauer propagiert wird, in Wirklichkeit aber der Trennung dient, ist ebenfalls ein Kostentreiber. Militär und private Sicherheitsfirmen sind für den täglichen Betrieb zuständig. Der Verlauf der Mauer ist illegal, sie war bereits 2004 doppelt so lang wie die Grüne Linie, die israelische Grenze zur Westbank. Im Zuge des Mauerbaus wurden palästinensische Familien enteignet und ihr Land für die Mauer konfisziert. Viele Familien verzichteten daraufhin auf die ihnen zustehende Entschädigung durch Israel, da dies als Rechtmäßigkeit der Konfiszierung interpretiert werden könnte. Der Abzug der Siedler aus Gaza im Jahr 2005 kostete den israelischen Staat Entschädigungszahlungen und die Verlegung militärischer Einrichtungen. Im Durchschnitt wurden pro Siedler 200.000 Euro an Entschädigungen gezahlt, obwohl die Siedler wie Kriminelle handelten, aber mit Anreizen der Regierung.
Sollte Israel jemals beschließen, alle illegalen Siedlungen im Westjordanland zu räumen, müsste es Entschädigungen für 471.000 Siedler (Stand 2008) zahlen, was zu diesem Zeitpunkt das Anderthalbfache seines Jahreshaushalts ausmachen würde. Eine Nicht-Räumung könnte Israel aber letztlich noch mehr kosten. Der Staat müsste also schon jetzt für diesen Fall sparen. Für die meisten Israelis ist der Gedanke einer Räumung der Siedlungen jedoch nicht akzeptabel, und Politiker, die sich für eine Zweistaatenlösung aussprechen, werden keine Wähler finden, wie Netanjahus derzeitige Allianz aus Rechtsextremen und religiösen Fanatikern zeigt.
Die Gesamtkosten der Besatzung zwischen 1970 und 2008 betrugen 318,02 Milliarden NIS, wobei die Sicherheitskosten den größten Teil ausmachen, gefolgt von der Unterstützung für die Siedler. Ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum Israels ist die Grundlage für die Aufrechterhaltung der Besatzung. Die Palästinenser überleben allein dadurch, dass sie Widerstand gegen die Besatzung leisten. Dieses Überleben wurde bisher durch internationale Hilfe unterstützt. Die Verteuerung der Besatzung erzeugt einen politischen Druck, der Israel entweder zum Rückzug zwingt, zu einer Reform des Kontrollsystems und zu Kostensenkungen, zum Völkermord oder zum Zusammenbruch des israelischen Staates. Die Besatzung ist das teuerste Projekt Israels seit 1967, die Unterdrückung und Ausbeutung der Palästinenser wird nicht widerspruchslos hingenommen, sondern erzeugt Widerstand in der Bevölkerung, was wiederum zu höheren Sicherheitskosten führt und Israel immer mehr zu einem Militärstaat macht. Durch die nicht enden wollenden Gelder und Waffen aus den USA ist Israel jedoch weiterhin in der Lage, die Besatzung mit militärischer Gewalt aufrechtzuerhalten. Angesichts der Völkermordklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof erscheinen diese Prognosen wie eine düstere Voraussage der tatsächlichen Ereignisse in den Jahren 2023/2024.
Israel ist der Empfänger der weltweit höchsten US-Hilfe, die zum größten Teil mit den Steuergeldern der US-Bürger für die militärischen Bestrebungen Israels finanziert wird. Der israelische Staatshaushalt deckt die restlichen Kosten durch Steuern, die staatliche Lotterie und die WZO. Die größten Nutznießer der Besatzung sind die israelischen Militärfirmen und die Homeland Security, die aus ehemaligen Militärs mit Kriegserfahrung besteht. Ihre Produkte werden dem Verteidigungsministerium als „an Menschen getestet“ verkauft. Die Sicherheitsausgaben gehören zu den höchsten der Welt. Jeder neue Gewaltausbruch treibt die Preise für Waffen und Öl in die Höhe, die Gewinnerindustrien dieser Kriege.
Durch die Aufhebung des arabischen Handelsboykotts im Zuge der Oslo-Verhandlungen und des Friedensabkommens mit Jordanien ist Israel zu einem der größten Exporteure und Importeure der Welt geworden. Die Möglichkeit, Hilfsgelder nur in israelische Währung zu tauschen, stärkt die eigene Währung und „exportiert“ so die Besatzung. Für israelische Geschäftsleute hilft die starke Währung bei Geschäften im Ausland. Vor allem durch die Wahl der Hamas flossen trotz des Boykotts mehr Hilfsgelder für NGOs durch die israelische Zentralbank und erhöhten die Währungsreserven.
Die israelische High-Tech-Industrie ist mit einem Anteil von 46 % an den Nettoexporten (2006) eine weitere Quelle der wirtschaftlichen Stärke. Diese Industrie ist vom Humankapital abhängig, das wiederum vom Bildungsniveau abhängt. Gleichzeitig hat Israel eine der höchsten Abwanderungsraten von Akademikern. Dies ist auf das marode israelische Bildungssystem zurückzuführen, das mehr auf Privatschulen für Wohlhabende als auf Investitionen in das öffentliche Bildungssystem setzt und damit zu den Ländern mit der höchsten Ungleichheit im Bildungssystem gehört. Die Diskriminierung nichtjüdischer Kinder ist alltäglich. Kinder jüdisch-europäischer Eltern haben die besten Bildungschancen, da sie sich die besseren Schulen und Universitäten leisten können. Das Bildungssystem dient vor allem dazu, den Nationalismus zu stärken, zionistische Ideen zu verbreiten und die Kinder auf den hierarchisch strukturierten Militärdienst vorzubereiten. Die Vorherrschaft der Juden in einem jüdischen Staat soll so aufrechterhalten werden. Die zionistische Bewegung, die ursprünglich einen sicheren Ort für Juden in der Welt schaffen wollte, hat sich zu einer treibenden Kraft für territorialen Expansionismus und Kriege entwickelt und trägt dazu bei, Israel zum unsichersten Ort für Juden in der Welt zu machen. Die zahlreichen Korruptionsfälle in der politischen Elite des Landes haben die Regierung dazu veranlasst, Whistleblower zu entlassen, die Legitimität des obersten Rechnungsprüfers zu untergraben und die Unabhängigkeit des Justizsystems zu schwächen.
Ist Israel eine Demokratie?
Eine Demokratie setzt eine Verfassung voraus, die es in Israel nicht gibt. Für Juden und Nichtjuden gelten unterschiedliche Gesetze. Die Bürgerrechte werden ständig untergraben, da sich das Land in einem permanenten Ausnahmezustand befindet. Menschen werden ohne Gerichtsverfahren in Gefängnissen festgehalten. Kritik und Dissens werden von den Behörden massiv unterdrückt. Außergerichtliche Hinrichtungen durch das Militär sind an der Tagesordnung, Soldaten werden so gut wie nie vor Gericht gestellt. Nicht alle, die unter israelischer Herrschaft leben (müssen), haben das Wahlrecht. Im Jahr 2006 lebten 3,8 Millionen Menschen, die nicht wahlberechtigt waren. Juden machen 49,7 % der Wahlberechtigten in Israel aus, haben aber 75,57 % der Stimmen bei den Parlamentswahlen, so dass nur zionistische Mehrheitskoalitionen gebildet werden können, obwohl Juden im israelisch kontrollierten Gebiet eine Minderheit sind. Das Wahlergebnis von 2006, bei dem die demokratisch gewählte Hamas die Mehrheit im Legislativrat, dem Parlament der Palästinensischen Autonomiebehörde, errang, wurde mit der Vertreibung der Hamas aus dem Westjordanland und der Belagerung Gazas beantwortet. Hinzu kommt, dass die Autonomiebehörde keine souveräne Regierung ist, da sie unter direkter und indirekter Kontrolle der Besatzungsmacht steht.
Die Bevölkerungspolitik gibt den nicht-jüdischen Bürgern einen Status, der sie zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Dies erlaubt es dem Staat, ihr Land zu beschlagnahmen, Baugenehmigungen zu verweigern, Familienzusammenführungen zu verhindern, ihnen Arbeitsplätze zu verweigern und sie bei öffentlichen Dienstleistungen zu diskriminieren. So beträgt der Lohn eines palästinensischen Bürgers nur 57,7 % eines jüdischen Bürgers, die Arbeitslosigkeit ist um 18,56 % höher und die Armutsrate um 39,6 % höher als bei jüdischen Bürgern (Stand 2007 /200). Das Wachstum der palästinensischen Bevölkerung in Israel bedeutet also ein Wachstum der Armut. Zu einer Demokratie gehört aber auch die Respektierung und Gewährung von Minderheitenrechten. Die Arbeitsmarktstatistik ist stark von der Politik der Unterbeschäftigung geprägt, die von den Arbeitsämtern nicht erfasst wird, da sie als Erwerbstätige gelten.
Die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions), IGH-Urteile, UN-Entscheidungen, Kriegsverbrecherprozesse gegen israelische Offiziere und Beamte sowie Klagen gegen Firmen, die mit Siedlungsprodukten handeln, tragen mitunter zur schlechten Kreditwürdigkeit Israels bei. Auch Entschädigungszahlungen an Palästinenser sind mögliche Szenarien der Zukunft Israels. Das Fehlen eines internen Diskurses über diese Themen ist jedoch die eigentliche Gefahr. Solange ethnische und nationale Unterscheidungen wichtiger sind als eine Klassenidentität, wird es keinen Raum für deren Entwicklung geben. Die nahezu uneingeschränkte Macht ethnonationalistischer, neoliberaler Regierungsvertreter hemmt den sozialen Wandel. Unterstützt wird dies durch die Medien, die der Gesellschaft kaum Informationen über den BPG zur Verfügung stellen und somit in „selbstgewählter Ignoranz verharren“.
Das Buch ist trotz der wirtschaftsanalytischen Methode leicht verständlich, es überfrachtet nicht mit Zahlen. Statistiken lockern die Analysen auf und veranschaulichen sie. Es ist angesichts der aktuellen Situation ein Grundlagenwerk für alle, die verstehen wollen, warum die Besatzung trotz der Kosten für den israelischen Staat fortgeführt wird und wie eine internationale Solidaritätsbewegung das Ende der Besatzung mit unterstützen kann.
Ein Beitrag von Sara Ehsan