Woher kommen die Ergebnisse der Landtagswahl im Osten? Die Marxistisch-Feministische Gruppe stellt sechs analytische Thesen auf und schlägt vier praxisorientiertere Punkte vor, wie wir jetzt in die Verhältnisse eingreifen können.
„Selbstkritik, rücksichtslose, grausame,bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritikist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung.“
Rosa Luxemburg – Die Krise der Sozialdemokratie
1: Der Rechtsruck war schon lange da
Die Geschichte der Landtagswahlen ist schnell erzählt. Was lange so aussah wie eine Wahl zwischen Grünen und AfD, wurde auf den letzten Metern noch eine Wahl zwischen AfD und den Ministerpräsidenten-Parteien. Die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg haben weniger stark verloren als gedacht. Vor allem die strukturschwachen und abgehängtesten Regionen in Sachsen und Brandenburg sind nun blau. Die AfD hat sich im Osten festgesetzt und es ist nicht damit zu rechnen, dass sie so schnell wieder verschwindet. Der Osten wählt zum Teil rechts. Wer in den 90ern im Osten aufgewachsen ist, den kann dieses Ergebnis nicht überraschen. Im Landtag sitzen jetzt die, die in den 90er und 00er Jahren Andersdenkende und Andersaussehende angegriffen haben oder zumindest kein Problem damit hatten. Die Jugend und auch Sportkultur im Osten war über zwei Jahrzehnte in Teilen rechts. Der Großteil der Gesellschaft – im Westen, wie im Osten – hat weggesehen oder rechtes Gedankengut direkt oder indirekt befördert. Allen voran die CDU und viele Ost-Medien. Es wird jetzt sichtbar, was lange niemand sehen wollte. Das macht das Ergebnis nicht weniger dramatisch, aber es kam nicht aus dem Nichts.
Ausgerechnet die sichtbarste antifaschistische Kraft im Osten, DIE LINKE, wurde böse abgestraft – trotz des großen Engagements vieler Genossinnen und Genossen. Das macht das Ergebnis doppelt dramatisch. Aber auch dieses Ergebnis kam mit Ansage und darf eigentlich nicht überraschen. Wahlanalysen zeigen einen weiteren relevanten Punkt: wer die AfD wählt, tut dies aus Überzeugung. Auch wenn sich sogar viele AfD-Wählende eine größere Abgrenzung gegenüber rechtsextremen Milieus wünschen (BB 37%/SN 48%), nennen diese in beiden Bundesländern als einen wahlentscheidenden Grund die Begrenzung von Migration und der Aufnahme von Flüchtlingen (BB 97%/SN 99%). Ebenso relevant ist für AfD-Wählerinnen und Wähler die kritische Haltung der AfD beim Klimaschutz (BB 90%/SN 88%) und, dass die AfD ausspricht, „was in anderen Parteien nicht gesagt werden darf“ (BB 99%/SN 98%)[1]. Beim Wahlverhalten von Frauen und Männern zeigt sich zudem die Fortsetzung eines Trends. Die AfD hat überdurchschnittliche Zustimmungswerte bei Männern (wäre dort sogar stärkste Kraft geworden) und unterdurchschnittliche Werte bei Frauen.
2: Welche Personen sind schuld? Oder: Die PDS als Generationenprojekt.
Wer ist schuld? Diese Frage ist erst mal irrelevant. Es mag irgendwie passiv klingen, aber was sich bei der Landtagswahl gezeigt hat, war ein Ergebnis historischer Entwicklungen. DIE LINKE im Osten ist bis auf eine kleine Schicht von Jüngeren weitestgehend die PDS der 90er Jahre geblieben. Sie ist ein Generationenprojekt gegen die Ausgrenzung der Ostdeutschen nach der „Wiedervereinigung“. Die Treuhand, die Zerschlagung großer Teile von Wirtschaft und Industrie, die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit wurde im Westen ignoriert. 80% aller Ostdeutschen wurden in den vergangenen dreißig Jahren mindestens einmal arbeitslos. Ein Viertel der Ostdeutschen ist seitdem in den Westen gezogen. Die meisten von ihnen sind Frauen. Die Wahlerfolge der PDS waren ein sichtbares Zeichen des Ostens gegen diese Zustände und gegen die Ignoranz. Nur ist die PDS ein Generationenprojekt geblieben – bis heute. Daran hat auch die Gründung der LINKEN wenig geändert. Erst in den letzten Jahren sind in den Städten wieder mehr jüngere Leute in die Partei eingetreten.
3: Ist das Regieren schuld? Ist DIE LINKE noch eine Ostpartei?
Bis auf Sachsen hat DIE LINKE in allen neuen Bundesländern mitregiert. Einen Unterschied hat sie dabei kaum gemacht[2]. Das allein lässt schon an der strategischen Orientierung auf Regierungsbeteiligungen zweifeln. Hinzu kommt, dass überall wo linke Parteien regieren, die Basis einschläft. Zwei gravierende Fehler wurden ihr, wo sie regierte, zum Verhängnis: 1. Sie konnte kaum etwas Spürbares durchsetzen und 2. ihr Protest-Image ging verloren. In diesen Landtagswahlen hat DIE LINKE in Brandenburg zehn Jahre mit der SPD zusammen regiert, in Sachsen ist sie ewige Oppositionspartei. Das zeigt, Opposition führt nicht zwangsläufig zum Erstarken der LINKEN, aber eine linke Regierungsbeteiligung unter den gegenwärtigen Bedingungen führt fast zwangsläufig zu ihrem Niedergang.
Gregor Gysi sagte einmal, seine große Lebensleistung sei es gewesen, die Ostdeutschen politisch zu integrieren. Fest steht, dass ein Teil dieser Partei in dieser Gesellschaft immer nur ankommen und endlich anerkannt werden wollte. Die vielen Unzufriedenen, die bis heute nicht angekommen sind, hatten damit aber ihre Stimme verloren. Dabei ist DIE LINKE unstrittig noch DIE Ostpartei – die AfD wird in vier von sechs Ostländern von Westdeutschen geführt. Medial hat DIE LINKE aber den Status als Ostpartei verloren.
4: „Die Ost-Identität“ in den Medien
In den letzten Jahren standen die Ostdeutschen wieder im medialen Fokus, aber nur wenn sie rechts gewählt haben. Rechts und ostdeutsch – kaum eine Kombination wurde in den letzten Jahren öfter querbeet durch alle Presseorgane und Leitartikel wiedergekäut. Das hat sich festgesetzt. Nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. Vor zehn Jahren war der „wunderliche, undankbare Ostdeutsche“ medial noch links. Viele haben DIE LINKE gewählt. Die Medien haben die AfD mit stark gemacht – im doppelten Sinne. Viele Zeitungen im Osten waren ideologisch und personell seit jeher eher rechts aufgestellt. Der langjährige Herausgeber der größten brandenburgischen Tageszeitung war Alexander Gauland. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Fraktionsvorsitzende der AfD ein beliebter Radiomoderator. Der politische Kurs der OZ, MAZ, TA, MZ usw. war nicht eben progressiv. Das Pathologisieren des „rechten Ostdeutschen“ in den Bundesmedien tat sein Übriges. Dass nun die AfD nach der Wahl laut Medien DIE LINKE als neue Ostpartei ablöst, trägt weiter zur Entwicklung einer rechten Ost-Identität bei.
5: Protestpartei? R2G als Lösung?
Hilflose Versuche wie die Flucht in Regierungen, die Wiederentdeckung des ländlichen Raums oder die Betonung von ostdeutschen Interessen, führen wie einfache Schuldzuweisungen nicht weiter. DIE LINKE wird auch nicht mehr den Status als Ostpartei wiederbekommen, nur weil sie ihn oft genug betont. Von den meisten Menschen in Brandenburg und Sachsen wird DIE LINKE noch als DIE OSTPARTEI gesehen – nur gewählt wurde sie dafür nicht mehr. Ankommen wollen – im politischen Betrieb wie auch medial – ist die falsche Strategie. Nicht die Liebe der Medien ist für das Ost-Image entscheidend, sondern offenkundig ihre Ablehnung.
Das große Problem ist, dass der Ostlinken die strategische Orientierung und die großen Linien abhandengekommen sind. Die Entscheidungen für die Kreisgebietsreformen, der verschobene Ausstieg aus der Kohle, die Schuldenbremsen oder Polizeigesetze haben uns massiv geschadet. Die „Partei“ im Osten interessiert nur noch Sachfragen, aber Diskussionen über ein kostenfreies KiTa-Jahr hier oder ein anderes Reförmchen da sind keine Strategie. Dass Mikroreformen nicht zu mehr Zuspruch in der Bevölkerung führen, zeigt die Entwicklung der SPD sehr deutlich. Es braucht Haltung und Konfliktbereitschaft. Die Partei ist sonst nicht mehr vom Einheitsbrei anderer Parteien zu unterscheiden. Es fiel nicht wenigen Genossinnen und Genossenschwer zu begründen, warum man diesmal unbedingt sein Kreuz bei der LINKEN setzen sollte.
Jetzt strategisch auf das Regieren in einer Koalition mit SPD und/oder Grünen zu setzen, wäre angesichts dieser Situation verheerend. Die Regierung in Brandenburg war alles andere als Werbung für die Partei. Wenn es nach der Verschärfung des Polizeigesetzes in Brandenburg heißt „Wir haben das Beste rausgeholt“, zeigt es das ganze Dilemma linker Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien, ohne starke gesellschaftliche Bewegungen auf. Wenn nicht viel drin ist, dann sollte man es auch lassen.
Stattdessen wäre es besser, sich in der Opposition zu erneuern und die Partei wieder aufzubauen. Aber auch reflexhafte Rufe nach mehr Bewegung dürften im Osten verhallen – neue soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen gibt es hier – anders als im Westen – deutlich weniger. Auch wenn wir die Arbeit der Antifa, von Fridays for Future oder #unteilbar teilen und unterstützen müssen, werden sie allein das Heil nicht bringen.
6: Vergrünung der Partei ?
Es ist gut, dass die Partei in den letzten Jahren wieder über die Klassenfrage diskutiert: Wer ist die Arbeiter*innenklasse, wie verändert sich das Feld der Lohnarbeit? Gerade bei den Neumitgliedern hatten wir einen deutlichen Überhang bei Akademikerinnen und Akademiker. Einigen Parteimitgliedern ist das ein Dorn im Auge. Sie haben durch ihre Kritik, dass die LINKE die falschen Leute anzöge und das permanente Schlechtreden der Partei, erfolgreich zum Ende des Neumitgliederzulaufs beigetragen. Dazu hat der Streit zwischen Partei und Fraktion massiven Schaden angerichtet. Aber das allein ist auch nicht der Grund für die herben Verluste im Osten und das Stagnieren im Bund. Der gesellschaftliche Trend mit den Debatten um’s Klima, spielt den Grünen in die Hände.
Zudem: Junge Neumitglieder muss man willkommen heißen – egal was sie in ihrer Ausbildung machen. Viele Studienberufe waren vor kurzem noch Ausbildungsberufe und sind heute nicht besser bezahlt als Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Wir sollten also alle Genossinnen und Genossen, die sich mit und bei uns engagieren wollen, herzlich aufnehmen und nicht direkt mit Diskussionen über „falsche“ und „richtige“ Milieus verschrecken. Wir können aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass Teile der Lohnabhängigen ihren Weg nicht mehr zu uns finden. Das muss aufs Tableau und zwar sachlich und lösungsorientiert, ohne die üblichen Sündenbock-Zuschreibungen.
Wer jetzt meint, die Partei vergrünt oder DIE LINKE habe in Brandenburg zu viele Hipster und Grünliberale angesprochen, sollte nochmal kurz innehalten und überlegen, ob uns solche Argumente weiterbringen. Gerade die Entscheidungen der brandenburgischen Linksfraktion zur Braunkohle und zum Polizeigesetz dürften insbesondere diese Milieus effizient vertrieben haben.
Fazit:
Statt also irgendwelche Erzählungen aufgrund parteiinterner Machtkämpfe zu streuen, sollten wir ehrlich über den Osten reden: Das Generationenprojekt PDS geht seinem Ende entgegen. Läuft alles so weiter wie bisher, wird es DIE LINKE außerhalb von Berlin, Rostock, Halle, Magdeburg, Leipzig, Greifswald, Dresden, Potsdam, Jena, Halle und wenigen anderen Städten und versprengten gallischen Dörfern im Osten nicht mehr geben. In Thüringen kann DIE LINKE durch den Ministerpräsidentenbonus noch davonkommen und das wünschen wir uns und den Genossinnen und Genossen sehr! Spätestens danach müssen wir als Partei überlegen wie wir gemeinsam weitermachen.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit haben wir schon jetzt dazu ein paar Vorschläge:
1. Klassenkonflikte organisieren und unterstützen
Wenn wir es nicht schaffen, konkrete Klassenkonflikte anzustoßen, zu organisieren oder wenigstens zu unterstützen, können wir als LINKE einpacken. Wenn wir gerade vermehrt über unsere Funktion als linke Partei sprechen, dann liegt sie unserer Meinung nach nicht darin, eine Regierungsoption in einem Zweier- oder Dreierbündnis aufzuzeigen, sondern darin, Gegenmacht von unten zu organisieren. Das kann heißen, in einer bestimmten Situation in einem Bündnis wie #unteilbar mitzuarbeiten. Doch soziale Bewegungen sind flüchtig, sie bestehen aus Gruppen und Individuen, welche über einen mehr oder weniger kurzen Zeitraum zusammenarbeiten. Um nicht wie ein Fähnchen im Wind von der gesellschaftlichen Stimmung hin und her geblasen zu werden, müssen wir uns tiefer in der Gesellschaft verankern – ob im Betrieb oder in der Nachbarschaft. Das heißt, zum Beispiel langfristig in den Auseinandersetzungen um steigende Mieten, bessere Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern, den Kohleausstieg oder bei der Antifa mitzuarbeiten. Dabei können wir konkrete Verbesserungen (Verhinderung einer Mieterhöhung) mit langfristigen Perspektiven (Abschaffung eines profitorientierten Wohnungsmarktes) verbinden. Das Große findet sich immer im Kleinen und wenn man es offenlegt, gewinnen wir unsere visionäre Kraft zurück.
2. Verankern und wachsen
Wir müssen eine stabile, aktive Mitgliederbasis aufbauen, statt Funktionärs- oder Medienpartei zu werden. Das erfordert gute interne Bildungsarbeit, vor allem aber einen massiven Wandel in der Kultur des Umgangs miteinander, sowie in der politischen Praxis.
Die Verluste im Osten sind auch Ausdruck von einer schwindenden Verankerung vor Ort. Wenn in Vereinen und Kneipen über Flüchtlinge geschimpft wird, ohne das eine Genossin oder ein Genosse eingreift – weil es sie und ihn nicht mehr gibt – dann wird sich ein rassistische Diskurs weiter verbreitern. Wenn die Basis immer älter wird und keine neuen Mitglieder eintreten, die die Wahlkämpfe und Aktionen – die die alten Genossinnen und Genossen jahrzehntelang gerissen haben – übernehmen, haben wir ein Problem. Wir müssen mehr werden. Mehr werden wir nur, wenn Menschen, nachdem sie bei uns eingetreten sind, auch bleiben und im besten Fall aktiv werden. Dazu gehört neben einer langfristig angelegten lokalen Strategie auch eine solidarische Kultur untereinander. Wer Solidarität predigt und sie selbst nicht lebt, ist unglaubwürdig.
Eine Strategie, die auf eine neue Verankerung im ländlichen Raum setzt – die also genau dort ansetzt, wo wir gerade massiv schrumpfen – haben auch wir nicht. Auffällig ist, dass wir die auch noch nirgendwo gefunden haben. Viele von uns haben unsere Geburtsorte im ländlichen Raum aus Mangel an Perspektive verlassen. Unserer Meinung nach ist es unerlässlich, dass DIE LINKE Konzepte und Forderungen für den ländlichen Raum und den Osten (weiter-)entwickelt (Investitionen ins Öffentliche, Breitbandausbau, Anerkennung ostdeutscher Lebensleistungen, uvm.). Wenn es um’s Organisieren und Verankern geht, sehen wir jedoch unsere beste Chance darin, jetzt die Parteibasis aufzubauen und zu stärken, die da ist – und die lebt nun mal vor allem in kleinen und großen Städten.
3. Kulturelle Orte schaffen
Wenn links sein, immer nur harte Debatten und harte Arbeit bedeutet, dann haben nur Wenige Lust, sich aktiv in Politik einzumischen. Wer hat schon die Kraft, sich nach einem Acht-Stunden-Tag (oder länger) noch zwei bis drei Stunden Basisgruppen-Debatten oder Orga-Sitzungen zu geben. Bzw. wer kann das überhaupt, wenn vielleicht noch Kinder warten oder auch nur ein Garten mit Haustier? Wir müssen – und das ist absolut keine neue Forderung – an unserer Debattenkultur in unseren Basisgruppen arbeiten. Wir müssen aber auch kulturelle Orte etablieren, zu denen man gern geht, wenn man noch ein Bierchen trinken, ein Lied trällern, einen Fußball kicken oder einfach nur ein bisschen quatschen möchte. In größerem Maßstab müssen wir auch Geld in die Hand nehmen, um Festivals, Camps und Konzerte zu organisieren, um eine linke Kultur auf- und auszubauen. Einige unserer Genossinnen und Genossen arbeiten daran schon lange. Doch auch hier gilt: einzelne Erfolge sind noch keine Strategie.
4. Revolutionieren, wie wir streiten
Wir glauben, dass uns die Debatte um die richtige Strategie gegen Rechts noch lange begleiten wird. Das ist ja auch nur folgerichtig, solange die Rechte so stark ist. Doch so wie die Debatte in den letzten Monaten geführt wurde, darf es nicht weitergehen. Die häufig sehr plumpen Gegenüberstellungen von Kommunitaristinne, Kommunitaristen, Kosmopoliten und Kosmopolitinnen, von Arbeitern aus dem ländlichen Raum und grün-liberalen Großstadthipstern oder von Klassenpolitik und Identitätspolitik bringen uns keinen Schritt weiter. Im Gegenteil, sie führen zu Selbstbeschäftigung und Blockaden. Da wir aber um Strategiedebatten nicht herumkommen (wollen), diese aber in einer pluralen Partei wie der LINKEN nicht zu einer einzigen Antwort führen werden, müssen wir lernen anders miteinander zu streiten. Und das muss ganz unten anfangen. Anstatt auf Kreis- und Landesverbandsebene weiterhin nur eine Meinung (das meint meistens die der Kreisvorsitzenden oder lokalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger) zuzulassen, müssen wir es zu unserer Praxis machen, lokale Debattenräume zu schaffen. Auch und gerade, wenn sie kontrovers sind. Alles andere verhärtet nur die Fronten und erweckt bei vielen den Eindruck, die (lokale) Partei(führung) wolle gar keine kritische Auseinandersetzung über Inhalte.
Streiten an sich ist nicht schlimm. Es muss nicht bedeuten, dass man danach kein Bier mehr zusammen trinken kann (siehe 3. und 2.). Wenn wir uns ernsthaft umeinander als Genossinnen und Genossen sorgen, wird es möglich sein, sich richtig zu fetzen und trotzdem an einem Strang zu ziehen.
[1] Quelle: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/wahlanalysen/WNB_2019-09-01_LTW19_BB-SN.pdf
[2] Siehe dazu die Auswertung zu Regierungsbetiligungen der RLS, zugänglich unter: https://www.rosalux.de/stiftung/gespraechskreise/parteien-und-bewegungen/linke-in-parlamenten-und-regierungen/)
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3 Antworten
ein passender Beitrag zur „Linken“, den ich hier gefunden habe: „Die so genannte Linkspartei ist für einen Marxisten nicht wählbar, weil sie ein Element der Herrschaftssicherung der herrschenden bourgeoisen Klasse in der BRD ist. Besäße sie systemkritische Eigenschaften und Ziele wäre sie längst erledigt. Ihre Funktion ähnelt jener der SPD, indem sie widerständige Kräfte einbinden, im Parteiapparat stilllegen und auf den sinnlosen Weg der Kapitalismusabschaffung oder -bändigung durch Parlamentarismus einschwören soll. In ihr finden sich jene Typen auf dem Weg nach oben wieder für die allein oben sein wichtig ist. Jede bisherige Regierungsbeteiligung der PdL zeigt das.Sie schafft die bislang wirksame Illusion durch rhetorische Mittel. Die Linkspartei will den Kapitalismus schöner tapezieren – mehr nicht.“ …Ganz meine Meinung, die einzige Partei, die hier die Systemfrage stellt, ist die KPD, die einzige Partei, die ich wählen kann.
Liebe MFG,
Danke für den Beitrag. Ich glaube leider, dass ihr in ein paar Punkten gegen Windmühlen anrennt. Ich würde mir in der Partei auch eine ehrliche Debatte wünschen, die zu einer Erneuerung/Neu Begründung einer langfristigen Taktik mündet. (Unsere Strategie ist schließlich die Überwindung des Kapitalismus, für die einen per Revolution, für die anderen qua Reform).
Doch alles hängt damit zusammen, ob es möglich ist, bestimmte Punkte zusammenzubringen, also die Frage der Debattenkultur und des gegenseitigen Respekts. Wenn z.B. Reformer der Meinung sind, es ist ach so Toll in Parlamenten zu arbeiten, dann kann man das gerne tun. Aber ein Kompromiss wäre eben, Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Aufbau-/Bewegungsarbeit der Anderen Genoss*innen anzuerkennen und walten zu lassen. Die Realität sieht doch häufig so aus, das wir Alphatiere in den KVen haben, die wenn sie eine solche Position vertreten, alles dafür tun, dass jeder im Kreisverband diesen Kurs teilt oder eben passiv wird (wie Eure Beschreibung zur Regierungsbeteiligung).
Daher wäre die erste Frage, These, Lösungsvorschlag: Wie schaffen wir es solche Räume zu schaffen, selbst wenn ein Teil der Partei nicht mitzieht?
Der Kern des Problems der Linken, speziell, aber nicht nur in Sachsen, ist: Sie vertritt „No Borders“.
Das ist es. Punkt. Auch wenn viele zum Protest tendierenden Normalbürger (ohne Parteibindung, lohnabhängig tätig) die sozialpolitischen Forderungen der Linken teilen, ist momentan allein dieses Kriterium für viele ein No-Go bei der Wahl. Das gilt im Großen und Ganzen für die gesamten abgehängten Regionen im Osten. Selbst bei Linkspartei-Affinen im höheren Alter (Durchschnittsalter Sachsen: 47) existiert diese Skepsis, wenn auch in geringerem Maße. Sahra Wagenknecht hat das erkannt und wollte gegensteuern, der Rest ist bekannt. Ihr Rückzug hat so manche davon abgehalten, die Linke zu wählen. Durchschnittsbürger sind von idealistischen verbalradikalen Ansätzen (Abschaffung der Grenzen/Nationen schon im Kapitalismus, statt frei nach Marx, erst im Kommunismus) nicht zu begeistern. Die interessiert, was vor ihrer Haustür passiert. Die Linke hat zu wenig Kontakt zu den Lohnabhängigen und falls doch, versucht sie sie zu missionieren. Sowas kommt nicht gut an. Mit Genderei (als ob das Binnen-I auch nur irgendeine Verbesserung für die Putzfrau oder Pflegerin darstellen würde…) lassen sich die aber nicht begeistern.
Natürlich kommen eine Reihe anderer Sachverhalte mit hinzu: Der dilettantisch & und fast unpolitisch geführte Wahlkampf (grausige Plakate), die Anpassung der Funktionärsriege an die herrschenden Verhältnisse (Rico Gebhardts Äußerungen zur Bundespressekonferenz sprechen Bände) inkl. Fokussierung auf RRG. Parteinahe wählten diesmal nicht Linke, weil sie auch keinen klaren antikapitalistischen Friedenskurs (erinnert sei an den BPT in Bonn!) mehr vertritt. Die AfD hatte einen Flyer gegen die Russlandsanktionen – bei der Linken zu viel verlangt. Obwohl das gerade hier im Osten vielen der Linken nahestehenden Menschen wichtig ist. Die Fokussierung auf Identitätsthemen wiederum wird hier in Sachsen in der Normalbevölkerung nicht goutiert.
Erklärungsversuche des Landes- und Bundesvorstandes sind (leider) nicht ernstzunehmen. Da heißt es mal, die Linke-Wähler wären verstorben (als ob nur Linke-Wähler sterben würden), mal ist es die mediale Fokussierung auf AfD und CDU (als ob die Linke jemals Liebling der Medien war), mal ist Aufstehen (das praktisch nur noch eine Riege einiger Idealisten ist) dran schuld. Die herrschenden Parteikreise versuchen Zeit ins Land gehen zu lassen, damit sich die Lage beruhigt.
Eine Erklärung landesweiter Zusammenschlüsse: http://chng.it/RvhbGFw4rQ