Ohne den Kampf für eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hält die Brandmauer gegen rechts nicht. Der Blick muss sich auf die Profiteure des immer rabiater werdenden Kapitalismus richten, auf die Verantwortlichen für wachsende Krisen, für die wachsende Spaltung in arm und reich, für Rüstung, Kriege und Ressourcenausbeutung. Der Kampf für eine sozial-ökologische Wende, für weniger Ressourcenverbrauch und eine friedlichere Außenpolitik gegen Nationalismus und für Internationalismus beginnt hier und heute im eigenen Land, lokal und regional.
Dies ist Teil III der dreiteiligen Reihe Regionalisierung statt Globalisierung (zu Teil I, Teil II)
Hemmnisse für die Entwicklung regionaler Wirtschafts- und Stoffkreisläufe
Hierzulande schränken nicht nur die Schuldenbremse, die fehlende Vermögenssteuer und die nicht realisierte Übergewinnsteuer staatliche Handlungsmöglichkeiten zur Entwicklung einer kooperativen Regional- und Strukturpolitik ein. Das betrifft auch die beherrschende Stellung großer Konzerne in der Ernährungswirtschaft, der Agrarindustrie, der Holzindustrie, des Großhandels und die Macht der Großmarktketten. Zudem schränkt auch das EU-Recht Handlungsmöglichkeiten ganz erheblich ein und bildet eine regelrechte Zwangsjacke (Bimboes, 2019). Allerdings zeichnen sich hier seit geraumer Zeit in bestimmten Bereichen gewisse Lockerungen ab, wie Andreas Fisahn in einer aktuellen Stellungnahme für die Hans-Böckler-Stiftung zeigen kann (Fisahn, 2023). So sind die Grundlagenverträge der EU – der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – von einem engmaschigen Netz an Rechtsvorschriften und Regelwerken umgeben, die den Interessen großer Wirtschaftskonzerne und Banken dienen und tief ins Räderwerk der Ökonomie auf nationalstaatlicher Ebene eingreifen und – so das Dogma – Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten der EU verhindern sollen. Das zeigen der EU-Struktur- und Investitionsfonds und die mit ihnen verbundenen Regelungen für Kofinanzierungen, Beihilfen und Ausschreibungen für öffentliche Auftraggeber. Insbesondere von den führenden Nationalstaaten selbst mitgestaltete wettbewerbsrechtliche Instrumente der EU – zu denen gerade auch das Beihilferecht gehört – haben bis vor einigen Jahren in immer unerträglicherem Ausmaß die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit in den Mitgliedstaaten eingeschränkt (Biegon, 2018).
Inzwischen wird das Beihilfeverbot im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wie Andreas Fisahn zeigt, „erheblich weniger strikt“ in wichtigen umwelt- und klimapolitischen Umbaubereichen ausgelegt. „Der Wandel in der Auslegung des AEUV zeigt sich in zahlreichen Ausnahmen, die zugelassen wurden“. Sie „sind Reaktion der EU-Kommission auf die Klimakrise und die fortwährenden Krisen, welche die EU und das internationale System seit der Finanzmarktkrise 2008 erschüttern“. So wird in der Stellungnahme deutlich, „dass die Spielräume inzwischen weit größer sind als von vielen angenommen. Inzwischen kann man sogar von einer Umkehr der ursprünglichen Regelungsabsicht durch sekundäres und tertiäres Recht sprechen. Die Ausführungsvorschriften zum Green Deal und zu den wichtigen Vorhaben von gemeinsamen europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, kurz IPCEI) deuten darauf hin, dass diese Spielräume auch weiterhin für den ökologischen Umbau genutzt werden sollen“. Doch diese Lockerungen reichen nicht.
Lockerungen im Beihilferecht allein reichen nicht
Allerdings können die inzwischen gelockerten Einschränkungen im Beihilferecht nicht einmal – was notwendig wäre – ausreichend ausgeschöpft werden durch die seit inzwischen 25 Jahren anhaltende, restriktive Haushaltspolitik und fehlende Steuereinnahmen auf Bundesebene. Und deshalb ermöglichen alleinige Lockerungen im Beihilferecht nicht, dass sich insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene – insbesondere in strukturschwachen Regionen – Klein- und Kleinstunternehmen und mittelständische Unternehmen breit entfalten können und mithin der Aufbau stabiler, langfristig sich selbst tragender Wirtschafts- und Wertschöpfungskreisläufe mit vielen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen gelingt. Damit wird dem dringend notwendigen und längst überfälligen sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft weiter schwerer Schaden zugefügt.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz ist alles in Angriff zu nehmen, was einer besseren Lokal- und Regionalpolitik dienlich ist. Und dazu gehören auch „gezielte Regelverletzungen“. Das machte Hans-Jürgen Urban (IGM) auf dem Europa-Kongress von Attac im Oktober 2018 deutlich. Für ihn können diese ein legitimes Mittel linker Politik sein. Und auf bestimmten Gebieten sollte um eine selektive Rückverlagerung von Kompetenzen von der supranationalen Ebene auf die nationalstaatliche gekämpft werden (Biegon, 2018), z.B. um sozialstaatliche Errungenschaften zu schützen (Wahl, 2018).
Neben der Aufhebung von Einschränkungen für Beihilfen sind zugleich für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) derzeit geltende Subventionswerte in der De-Minimis-Verordnung so weit anzuheben und auszugestalten, dass regional eine für Arbeit und Umwelt wirksame Mittelstandspolitik in Gang gesetzt werden kann. Im Agrarsektor sind Beihilfen auf umweltgerechten und ressourcenschonenden Landbau (sowohl integriert als auch ökologisch) zu beschränken und kräftig über die derzeit genehmigungspflichtigen Subventionen hinaus anzuheben. Zugleich sollen die Beihilfen auch für die Verarbeitung und Vermarktung von dessen Erzeugnissen gelten.
Schwellenwerte für öffentliche Ausschreibungen von Aufträgen streichen
Beim Vergaberecht sollen die öffentlichen Auftraggeber selbst entscheiden, ob sie ihre Aufträge für Bauen, Wohnen, Arbeit und Umwelt europaweit oder national und mithin zumeist lokal oder regional ausschreiben.
Grundsätzliche Änderung der EU-Agrarpolitik notwendig
Damit dieser Umbau wirklich an Fahrt aufnehmen kann, ist zudem eine grundsätzliche Änderung der europäischen Agrarpolitik notwendig. Das betrifft im Schwerpunkt die beiden Säulen zur Subventionierung der Agrarbetriebe: in der ersten Säule Direktzahlungen an die Betriebe seitens der EU und in der zweiten Säule Agrarumwelt- und Klimaprogramme, die zudem Kofinanzierung seitens der Mitgliedstaaten brauchen (UBA, 2023). In der ersten Säule stehen auf EU-Ebene für den Zeitraum 2023 bis 2027 Direktzahlungen von 21,5 Mrd. Euro zur Verfügung. Es sind bloße Flächenzahlungen, auf die inzwischen auch äußerst bescheidene einjährige Agrarumweltmaßnahmen entfallen. Insgesamt begünstigen die Flächenzahlungen flächenstarke Agrarbetriebe und große Landbesitzer. Zudem bilden sie Anreize für Kapitalinvestoren, landwirtschaftliche Flächen aufzukaufen. Damit entfaltet sich weiterer Druck zur Kapitalkonzentration. In der zweiten Säule stehen auf EU-Ebene 8,2 Mrd. Euro für den Zeitraum 2023 bis 2027 zur ländlichen Entwicklung zur Verfügung. Hier verpflichten sich die Agrarbetriebe für einen „Zeitraum von in der Regel fünf Jahren freiwillig, umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende Produktionsverfahren einzuhalten“.
Die erste Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) muss umgebaut werden. Diese Subventionen sind für flächenstarke Agrarbetriebe und große Landbesitzer zu streichen. Sie sind allein kleinen und mittleren Betrieben zur Verfügung zu stellen und an Maßnahmen für den sozial-ökologischen Umbau zu binden. Die zweite Säule bedarf ebenfalls grundlegender Änderungen und ist verpflichtend auszugestalten. Die Kofinanzierung ist von ihren strangulierenden Regeln zu befreien.
Aufschlussreich ist übrigens, wo sich Mitgliedstaaten der EU unter Geltendmachung „nationaler Interessen“ nicht in ihrer Handlungsfähigkeit beschneiden lassen. So ist der gesamte Rüstungssektor (Rüstungskonzerne und Kriegsschiffbau auf Werften) von Ausschreibungsregelungen ausgenommen. Hier können für die Sicherheit „sensible“ Aufträge sogar freihändig und ohne Ausschreibungen vergeben werden.
Grundlegende Verbesserungen brauchen neue EU-Vertragsgrundlagen
Grundlegende Verbesserungen für eine lokale und regionale Struktur- und Investitionspolitik werden sich jedoch letztlich nur erreichen lassen, wenn das restriktive Regelwerk und mit ihm das EU-Wettbewerbsrecht vollständig aufgegeben wird. Erreichen lässt sich das aber nur, wenn das gesamte EU-Vertragssystem überarbeitet wird und die Türen geöffnet werden für eine demokratische und umfassende sozial-ökologische Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.
Dies ist der dritte Teil der 3-teiligen Beitragsreihe Regionalisierung statt Globalisierung von Dr. Detlef Bimboes (zu Teil I, Teil II)
Literatur:
- Biegon, Dominika; Degen, Christel; Wixforth, Susanne (DGB-Bundesvorstand): EU-Haushalt: Es drohen fatale Weichenstellungen, in: WiSo vom 11.Oktober 2018, https://www.blickpunkt-wiso.de/post/eu-haushalt-es-drohen-fatale-weichenstellungen–2258.html; Abruf: 05.12.2018;
- Bimboes, Detlef: Zwangsjacke EU-Recht – Zur Kritik der EU-Struktur- und Investitionsfonds, Berlin 2019;
- DIW Econ GmbH und Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS): Zukunftsfähiges Bayern – Wie Bayern Vorreiter für einen ökologisch-sozialen Strukturwandel werden kann, Studie im Auftrag von Greenpeace e.V. und BUND Naturschutz in Bayern e.V., Berlin Mai 2022;
- DNRT e.V. (Deutscher Naturschutzrechtstag e. V.): Position des Deutschen Naturschutzrechtstages zur beabsichtigten Reform des Waldgesetzes im Zeichen des Biodiversitätsschutzes, des natürlichen Klimaschutzes und der Anpassung an den Klimawandel, verabschiedet auf seiner MV am 09.11.2022;
- Dörre, Klaus: Landnahme, in: Haug, W. F. (Hrsg.), Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Bd. 8.1, S. 664–687, Argument Verlag, Hamburg 2012;
- Dörre, Klaus: Neo-Sozialismus oder: Acht Thesen zu einer überfälligen Diskussion, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 108, Nr. 6, Berlin 2018;
- Dörre, Klaus: Die Utopie des Sozialismus-Kompass für einen Weg aus der Klimahölle, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, S. 13, Nr. 06/2022, Dortmund 2022;
- Dörre, Klaus: Der ökologische Sozialstaat – ein linkes Zukunftsprojekt, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, S. 15, Nr. 04 / 2023, Dortmund 2023;
- Fisahn, Andreas: Bremst EU-Recht die sozial-ökologische Transformation aus? Eine juristische Bewertung, Working Paper Forschungsförderung, No. 267, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2023;
- Ostrom, Elinor: Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt (deutsche Übersetzung von: Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action), Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1999;
- Polanyi, Karl: The Great Transformation – Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, S. 88 ff., Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1978, 13. Auflage, Frankfurt a. M. 2017;
- Reichelt Chemietechnik GmbH + Co.: Mikrofluidik und Mikroreaktoren – « Chemiefabrik en miniature », in: https://www.rct-online.de/magazin/mikrofluidik-und-mikroreaktoren/; Scheer, Hermann: Der Energethische Imperativ, 100 % jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist, Antje Kunstmann Verlag, München 2010;
- Thie, Hans: Rotes Grün – Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft, Veröffentlichung der Rosa Luxemburg Stiftung, VSA Verlag, Hamburg 2013;
- UBA: Agrarumwelt-& Klimamaßnahmen in der europäischen Agrarförderung, in: https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/umweltmassnahmen-im-agrarbereich#umweltschutz-in-der-landwirtschaft, Roßlau-Dessau 25.04.2023;
- Wahl, Peter: Europa-Kongress von Attac, Kassel, 5. Bis 7. Oktober 2018, in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 116, S. 214 – 216, 12.2016;
- Wulfsberg, Jens, P. (Hrsg.), Redlich, Tobias: Wertschöpfung in der Bottom-up-Ökonomie, S. 1, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2011;