Warum es für Linke keine Option ist, an nationalistische Diskurse anzudocken. Eine historische Erinnerung.
Vielerorts in Europa rücken Staaten nach rechts, bekommen rechtspopulistische Strömungen Zulauf. In Deutschland hat die AfD es geschafft, die Große Koalition vor sich herzutreiben und zu immer neuen Asylrechtsverschärfungen zu drängen. Sigmar Gabriel fabuliert davon, man müsse nun über „Leitkultur“ und „Heimat“ diskutieren. Die Grünen waren bereit, für die Regierungsbeteiligung sogar eine Obergrenze, genannt „atmender Rahmen“ zu akzeptieren und die CSU ist mittlerweile kaum noch von den Rechtspopulisten zu unterschieden.
Der gesellschaftliche Rechtsruck als Herausforderung
Wie also auf den gesellschaftlichen Rechtsruck reagieren? Auch die Linke in Deutschland ringt um Antworten: Wie sehr hält sie am Internationalismus fest, welche Antworten werden im nationalen Rahmen gegeben? Ist es sinnvoll, und sei es aus rein taktischen Erwägungen, rechte oder nationalistische Diskurse zu bedienen?
Wer an nationalistische Argumentationen anzudocken versucht oder behauptet, links und rechts seien überholte historische Kategorien, wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Querfront-Strategie zu verfolgen. Darunter wird der Versuch verstanden, Bündnisse oder zumindest gemeinsame Diskussionskorridore zu schaffen, die eigentlich politisch entgegengesetzte Lager verbinden. Ein Blick ins Geschichtsbuch kann hilfreich sein, denn in der Weimarer Republik gab es mit dem „Nationalbolschewismus“ von links und der „Konservativen Revolution“ von rechts Versuche, linke und rechte Diskussionen zusammenzuführen.
„Tretet die Judenkapitalisten nieder…“
„Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. […] Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie.“i Diese Sätze stammen aus einer Rede der KPD-Funktionärin Ruth Fischer. Sie stehen im Zusammenhang mit dem sogenannten Schlageter-Kurs der KPD ab 1923. Er zielte darauf ab, durch nationalistische Agitation insbesondere die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet im „Ruhrkampf“ gegen die französische und belgische Besetzung Arbeiterschaft im Ruhrgebiet im „Ruhrkampf“ gegen die französische und belgische Besetzung aufzubringen. Beide Nationen hatten das Ruhrgebiet militärisch besetzt, als Deutschland seinen Reparationsverpflichtungen nicht nachgekommen war. Noch 1920 hatte der damalige Komintern-Funktionär Radek diese nationalistische Agitation, die auf die Befreiung der Arbeiterklasse durch einen „revolutionären Krieg gegen die Entente“ (Otto Graf, bayrischer KP-Landtagsabgeordneter, 1921 ausgeschlossen) abzielte, um „dem Finanzkapital das Grab zu schaufeln“ (Otto Thomas, KP Bayern)ii, als „Nationalbolschewismus“ kritisiert.
1923 kam der Umschwung: Karl Radek gedachte in seiner Rede Ende Mai 1923 des Freikorpssoldaten Leo Schlageter als eines „Märtyrers des deutschen Nationalismus“. Schlageter, zu der Zeit Mitglied einer nationalsozialistischen Tarnorganisation, wurde wegen „Spionage“ und der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen von der französischen Besatzungsmacht hingerichtet. Radek forderte die „Deutschvölkischen“ auf, gemeinsam gegen die „Versklavung des deutschen und russischen Volkes“ durch das „Ententekapital“ zu kämpfen.iii Für die KPD wurde diese Rede maßgebend. So stellte sie im August 1923 fest, das Programm der NSDAP sei zwar in seinem Antisemitismus abzulehnen, der „sozialistische“ Teil wurde aber eingeschätzt als Ausdruck des „gesunden Dranges nach einem endgültigen Bruch mit dem alten Regime“. Der Zuspruch zu den deutschen Faschisten resultiere aus einer „Wurzellosigkeit“ des Kleinbürgertums, der Antisemitismus sei lediglich „ganz oberflächlich aufgeklebt“. Das Kleinbürgertum sei in der Auseinandersetzung mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs „in die Lage gekommen, nach außen revolutionär aufzutreten“. Im Zuge dieser Einschätzung kam es auch zu den Äußerungen Ruth Fischers. Bei der bayrischen Landtagswahl im April 1924 tauchten sogar Flugblätter der KPD auf mit dem Titel „Nieder mit der Judenrepublik“. Im Ziel, das Kleinbürgertum durch nationalistische Rhetorik für sich zu gewinnen, wurde die Grenze zum Antisemitismus überschritten. Zurecht mahnte Clara Zetkin 1924, die Partei dulde mittlerweile sogar „faschistische Antisemiten“ in ihren Reihen.
Die Rettung der Nation als Aufgabe der KPD
1923 war auch für nationalrevolutionäre Kreise ein zentrales Ereignis: Arthur Moeller van den Bruck verfasste in der Zeit sein Hauptwerk „Das dritte Reich“ – den „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Marxismus – und propagierte einen „preußischen Bolschewismus“. Der Nationalrevolutionär Ernst Niekisch, damals noch Mitglied der SPD, meinte, handlungsleitend müsse ein „revolutionärer Sozialismus und Nationalismus“ werden. Bei den nationalbolschewistischen Kräften in der KPD fand das Anklang. In der „Roten Fahne“, dem Zentralorgan der KPD, kam es zu einer regen Auseinandersetzung, sogar zu einer Sonderausgabe mit dem Titel „Sowjetstern oder Hakenkreuz“, in der Radeks Rede, aber auch Beiträge der Konservativen Revolutionäre Moeller van den Bruck und Ernst Graf von Reventlow erschienen.iv Paul Frölich, der spätere Biograph Rosa Luxemburgs, beschrieb das gemeinsame Interesse: „Wer vom Klasseninteresse der Arbeiter ausgeht wie wir, dem erwächst die Aufgabe der Rettung der Nation. Wer vom nationalen Interesse ausgeht, muss sich mit dem kämpfenden Proletariat verbünden, muss die Revolution wollen.“v
Von Agenten, Versklavung und bolschewistischer Rücksichtslosigkeit
Spätestens 1926 mit dem Ausschluss Ruth Fischers fand die nationalbolschewistische Agitation ein vorläufiges Ende. Erst 1930, mit dem zunehmenden Erstarken der NSDAP und Befürchtungen der Sowjetunion, der nationalistische Furor könne sich gegen die Sowjetunion richten, bekam der Nationalbolschewismus wieder Auftrieb. Der Paukenschlag war das Programm der KPD von 1930 zur „nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“vi. Hauptfeind war die Sozialdemokratie, der Sozialfaschismus-These folgend, deren „verräterische Politik“ verantwortlich wäre für das Erstarken der NSDAP. Gemeinsam mit den Regierungsparteien hätten sie „Hab und Gut, Leben und Existenz des werktätigen deutschen Volkes meistbietend an die Imperialisten des Auslands verkauft“. Sie seien „freiwillige Agenten des französischen und polnischen Imperialismus“. Deshalb würde die KPD als einzige „gegen den Versailler Raubfrieden, den Ausgangspunkt der Versklavung aller Werktätigen Deutschlands“ kämpfen. Das innenpolitische Programm für das kommende „Sowjetdeutschland“ sparte nicht mit Verbalradikalismus: „Mit eiserner Faust werden wir jede Spekulation, die sich die Not der Werktätigen zunutze macht, zerschmettern.“ Und: „Mit bolschewistischer Rücksichtslosigkeit werden wir allen bürgerlichen Faulenzern gegenüber das Prinzip durchführen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Mit dieser nationalistischen wie „sozialistischen“ Rhetorik wollte man die „Begeisterung der Massen zum Siege über die Bourgeoisie, zur sozialen und zugleich zur nationalen Befreiung des werktätigen deutschen Volkes entfachen“.
Von Nationalrevolutionären wie Ernst Niekisch wurde das Programm gelobt: In der Zeitung Otto Strassers schrieb er, die KPD stelle sich damit in die „Front des deutschen Widerstands und der Freiheitspolitik“. In der Folge kam es zu mehreren Kooperationen zwischen KPD und NSDAP: 1931 beteiligte sich etwa die KPD an einem Volksbegehren (das scheiterte) von Stahlhelm und NSDAP zur Auflösung des preußischen Landtags gegen die Regierung von Otto Braun, die als „republikanisches Bollwerk“ verschrien war und am 20. Juli 1932 im sogenannten Preußenschlag von der Regierung Papen aufgelöst wurde. Der Parole Thälmanns folgend, bei Streikaktionen unbedingt auch Nazis in die Streikleitungen aufzunehmen, kam es 1932 zu einer Kooperation zwischen Walter Ulbricht und Josef Goebbels im Berliner Verkehrsarbeiterstreik, der letztlich blutig niedergeschlagen wurde.
Nationalbolschewismus als historisches Lehrstück
Der Nationalbolschewismus war eine fatale Strategie: Der Antisemitismus wurde massiv unterschätzt, die Rolle des reaktionären Kleinbürgertums zumindest in den 1920er Jahren vollkommen fehlgedeutet. Nationalistische Rhetorik und antisemitische Anklänge sowie die Hauptschlagrichtung gegen „Finanzkapital“, Republik und Sozialdemokratie führten vielleicht dazu, dass einige Arbeiter sich von der NSDAP abwandten, aber ebenso, dass linksliberale und demokratische Kräfte sich von der KPD distanzierten. Antidemokratische und völkische Tendenzen wurden in der Konsequenz gestärkt, nicht geschwächt. Das soll nicht die Verantwortung industrieller Kreise, des Adels oder des Junkertums am Aufstieg des deutschen Faschismus negieren, sollte aber ein historisches Lehrstück sein, sich auch in Zeiten der gesellschaftlichen Krise nicht nationalistischen Versuchungen hinzugeben oder gar dem Irrglauben aufzusitzen, Kategorien wie links und rechts hätten sich erledigt.
Lorenz Gösta Beutin ist Historiker und Bundestagsabgeordneter der Linksfraktion.
i Heinrich August Winkler: Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993, S. 196.
ii Otto-Ernst Schüddekopf: Nationalbolschewismus in Deutschland 1918-1933, Frankfurt a.M. u.a. 1972, S. 53.
iii Karl Radek. Leo Schlageter, der Wanderer ins Nichts. In: Die Rote Fahne, 26.Juni 1923.
iv Sowjetstern oder Hakenkreuz? Deutschlands Weg – Deutschlands Rettung. Ein Waffengang zwischen Faschisten und Kommunisten, Berlin 1923.
v Zit. n. Otto-Ernst Schüddekopf: Nationalbolschewismus in Deutschland 1918-1933, Frankfurt a.M. u.a. 1972, S. 127.
vi Rote Fahne, 24.8.1930, https://www.marxists.org/deutsch/referenz/thaelmann/1930/08/natsozbef.htm
2 Antworten
Dies ist ein überaus wichtiger Beitrag, der auf den Kern der gegenwärtigen Auseinandersetzungen innerhalb der LINKEN zielt. Es muss gelingen, die Querfrontendenzen innerhalb der Linken einzudämmen, sonst wird die Partei und unsere Ziele Schaden nehmen.
Das ist ein überaus flacher in der Konsequenz antikommunistischer Beitrag , der die Bedeutung der nationalen Frage für die Arbeiterklasse völlig verkennt.