Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen

Auch wenn es schwer vorstellbar ist, aber die Bundesrepublik hatte einmal einen Bundeskanzler, der forderte, lieber hundert Stunden umsonst zu verhandeln, als eine Minute zu schießen. Dieser Bundeskanzler, Helmut Schmidt, war kein glühender Pazifist. Aber seine Aussage zeigt, wie sich ein Bewusstsein über die Schrecken des Krieges, über Bombardierung, Zerstörung, Vertreibung, Verstümmelung, Verlust und Tod auf die außenpolitische Maxime der Nachkriegsparteien auswirkten. Klug gaben sie der Diplomatie den Vorrang, statt diese zum Schimpfwort zu erklären.

Wenig ist heute davon noch übrig: Deutschland soll kriegstüchtig gemacht werden. Und die SPD sieht sich dabei in einer besonderen Verantwortung. Glücklicherweise verläuft diese Entwicklung nicht widerspruchsfrei. Der Kanzler dürfe nicht nur für Kanonen werben, sondern auch für Verhandlungen, grätscht der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi in den bellizistischen Diskurs. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnte vor einer Unterschätzung der Risiken bei der Stationierung von Mittelstreckenraketen. Und SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner äußerte die Sorge vor einer wachsenden Spirale, in der die Welt immer gefährlicher werde. Zeitgleich erschien eine Presseerklärung, die ein „Nein zu Deutschland als Kriegspartei“ forderte – unterschrieben von bekannten Stimmen aus Sozialdemokratie und Gewerkschaftern wie Peter Brandt, Hertha Däubler-Gmelin, Michael Müller oder Helga Schwitzer. Noch fehlt dem sich vorsichtig äußernden Unmut die organisatorische Basis, der Andockpunkt für alle, die angesichts des Kriegskurses ebenfalls in Sorge sind. Doch es zeigt sich: Die antimilitaristische Glut in Deutschland ist noch nicht erloschen. Sie schwelt und wartet auf den Blasebalg, der daraus ein loderndes Feuer gegen Zeitenwende und Kriegstreiberei entfacht.

Er wäre bitter nötig, denn Falschbehauptungen, Druck und neue gesetzliche Weichenstellungen versuchen die verunsicherte Bevölkerung auf den Kriegskurs der Ampel zu zwingen. So reagierte Außeministerin Baerbock umgehend auf die sozialdemokratischen Absatzbewegungen und rechtfertigte die Stationierung der US-Raketen damit, dass sich Europa vor Putin schützen müsse, weil dieser bereits vor Jahren internationale Abrüstungsverträge gekündigt habe. Dass es aber die USA waren, die das Open Sky-Programm, den INF- und auch den ABM-Vertrag kündigten, verschweigt sie. Und es fällt schwer zu glauben, dass eine Politikerin ihres Ranges dies unwissentlich tut.

Doch nicht nur die Grünen tragen mit Falschbehauptungen dazu bei, dass das schleichende Gift der Militarisierung in die Gesellschaft einsickert. Auch Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) scheint damit durchzukommen, dass ihr Ministerium politische Listen mit den Namen von Hochschullehrern führte, die sich mit dem propalästinensischen Protest ihrer Studenten solidarisierten. In Bayern verständigten sich CSU, Freie Wähler und SPD auf ein Gesetz, das Schulleitungen nicht nur die Möglichkeit in Aussicht stellt, Bundeswehroffiziere in den Unterricht einzuladen, sondern sie dazu verpflichtet. Das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ verbietet zudem die Zivilklausel und nimmt den Hochschulen die Möglichkeit, sich selbständig für eine zivile Nutzung ihrer Forschungsergebnisse zu entscheiden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kündigte bereits an, vor den bayrischen Verfassungsgerichtshof zu ziehen.

Doch nicht nur die Übermacht der etablierten Parteien ist eine Herausforderung für die politische Linke im Kampf um die Köpfe. Auch die autoritäre Rechte schläft nicht. Bei der Abstimmung im Bayrischen Landtag verweigerten sie ihre Zustimmung, wenn auch nur durch Enthaltung. Zur Stationierung der Mittelstreckenraketen verhielten sie sich schon eindeutiger und kritisierten, Bundeskanzler Scholz treibe Deutschland in einen Krieg gegen Russland. Wer einen Blick in das Programm der AfD wirft, weiß: Die AfD ist keine Friedenspartei! Aber sie versucht sich als solche zu inszenieren, um an den bestehenden Widersprüchen zu wachsen.

Diese Herausforderung muss die politische Linke annehmen: Die Gewerkschaften, die SPD-Linke, das Bündnis Sahra Wagenknecht, die Friedensbewegung, die Klimabewegung, die Partei DIE LINKE – sie alle. Ein erster Coup gelang nun dem Spitzenkandidaten der LINKEN in Brandenburg, Sebastian Walter. Er präsentierte vor wenigen Tagen ebenso frech wie entschlossen ein Plakat seiner Partei, auf dem eben jenes Schmidtsche Diktum prangt: „Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen!“ Chapeau!

Widerspruch und Widersprüche – eine Kolumne von Ulrike Eifler

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