Nach dem Überfall palästinensischer Gruppen am 7. Oktober 2023 und dem einsetzenden Krieg Israels gegen die Zivilbevölkerung in Gaza häuften sich Berichte über schwere Folter und Misshandlungen von palästinensischen Gefangenen und Geiseln durch israelische Soldaten. Darunter befinden sich viele Vorwürfe oft extremer sexualisierter Gewalt, die „systematisch“ als Foltermethode eingesetzt werde (B’Tselem). Diese Berichte werfen ein schockierendes Licht auf die Zustände in israelischen Haftanstalten, und im Zentrum steht das berüchtigte Sde Teiman Prison – „Israels Guantanamo“. Ein Versuch der umfassenden Dokumentation sexualisierter Folter durch israelische Streitkräfte.
WARNUNG: Dieser Artikel enthält teils graphische Beschreibungen von Fällen extremer sexualisierter Folter, was auf viele Menschen äußerst verstörend wirken kann.
Die Wärter verlegten Amer Abu Halil und mehrere Mitgefangene in einen anderen Trakt. Wie immer mussten sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen und in gebückter Haltung aus den Zellen treten. In der Küche zogen die Wärter ihnen die Kleidung aus und warfen sie übereinander: „ein Haufen von 10 nackten Gefangenen“. Dort wurden sie mit Knüppeln geprügelt und bespuckt. Ein Wärter begann, den Männern Karotten in den Anus zu rammen und sie zu vergewaltigen. Nach der Tortur wurden Hunde auf die Häftlinge losgelassen. Auch urinierten Hunde in den komplett überfüllten Zellen wiederholt auf die Matratzen der Häftlinge.
Abu Halil hat einen gebrochenen Rückenwirbel und kann nach einem Angriff im Gefängnis nur noch mithilfe eines Krückstocks gehen. In seinem medizinischen Bericht sind außerdem erweiterte Venen an seinen Hoden vermerkt. Mit Metalldetektoren schlugen Wärter auf die Genitalien der Häftlinge. Der 30-Jährige berichtet von einem anderen Tag, als Wärter eine Gruppe nackter Insassen verprügelten und ihnen dabei immer wieder in die Hoden traten. Über 25 Minuten hinweg. Abu Halil beschreibt auch die anale Vergewaltigung eines anderen Häftlings, die er bezeugt habe, „mit einem Eisenstab, der so dünn wie eine Zigarette war“.
Gegenüber Haaretz und Le Monde legte Amer Abu Halil Zeugnis über die Tortur ab, die er nach dem 7. Oktober in israelischer Gefangenschaft erlitten habe.
„Willkommen in der Hölle“
Ein im März veröffentlichter Bericht einer UN-Kommission erhebt schwere Vorwürfe gegen den israelischen Staat: Seit dem 7. Oktober 2023 hätten israelische Soldaten „systematisch sexuelle, reproduktive und andere Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt angewendet“, um so „Vergeltung zu üben und sie [die Palästinenser] kollektiv für die Angriffe [vom 7. Oktober] zu bestrafen“. Die Kommission spricht von „einem Muster sexualisierter Gewalt“, das auf „die Entmenschlichung und Demütigung von Palästinensern in Haft“ abziele, darunter Männer, Frauen und Kinder. Sexuelle Übergriffe würden als Mittel zur Unterdrückung und Kontrolle der palästinensischen Bevölkerung eingesetzt. Die Expert*innen sehen in diesen Verbrechen mögliche Hinweise auf Völkermord, da sie „bewusst als Mittel der Unterdrückung und Zerstörung einer Gemeinschaft“ eingesetzt würden. „Man kann sich der Schlussfolgerung nicht entziehen, dass Israel sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Palästinenser angewendet hat, um sie zu terrorisieren und um ein System der Unterdrückung aufrechtzuerhalten, das ihr Recht auf Selbstbestimmung untergräbt“, so das erdrückende Urteil von Navi Pillay, der Vorsitzenden der UN-Kommission. Israel weist mit den altbekannten Strategien alle Vorwürfe kategorisch zurück, denn die UN sei laut israelischem Außenministerium ohnehin eine „antisemitische Organisation“.
Diesem jüngsten UN-Bericht gehen andere voraus, die der IDF den systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt als Foltermethode anlasten. Bereits im August 2024 veröffentlichte die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem den Bericht „Welcome to Hell“ über das „israelische Gefängnissystem als ein Netzwerk von Folterlagern“. In diesem dokumentiert die NGO beruhend auf Interviews mit 55 palästinensischen Häftlingen und Geiseln schwerwiegendste Misshandlungen und Folter; darunter „wiederholte Anwendung sexueller Gewalt in unterschiedlichem Schweregrad“; auch „sexuelle Gruppengewalt“. Die Zeugenaussagen „weisen eindeutig auf eine systematische, institutionelle Politik hin“.
Auch hier leugneten die israelischen Behörden alles kategorisch: „Uns sind die von Ihnen geschilderten Vorwürfe nicht bekannt, und soweit wir wissen, hat es unter der Verantwortung des IPS keine derartigen Vorfälle gegeben“, zitierte Reuters einen Sprecher der israelischen Strafvollzugsbehörde (IPS). Alle Gefangenen würden nach dem Gesetz behandelt und all deren Grundrechte von professionell ausgebildeten Wärtern in vollem Umfang eingehalten, so der Sprecher weiter; auch hätten die Häftlinge das Recht, Beschwerden einzureichen, die umfassend geprüft und untersucht würden.
Seit Kriegsbeginn sind 65 Palästinenser in israelischen Gefängnissen verstorben, meldete die US-Investigativplattform Drop Site News. Die Palästinensische Häftlingskommission nennt neben Aushungern auch Folter als Ursache für die Tode. Bislang gibt es keinen gesicherten Todesfall durch sexualisierte Folter, doch stehen beim bekannten Orthopäden Adnan Al-Bursh Vorwürfe im Raum, dass dieser möglicherweise „zu Tode vergewaltigt“ worden sei; vorgetragen etwa durch die UN-Sonderbeauftragte Francesca Albanese.
Schlagstöcke, Metallstangen, Feuerlöscher, Werkzeuge, Sturmgewehre, Hunde
Es gibt eine Vielzahl an Berichten, laut denen – neben den eingangs erwähnten Karotten und Metallstäben – israelische Soldaten im Foltergefängnis Sde Teiman palästinensische Häftlinge und Geiseln mit verschiedensten Objekten anal vergewaltigten.
Das israelische +972 Magazine interviewte den Anwalt Khaled Mahajneh, der Zeugnis über einen Besuch bei einem Mandanten im Sde Teiman ablegte – der Journalist Muhammad Arab, der im März 2024 von der IDF entführt wurde, als er für den Sender Al Araby TV über die Belagerung des Al-Shifa-Hospitals berichtete. Arab sei nach 100 Tagen Haft nicht wiederzuerkennen gewesen; er war mit Dreck und Taubenkot bedeckt. Rund um die Uhr seien den Geiseln hinter dem Rücken die Hände mit Metallhandschellen gefesselt gewesen; diese wurden ihnen einmal pro Woche für eine Minute abgenommen. Arab habe bezeugt, wie israelische Wärter sechs Gefangene vor den Augen der anderen Häftlinge mit einem Stock vergewaltigt haben, nachdem sie gegen Anordnungen der Wärter verstoßen hatten. Laut einem Statement der Palästinensischen Häftlingskommission bezeugte Journalist Arab auch, dass einem Häftling „ein Schlauch eines Feuerlöschers in den After eingeführt wurde, der dann in ihm entladen wurde“. Anderen Methoden des sexuellen Missbrauchs seien nur „schwer zu beschreiben“.
Der Sanitäter Walid Khalili berichtet gegenüber Human Rights Watch – neben anderen extremen Formen physischer und psychischer Folter, die ihm in Sde Teiman angetan worden seien, sowie Hinrichtungen, die er bezeugt habe – von sexualisierter Folter im Lager al-Naqab. Dort sei ein Mann, der sichtlich „aus dem Hintern blutete“, von israelischen Soldaten neben Khalili gelegt worden. Der Mann vertraute sich Khalili an und erzählte ihm, dass „drei Soldaten ihn abwechselnd mit einem M16 [Sturmgewehr] vergewaltigt haben“. Aus Scham erzählte der Mann niemandem sonst von seiner Tortur, doch brachte er Khalili als Sanitäter offenbar ein besonderes Vertrauen entgegen. „Er hatte schreckliche Angst. Seine psychische Verfassung war schrecklich, er fing an, mit sich selbst zu reden“, so Khalili gegenüber Human Rights Watch.
Der Palästinenser Ibrahim Salem wurde im Dezember 2023 von israelischen Streitkräften aus der Intensivstation des Kamal-Adwan-Krankenhauses in Nordgaza entführt und nach Sde Teiman verschleppt. Nach knapp acht Monaten ohne Anklage wurde er freigelassen. Von CNN veröffentlicht, ging das Foto des 36-Jährigen um die Welt – es war eines der ersten überhaupt, die aus dem Foltergefängnis geleakt wurden (Titelbild dieses Artikels). Gegenüber Middle East Eye berichtet Salem von Monaten der Erniedrigung, von sadistischen Soldaten und permanenter Folter, darunter verschiedenste Formen sexualisierter Folter. Soldaten hätten ihm „an empfindlichen Stellen einen Stromschlag verpasst und mich an diesen Stellen geschlagen“, verschiedenste Objekte seien ihm in sein Rektum gerammt worden. Wenn der dicke, eiserne Schlagstock „in dich eingeführt wird, fühlt es sich an, als würde dein Gehirn explodieren“, beschreibt er die Folter gegenüber dem britischen Channel 4.
Er berichtet von „weitverbreiteten“ Vergewaltigungen palästinensischer Geiseln; die Scham unter den Männern war besonders groß, wenn sie von weiblichen Soldaten vergewaltigt wurden, „die manchmal noch im Teenageralter waren“. Ein Gefangener wurde über einen Tisch gebeugt und mit Handschellen gefesselt. Die Soldatin hinter ihm „führt ihre Finger und andere Gegenstände in sein Rektum ein“. Wenn er zurückwich, schlug ihm der vor ihm stehende Soldat auf den Schädel. „Die meisten Gefangenen kommen mit Rektumverletzungen raus“, sagte Salem gegenüber Middle East Eye. Auch die Menschenrechts-NGO Euro-Mediterranean Human Rights Monitor berichtet auf Basis von Zeugenaussagen über „das Einführen scharfer Gegenstände in das Gesäß“ von Gefangenen.
Mehrere Zeugen berichteten gegenüber B’Tselem von „Schlägen auf die Genitalien und andere Körperteile nackter Häftlinge“, heißt es im bereits erwähnten Bericht. Dabei seien „Metallwerkzeuge und Schlagstöcke“ verwendet worden, „um Schmerzen im Genitalbereich zu verursachen“. Eine ehemalige palästinensische Geisel berichtet gegenüber dem britischen Channel 4: „Als die Soldatin mich an Hoden und Penis packte, verletzte sie mich mit ihren Fingernägeln, indem sie sie in meinen Penis grub. Ich fing an zu schreien und biss wie ein Hund in den Draht.“ Laut einem Statement der Palästinensischen Häftlingskommission sagte der Journalist Muhammad Arab gegenüber seinem Anwalt aus, dass ein „Gefangener vollständig entkleidet und mit Stromschlägen traktiert wurde, er wurde an seinen Genitalien gerissen“. Kurz nach Kriegsbeginn berichtet die israelische Haaretz von Aussagen mehrerer Zeugen aus dem Megiddo Prison im Norden Israels. Neben vielen weiteren Misshandlungen hätten Wärter dort Gefangene „auf die Hoden geschlagen und sie erniedrigt“. „Sie sagen den Leuten, sie sollen ihre Beine spreizen und treten ihnen dann zwischen die Beine“, zitiert Haaretz den 41-jährigen israelischen Gefangene Ahmed Khalifa.
Im Juni vergangenen Jahres deckte die New York Times extrem verstörende Vorgänge im Sde Teiman auf. Der 39-jährige leitende Krankenpfleger Younis al-Hamlawi wurde im November 2023 von israelischen Streitkräften vor dem al-Shifa-Krankenhaus in Gaza City entführt und ins Foltergefängnis verschleppt. Al-Hamlawi wurde während der Verhöre wiederholt mit Elektroschocks gefoltert, die unkontrolliertes Urinieren verursachten, gefolgt von einer mehrtägigen Unfähigkeit, überhaupt zu urinieren. Er beschrieb einen Vorfall, bei dem eine Offizierin zwei Soldaten anwies, ihn hochzuheben und sein Rektum auf eine am Boden befestigte Metallstange zu pressen. Er habe „unerträgliche Schmerzen“ gehabt und aus dem Anus geblutet. Ein 41-jähriger Palästinenser beschreibt gegenüber der UN Varianten dieser Tortur. Auch er sei mit dem Anus auf eine am Boden befestigte Metallstange gerammt worden, diese war jedoch extrem heiß: „es fühlte sich an wie Feuer – ich habe Verbrennungen [im Anus]“. Ein anderer palästinensischer Entführter sei demnach getötet worden, indem Soldaten ihm eine unter Strom stehende Metallstange in den Anus rammten. „Er wurde so krank; wir sahen Würmer aus seinem Körper kommen und dann starb er.“
Laut dem israelischen +972 Magazine sagte ein palästinensischer Gefangener, er sei persönlich Zeuge von Fällen gewesen, in denen israelische Soldaten Gefangene mit Hunden sexuell missbraucht hätten. Euro-Mediterranean Human Rights Monitor zitiert den für 45 Tage verschleppten Anwalt Fadi Saif al-Din Bakr, laut dem in israelischer Gefangenschaft Polizeihunde eingesetzt wurden, um Palästinenser zu vergewaltigen. „Dies war eines der schrecklichsten Dinge, die ich erlebt habe“, resümiert Bakr, „dies war nur ein weiterer [Vorfall] auf dem Haufen der Qualen. Ich hatte gehofft, sterben zu können, damit mir so etwas nicht passieren würde“. Auch der 45-jährige Palästinenser Adham Mansour aus Jabalia „enthüllte schockierende Details über die Haftbedingungen und das Leiden der Gefangenen in israelischen Gefängnissen“, heißt es beim israelisch-arabischen Magazin Arab 48: „Es gibt Gefangene, die von Hunden vergewaltigt wurden.“
In einer Dokumentation von Al Jazeera kommt ein junger Mann zu Wort und hatte kaum zu Ertragendes zu bezeugen:
Lass mich dir von dem Schlimmsten erzählen, was ich im Gefängnis von Sde Teiman erlebt habe. Sie riefen die Namen von drei Personen auf, und ich war eine von ihnen. Wir kamen hinaus in einen Hof aus Beton, der einer ganz bestimmten Foltermethode gewidmet war. Sie nahmen uns die Augenbinden ab. Wir kauerten auf unseren Knien. Sie kamen und nahmen einen jungen Mann mit. Sie schlugen ihn. Nachdem sie ihn geschlagen hatten, zwangen sie ihn, sich auf den Bauch zu legen. Sie fesselten seine Hände und seine Füße. Es waren etwa acht oder neun Soldaten. Sie zogen ihm die Unterhose aus. Ein Hauptmann kam und spritzte ihm etwas auf den Hintern. Es war ein Hund dabei. Sie ließen den Hund auf ihn los. Der Hund vergewaltigte den jungen Mann. Er vergewaltigte ihn, wortwörtlich. Vergewaltigung.
Ein Video geht um die Welt
Im Sommer 2024 sorgte ein Fall aus dem Foltergefängnis Sde Teiman für internationales Aufsehen. Da hier Videomaterial der mutmaßlichen Verbrechen geleakt wurde, konnte dieser eine Fall nicht wie üblich unter den Teppich gekehrt werden. Der israelische Channel 12 veröffentlichte Aufnahmen einer Überwachungskamera, die zeigen, wie mehrere Soldaten in Sde Teiman einen der rund 30 auf dem Boden liegenden Gefangenen zur Seite nehmen. Im Anschluss wird er augenscheinlich vergewaltigt, während Soldaten mit ihren Schildern versuchen, die Gewalt vor den Kameras abzuschirmen. Als Folge der Tortur wies der Häftling „einen Darmriss, eine schwere Verletzung am Anus, Lungenschäden und gebrochene Rippen“ auf, erfuhr Haaretz. Der Palästinenser wurde zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht.
Das Video ging um die Welt. Am 29. Juli drangen maskierte Beamte der israelischen Militärpolizei ins Sde Teiman ein und nahmen zehn Reservisten fest, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen, meldete Haaretz. Rechte und rechtsradikale Politiker*innen und Aktivist*innen riefen daraufhin zu Protesten auf. Dutzende Demonstrierende – darunter Knesset-Abgeordnete der Regierungskoalition wie Zvi Sukkot (Religious Zionist Party) und Nissim Vaturi (Likud) – durchbrachen den Zaun und erstürmten den Stützpunkt. Maskierte skandierten: „Wir lassen unsere Freunde nicht im Stich, schon gar nicht für Terroristen.“ Im Innern der Haftanstalt verbarrikadierten sich Soldaten. Als die Militärpolizei eintraf, kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen und einige Soldaten im Innern setzten Pfefferspray gegen ihre Kollegen ein.
Nach ihrer Verhaftung wurden die Verdächtigen zum Verhör in die Militärbasis Beit Lid verbracht, und auch dort versammelten sich rechtsradikale Demonstrierende, etwa 1.200 an der Zahl, die skandierten „Lasst die Krieger frei“. Revital Gotliv von Netanyahus Likud war als Rädelsführerin an den Protesten beteiligt. Mehrere Personen brachen in den Stützpunkt ein, teils in IDF-Uniform, teils bewaffnet. Sie drangen zunächst in das Militärgericht ein und belagerten das Gefängnis des Stützpunkts. Die Polizei vertrieb den Mob, verhaftet wurde niemand.
Am Tag darauf kam es zu einer Sondersitzung im Knesset-Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung, in dem die Art und Weise der Verhaftung scharf kritisiert und versichert wurde, dass sich Derartiges nicht wiederholen werde. „Unsere Soldaten sind keine Kriminellen, und diese verächtliche Verfolgung unserer Soldaten ist für mich inakzeptabel“, so der Ausschussvorsitzende Yuli Edelstein (Likud).
Drei der Inhaftierten wurden kurz darauf freigelassen, meldete Times of Israel. Die anderen wurden unter Hausarrest gestellt. Prof. Yoel Donchin, ein Arzt in Sde Teiman, der den Häftling untersucht hatte, zeigte sich schockiert über den Zustand des Mannes: Er könne „nicht glauben, dass ein israelischer Gefängniswärter so etwas tun könnte“, heißt es bei Haaretz. Wenn Staat und Knesset-Mitglieder „der Meinung sind, dass es keine Grenzen für die Misshandlung von Gefangenen gibt, sollen sie sie selbst umbringen, wie es die Nazis getan haben“, so Donchin weiter. Der regierungsnahe Chirurg Alon Pikarsky gelangte laut einem von Channel 14 veröffentlichten ärztlichen Gutachten zu der sonderbaren Auffassung, dass das „Fremdobjekt“ nicht „durch eine externe Partei“ insertiert wurde, sondern dass sich der Mann selbst vergewaltigt hat.
Am 19. Februar hat die Militärstaatsanwaltschaft Anklage gegen die fünf Soldaten der Militärpolizei erhoben, meldete Times of Israel, ein Teamkommandant, ein Wachmann, ein Dolmetscher und zwei weitere Angehörige der Force 100, zwei von ihnen Offiziere. Die drei Soldaten, die die anderen mit ihren Schilden abschirmten, und die zwei, die das Gelände sicherten, wurden nicht angeklagt.
Laut Anklageschrift hätten die Soldaten den gefesselten Häftling über 15 Minuten hinweg am ganzen Körper getreten, geschlagen, auch mit Knüppeln, ihn über den Boden geschliffen, einen Taser auf ihn abgefeuert, auch auf den Kopf, und „mit einem scharfen Gegenstand in das Gesäß des Gefangenen gestochen“. Der Mann habe während des Angriffs vor Schmerzen geschrien. Die Soldaten hätten den Gefangenen nach der Folter zu den anderen zurückgebracht. Erst eine Stunde später wurde er wegen der starken Blutungen aus seinem Anus in ein Krankenhaus gebracht. Beschuldigten die Militärstaatsanwälte die Soldaten vor Gericht am 22. August letzten Jahres noch der „schweren Sodomie“ (entsprechend einer Vergewaltigung), findet sich dieser Vorwurf in der Anklage nicht wieder. „Die IDF-Truppen und Kommandeure handeln im Einklang mit dem Gesetz und den Werten der IDF“, heißt es zur Anklage in einer Erklärung des Militärs.
Vom Täter zum Nationalhelden
Neben den Protesten, die sich schützend vor die mutmaßlichen Täter stellten, löste das Veröffentlichen des Videos vor dem Sde Teiman auch in der politischen Rechten eine Welle der Solidarität aus. Im September 2024 wurde ein Video veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie der extrem rechte Rabbi Meir Mazuz einen der verdächtigen Soldaten segnete; der sei „völlig unschuldig“. In der Knesset kam es zu einem heftigen Wortgefecht. Auf die Frage von Ahmad Tibi, Vorsitzender der arabischen Ta’al-Partei und ausgebildeterer Arzt, „Ist es rechtmäßig, einen Stock in das Rektum einzuführen?“, brüllte der Abgeordnete Hanoch Milwidsky (Likud) Tibi an: „Ja! Wenn er ein Nukhba [Spezialeinheiten der Hamas] ist, dann ist alles legitim, was man mit ihm machen kann! Alles! Alles!“
Auch einige Minister stellten sich in Reaktion auf die Verhaftungen hinter die verdächtigen Soldaten. Der Justizminister und stellvertretende Ministerpräsident Yariv Levin (Likud) sagte, er sei „schockiert über die brutalen Bilder von verhafteten Soldaten“; es sei „unmöglich, dies zu akzeptieren“. Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir (Religious Zionist Party), bezeichnete die Festnahme der Soldaten als „nichts weniger als beschämend. […] Die Soldaten müssen unsere volle Unterstützung haben“. Und weiter Ben-Gvir: „Gruppenvergewaltigungen sind für die Sicherheit des Staates zulässig“. Auch Wirtschaftsminister Nir Barkat (Likud) äußerte sich deutlich: „Ich unterstütze unsere Kämpfer und fordere den Verteidigungsminister auf, den verabscheuungswürdigen Schauprozess gegen sie sofort zu beenden.“ Verkehrsministerin Miriam Regev (Likud) warnte, die Festnahmen israelischer Soldaten im Krieg seien „gefährlich“ und könnten zu militärischen Verfolgungen führen, die „unsere Feinde beschwichtigen [appease]“. Die Abgeordnete Limor Son Har-Melech (Otzma Yehudit) ging noch weiter und beschuldigte den Generalstaatsanwalt des Militärs, der die Verhaftungen angeordnet hatte, ein „Krimineller“ zu sein.
Einer der mutmaßlichen Täter wurde kurz nach den chaotischen Szenen vor dem Sde Teiman zum israelischen Channel 14 eingeladen, um dort – zur Verschleierung trug er eine Sturmhaube – seine Force 100 zu verteidigen. Er wurde bejubelt und sagte, die IDF sei „eine sehr gesunde Armee“. Unter Beifall stellte er sich und seine Einheit als die tatsächlichen Opfer dar. Wenige Tage später enthüllte der Mann in einem Onlinevideo seine Identität: Meir Ben-Shitrit. Es folgten weitere Interviews und Auftritte, nun unmaskiert, auch bei der Satireshow „Fathi and Shai“, in der er wie ein Nationalheld gefeiert wurde. Ben-Shitrit diffamierte dort Guy Peleg, den Journalisten von Channel 12, der die Aufnahmen der Überwachungskameras aus Sde Teiman original veröffentlichte; der habe „die Nation gespalten“. In der im Video gezeigten Szene handelten die Soldaten nach „Standardverfahren“. Sie hätten den Mann nicht vergewaltigt, sondern nur durchsucht und dabei „ein sehr, sehr hohes Maß an Moral bewahrt“. Die vorgehaltenen Schilde sollten lediglich verhindern, dass andere Insassen sehen, wie eine solche Dursuchung ablaufe – „die schmulen“ nämlich.
לוחם כוח מאה מאיר בן שיטרית שנחקר בחשד לאונס נוחבה, לא פחות, מגיע הערב לפתוח הכל על פרשת שדה תימן..
— שי גולדשטיין (@theshelterradio) August 26, 2024
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Hosts und Soldat schaukeln sich in ihren Glorifizierungen und Gewaltfantasien gegenseitig hoch. Die ganze Nation solle der Force 100 „unsere Hände küssen“, meint der Sde-Teiman-Soldat, da sie „heilige Arbeit“ leisten würde; und weiter: „Wir hätten auch einfach unsere Waffen laden und sie alle auf dem Boden töten können, das liegt in der Natur der Sache, denn man will diese Person mit einer Machete töten“. Der Soldat lamentiert, dass der Staat ihn verraten habe, dies sei „sehr beleidigend“. Auch die Medien hätten ihn unfair behandelt. Anders die Menschen in Israel: „Viel Liebe und Wärme“, habe er nach seinem Coming-out von Leuten in den Straßen erhalten; „viele Umarmungen, eine Menge Liebe, wir bekommen viele Geschenke, ich habe ein Urlaubspaket bekommen“. Ein Link zum Fundraising für die Force 100 wird eingeblendet. Die Show endet mit einem Handschlag: „Meir Ben-Shitrit, ein Held! Ein Held der Force 100! Alles Gute, viel Erfolg!“ Einer der Hauptverdächtigen in der einzigen Untersuchung aus einer Vielzahl schwerwiegendster Vorwürfe sexualisierter Folter gegen Palästinenser wird im israelischen Fernsehen als Held gefeiert.
Frauen und Mädchen als Ziele
Der durch das Videoleak öffentlich gewordene Fall war nach dem 7. Oktober 2023 das erste und einzige Mal, dass israelische Soldaten für mutmaßlich in Sde Teiman oder anderen Haftanstalten begangene Sexualverbrechen strafrechtlich verfolgt wurden (gemäß Berichterstattung), obwohl extreme Vorwürfe über sexualisierte Folter vielfach vorgebracht wurden. Sde Teiman erhielt schnell den Spitznamen „Israels Guantanamo“ – was nach allem, was wir wissen, eine deutliche Untertreibung ist. Allein aus dieser Anstalt seien ihm mindestens zehn Fälle bekannt, in denen Palästinenser sexuell misshandelt wurden, sagte Guy Shalev, Direktor von Physicians for Human Rights Israel, gegenüber CNN. Die Dunkelziffer sei vermutlich wesentlich höher. Auf die Frage, warum denn nun ausgerechnet in diesem Fall Soldaten festgenommen wurden, antwortet Shalev:
Dieser [Fall] kam heraus. Diese Person war in einem zivilen Krankenhaus in Behandlung, wo Ärzte und Pflegekräfte und andere Mitarbeiter sehen konnten, was während der Inhaftierung in Sde Teiman geschah. Die Informationen sickerten nach außen. Und ich glaube nicht, dass das Militär oder andere Apparate in Israel in der Lage waren, es weiter zu verschweigen.
Und doch beziehen sich offizielle Stellen positiv auf diese Festnahme, um zu zeigen, dass das System angeblich funktioniere: Ein Sprecher der israelischen Streitkräfte erklärte, das israelische Militär weise „Vorwürfe des systematischen Missbrauchs, einschließlich des sexuellen Missbrauchs, in seinen Hafteinrichtungen zurück“ und halte sich an israelisches und das Völkerrecht. Das Militär verwies dabei auf die Verhaftung der in Sde Teiman verdächtigten Soldaten als Beweis für die Funktionsfähigkeit des israelischen Rechtsstaats.
Neben all den dokumentierten Fällen physischer wurden auch Fälle psychischer sexualisierter Gewalt gegen palästinensische Häftlinge und Geiseln dokumentiert. So wurden Personen gezwungen, ihre Mütter und Schwestern obszön zu beleidigen. Anderen wurde gedroht, dass ihre weiblichen Familienangehörigen in Gaza vergewaltigt würden. Auch gibt es eine Vielzahl an Vorwürfen von Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalt gegen Palästinenserinnen. Mehrere UN-Sonderberichterstatter*innen erklärten im Februar 2024, es gäbe Beweise für mindestens zwei Fälle von Vergewaltigungen in israelischer Gefangenschaft sowie weitere Fälle von sexueller Erniedrigung und Vergewaltigungsdrohungen. Reem Alsalem, die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, sagte, das wahre Ausmaß der sexuellen Gewalt könnte deutlich höher sein. Auch seien Frauen nackt ausgezogen und von männlichen Soldaten untersucht worden.
In anderen Fällen wurden Frauen unter entwürdigenden Bedingungen fotografiert, und die Fotos wurden dann ins Internet gestellt. Und nicht nur in Gaza, auch im besetzten Westjordanland „begingen israelische Streitkräfte sexuelle Gewalt“ gegen Palästinenser*innen, stellt die UN in einem Bericht vom Juni 2024 fest. „Palästinensische Frauen wurden zur Zielscheibe und waren online und persönlich sexueller Gewalt und Belästigung ausgesetzt“, erklärt die Verantwortliche des Berichts Navi Pillay gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat. Öffentliche sexualisierte Erniedrigungen dienten dazu, „die Gemeinschaft insgesamt zu demütigen und die Unterordnung eines besetzten Volkes zu unterstreichen“.
Täterschutz
Neben der kategorischen Leugnung all der Vorwürfe sexualisierter Folter geht die israelische Regierung auch aktiv gegen die Verfolgung mutmaßlicher Täter vor. Herausragend ist hier die israelische Blockade gegen eine UN-Untersuchung über sexualisierte Gewalt durch die Hamas während des Angriffs am 7. Oktober 2023 vom Januar 2025. Da dies auch eine Prüfung von Vorwürfen sexualisierter Gewalt durch israelische Soldaten gegen Palästinenser erfordern würde, und da Pramila Patten, die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, Zugang zu israelischen Haftanstalten forderte, lehnte Israel diese Untersuchung ab.
Darüber hinaus schafft sich der israelische Staat selbst Bedingungen umfassender Straffreiheit im Innern. So beschloss Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara Ende November 2024, keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen hochrangige Beamte einzuleiten, die öffentlich zu Gewalt gegen Menschen in Gaza aufgerufen oder aufhetzende Aussagen – also solche, die relevant fürs Genozid-Verfahren am Internationalen Gerichtshof sind – getätigt hatten; explizit genannt wurde unter anderem die Bemerkung des Ministers für Kulturerbe, Amichay Eliyahu (Jewish National Front), der in Gaza den Abwurf einer Atombombe ins Spiel brachte. Im selben Monat hat der Gesetzgebungsausschuss der Knesset einen Gesetzesentwurf vorangetrieben, der die rechtliche Immunität von Knesset-Mitgliedern erweitern und sie de facto „über das Gesetz stellen“ würde. Der Entwurf durchlief seitdem weitere parlamentarische Hürden.
Im Januar dieses Jahres stellte der israelische Generalstaatsanwalt Amit Isman die Ermittlungen gegen fünf Soldaten ein, die verdächtigt wurden, nach dem Überfall vom 7. Oktober 2023 einen gefesselten Palästinenser getötet zu haben – obwohl Geständnisse der Verdächtigen vorlagen. Es soll mehrere Videos der Tat geben, eines zeige, wie einer der fünf dem Palästinenser mit einem Messer ins Gesicht stach und somit tötete. Ein anderer habe gestanden, dass er den Mann sexualisiert gefoltert habe. Die fünf mutmaßlichen Mörder sind freie Männer.
Sexualisierte Gewalt ist tief in der Alltagspraxis der israelischen Streitkräfte verankert. Neben der umfassenden Entmenschlichung von Palästinenserinnen und Palästinensern gründet sich diese auf das Wissen um Straffreiheit, den Schutz durch Gerichte und das Ermutigen seitens der Politik. Die Systematik hinter den sich verdichtenden Anschuldigungen lässt den Schluss zu, dass Israel im Krieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza Vergewaltigungen als Waffe einsetzt.
2 Antworten
Einfach unglaublich. Es ist nicht zu glauben dass wir solche Leute unterstützen
Und? Wissen die Leute, die über uns alle entscheiden darüber Bescheid? Wissen unsere Politiker und Politikerinnen Bescheid? Ich denke mal, ja! Die können sie Netanjahu, seine Partei und diesen ganzen kranken Scheiß unterstützen? Ich fasse es nicht.