Aktuelle Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen in Brasilien im Oktober 2018 kommen zu dem Ergebnis, dass der Politiker, der momentan mit die besten Chancen hat, in den „Palácio do Planalto“ einzuziehen, Jair Bolsonaro ist, einer der umstrittensten rechtspopulistischen Politiker Brasiliens.
Dabei liegt Bolsonaro in der Umfrage nur an zweiter Stelle. Den ersten Platz nimmt der ehemalige Präsident der Arbeiterpartei Luiz Inacio Lula da Silva ein, der allerdings aufgrund von Korruption zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Solange das Berufungsgericht das Urteil nicht bestätigt, bleibt Lula auf freiem Fuß und kann für die kommenden Präsidentschaftswahlen noch kandieren.
Jair Bolsonaro – für viele Synonym für Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit
Bolsonaro, Kongressabgeordneter der sozial-christlichen Partei (PSC), ist bekannt für nationalistische, rassistische und konservative Ansichten.
Für seine Aussage, dass sein Sohn weder schwul sei, noch eine dunkelhäutige Freundin haben könne, da seine Kinder „eine gute Erziehung genossen haben“, wurde er 2011 zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem hatte er 2014 für Aufsehen gesorgt, als er eine ehemalige Ministerin vor laufenden Kameras im Streit „Schlampe“ nannte und ihr vorwarf, er würde sie nicht vergewaltigen, da sie „es nicht wert sei“. Wiederholt hatte sich der Politiker positiv zu Brasiliens Militärdiktatur (1964 – 1985) geäußert: Dies seien zwanzig Jahre der „Ordnung und des Fortschritts“ gewesen und der Fehler hätte darin bestanden, „zu foltern und nicht zu töten“. Bolsonaro betonte zudem mehrfach, Verteidiger der Todesstrafe zu sein.
Die Frage stellt sich, wie jemand, der so offensichtlich menschenverachtende Meinungen vertritt, einen so großen Zuspruch in der brasilianischen Bevölkerung haben kann.
Zunächst einmal scheint Bolsonaro eine vermeintlich rosige Vergangenheit wieder herbei führen zu wollen. Er erinnert an „Recht und Ordnung“ in Brasilien zu Zeiten der Militärdiktatur und hebt hervor, wie schön es war, als man noch ohne Angst, ausgeraubt zu werden, durch die Straßen laufen konnte. Unschöne „Nebenwirkungen“ der Diktatur, wie Zensur, verschwundene und gefolterte Oppositionelle oder den Genozid an den UreinwohnerInnen, werden lieber nicht erwähnt oder eben schulterzuckend in Kauf genommen.
Es stimmt allerdings auch, dass die Kriminalitätsrate in Brasilien, insbesondere was Tötungsdelikte angeht, eine der höchsten weltweit ist und in den letzten Jahren weiter zugenommen hat. Wer es nach Anbruch der Dunkelheit beispielsweise noch wagt, sich in Rio de Janeiros geschäftlichem Zentrum aufzuhalten, kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass man ihn ausraubt, wenn er nicht gerade obdachlos ist und auf einem Pappkarton in der Straße schläft.
Nicht nur Worte der Nostalgie werden deshalb auch innerhalb bestimmter Bevölkerungskreise zunehmend lauter, die die „gute alte Zeit“ wieder herbeiwünschen. Auch werden Verschärfungen der Sanktionen gefordert: VerbrecherInnen sollen als solche behandelt werden, die Todesstrafe würde da schon abschreckend genug wirken.
Wie so häufig in derart simplen Argumentationsweisen werden Symptome bekämpft, jedoch keine Ursachen. Soziale Ungleichheiten, insbesondere zwischen weißen und dunkelhäutigen BrasilianerInnen, sind nach wie vor extrem und haben sich in den letzten Jahren noch verschlimmert. Auch die Sozialprogramme, die Lula und seine Arbeiterpartei beschlossen hatten, erzielten langfristig nicht die gewünschte Wirkung. Der prozentuale Anteil der AnalphabetInnen beispielsweise ist unter Dunkelhäutigen mehr als doppelt so groß wie unter Hellhäutigen.
König der sozialen Netzwerke
Ein weiterer, nicht unbedeutender Aspekt angesichts Bolsonaros Erfolg ist – ähnlich wie beim amerikanischen Präsidenten – seine Nutzung sozialer Medien: Er ist aktuell der einflussreichste brasilianische Abgeordnete in sozialen Netzwerken. Die Anzahl an „Likes“ seiner offiziellen Facebookseite beläuft sich auf rund 4,8 Millionen, die vom ehemaligen Präsidenten Lula hingegen nur auf etwa drei Millionen. (Zum Vergleich: Merkel: 2,5 Millionen, Trump: 22,8 Millionen.)
Wie es Lula einst war, stellt Bolsonaro heutzutage für viele BrasilianerInnen eine Art „Messias“ dar, indem er komplizierte Sachverhalte mit einfach Worten erklärt und dabei betont, dass er der Einzige sei, auf dessen Worte Taten folgen. Im alltäglichen Leben der BrasilianerInnen ist kein Verlass auf OrdnungshüterInnen – Korruption ist weit verbreitet, die Funktionsweise der Polizei gleicht eher der einer Verbrecherorganisation, als einer staatlichen Institution. Insofern ist die Hoffnung, vor allem auch innerhalb der ärmeren und häufig weniger gebildeten Bevölkerungsschicht, der „Messias“ Bolsonaro würde alle Probleme beseitigen, irgendwo verständlich. Es braucht darum umso mehr eine umfassende Umstrukturierung brasilianischer Gesellschaftsstrukturen, um Probleme wie Korruption auch langfristig zu bekämpfen und somit RechtspopulistInnen wie Bolsonaro dauerhaft zu verhindern. Doch davon scheint Brasilien zur Zeit weit entfernt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf globustrotter.com