Mit dem Verrat an Palästina schaufelt sich das algerische Regime sein eigenes Grab

Alisdare Hickson, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Der Mund voller Versprechen, die Hände leer von Taten“. Dieser Ausspruch bringt die widersprüchliche Haltung des algerischen Regimes auf den Punkt, das sich zur bedingungslosen Unterstützung Palästinas bekennt, gleichzeitig aber öffentliche Demonstrationen oder Märsche in Solidarität mit den Palästinensern angesichts des anhaltenden Völkermords in Gaza unterdrückt.

Die Rechtfertigung des Regimes für sein hartes Durchgreifen zeigt seine scheinheilige, paternalistische Denkweise. „Es besteht keine Notwendigkeit, für Palästina zu protestieren – unsere offizielle Haltung spricht für sich selbst“, heißt es. Bisher folgte dem jedoch nie eine Handlung. Und wenn prominente Algerier es wagen, den eisernen Griff des Staates herauszufordern, werden sie schnell bestraft.

Das Verbot friedlicher Demonstrationen verstößt eindeutig gegen die algerische Verfassung, die ausdrücklich das Recht auf Versammlung und gewaltfreien Protest garantiert. Dieser Verstoß ist besonders eklatant, wenn man bedenkt, dass das erklärte Ziel des Protests mit der „offiziellen“ Position des Regimes übereinstimmt, was ernste Fragen über die wahren Absichten der Regierung aufwirft.

Im Internet ist die Frustration über das harte Vorgehen des algerischen Regimes gegen die Palästina-Solidarität deutlich spürbar. Viele Nutzer sozialer Medien weisen auf die Ironie hin, dass in Marokko, einem Land, das seine Beziehungen zu Israel normalisiert hat, massive Proteste in Solidarität mit Palästina ohne Einmischung stattgefunden haben. Doch in Algerien, einem Bruderland Palästinas, werden selbst friedliche Proteste im Keim erstickt.

Warum? Eine Erklärung liegt in der tief sitzenden Angst des Regimes, dass sich die Proteste zu etwas weitaus Bedrohlicherem ausweiten könnten: zu einer breiteren Klage gegen den politischen Status quo. Die Solidarität mit Palästina könnte leicht zu einer Plattform werden, auf der tiefere Missstände wie Korruption, Unterdrückung, wirtschaftliche Stagnation und das Ausbleiben echter politischer Reformen zum Ausdruck gebracht werden.

Und das Regime hat allen Grund zur Sorge. Seit der Hirak-Revolution von 2019, die Präsident Bouteflika zum Rücktritt zwang, haben die Algerier kaum echte Veränderungen erlebt. Damals wurde nicht nur der Sturz einer Galionsfigur gefordert, sondern die Abschaffung eines Systems. Diese Forderung wurde ignoriert. Die alten Strukturen blieben erhalten und mit ihnen wuchs die Desillusionierung der Bevölkerung.

Im Dezember 2019 fanden in Algerien Präsidentschaftswahlen unter starkem Einfluss des Militärs statt, welches das Ergebnis maßgeblich beeinflusste.

Trotz weit verbreiteter Unruhen und einer wachsenden Kluft zwischen den Demonstranten und dem herrschenden Regime griff die Regierung zu Repressionen, um die Forderungen der Bevölkerung zum Schweigen zu bringen. Die Wahlen, welche mit einer beachtlichen Quote von fast 60 % boykottiert wurden, führten schließlich dazu, dass Abdelmadjid Tebboune Präsident wurde.

In seiner ersten Amtszeit unternahm Tebboune den Versuch, die Verfassung zu überarbeiten und dabei insbesondere die als unzureichend empfundenen früheren Änderungen, insbesondere die umstrittene Revision von 2016, anzugehen. Die Verfassung von 2020 gab der Regierung die Befugnis, „Rechte, Freiheiten und Garantien“ unter dem Deckmantel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit und des Schutzes der nationalen Werte auszusetzen. Kritiker bezeichneten diese Änderung schnell als „Konstitutionalisierung der Unterdrückung“ und befürchteten, dass damit der rechtliche Rahmen für ein hartes Vorgehen gegen abweichende Meinungen geschaffen würde.

In diesem Zusammenhang wurde die Entscheidung des Regimes, eine friedliche Demonstration in Solidarität mit Palästina vor der US-Botschaft in Algier zu verbieten, zu einem besonders peinlichen Moment. Für eine Regierung, die seit langem ihr unerschütterliches Bekenntnis für die palästinensische Sache kundtut, sendete dieser Akt der Repression eine klare Botschaft der Prioritäten und untergrub ihre Darstellung.

Viele Algerier halten sich an die ikonischen Worte des ersten Präsidenten des Landes, Ahmed Ben Bella, der erklärte, dass „die Unabhängigkeit Algeriens unvollständig bleiben wird, wenn Palästina nicht befreit wird“.

Doch heute scheint sich die algerische Politik gegenüber Palästina dramatisch zu verändern. Die jüngste Äußerung von Präsident Tebboune, dass Algerien bereit sei, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren, sobald ein vollständig souveräner palästinensischer Staat gegründet sei, steht in krassem Widerspruch zu der jahrzehntelangen Anti-Normalisierungs-Rhetorik.

Dieser Wandel ist mehr als nur ein Politikwechsel; er stellt die Identität der algerischen Außenpolitik in Frage. Algerien war lange Zeit stolz darauf, fest zu Palästina zu stehen, doch nun, da die Normalisierung in der arabischen Welt um sich greift, sieht es sich unangenehmen Fragen gegenüber. Wenn das Regime wirklich mit dem Gedanken spielt, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren, bedeutet dies einen Verrat an den Werten, die die Nation einst ausmachten.

Algerien verfügt über die Ressourcen und den Einfluss, um mehr zu tun als nur humanitäre Hilfe und moralische Unterstützung zu leisten. Mit seinen riesigen Öl- und Gasreserven könnte Algerien wirtschaftlichen Druck auf europäische Länder ausüben, die die israelische Besatzung unterstützen, und sie dazu bringen, ihre Unterstützung einzustellen und ein Ende der israelischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Palästina zu fordern.

Es ist an der Zeit, dass Algerien über symbolische Gesten hinausgeht und entschiedene Maßnahmen ergreift – seine Führungsrolle könnte entscheidend sein, um den weltweiten Druck zu verändern und die Rechte der Palästinenser zu verteidigen. Wenn es dies nicht tut, würde es sein historisches Bekenntnis für Palästina und seine Rolle auf der Weltbühne schwächen.

Dieser Beitrag von Mohcine El-Moussaoui (freiberuflicher Journalist und Forscher für politische Angelegenheiten und internationale Beziehungen) erschien im englischen Original bei The New Arab.

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