Dänemark im Schatten des Neoliberalismus

Kopenhagen

Seit 17 Jahren haben 3 verschiedene Regierungen systematisch versucht, den bisherigen sogenannten skandinavischen Wohlfahrtsstaat mit umfassenden Kürzungen abzubauen. Das geschah nicht aus Rücksicht auf die Staatsschulden, denn diese machen nur 19% des BIP aus und sind daher recht bescheiden. Ziel der Kürzungen war stattdessen eine neoliberale Umverteilung mittels Steuererleichterungen zu gunsten der Reichen und des Kapitals.

Ab den 90’er Jahren verschwanden viele Arbeitsplätzen zu gunsten von Billiglohnländern, und ab 2008 traf die Finanzkrise hart. Gleichzeitig gab es im Jahre 2007 einen “Reform” im Bereich der Kommunen und Kreise, die zu Großkommunen und Regionen fusioniert wurden. In Verbindung mit der Finanzkrise führte das zu sehr vielen Stilllegungen und Kürzungen im öffentlichen Bereich.

Neoliberale Angriffe finden in ganz Europa statt, und so ist Dänemark nicht alleine von dieser Entwicklung betroffen. Und genau wie in anderen Ländern reagierte auch die dänische Arbeiterklasse mit großer Unzufriedenheit auf die neoliberalen Angriffe.

Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse mit der neoliberalen Politik

Leider gab es in Dänemark keinen “Jeremy Corbyn”, der die Unzufriedenheit der Arbeiter auffangen und diese in einer linken Richtung leiten konnte.

Die dänische Sozialdemokratie bekam bei den Parlamentswahlen im Jahre 1998 immer noch 36% der Stimmen. Aber dadurch, dass die Partei massiv an der Entwicklung in der Gesellschaft beteiligt war – und ab Ende der 90’er Jahre immer weiter nach rechts rückte – wurde sie in den Augen der Arbeiterwählern in einem hohen Maße als mitverantwortlich für die miese Entwicklung nach dem Jahre 2000 gesehen. Sehr ähnlich wie in Deutschland.

In den Jahren 2002 bis 2012 gab es bürgerliche Koalitionsregierungen unter Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen (der später Nato-Generalsekretär wurde). Anders Fogh Rasmussen ist der erste Regierungsvorsitzender Dänemarks, der versuchte, eine bewusst neoliberale Politik durchzuführen. In den Jahren 2012 – 15 bekam Dänemark eine Koalitionsregierung, die von der rechts-sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt geführt wurde. Diese führte die neoliberale Politik weiter. Man könnte sie mit der Politik von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder in Deutschland vergleichen. Alle ihre leeren Versprechen an den Arbeiterwählern wurden systematisch gebrochen. Insgesamt löste die Politik der Regierung Helle Thorning-Schmidt sehr viel Unzufriedenheit bei vielen bisher sozialdemokratischen Wählern aus.

Bei den Parlamentswahlen im Jahre 2015 erlitt die Sozialdemokratie daher die größte Niederlage seit 100 Jahren, indem sie 26,3% der Stimmen bekam – ein Rückgang um etwa 30%. Sehr viele Arbeiterwähler verließen die Sozialdemokratie – eine klare Parallele zur Entwicklung in Deutschland nach Gerhard Schröder.

Die links-reformistische Partei “Enhedslisten” ( = die Einheitsliste) in Dänemark entspricht etwa der Partei “Die Linke” in Deutschland. Diese Partei hat eine rein parlamentarische Perspektive, und nimmt daher nicht am Klassenkampf außerhalb des Parlaments teil. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die “Enhedslisten” nicht in der Lage war, die vielen Arbeiterwähler, die mit dem Rechtskurs der Sozialdemokratie unzufrieden waren, aufzufangen. Bei vielen Arbeitern gilt die Partei als “salonkommunistisch”.

Zwischen der Sozialdemokratie und der “Enhedslisten” gibt es die reformistische “Socialistisk Folkeparti” (SF) (= Sozialistische Volkspartei). Diese hatte an der Koalitionsregierung unter der rechts-sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt 2012 – 15 teilgenommen – und ging daher bei den Parlamentswahlen im Jahre 2015 um etwa einen Drittel zurück. Es war eine sehr schwere Niederlage.

Die tieferen Ursachen für den Rechtsruck

Schon in den 90’er Jahren gab es die ersten neoliberal motivierten Kürzungen des dänischen sogenannten Wohlfahrtsstaates. Es geschah in einer verschleierten weise, denn die sozialdemokratische Regierung in diesem Jahrzehnt hatte natürlich Angst davor, ihre Motive gegenüber ihren Wählern zu enthüllen. Mit der bürgerlichen Regierung Anders Fogh Rasmussen ab dem Jahre 2002 wurde der neoliberale Angriff auf den Wohlfahrtsstaat verschärft. Dazu kam noch die Wirkung der Finanzkrise im Jahre 2008.

Die Klassenzusammenarbeit der Gewerkschaften bedeutete, dass diese sich der Entwicklung anpasste. Sie waren nicht dazu bereit, die Gewerkschaftsmitglieder ernsthaft die neoliberalen Angriffe zu mobilisieren. Auch eine Parallele zu Deutschland.

Weil weder die reformistische Linke noch die Gewerkschaften in der Lage war, die Unzufriedenheit der vielen Arbeitern mit der Sozialdemokratie und der Entwicklung überhaupt aufzufangen, wandten sich viele davon nach rechts zur “Dansk Folkeparti” (DF): Diese ist eine rechtspopulistische Partei, die mit der AfD in Deutschland verglichen werden kann. Bei den Parlamentswahlen im Jahre 2015 bekam diese 21% der Stimmen – fast eine Verdoppelung. Es war ein politisches Erdbeben. Viele von diesen Stimmen waren Proteststimmen von unzufriedenen Arbeitern.

Viele unzufriedene Arbeiter hatten seit Jahren durch die permanente Kürzungspolitik sowie durch die Finanzkrise den Eindruck bekommen, dass es anscheinend kein Geld mehr für den Wohlfahrtsstaat sowie für ordentliche Löhne geben würde: “Wieso können wir uns es überhaupt leisten, die Asylbewerber zu empfangen, wenn es nicht einmal Geld genug für uns gibt?”. Den meisten Arbeitern war es nicht klar, dass es sowohl in Dänemark als auch in Europa und in der Welt reichlich Geld gibt: Dieses befindet sich jedoch in den falschen Kassen und Geldbeuteln.

Statt das kapitalistische System und die geführte neoliberale Politik anzugreifen, verbreitete sich so die Illusion, das “die Fremden” schuld daran seien, dass es uns nicht gut geht. Und daher strömten tausende von Arbeitern, die gegen die neoliberale Politik protestierten, zur rechtspopulistische “Dansk Folkeparti”.

Eine Parallele zu Deutschland, Schweden, Frankreich, Spanien, Italien, Holland, den USA und, und, und …

Wie der Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zur großen Politik wurde

Nach den Wahlen im Jahre 2015 wurde eine bürgerliche Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen gebildet. Diese leitete eine Zusammenarbeit mit der “Dansk Folkeparti” (DF) ein, und so bekam diese Regierung eine sehr knappe Mehrheit im Parlament. Als Gegenleistung für die parlamentarische Unterstützung der Regierung verlangte die DF sehr weitgehende Massnahmen gegen Flüchtlinge und Immigranten. Auf der anderen Seite verlangte die Regierung von der DF, dass sie wichtige Teile der neoliberalen Politik unterstützen sollte.

Nun entstand ein Wettrennen: Auf der einen Seite versuchte die Sozialdemokratie aus opportunistischen Gründen, die Politik der “Dansk Folkeparti” der scharfen Massnahmen gegen Flüchtlinge und Immigranten nachzuahmen in einen Versuch, die verlorenen Wähler zurück zu erobern.

Auf der anderen Seite versuchte die wichtigste Partei der Koalitionsregierung, die Liberale Partei (in Dänemark “Venstre” benannt), am Wettrennen mit der “Dansk Folkeparti” teil zu nehmen um opportunistisch zu verhindern, dass zu viele bürgerliche Wähler zur “Dansk Folkeparti” hinübergehen würden.

Gleichzeitig erkannte die Regierung – und hinter ihr das Bürgertum – ein Interesse daran, dass die Arbeiterklasse die “Fremden” statt das kapitalistische System bekämpft. Immer wieder griff die Regierung die “Fremden” und “Unangepassten” an.

So entstand ab 2015 auf ein Mal im dänischen Parlament einen massiven Rechtsruck mit bisher unbekannt scharfen Massnahmen gegen Flüchtlinge und Immigranten.

So wurde Rassismus, Intoleranz, Islamophobie und engstirnige Ausländerfeindlichkeit zu zentralen, politischen Themen in der dänischen Innenpolitik. Hierdurch wurde rechtsradikales Gedankengut zur höchsten Anerkennung verholfen.

Der sogenannte Paradigma-Wandel

Im Jahre 1950 ratifizierte Dänemark die europäische Menschenrechtskonvention. Später ratifizierte Dänemark die Genfer Flüchtlingskonvention. Über Jahrzehnte galten diese offiziell als wichtige Kernstücke der dänischen Gesetzgebung – und immer wieder wurde es feierlich betont, dass diese den “demokratischen Rechtsstaat”, der sich um die Freiheit und Menschenwürde der Bürger kümmert, kennzeichnen sollte – angeblich im Gegensatz zu den Diktaturen. In der Wirklichkeit waren die Verhältnisse natürlich nie ganz so ideal.

Im Februar 2019 verabschiedete das dänische Parlament neue Gesetze, die den sogenannten “Paradigma-Wandel”, wie man es in Dänemark benennt, einleiteten: Bisher hatten die Flüchtlinge (offiziell) nach dem Flüchtlingskonvention ein Recht auf Asyl, und wenn ihnen dieses zuerkannt wurde, ein Recht auf Integration. Das veränderte sich jetzt um 180 Grad: Statt integriert zu werden, sollen sie jetzt darauf vorbereitet werden, repatriiert zu werden: Das heisst, dass die Flüchtlinge, die Asyl bekommen haben, nicht integriert werden sollen, sondern von Anfang an darauf vorbereitet werden sollen, abgeschoben zu werden. Ob ihr Heimatland für sie sicher sind unterliegt der Willkür der Behörden … Hiermit sind wichtige Teile der Flüchtlingskonvention ausser Kraft gesetzt worden. Hinzu kommt, dass es insgesamt sehr willkürlich ist, wer überhaupt Asyl bekommt, und wer abgeschoben wird: Die Spitzenpolitiker verlangen, dass so wenige Bewerber wie möglich Asyl bekommen, und das beeinflusst sehr stark die Praxis der Behörden …

Krise der “Dansk Folkeparti”

Die neoliberale Kürzungspolitik schuf eine tiefe Unzufriedenheit in der dänischen Arbeiterklasse, und im Jahre 2015 gelang es der “Dansk Folkeparti” viele der Unzufriedenen für sich zu gewinnen, und so bekam die Partei 21% der Stimmen. Nach den aktuellen Meinungsumfragen scheint die Partei bei der kommenden Parlamentswahl um etwa ein Drittel oder um die Hälfte reduziert zu werden:

Die Arbeiter-Protestwähler verlassen jetzt die “Dansk Folkeparti”, weil diese für wichtige Teile der neoliberalen Politik der bürgerlichen Regierung gestimmt hatte – als Gegenleistung für besonders scharfe Massnahmen gegen Flüchtlinge und Immigranten: So hat die Partei für eine sukzessive Erhöhung des Rentenalters gestimmt. Die Sozialdemokratie stimmte auch dafür. Das war natürlich ein Kernstück der neoliberalen Politik – die Demontage des Wohlfahrtsstaates. Die Erhöhung des Rentenalters hat große Teile der Arbeiterschaft schockiert – und die bisherigen Arbeiterwähler der “Dansk Folkeparti” fühlen sich jetzt direkt verarscht – das ist der präziseste Ausdruck dafür.

Die Krise um das Recht, frühzeitig in die Rente zu gehen, wenn man noch halbwegs gesund ist, hat sich zu einer zentralen Frage entwickelt. Das hat zur Halbierung der “Dansk Folkeparti” geführt, während die Sozialdemokratie opportunistisch einen 180 Grad-Kurswechsel vorzunehmen versucht, indem sie jetzt behauptet, für ein Recht auf eine frühe Rente für “diejenigen, die es benötigen”, zu sein.

Der Protest gegen die neoliberale Politik kann sowohl nach rechts – wie bisher – oder nach links gehen. Die Richtung dieses Protestes hat einen entscheidende Einfluss auf das politische Klima. Insgesamt hat die Arbeiterbewegung die Möglichkeit, die unzufriedenen Arbeiter zu mobilisieren auf zentralen Fragen wie das Rentenalter, und in dieser Weise sowohl die neoliberale Politik als auch die Rechte frontal anzugreifen.

Jens Riis Bojsen ist Mitglied der “Internationalen Sozialisten” Dänemarks


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