Seit Jahrzehnten wird die Solidarität mit Palästina von der deutschen Polizei und dem Staat kriminalisiert, beispielsweise durch die Resolutionen gegen die BDS-Bewegung im Jahr 2019 oder dem Verbot von Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Nakba in den Jahren 2022 und 2023.
Seit 22 Monaten, legitimiert durch die „Staatsräson“, also die bedingungslose Unterstützung des genozidalen Staates Israel, hat die deutsche Regierung, insbesondere aber die Regierung und Institutionen der Stadt Berlin, ihre Angriffe auf die Palästina-Solidaritätsbewegung verstärkt. Verbote und Absagen von Veranstaltungen, Personen, Vorträgen und Ausstellungen sind an der Tagesordnung.
Friedliche Demonstrationen wurden systematisch von brutalen Einsatzkräften der Polizei angegriffen, die Tausende von Festnahmen vorgenommen und dabei eine Spur von Verletzten, darunter auch Schwerverletzte, hinterlassen haben. Auch die Besetzungen und Camps von Studierenden an der falsch benannten „Freien“ Universität Berlin und der Humboldt-Universität wurden von der Bereitschaftspolizei geräumt, nachdem die Universitätspräsidenten die Polizei gerufen und ihre Studierenden angezeigt hatten. Soziale Netzwerke werden ebenfalls von Polizeiermittlern überwacht, wahrscheinlich mithilfe von KI, um den berühmten „importierten Antisemitismus“ aufzuspüren, während der eigene Antisemitismus „Made in Germany“ ignoriert wird.
Die meisten Fälle dieser festgenommenen Personen und viele derjenigen, die von der Polizei in den sozialen Medien ausspioniert wurden, werden an die Berliner Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Nach neuesten Schätzungen beläuft sich die Zahl der untersuchten Fälle allein in der Stadt Berlin seit dem 7. Oktober auf 9.000 Verfahren.
Davon wird eine unbekannte Anzahl eingestellt und/oder außergerichtlich beigelegt, während der Rest vor Gericht kommt. Die seit dem 7. Oktober verzeichneten Fälle, die sich auf die Solidarität mit Palästina beziehen, sind so zahlreich, dass die Staatsanwaltschaft kurz nach Beginn der jüngsten Phase des Völkermords am palästinensischen Volk beschlossen hat, die Organisation der für Hassverbrechen zuständigen Abteilung neu zu gestalten. Die meisten dieser Fälle werden nun von der Abteilung 231 untersucht, die sich, neben anderen Vergehen, mit antisemitischen Straftaten und „kriminellen“ Handlungen während Demonstrationen befasst. Alle diese Personen werden vor dem Berliner Strafgericht angeklagt.
Die dort verhandelten Fälle lassen sich in drei miteinander verknüpfte Kategorien einteilen, die auf das oben beschriebene Vorgehen der Polizei zurückgehen:
1. „Straftaten“ im Zusammenhang mit Parolen und Symbolen, die als antisemitisch und/oder mit in Deutschland verbotenen Organisationen wie dem Samidoun-Netzwerk oder Hamas assoziiert gelten. Dazu gehören Parolen wie „From the River to the Sea, Palestine Will Be Free“, „Zionisten sind Faschisten, sie töten Kinder und Zivilisten“, rote Dreiecke und Fäuste.
2. Verfahren gegen Studierende, die von ihren eigenen Universitäten angezeigt wurden, weil sie politische Diskussionen auf dem Campus forderten oder die Zusammenarbeit mit dem Genozid in Gaza beenden wollten. Ihnen wird Hausfriedensbruch und Störung des öffentlichen Friedens vorgeworfen.
3. Festnahmen bei Demonstrationen oder Sitzblockaden, in der Regel nach Rufen der oben genannten Parolen oder dem Zeigen „gefährlicher“ Symbole wie Wassermelonen. Meist stürmt dann eine Gruppe von zehn bis 15 Bereitschaftspolizisten in die Menge, um Menschen zu verhaften. Bei jeder Festnahme werden in der Regel noch ein paar weitere Personen mitgenommen, denen vorgeworfen wird, die Festnahme verhindert oder die Beamten beleidigt zu haben. Festnahmen erfolgen auch, wenn die Polizei die Demonstration einseitig für beendet erklärt. In letzter Zeit häufen sich Verhaftungen von Personen, die der Polizei „bekannt“ sind.
Fast alle Personen, die wegen der drei genannten Punkte festgenommen wurden, werden wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt. Diejenigen, die dabei verletzt werden und oft im Krankenhaus landen, werden ihrerseits zusätzlich wegen Angriffs auf Polizeibeamte angeklagt.
4. Verfahren im Zusammenhang mit Social-Media-Posts. Diese betreffen häufig das Verwenden „verbotener“ Parolen oder das, was in Deutschland als Holocaustleugnung gilt – also jeglicher Vergleich des Völkermords an den Palästinenser*innen mit dem Holocaust, selbst wenn diese Vergleiche von antizionistischen Jüdinnen stammen, deren Familien womöglich durch die Vorfahren jener ermordet wurden, die sie heute verfolgen.



Wer sich in Berlin öffentlich gegen den Genozid in Gaza und die Rechte der Palästinenser*innen ausspricht, muss mit heftigem Gegenwind der deutschen Staatsgewalt rechnen. © Xénia Gomes Adães
All diese Verfahren landen am Berliner Strafgericht – ein überdurchschnittlich hoher Anteil sogar in den Hochsicherheitskammern. Es ist mehr als erstaunlich, dass dort 19-jährige Studierende wegen Hausfriedensbruchs oder friedliche Demonstrierende wie gefährliche Kriminelle behandelt werden. In einem Land, in dem rassistische Morde weiterhin ungestraft bleiben.
Diese Verfahren bieten Einblick in die Psyche des deutschen Staates. In vielen Fällen werden rassistische und paternalistische Kommentare gegenüber ausländischen Angeklagten geäußert, insbesondere gegenüber Palästinenser*innen, denen vorgeworfen wird, durch Proteste gegen die Ermordung ihrer Angehörigen den deutschen Rechtsstaat zu stören. Viele von ihnen erfahren die erste Demütigung bereits bei der Angabe ihrer Herkunft, wo von den Richtern die Bezeichnung „Palästina“ abgelehnt und stattdessen „staatenlos“ verzeichnet wird.
Zahlreiche Richter*innen berufen sich bis heute leidenschaftlich auf den 7. Oktober und den „Schutz jüdischen Lebens“ in ihren Urteilen – während sie den Völkermord komplett ignorieren und als „Meinungsäußerung“ klassifizieren. Dass es einen laufenden Genozid gibt, sei demnach keine Tatsache, sondern eine „streitbare Meinung“.
Urteile und Strafmaß hängen vor allem von drei Faktoren ab: dem Richter, der Hautfarbe der Angeklagten (dunkle Haut ist oft ein Nachteil, insbesondere wenn es um „Erziehung“ zur Anpassung an die deutsche Gesellschaft geht) und dem Beweisstand zum Zeitpunkt der Festnahme. Videos der brutalen Verhaftungen sind entscheidend, um die Behauptungen der Polizei zu widerlegen, der die Gerichte scheinbar blind glauben – oder glauben wollen – selbst wenn diese sich in Widersprüche verstricken.
Besonders absurd sind die Verfahren wegen Beamtenbeleidigung. Es scheint die Berliner Polizei zutiefst zu kränken, dass Menschen, die sie mit Pfefferspray angreifen oder zusammenschlagen, sie im Affekt beschimpfen.
Eine neue Welle von Verfahren geht auf das Konto zionistischer Aktivisten, die bei Demonstrationen gezielt provozieren und dann Teilnehmende anzeigen. Die Polizei nimmt diese angezeigten Personen meist ohne Beweise fest, und die Staatsanwaltschaft klagt an. Viele dieser Verfahren enden mit Freisprüchen, was weder die Zionisten noch Polizei oder Staatsanwaltschaft davon abhält, weiterhin willkürlich zu kriminalisieren.
Eine FDP-Politikerin, die dafür bekannt ist, regelmäßig Anti-Genozid-Demonstrationen zu begleiten, umgeben von einem Tross von mindestens zehn Polizisten, ausgestattet mit Blumen und einem Schild mit der Aufschrift „Rape is not resistance“, sammelt Spenden online und zeigt jeden an, der sie kritisiert. Dazu gehört auch der Journalist Jakob Reimann [Redakteur für Außenpolitik bei etos.media, Anm. d. Red.], den sie angezeigt hat und in erster Instanz gewann, nachdem er sie wörtlich zitiert hatte, inklusive Videoaufnahme des Interviews, in dem diese deutsche Zionistin erstaunliche Aussagen über die damals kursierenden Berichte über israelische Foltergefängnisse, einschließlich Vergewaltigung, gemacht hatte.
Reimanns Aussage am Tag der Urteilsverkündung beschreibt die Haltung vieler pro-palästinensischer Aktivisten. Egal wie sehr dieser staatlich betriebene Missbrauch des Rechts sie zermürben will, niemand wird aufgeben, bis Palästina frei ist. Reimann gegenüber der Autorin:
„Natürlich sind wir enttäuscht, dass die rechte Influencerin Karoline Preisler mit ihrem Angriff auf die Pressefreiheit durchgekommen ist. Aber in einem Deutschland, das, trotz der extremen Verbrechen der IDF, unter dem Banner der Staatsräson bedingungslos und unbeirrbar an der Seite des rechtsradikalen israelischen Regimes steht, überrascht ein solches Urteil kaum.“
„Wir weisen die Behauptung der Gegenseite zurück, dass sich Preislers Bezug auf den ‚humaneren Akteur‘ auf die angebliche Strafverfolgung von Vergewaltigungen in Israel bezogen hat und wir konnten dies in mehreren Punkten widerlegen. Doch die vorsitzende Richterin machte von Anfang an klar, dass sie auf Seiten der Klägerin steht. Dass Preisler überhaupt solche Worte im Kontext brutaler Vergewaltigungen verwendet hat, ist symptomatisch für die erschreckende Verrohung des deutschen Diskurses zu Israel-Palästina.“
„Wir werden nicht aufgeben und das Urteil anfechten.“
Der Beitrag von Roser Garí Pérez (Instagram) erschien auf Spanisch bei VientoSur, auf Englisch bei The Left Berlin und wurde von Michael Täuber ins Deutsche übersetzt.



