Der KPD wird nachgesagt, dass sie von Beginn an eine Partei gewesen ist, die bedingungslos Moskau-hörig war und nicht alleine entschied. Die Biographie des kommunistischen Funktionärs Werner Scholem bietet Einsichten in den Wandel der KPD von einer offenen Partei zu einer stalinistischen.
Als Sohn eines jüdischen Druckereibesitzers schloss sich Werner Scholem im Jahr 1912 der zionistischen Jugendbewegung an, die für einen jüdischen Staat in Palästina eintrat. Doch noch im selben Jahr wechselte er zur SPD. Deren internationalistische Perspektive erschien ihm als der bessere Weg im Kampf gegen den Antisemitismus. Während des Ersten Weltkriegsverließ Scholem die Sozialdemokratie wieder, trat erst in deren Linksabspaltung USPD und dann in die KPD ein. Hier gehörte er als Parteifunktionär und Abgeordneter in Berlin zum äußersten linken Flügel der Partei. Die „Ultralinken“ standen den tagespolitischen Kämpfen der Gewerkschaften misstrauisch gegenüber und definierten ihre Politik primär durch die Abgrenzung von der „Einheitsfronttaktik“ der Parteimehrheit, die Aktionsbündnisse mit der SPD einschloss.
Im „deutschen Oktober“ 1923 scheiterte ein Aufstandsplan, in den die KPD große Hoffnungen gesetzt hatte. Die gesellschaftliche Dynamik wandte sich nun zunehmend gegen sie. Die „Ultralinken“ wollten daraufhin durch eine Reinigung der Partei vom „Opportunismus“ der Revolution zum Sieg verhelfen. Sie stürzten die bisherige Parteiführung und setzten einen Prozess der „Bolschewisierung“ in Gang, den Scholem als oberster Organisationsleiter maßgeblich verantwortete.
Damit verpflichtete sich die KPD auf ein rigides ideologisches System des „Marxismus-Leninismus“, das Stalin nach Lenins Tod geschaffen hatte. Gleichzeitig wurden die Möglichkeiten zur innerparteilichen Diskussion stark eingeschränkt. Dieser Prozess ebnete den Weg für die folgende Stalinisierung, durch die die KPD in völlige Abhängigkeit von der sowjetischen Schwesterpartei geriet.
Scholem bekämpft die Stalinisierung der KPD
Scholem setzte zwar reihenweise Funktionäre ab und führte einen wütenden Kampf gegen das politische Erbe Rosa Luxemburgs. Doch war er mit seinen „ultralinken“ Überzeugungen zu starrsinnig, um die Stalinisierung mitzutragen. Als die Kommunistische Internationale im Jahr 1926 einen Kurswechsel beschloss, wurde er aus der KPD ausgeschlossen.
Zwischen 1926 und 1928 arbeitete er in linkskommunistischen Kreisen, die inner- und außerhalb der KPD gegen den Stalinismus kämpften. Hoffrogge argumentiert, dass die „Ultralinken“ den Kampf aus drei Gründen verloren. Erstens hielten sie am Mythos des „Marxismus-Leninismus“ fest, den sie für das authentische Erbe der russischen Revolution hielten. Weil dieses Dogma keine organisierten innerparteilichen Strömungen zuließ, waren jedoch auch die Möglichkeiten der „Ultralinken“ in der KPD eingeschränkt. Zu einem vollständigen Bruch waren viele von ihnen nicht bereit. Zweitens fürchtete Scholem einen Sieg der „rechten“ Strömungen in der Partei mehr als den Stalinismus. Drittens unterschätzten die „Ultralinken“ die ideologische Wendigkeit des Stalinismus. Im Jahr 1928 beschloss die Komintern auf Stalins Initiative hin eine neue Linkswendung und die linkskommunistische Opposition spaltete sich, weil ein Teil auf die Rückkehr der Partei zur Politik der Jahre 1924/25 hoffte.
Scholem zog sich nach dieser Niederlage ins Privatleben zurück. Als jüdischer Kommunist wurde er dennoch im Frühjahr 1933 verhaftet und verbrachte die letzten sieben Jahre seines Lebens in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Im Jahr 1940 ermordeten ihn die Nazis im KZ Buchenwald.
Scholems Biographie bietet einige aufschlussreiche Einblicke in den Prozess der Stalinisierung der KPD. Allerdings wäre eine stärkere Straffung des Buchs wünschenswert gewesen; manche privaten Details aus Scholems Leben sind für eine politische Biographie allzuweit ausgebreitet. Hoffrogge zeigt die hässlichen Seiten des historischen Degenerationsprozesses einer einst stolzen revolutionären Tradition. Dass die Lektüre deshalb nicht immer angenehm ist, kann dem Autor nicht angelastet werden.
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Eine Besprechung von Sebastian Zehtmair.