Palästina-Diskurs: deutsche Wissenschaft in „ziemlich blamabler Situation“


Am 16. und 17. Januar findet in Frankfurt eine wissenschaftliche Konferenz mit dem Titel „Let’s talk about (the silencing of) Palestine” statt. Eingeladen sind international anerkannte Akademikerinnen und Akademiker aus verschiedenen Ländern. Etos hat mit Nasrin Düll, Gründungsmitglied der Initiative „Talking about Palestine“ an der Goethe-Universität gesprochen und gefragt, worum es bei dem Event geht, was das Ziel ist und welche Hindernisse ihnen in den Weg gelegt werden.

Etos: Was war eure Idee, als ihr entschieden habt, eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema Palästina zu organisieren?

Nasrin: Die Initiative „Talking about Palestine“, die die Konferenz organisiert und trägt, ist ursprünglich aus dem Palästina-Camp an der Goethe-Universität hervorgegangen. Damals haben Studierende gemeinsam mit einigen Profs eine Veranstaltung organisiert, um das bedrückende Fehlen von Diskussionsformaten zum Krieg gegen Gaza an der Universität zu kritisieren und ganz praktisch zu durchbrechen. Die Initiative wird sowohl von wissenschaftlichen Mitarbeitenden als auch von Studierenden der Goethe-Universität unterstützt, die durchaus unterschiedliche Meinungen und Positionen vertreten. Einig waren wir uns jedoch darin, dass es nicht sein kann, dass in Deutschland nicht einmal ein akademischer Diskurs zum Thema Palästina möglich sein soll und international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßig gecancelt und diffamiert werden. Ebenso einig waren wir uns, dass die Dämonisierung von Protesten an Universitäten eine gefährliche Entwicklung darstellt, die auch auf freie Forschung und den wissenschaftlichen Austausch zurückwirkt. Für Deutschland ist das auf der internationalen Wissenschaftsbühne eine ziemlich blamable Situation.

Es war uns auch wichtig, Palästina klar in den Fokus und Titel der Konferenz zu rücken, da einige bereits versuchen, die Existenz von Palästina und den Palästinensern zu leugnen. Die Reaktion bestimmter Kreise auf unsere Konferenz bestätigt genau das: Allein die Nennung des Wortes „Palestine“ wird von einigen rechten Scharfmachern bereits als Provokation empfunden.

Wer wird alles bei euch referieren?

Auf der Konferenz werden internationale Perspektiven aus ganz unterschiedlichen Disziplinen vertreten sein. Besonders freuen wir uns über die Kolleginnen und Kollegen aus Palästina, die an der Birzeit-Universität lehren, einer Einrichtung, die immer wieder israelischen Angriffen ausgesetzt ist. So werden Ala Alazzeh und Helga Baumgarten über „epistemische Gewalt“ und den fortlaufenden Scholastizid sprechen – also die systematische Zerstörung des palästinensischen Bildungssystems und Wissenschaftsbetriebs. Sie werden aber auch die wichtige Rolle palästinensischer Universitäten im Widerstand gegen Kolonialismus und Besatzung beleuchten. Zudem wird thematisiert, welche Rolle israelische Universitäten und ihre westlichen Partner bei der Aufrechterhaltung und Legitimierung der Besatzung spielen.

Ein weiterer großer Schwerpunkt ist die Frage der Wissenschaftsfreiheit und des demokratischen Diskurses in Europa, insbesondere in Deutschland. Auf dem Panel The European Question of Palestine soll aufgezeigt werden, wie das Gedenken an den Holocaust und die bedingungslose Solidarität mit Israel miteinander verknüpft wurden. Gleichzeitig wird beleuchtet, wie der „Krieg gegen den Terror“ eine neue Welle des antimuslimischen Rassismus in den europäischen Ländern ausgelöst hat.

Auf unserem zentralen Abschlusspanel werden die Folgen des aktuellen Silencing palästinensischer Stimmen kritisch analysiert – insbesondere in Bezug auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit an deutschen Universitäten und im deutschen Diskurs insgesamt. Darüber hinaus werden in den Workshops und weiteren Panels Themen wie Palästina in Kunst und Film, rechtliche Perspektiven, Nationalismus und viele weitere besprochen. Einen genaueren Einblick gibt es auf unserer Website.

Jede Äußerung in Deutschland zu Palästina, die nicht blind den herrschenden Narrativen folgt, zieht Repressalien auf sich. Welche habt ihr erlebt?

Die meisten Einschränkungen haben wir bisher von unserer eigenen Universitätsleitung erfahren. Nur eine Woche vor der Konferenz wurden uns die bereits gebuchten Räume entzogen. Offiziell wurde dies mit einer formalen Begründung erklärt, doch das Statement der Uni-Leitung lässt deutlich erkennen, dass es in Wirklichkeit um das Thema der Konferenz geht. Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerechnet eine Konferenz, die über das Thema „Silencing“ sprechen möchte, selbst zum Opfer von Canceling wird.

Zusätzlich gab es schnell Kritik von den üblichen Verdächtigen, allen voran vom hessischen sogenannten Antisemitismusbeauftragten und CDU-Politiker Uwe Becker, der gegen unsere Konferenz hetzt und ein Verbot fordert. Er bezeichnete unsere Referierenden zudem in rassistischer Sprache als „Wanderzirkus“. Trotz dieser Widerstände wird die Konferenz in Frankfurt stattfinden, und wir hoffen natürlich, dass sie ohne Störungen ablaufen kann.

Wie kann man euch unterstützen und wie kann man der Konferenz beiwohnen?

Da wir aufgrund der Absage der Universität auf deutlich kleinere Räume ausweichen müssen, sind leider bereits alle Tickets vergeben. Es wird jedoch einen Livestream geben, für den man sich auf unserer Website anmelden kann. Außerdem sind an verschiedenen Orten „Public Viewings“ geplant, bei denen die Konferenz live übertragen wird. Wir rufen auch Studierende außerhalb von Frankfurt dazu auf, solche Viewings an ihren eigenen Universitäten zu organisieren.

Unterstützen kann man uns weiterhin durch Spenden, aber vor allem durch politischen Druck und eigene Aktivität. Je weniger Menschen sich vom Klima des Schweigens einschüchtern lassen, desto stärker wird unsere gemeinsame Stimme für Gerechtigkeit für Palästina.

Das Interview führte Leon Wystrychowski

Weitere Infos zur Konferenz findet man unter: www.talkingpalestine.de/schedule.

Spendenmöglichkeiten:

IBAN: DE57 1203 0000 1060 4985 55
BIC: BYALDEM1001​​​​‌
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