Kunst kann kritisch – der Protestonaut

Foto: Sophia Hauk.

Kunst kann politisch sein, wenn sie es will. Doch meistens ist sie es leider nicht. Der Protestonaut ist ein erfrischendes Gegenbeispiel: Sophia und Alexander Hauk haben den Protestonauten an zwölf Orten der Krise und des Widerstands fotografiert. Wir interviewten sie, um zu erfahren, welchen Beitrag ein solches Projekt für eine bessere Welt leisten kann.

Die Freiheitsliebe: Mit einem Kalender die Welt verändern? Wie kamst du darauf oder was war eigentlich euer Anspruch?

Sophia Hauk: Das hat sich so ergeben. Mein Ehemann ist Diplom-Politologe und gelernter Journalist und ich arbeite als Werbefotografin. Wir wollten ein gemeinsames Projekt machen. Dabei ist dann ein Fotokalender mit gesellschaftspolitischen Themen herausgekommen. Mein Mann ist überwiegend für die Texte verantwortlich und von mir kommen die Fotos. Wir wollen möglichst objektiv berichten. Alle Texte im Kalender basieren deshalb auf Studien. Trotzdem wissen wir natürlich und verschweigen nicht, dass allein die Auswahl der Themen und die Wahl der Quellen schon eine Wertung ist. Wenn uns Leute berichten oder schreiben, dass sie sich wegen unseres Kalenders verstärkt für Politik interessieren und mit politischen Themen auseinandersetzen, freut uns das sehr.

Was war der konkrete Auslöser für das Projekt?

Einen konkreten Auslöser gab es nicht. Die Idee zum Protestonaut-Kalender ist wohl auch eine Antwort auf den Wandel im Journalismus, unter anderem hin zu kurzen Texten und Visualisierung. Vielleicht ist der Kalender auch mit dem Anspruch entstanden, ein Vakuum zu füllen. Im Vorwort zur ersten Ausgabe, die im Oktober 2014 erschienen ist, haben wir geschrieben: „Medien berichten über die Halskette beim Kanzlerduell, royale Hochzeiten, Alkoholprobleme von B-Prominenten oder den Bartwuchs von Fußballspielern: Vier Beispiele für die zunehmende Boulevardisierung. Banalitäten und Gerüchte versperren den Blick auf wichtige Themen wie Klimaschutz, Bildung oder Datenschutz – Themen, die alle Menschen betreffen. Der Protestonaut (lat.: protestari – öffentlich bezeugen, gr.: –nautēs – Matrose) ist ein journalistisches Kunstprojekt, das mit Fotos und kurzen Texten Aufmerksamkeit auf wichtige Punkte und Herausforderungen lenken will.“

Habt ihr mit dem Kalender Erfolg? Wie viele verkauft ihr?

In der Anfangsphase war der Fotokalender als Geschenk für unsere Familie und Freunde gedacht. Inzwischen kommen die meisten Bestellungen von Menschen, die wir nicht kennen –  aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland. Offensichtlich treffen wir einen Nerv, denn bereits Anfang Dezember sind mehrere hundert Bestellungen eingegangen. Vereinzelt wurde sogar nach den Vorjahresausgaben gefragt, die allerdings längst vergriffen sind. Über das stetig wachsende Interesse freuen wir uns sehr.

Was sollen die Menschen tun, um aus dem kapitalistischen Kreislauf zu entkommen? Der Kalender wäre ansonsten ja recht deprimierend: So viele Probleme, wo sind die Lösungen?

Unabhängig vom politischen System: Jede Politik, die die Bedürfnisse der Mehrheit nicht berücksichtigt und zu einer kontinuierlichen Verschlechterung der bestehenden Lebensbedingungen führt, wird nicht von Dauer sein. Das zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. Die Lösung ist eigentlich ganz einfach: Im Mittelpunkt des politischen,  wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns muss der Mensch stehen – und nicht ausschließlich die Profitmaximierung auf Kosten vieler  Menschen und zum Nutzen einiger weniger.

Foto: Sophia Hauk.
Foto: Sophia Hauk.

Protest alleine wird scheinbar nichts lösen, das zeigen CETA und TTIP. Was wäre der nächste Schritt?

Wir leben in einer spannenden Zeit. Viele Menschen sehen Freiheit und Demokratie bedroht. Gerade deshalb ist es wichtig, die Herausforderungen immer wieder anzusprechen, damit Stillschweigen nicht als Zustimmung gewertet wird. Jeder kann sich in die Diskussion einbringen: Zum Beispiel mit einem Kommentar auf Facebook, einem Leserbrief an die Tageszeitung, einer Frage an einen Politiker auf einer Veranstaltung oder dem Eintritt in eine Partei.“

Engagierst du dich auch politisch? Was hältst du von Aktionen wie denen vom Zentrum für politische Schönheit?

Wir sind nicht Mitglied in einer Partei. Auch deshalb können wir uns vergleichsweise neutral und – ich sag mal unvorbelastet – an ein Thema wagen. Politik und politische Aktivitäten und Aktionen sind nicht nur etwas für selbsternannte Eliten. Jeder soll sich so einbringen, wie er es für gut und richtig hält. Ohne die einzelnen Aktionen bewerten zu wollen: Das Zentrum für politische Schönheit arbeitet sehr professionell und erreicht mit seinen Aktionen eine sehr hohe Aufmerksamkeit. Dahinter steckt auf jeden Fall sehr viel Arbeit. Deshalb: Chapeau, Chapeau.

Zu guter Letzt: Welche Botschaft willst du den Menschen mit deiner Arbeit auf den Weg geben?

Geht wählen und setzt euch für Freiheit, Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Hinterfragt kritisch die politische und wirtschaftliche Berichterstattung: Wem nützt es?

Danke für das Interview.

Zum Protestonauten: Neuer Foto-Wandkalender zeigt Auswirkungen der Kürzungspolitik in Europa

Der Protestonaut-Kalender 2017 ist da: In der dritten Ausgabe zeigen die Macher des außergewöhnlichen Fotokalenders die Auswirkungen der in vielen Ländern Europas vorherrschenden Kürzungspolitik auf – beschönigend oft auch Sparpolitik genannt. Die Motive der Fotografin Sophia Hauk werden durch Texte und Zahlen aus Studien, Fachliteratur und Medien ergänzt. Erstmals ist der Wandkalender dreisprachig: Die Texte sind in deutscher, englischer und griechischer Sprache.

Rund zehn Jahre sind seit Ausbruch der weltweiten Finanz- und Bankenkrise vergangen. In der Hoffnung, die daraus resultierenden Verwerfungen im weltweit vernetzten Finanz- und Wirtschaftssystem beheben zu können, haben sich viele Staaten für eine Politik entschieden, die unterschiedliche Namen trägt: Beschönigend wird sie als „Sparpolitik“, neutral als „Kürzungs-“ oder „Austeritätspolitik“ bezeichnet und von vielen Betroffenen als „Verelendungspolitik“ empfunden. Länder mit Austeritätspolitik haben gemeinsam, dass sie massiv die Staatsausgaben senken, Abgaben und Steuern erhöhen und  Staatseigentum an überwiegend private Investoren verkaufen.

Kein anderes Land in Europa hat so viel Erfahrung mit der Austeritätspolitik wie Griechenland. Der Protestonaut hat sich deshalb dorthin auf den Weg gemacht, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Auf ihrer Recherchereise haben Sophia Hauk und der Diplom-Politologe Alexander Hauk mit vielen Menschen gesprochen, darunter Unternehmer, Angestellte, Ärzte, Vertreter von Hilfsorganisationen und Politiker. Vor Ort unterstützt wurden sie von der Projektmanagerin Lea Aimee und dem Journalisten Odysseas Athanasiadis.

Auf allen Monatsmotiven taucht ein Astronaut auf, den die Kalendermacher Protestonaut (von lat.: protestari – öffentlich bezeugen und griech.: -nautēs – Matrose) getauft haben. Die Idee hinter dem Kalender erklärt Hauk so: „Im All haben Astronauten einen außergewöhnlichen Blick auf die Erde und schweben über Problemen des blauen Planeten. Im Kostüm könnte jeder stecken.“

Die Aufnahmen sind in Athen, Thessaloniki, Kalandra, Kassandria (Halkidiki), Gythio (Peloponnes) und Idomeni entstanden. Rund ein halbes Jahr haben die Macher an dem 18-seitigen Kalender im DIN-A3-Format gearbeitet, der für 18 Euro erhältlich ist (ISBN 978-3981672596). Im kommenden Jahr sollen die Motive in Ausstellungen in Deutschland und Griechenland gezeigt werden: www.protestonaut.de

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