Am 18. März ist die Lage im Kosovo ruhig. Selbstverständlich gibt es noch den Konflikt mit Serbien und die Debatte um Strafzölle zwischen den Staaten, aber das Thema ist gerade nicht aktuell. Auf der ganzen Welt bestimmt nun die Corona-Krise das öffentliche Leben, so auch im Kosovo.
Während die Regierungen vieler europäische Staaten sich mit mehr Macht ausstatten und Staaten wie Ungarn demokratische Rechte komplett aushebeln, reagiert man im Kosovo zunächst besonnen auf die Krise. Seit Anfang Februar regiert Premierminister Albin Kurti in einer Koalition seiner linksnationalistischen Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit der konservativen Demokratischen Liga des Kosovo (LDK). Am 6. Oktober gingen die beiden Parteien als Sieger aus den Parlamentswahlen hervor und konnten so die seit 2007 regierende Demokratische Partei (PDK) um den Präsidenten Hashim Thaçi ablösen. Thaçi blieb jedoch Präsident und hatte als solcher repräsentative aber auch einige exekutive Aufgaben.
Am 18. März stellt sich jedoch der kosovarische Innenminister Agim Veliu (LDK) gegen die eigene Regierung und fordert die Ausrufung des Ausnahmezustands. Bei einem Ausnahmezustand würde der Präsidenten Thaçi plötzlich weitgehende Durchgriffsrechte erhalten. Kurti entließ seinen Minister und als Reaktion forderten Teile der LDK ein Misstrauensvotum gegen Kurti. Am 26. März erhielt der Misstrauensantrag dann 82 Stimmen der insgesamt 120 Abgeordneten.
US-Imperialismus
Der Konflikt hat sich offiziell um die Ausrufung des Ausnahmezustands entzündet, aber eigentlich ist der Konflikt ein anderer. Trumps Geheimdienstdirektor Richard Grenell ist seit über einem Monat US-Gesandter für Kosovo und Serbien. In dieser Rolle hat er von Beginn an versucht, die alten Kader der LDK auf seine Seite zu ziehen. Grenells Ziel war es, ein Abkommen zwischen Kosovo und Serbien durchzusetzen, was hinter den Kulissen schon lange ausgehandelt wird. So trafen sich am 4. März Grenell, Thaçi und der serbische Präsident Vučić im Weißen Haus sogar mit Donald Trumps nationalem Sicherheitsberater Robert O’Brien. Bei dem Abkommen sollen möglicherweise Territorien zwischen Kosovo und Serbien anhand von ethnischer Grenzen ausgetauscht werden. Dabei konnte Grenell vor allem die alten Kader der LDK davon überzeugen, die Regierung zu sprengen, während jüngere LDK-Abgeordnete wie die Parlamentspräsidentin Vjosa Osmani, die sich für die Regierung ausgesprochen hat, in der Unterzahl blieben.
Kurtis Ablehnung zu möglichem Abkommen
Albin Kurti hat sich von Beginn an gegen diesen seiner Meinung nach intransparenten Deal gestellt. Der Deal käme von oben, hätte jedoch keine Legitimität von der Bevölkerung, kritisierte Kurti. Laut seiner Aussage würde er den geheimen Deal zwischen Vučić und Thaçi direkt veröffentlichen, wenn er ihn vorliegen hätte. Er und seine Vetëvendosje haben in Wahlkampf soziale Gerechtigkeit und die Bekämpfung der Korruption in den Mittelpunkt gesetzt. Für ihn gehören alle Minderheiten, also Serben, Bosniaken und Roma, zum Kosovo. Aus diesem Grund lehnt er den Vorschlag Washingtons ab. Im Gegensatz zu anderen nationalistischen Staatschefs auf dem Balkan hat er sich nie gegen diese Minderheiten geäußert. Jedoch kann man ihm vorwerfen, dass er immer wieder eine Vereinigung mit Albanien ins Spiel bringt, die auch gefährliche Konsequenzen für den Balkan hätte.
Kurzsichtige Strategie der USA
Die USA betreiben seit dem Zerfall Jugoslawiens eine imperialistische Politik auf dem Balkan und mischen sich in die Innen- und Außenpolitik der verschiedenen Staaten ein. Es ist jedoch das erste Mal, dass sie so offensichtlich eine Regierung zu Fall zu bringen. Sie setzen hier voll auf Thaçi. Dieser war zwischen 2008 und 2014 der erste Ministerpräsident Kosovos seit seiner Unabhängigkeitserklärung. Zuvor war er Begründer der paramilitärischen UÇK, die im Kosovokrieg kämpfte und 1999 in die Nachfolgeorganisation PDK aufging. Thaçi wird organisierte Kriminalität nachgesagt und es ist möglich, dass er wegen seiner Kriegsvergangenheit vor dem kosovarischen Sondergericht für Kriegsverbrechen in Den Haag landet. Aufgrund seiner Kriegsvergangenheit gilt Thaçi als durch die USA erpressbar und hat deswegen auch ein persönliches Interesse an einer schnellen Einigung zwischen dem Kosovo und Serbien.
Der kosovarische Präsident hat aber keine große Beliebtheit im Kosovo und die kosovarische Bevölkerung ist mehrheitlich gegen den Sturz der Regierung. Verantwortlich dafür sind jedoch Thaçi und die alten LDK-Kader, was langfristig zu einer Stärkung von Kurtis Vetëvendosje führen wird – und zu einer größeren Abkehr von den USA. Der US-Administration ist dies sicher bewusst, aber Trump wollte vor der US-Präsidentschaftswahl noch einen außenpolitischen Erfolg und Grenell sollte liefern. Was wäre dabei eine bessere PR-Aktion als Frieden auf dem Balkan?
Merkel gegen Trump
Die EU und die USA standen bei ihrer Balkanpolitik jahrelang auf derselben Seite, jedoch vollzieht sich hier mittlerweile ein Bruch. Während die Trump-Regierung ein Abkommen mit einem Gebietsaustausch nach ethnischen Kriterien forciert, hat Angela Merkel dies in den vergangenen Jahren wiederholt verhindert. Merkel versucht derzeit, den serbischen Präsidenten Vučić davon zu überzeugen, dass Serbien und Kosovo in einen Handelsdialog eintreten, bei dem die EU vermitteln soll. Damit soll ein möglicher Grenell-Deal verhindert werden, der weitreichende Konsequenzen für den Balkan haben könnte.
„Ethnische Grenzänderungen“ sind gefährlich
2017 haben sich die Niederlande und Belgien auf eine Grenzkorrektur geeinigt, die wahrscheinlich die wenigsten mitbekommen haben. Die Niederlande und Belgien liegen jedoch nicht im Balkan. Hier hat jede Grenzänderung oder versuchte Grenzänderung nach ethnischen Gesichtspunkten immer zu Krieg und Leid geführt. Viele Balkan-Staaten sind jedoch multiethnisch. So leben in Bosnien-Herzegowina viele Serben und Kroaten, während es in Serbien oder Montenegro bosniakische Minderheiten gibt. Die serbischen Nationalisten in Bosnien-Herzegowina scharren bereits jetzt schon mit den Hufen. Sie hoffen auf einen möglichen Präzedenzfall, um ihrerseits Grenzänderungen nach ethnischen Kriterien zu fordern. Dies scheint auch das Interesse Vučićs zu sein. Zwar müsste er den Kosovo aufgeben, aber er könnte als Zwischenerfolg zeigen, dass er „serbische Gebiete“ zurück nach Serbien geholt hat. Diese Grenzänderungen würden nicht nur endgültig die Vertreibungen verschiedener ethnischer Minderheiten politisch legitimieren, sie würden das Pulverfass Balkan erneut anzünden und könnten wieder zu Krieg und Vertreibungen führen.
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