In jüngster Zeit zieht Südosteuropa, insbesondere der sich verschärfende Konflikt zwischen Serbien und Kosovo wie auch der Konflikt in Bosnien-Herzegowina, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Hinter dem Aufblitzen der internationalen Schlagzeilen steckt eine Realität, die zunehmend besorgniserregend wird. Albin Kurtis Regierung in Pristina hat kürzlich albanische Bürgermeister in Gebieten eingesetzt, die mehrheitlich von Serben bewohnt sind.
Diese Entscheidung, bei einer marginalen Wahlbeteiligung von nur 4%, widerspricht jeglichen demokratischen Standards und ist von keiner legitimen Basis gedeckt. Das Resultat dieser Aktion sind ein wachsender Unmut unter der serbischen Bevölkerung im Kosovo und eine alarmierende Eskalation der Spannungen in Form von Protesten, die bis dato anhalten. Die Situation ist hochgefährlich und ein militärischer Konflikt zum Greifen nah – möglicherweise sogar unter direkter Beteiligung der NATO-Truppen der KFOR-Mission, mit potenziell verheerenden Folgen für die gesamte Region.
Die eindeutig provokativen Schritte Kurtis haben in der internationalen Gemeinschaft eine überraschend einhellige Entrüstung und die Verurteilung der Politik der Regierung in Pristina ausgelöst, die es so seit der völkerrechtswidrigen Abspaltung des Kosovo von Serbien nicht gegeben hat. Offensichtlich ist: Der sogenannte „Wertewesten“ kann die systematische Benachteiligung der serbischen Minderheit durch die Regierung in Pristina nicht länger ignorieren. Doch der wahrscheinliche Auslöser ist weniger edelmütig: man fürchtet sich, dass es zu einer unmittelbaren Konfrontation zwischen KFOR-Soldaten und serbischen Demonstranten kommen könnte und ein neuer Krisenherd in Südosteuropa wäre eine Bürde, die der Westen schlichtweg nicht tragen kann. Daher überrascht es wenig, dass hochrangige Vertreter der US-Regierung, einschließlich Außenminister Anthony Blinken sowie der amerikanische Botschafter in Pristina, Kurtis Vorgehen scharf kritisiert haben.
Schweigen der Bundesregierung
Mitten in diesem neuen Trend der aus dem Westen geäußerten Kritik gibt es allerdings eine Regierung, die sich bemerkenswert zurückhält: unsere selbsternannt „wertegeleitete“ Bundesregierung, allen voran deren „moralische“ Leitfigur Außenministerin Baerbock. Die deutsche Regierung bleibt – entgegen allen Realitäten – lieber dabei, mit dem Finger auf Serbien zu zeigen, das sich – Überraschung! – nicht dem Wirtschaftskrieg gegen Russland angeschlossen hat. Kein Wunder also, dass Baerbock sich in Schweigen hüllt und sogar Abgeordnete wie Adis Ahmetovic (SPD) die Schuld in Belgrad suchen.
Es ist wenig überraschend, dass Kurti sich von der nahezu einmütigen Kritik der westlichen Staaten – mit Ausnahme der Bundesregierung – unbeeindruckt zeigt. Dessen Haltung, die kosovarischen Spezialkräfte nicht zurückzuziehen, unterstreicht seine offensichtliche Unwilligkeit zur Deeskalation. Provokationen gegen die serbische Minderheit gehören seit jeher zu Kurtis politischer Agenda. Serben sind willkürlichen Verhaftungen und Übergriffen ausgesetzt und werden daran gehindert, einen Verbund von serbischen Gemeinden zu etablieren, der bereits 2013 im Rahmen des Brüsseler Abkommens vereinbart worden ist. Dieser Verbund sollte den serbischen Gemeinden eine Vertiefung der kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenarbeit ermöglichen. Die Ignoranz gegenüber etablierten Vereinbarungen wirft ernste Fragen hinsichtlich Kurtis Verhandlungsfähigkeit und vor allem auch seiner Verlässlichkeit auf und zeigt, wie der „Wertewesten“ sich erneut an der Nase herumführen lässt.
Kurti ist offenbar zuversichtlich, seine repressive Politik fortsetzen zu können, solange vonseiten der USA oder der EU kein ernsthafter Druck ausgeübt wird. Doch letztendlich sind es die serbischen Bewohner des Kosovo, die weiter unter Repressalien leiden werden, solange sich im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung grundlegender Menschenrechte nichts ändert. Trotz der klaren Tatsachen und beunruhigenden Entwicklungen bleibt die Frage, wann der „Wertewesten“ aufwacht und sein sanftes Flüstern gegen harte Fakten auf dem Boden eintauscht. Wie lange werden wir noch tatenlos zusehen, wie ein „Staat“, der seinen Status und seine Anerkennung von Teilen der „internationalen Gemeinschaft“ zum großen Teil dem Engagement westlicher Mächte verdankt, ungeniert gegen Grundrechte und seine eigenen Verpflichtungen verstößt?
Die völlige Gleichgültigkeit Kurtis gegenüber den internationalen Bedenken und sein Versagen, auf die Sorgen und Bedürfnisse der serbischen Minderheit einzugehen, sind ein Schlag ins Gesicht der „internationalen Gemeinschaft“, allen voran seiner westlichen Unterstützer. Sie sind ein klares Zeichen dafür, dass er sich in seinem eigenen Wahngefühl der Unverwundbarkeit verliert und glaubt, mit seiner repressiven Politik davonkommen zu können, solange er nur die richtigen Lippenbekenntnisse abgibt und das internationale Publikum mit schönen Worten einlullt.
Handeln notwendig
Es ist höchste Zeit, dass der sogenannte Wertewesten sich seinen eigenen Fehlern stellt und endlich handelt, bevor die Situation im Kosovo endgültig aus dem Ruder läuft und wir in einen neuen, blutigen Konflikt in Südosteuropa stolpern, der hätte vermieden werden können, wenn wir nur den Mut gehabt hätten, den Tatsachen ins Auge zu blicken und unserer Verantwortung gerecht zu werden. Denn letztlich liegt die Entscheidung in der Hand derer, die diesen künstlichen Staat erschaffen haben, ob der Status quo beibehalten wird oder man sich für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Frieden einsetzt. Die Welt, allen voran die serbische Minderheit, schaut zu und wartet auf eine Antwort.
Ähnliche Muster des westlichen Versagens lassen sich auch in Bosnien und Herzegowina feststellen, insbesondere in Hinblick auf den anhaltenden Konflikt um die Teilentität Republika Srpska. Bosnien und Herzegowina, ein Land, das seit dem Ende des Krieges von 1992 bis 1995 in zwei weitgehend autonome Entitäten – die Republika Srpska und die bosniakisch-kroatische Föderation – sowie in den Brcko-Distrikt aufgeteilt. Dazu kommt eine schwache Zentralregierung in Sarajevo. Das Land befindet sich aufgrund der fortwährenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Republika Srpska unter der Führung von Präsident Milorad Dodik in ständiger Unruhe.
Einige könnten versucht sein, den Konflikt in einer simplen Gut-Böse-Dichotomie zu sehen: der „gute“ Westen, der versucht, Bosnien und Herzegowina zu bewahren, im Gegensatz zur „bösen“ serbischen Entität, die eine Destabilisierung des Staates anstrebt und sich Serbien annähern möchte. Doch die Realität ist deutlich komplexer und es sollte nicht übersehen werden, dass hier auch ein Systemwettbewerb im Spiel ist.
Dayton Abkommen
Nach dem Dayton-Abkommen von 1995, das den Krieg beendete und als Verfassungsdokument diente, blieb das Land mit einem der kompliziertesten politischen Systeme weltweit zurück. Wie bereits erwähnt ist das Land in drei Entitäten aufgeteilt: in die bosniakisch-kroatische Föderation, die Republika Srpska und den Brcko-Distrikt. Die Föderation und die Republika Srpska haben jeweils eigene Nationalversammlungen mit umfangreichen Befugnissen und Vetorechten, während das gesamte Land dem Staatspräsidium untersteht, das aus einem Serben, einem Kroaten und einem Bosnier bestehen muss – ohne Vertreter für Juden, Sinti, Roma oder andere Minderheiten.
Besonders umstritten ist das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR), das derzeit vom deutschen CSU-Politiker und ehemaligen deutschen Landwirtschaftsminister Christian Schmidt besetzt wird. Dieses Amt, das erst nach dem Abkommen von Dayton geschaffen wurde, ermöglicht es dem Westen, einen quasi kolonialen Verwalter einzusetzen, der Gesetze per Dekret erlassen, durchsetzen oder aufheben und gewählte Repräsentanten absetzen kann.
Die Ausübung dieser Macht ohne demokratische Legitimierung durch die bosnische Bevölkerung und die daraus resultierende Ablehnung durch bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere die serbisch dominierte Republika Srpska, trägt weiter zur Instabilität des Landes bei. Denn der derzeitige Hohe Repräsentant zögert nicht, anders als es seine Vorgänger getan haben, seine Befugnisse in vollem Umfang wahrzunehmen und aktiv in das politische Geschehen im Land einzugreifen. Um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen: Schmidts Tatendrang erzielte internationale Schlagzeilen und Kritik, als er sich dazu entschied, im Jahr 2022, einen Tag vor der Wahl, eine Änderung des Wahlgesetzes vorzunehmen, von der vor allem die kroatisch-nationalistische HDZ durch mehr Sitze in der zweiten Kammer des Föderationsparlaments profitiert. Im selben Jahr entschied Schmidt, das staatliche Eigentum der Republika Srpska, das unter der Kontrolle ihrer Nationalversammlung stand, der Zentralregierung zu unterstellen. Dies führte dazu, dass die Nationalversammlung der Republika Srpska ihren eigenen Verfassungsrichter aus Bosnien abzog.
Kontraproduktive Rolle Deutschlands
Deutschland spielt in dieser Situation eine kontraproduktive Rolle. Es gibt Forderungen aus den Reihen der SPD, insbesondere vom Abgeordneten Adis Ahmetovic, Christian Schmidt solle Milorad Dodik, ein gewähltes Mitglied des Staatspräsidiums, absetzen. Das offenbart nicht nur den Mangel an Weitsicht in der Südosteuropapolitik der Ampel-Regierung – eine Absetzung käme einer Kriegserklärung gleich – sondern zeigt auch, wie stark der „Wertewesten“ im Systemwettbewerb engagiert ist und diesen mit allen Mitteln gewinnen möchte.
Dabei ist das Problem hausgemacht, denn in der Vergangenheit hat der Westen es versäumt, Bosnien und Herzegowina ausreichend mit nachhaltigem Aufbau der Infrastruktur zu unterstützen und mit humanitären Mitteln zu versorgen. Das Land gehört zu den ärmsten in Europa und hat eine der höchsten Abwanderungsraten. Heute füllen Länder wie die Türkei und vor allem China diese Lücke und investieren erhebliche Summen in Infrastruktur und Unternehmen. Während bosnische Politiker aus der Föderation unter dem Druck des Westens die Handelsbeziehungen zu China reduziert haben, hat die Republika Srpska ihre Kooperationen mit chinesischen Unternehmen und Banken erweitert. Es ist offensichtlich, dass der „Wertewesten“ dies nicht tolerieren will, was maßgeblich zur Verschärfung der Rhetorik gegenüber der Republika Srpska beigetragen hat.
Es ist an der Zeit, den Elefanten im Raum anzuerkennen: die geopolitische Einflussnahme und Manipulation, die den Brennpunkt der Spannungen in dieser Region bildet. Es ist kein Geheimnis, dass der wachsende Einfluss Chinas in Bosnien und Herzegowina den Westen alarmiert. Aber ist eine zunehmende Konfrontationshaltung wirklich der beste Weg, um auf diese Herausforderung zu reagieren? Wir müssen dringend unseren Blickwinkel ändern und anerkennen, dass eine nachhaltige Lösung in Bosnien und Herzegowina nicht durch ständige Konfrontation und Kontrolle erreicht werden kann. Stattdessen sollte sie auf den Prinzipien des Dialogs, der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Respekts beruhen. Der Westen mag es vielleicht nicht wahrhaben wollen, aber seine Versuche, Bosnien und Herzegowina in ein enges Korsett westlicher „Werte“ und Interessen zu zwängen, haben das Land bisher nicht auf den Weg zum nachhaltigen Frieden und zur Stabilität geführt.
Am Ende des Tages ist die entscheidende Frage nicht, ob der Westen oder der Osten das geopolitische Tauziehen gewinnt. Es geht darum, ob die Menschen in Bosnien und Herzegowina in der Lage sein werden, in einem stabilen, friedlichen und prosperierenden Land zu leben, das ihre Rechte und Freiheiten, auch jene der Minderheiten, respektiert und der Jugend eine nachhaltige Perspektive bietet. Für die Zukunft von Bosnien und Herzegowina sollte es darum gehen, dieses Ziel zu erreichen – und nicht darum, wer das nächste geopolitische Schachspiel gewinnt.