Wie Bernie Sanders Millionen gegen Milliardäre mobilisiert

Foto: berniesanders.com

Sanders vertritt radikal einfache, aber stets populäre soziale Forderungen, die ihn beim Establishment zum Außenseiter machen. Er bildet wechselnde Koalitionen, um seine Ziele durchzusetzen. Als partei-ungebundener Senator bildete er Zweckbündnisse auch mit konservativen Republikanern, um soziale Verbesserungen für Kriegsveteranen durchzusetzen. Selbst der aggressive Republikaner John McCain lobte Sanders‘ Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, weil der ihn u.a. im Kampf gegen eine Ausdehnung der Folter durch US-Geheimdienste unterstützt hatte. Doch während andere Politiker mit Geschwafel die Politik der Lobbyisten zu verschleiern versuchen, redet Bernie Sanders Klartext. Teil zwei von zwei über das US-Amerikanische Phänomen Bernie Sanders.

Als einziger Spitzenpolitiker mit jahrzehntelanger Erfahrung ist Sanders keinem Parteiprogramm verpflichtet außer seinen eigenen demokratisch-sozialistischen Ansichten, denen er konsequent treu bleibt. Seit dreißig Jahren sagte er immer das Gleiche, ohne dass es jemals langweilig würde. Auch seine Wahlkampfreden und Beiträge in Fernsehdiskussionen enthalten immer die gleiche Botschaft: Das Wirtschaftssystem der USA ist ungerecht, wir können es besser. Eine Revolution durch eine Massenbewegung ist nötig, um die Milliardäre angemessen zu besteuern. Demokratischer Sozialismus bedeutet, dass alle eine Wohnung haben, fair bezahlt werden und Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung haben. Das ist nicht radikal, sagt er, das ist menschlich. Darauf reagiert das Publikum begeistert.

Seit seiner Bürgermeisterzeit in Burlington und dann als Senator von Vermont war Sanders gezwungen, für seine Wahlen große Kampagnen mit wenig Geld aufzubauen; Wahlen, die mitunter äußerst knapp ausgingen. Mittlerweile hat Sanders die meisten freiwilligen Aktivisten mobilisiert und ist dank Millionen von Kleinspenderinnen finanziell besser ausgestattet als seine Wettbewerber.

Die Kampagne von 2016 baut auf der Erfahrung und dem Personal u.a. des früheren demokratischen Kandidaten Howard Dean auf, aber auch auf der Obama-Kampagne. Durch die stärkere Verbreitung des Internets und die vielen jungen Aktivisten ist seine Kampagne von Amateuren den riesigen, professionellen Apparaten der Demokratischen Partei und der Republikaner gewachsen.

Im Gegensatz zu den Apparaten seiner Wettbewerber ist der von Sanders nicht rein hierarchisch, sondern Internet-gemäß vernetzt und dezentral aufgebaut. Sie verwenden modernste Tools wie die iPhone-App Slack zur Gruppenkoordination sowie Software für Anruf-Kampagnen. Anstelle von Werbeagenturen drehen Laien Filmchen mit ihrem Handy und publizieren sie auf Youtube und Facebook. Das ist authentisch. Eine solche Graswurzel-Kampagne ist ein gewaltiges Abenteuer, das nur jemand wagen kann, der tatsächlich einer Mehrheit die Macht geben will.

Unter Druck rückt Hillary Clinton nun rhetorisch nach links. Doch ihre Plakate „Fighting for us“ können nicht darüber täuschen, dass sie nicht für die einfachen Leute, sondern für die Reichen kämpft, die sie bezahlen. Clinton hat die Unterstützung des Parteiapparats der Demokraten sowie der Führungen vieler Gewerkschaften und Bürgerrechts-Organisationen. Auch das Medien-Establishment in Form von traditioneller Presse und Privatsendern steht fest hinter ihr.

Blackout durch die Mainstream-Medien
Das Programm von Bernie Sanders knüpft an die Versprechen des Gesellschaft an, ist leicht zu verstehen und klingt bescheiden und realisierbar. Gerade das macht es für die Klasse der Milliardäre, wie Sanders sie offen nennt, gefährlich. Für die Neoliberalen sind Sanders‘ Forderungen utopisch. Die Medien ziehen es vor, nicht darüber zu diskutieren. Als Senator in Washington hat Sanders unzählige Male seine Außenseiterposition vor leeren Sälen vertreten. Die Filmdokumente seiner einsamen Reden gegen den Irak-Krieg und gegen die Überwachung (Patriot Act) verschaffen ihm nachträglich hohe Anerkennung. Heute ist klar, dass er mit seinen Warnungen regelmäßig richtig lag, Bush und Clinton lagen falsch.

Bereits in seiner Heimat Vermont musste Sanders gegen eine ihm feindlich gesonnene Presse und Privatfernsehen regieren. Das hat ihn gezwungen, sachlich und kompetent zu argumentieren. Jeder Fehler wurde von seinen Gegnern ausgenutzt. So konnte sich Sanders keine krummen Geschäfte und keine persönlichen Kämpfe erlauben. Er musste sich immer so ausdrücken, dass er von einer Mehrheit verstanden wurde. Selbst als Konkurrenten Material zum Anschwärzen suchten und Privatdetektive seine Ex-Frau befragten, wollte die nichts Schlechtes über ihn sagen. Das alles kommt Bernie heute zugute, er ist anscheinend nicht erpressbar.

Da Sanders keine Karriere in den etablierten Parteien erwarten konnte, wurde er von den Mainstream-Medien schlicht ignoriert. Nur politische Insider in Washington und Einwohner von Vermont kannten ihn. Seine Gegner riskieren nur selten und ungern eine sachliche Auseinandersetzung mit ihm, da sie zu oft verlieren. Durch die enge Verbindung mit seiner Wählerschaft und sein Auftreten gegen Lobbyisten entlarvt er die bezahlten Interessenvertreter. Das stört die Zeitungen, Radio- und TV-Sender im Privatbesitz, sie verschweigen seine Anliegen, so gut sie können. Bernie beklagt sich darüber nicht, denn natürlich seien die Konzernmedien ein Arm der herrschenden Klasse.

Medienboykott?

Der weitgehende Medienboykott war zu Beginn das größte Problem für Sanders‘ Anliegen. Dies gilt auch für Deutschland: Während Donald Trumps Beschimpfungen die Schlagzeilen füllen, soll Hillary Clinton als vernünftige Alternative erscheinen. Die Politik von Bernie Sanders dagegen wird als unrealistisch verworfen. Die ungebundenen sogenannten Superdelegierten werden regelmäßig Clinton zugerechnet, um Bernie chancenlos aussehen zu lassen.

Solche Ignoranz ist Bernie Sanders aber schon immer entgegen geschlagen. Erst durch das Internet und den Kampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat konnten seine radikalen, aber mehrheitsfähigen Ansichten größeren Kreisen der US-Bevölkerung und weltweit bekannt werden. Dies, obwohl die Mainstream-Medien einseitig berichten. Nach einer Zählung berichteten die US-Fernsehsender ABC, CBS und NBC satte 234 Minuten über Donald Trump und im gleichen Zeitraum nur 10 Minuten über Bernie Sanders.

Persönlicher Stil

Als Dauer-Aktivist ist Sanders geübt darin, politische Gegner nicht zu besiegen, sondern zum Nachdenken zu bringen und zu überzeugen. Bei einem Vortrag vor der christlichen Liberty University von Virginia zu heiklen Themen wie Moral und Abtreibung konnte der jüdische Sozialist Sanders einen Großteil der Student/innen für seinen Glauben begeistern. Am Schluss des Vortrags wollten alle für Bernie beten. Dafür bedankte er sich, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es die Millionen hungriger Kinder in den USA nötiger hätten.

Bernie Sanders verzichtet auf Diffamierungen, Übertreibungen und Klischees. Er ist nicht rechthaberisch, sondern immer freundlich und bescheiden. Das verschafft ihm Sympathien auch bei seinen Gegnern. Im Umgang mit seiner Konkurrentin Hillary Clinton bleibt Sanders sachlich. Ihren Berater Henry Kissinger nennt er nicht einen Kriegsverbrecher, obwohl er allen Grund dazu hätte. Stattdessen belegte er am Beispiel von Kambodscha, dass Kissingers Politik Millionen Tote zur Folge hatte.

Als Black-Lives-Matter-Aktivisten bei Donald Trump protestierten, wurden sie verprügelt. Als sie bei Hillary Clinton protestierten, wurden sie vom Sicherheitsdienst abgeführt. Als sie bei Bernie Sanders protestierten, gab es kurze, heftige Diskussionen. Dann trat Bernie zur Seite, überließ den Aktivistinnen das Podium und hörte ihnen zu. Das war keine Masche, das war ein ernsthaftes Interesse und Respekt vor den Opfern der Polizeigewalt. Selbst auf antisemitische Zwischenrufer reagiert er gelassen und geduldig. So verwandelt er Gegner in leidenschaftliche Anhänger.

Die Abneigung gegen Hillary Clinton und Donald Trump ist schlimmer als gegen alle gescheiterten Präsidentschaftskandidaten der letzten dreißig Jahre. Dagegen hat Bernie positive Sympathiewerte auf dem Niveau der erfolgreich gewählten Präsidenten.

Bernie Sanders kann komplexe Zusammenhänge in kurze Aussagen zusammenfassen, die in einer Talkshow oder einem Youtube-Clip funktionieren. Auch wenn er nur kurz zu Wort kommt, dringt er mit seiner Botschaft durch, wenn er erklärt: „Eigentlich ist es ganz einfach: Politiker sollten nicht für das Geld von Lobbyisten arbeiten, sondern für die Stimmen ihrer Wähler. Das ist nicht radikal. Das ist Demokratie.“

Seine Chancen

Die unentschiedenen Vorwahlen erhöhen die Kosten der Kandidaten insbesondere durch die teure, aber oft wahlentscheidende Fernsehwerbung. Daher muss Clinton bei den Multimillionären um einen Nachschlag betteln, was ihre Abhängigkeit von der Wall Street verschärft. Denn jeden Dollar, den die Superreichen in Clinton investieren, muss sie nach einer erfolgreichen Wahl wieder zurückzahlen, indem sie mit ihrer Politik in die Taschen ihrer Wähler greift.

Sanders, dessen Durchschnitts-Spendenhöhe bei nur 27$ liegt, kann weitermachen, solange es seine Unterstützer es wollen. Selbstverständlich ist auch Sanders seinen Geldgebern verpflichtet, es sind nur andere. Mit jedem Wahlerfolg Bernies wird sich die politische Auseinandersetzung zuspitzen. Von solch einer Verschärfung dürfte er mit seinen populären Forderungen profitieren, zumal die Abhängigkeit Clintons von den Banken immer offensichtlicher wird.

Es ist möglich, dass die Vielzahl von Skandalen, in die Clinton verwickelt ist, sie irgendwann aus der Bahn wirft. Ob der Umsturz in Honduras oder dubiose Geldgeschäfte, nicht nur die Republikaner werden alles Material nutzen, das sie finden können. Auch eine Anklage wegen ihrer E-Mail-Affäre ist nicht ausgeschlossen. Oder man stelle sich vor, ihre Rede vor Goldman-Sachs-Bankern würde öffentlich.

Die wortreichen Verteidigungen ihrer desaströsen Bilanz als Außenpolitikerin sind eine Peinlichkeit. Hunderttausend Tote im Irak? Das sei „wahrscheinlich keine gute Idee“ gewesen, räumt sie ein. Mal will sie sich geirrt haben, mal sei sie vom Geheimdienst falsch informiert worden. Wie sich die Zeiten geändert haben, wurde in einer Umfrage deutlich, wonach die Soldaten in der US Navy und Air Force Sanders bevorzugen. Bei Bodentruppen ist Trump Favorit, Clinton wird abgelehnt.

Die bisherigen Wahlergebnisse haben gezeigt, dass Clinton vor allem bei den über 65-jährigen und bei Afroamerikanern ankam, bei Frauen jedoch nicht wie erhofft punkten konnte. Überraschend erzielte der 74-jährige Sanders große Mehrheiten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich über das Internet informieren. Dabei wird Sanders um so beliebter, je mehr Wähler über ihn wissen. Clinton und Trump dagegen werden mit zunehmender Information kritischer betrachtet. So sind die USA-weiten Umfragewerte von Bernie Sanders regelmäßig gestiegen und der Vorsprung von Hillary Clinton ist von über 50 Prozentpunkten auf fast Null heruntergeschmolzen.

Bernie Sanders geht es nicht bloß um die Präsidentschaft, weil ein Präsident allein ohnehin machtlos wäre gegen die Konzerne, wie er sagt. Stattdessen hat er eine Bewegung von Menschen ins Leben gerufen, die ihre Rechte einfordern. Das sei keine Idee von Außenseitern, erklärt er, sondern vielmehr im Interesse aller, außer der herrschenden Milliardärsklasse.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Bernie Sanders Kampagne von anderen, die mit Enttäuschung endeten, etwa von Barack Obama oder Alexis Tsipras in Griechenland: Bernie Sanders verspricht nicht, als Präsident die Probleme der Wählerschaft zu lösen. Stattdessen ruft er zu einer politischen Revolution auf, in der die Mehrheit die Demokratie gegen die Milliardäre erkämpft. Damit ist er bereits jetzt weiter gekommen als irgendeiner seiner Vorläufer in den USA. Es bleibt spannend.

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3 Antworten

  1. Es ist erfrischend zu lesen, daß noch jemand das Wort gegen diesen Zockerkapitalismus erhebt. Ich hatte bereits befürchtet, daß die Finanz-Imperialisten diesen Globus bis in den letzten Winkel beherrschen. Ich wünsche Herrn Sanders viel Erfolg und hoffe bald wieder von ihm zu lesen.

  2. Leider wird Herr Sanders die Wahl nicht gewinnen. Es zeigt sich mal wider das man mit viel Geld doch Wahlen gewinnen, Hillary Clinton hat das Geld hinter sich und repräsentiert die Börse und die 1% der Reichen in den USA genauso wie auch Herr Trump. Es ist immer klarer gewesen das es einen Wandel in den USA nicht über diese Wahlen gibt die gar keine richtigen demokratischen sind.
    Ich wünsche mir trotzdem das durch Bernie Sanders sich ein Wandel von unten entwickeln wird, und das dieses eines Tages auf gehen wird, in einen wirklichen Wandel.
    Die Amerikaner sind halt sehr naiv zu glauben das sich was mit Clinton und Trump ändern wird.

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