Schwarzer Montag gegen frauenfeindliche Gesetze – Im Gespräch mit polnischen Aktivistinnen

Mitglieder der linken Razem Partei demonstrieren in Warschau für das Recht der Frauen auf Abtreibung, Foto: Razem Warschau.

Am dritten Oktober haben polnische Frauen landesweit gegen ein neues Gesetz protestiert, nach dem jegliche Form von Abtreibung strafbar werden soll. Im Rahmen dieses „schwarzen Montags“‚ marschierten tausende Frauen (und auch viele Männer) schwarz gekleidet und mit schwarzen Fahnen durch die Strassen, statt zur Arbeit oder zum Unterricht zu gehen.

Polen, ein katholisches Land, hat jetzt schon eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Das neue Gesetz, das gegenwärtig noch im Parlament diskutiert wird, würde eine Abtreibung selbst in Vergewaltigungsfällen, oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, unter Strafe stellen, Patientinnen, die abtreiben wollen, und Ärzte, die Abtreibungen durchführen, müssten mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Umfragen zufolge gibt es dafür kaum Zustimmung in der Bevölkerung.

Einige Tage vor dem ‚Schwarzen Montag‘ führte Mark Bergfeld, der sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit polnischen Migranten befasst, ein Gespräch mit Aleksandra Wolke, einer feministischen Aktivistin im Führungskommitee der Partei Razem (polnisch: ‚gemeinsam‘ oder ‚zusammen‘ A.d.Ü.), in London, und mit Mikołaj Ratajczak, Philosoph, Herausgeber von ‚Praktyka Teoretyczna‘ (Theoretische Praxis) und ebenfalls Mitglied der Partei Razem, in Warschau.
Es wurde auf der Webseite ‚revolutionary socialism in the 21st century‘ veröffentlicht.

Mark Bergfeld: Was würde das geplante Abtreibungsgesetz für die polnischen Frauen bedeuten?

Aleksandra Wolke: Falls das neue Gesetz eingeführt wird, werden die Frauen gezwungen, ihre Kinder zu behalten, selbst wenn dies ihr Leben oder ihre Gesundheit bedroht. Frauen werden gezwungen sein, auch stark erbgeschädigte Föten auszutragen, die kurz nach der Geburt sterben, oftmals unter grossen Schmerzen. Opfer sexueller Gewalt müssen die Geburt zulassen, ungeachtet des damit verbundenen seelischen und körperlichen Leids. Dies betrifft auch Minderjährige, die biologisch noch nicht bereit für eine Schwangerschaft sind.

Der Entwurf sieht beim Abbruch einer Schwangerschaft eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren vor, selbst bei schwangeren Angeklagten. Ausnahmen werden gemacht, wenn das Leben der Mutter ‚direkt bedroht‘ wird. Wahrscheinlich werden aber chronische Erkrankungen wie zB. Krebs nicht als ‚direkte Bedrohung‘ gesehen, und somit die Behandlung dieser Krankheiten für die Dauer der Schwangerschaft unterbrochen.

Im Fall einer Fehlgeburt wird es zusätzliche Belastung geben, wenn es in verdächtigen Fällen zu Ermittlungen kommt. Dies wird natürlich einen Einfluss haben auf die Entscheidung, ob man ein Sexualverbrechen zur Anzeige bringt.

Mark Bergfeld: Wie kam es zu dieser Protestbewegung gegen das Abtreibungsgesetz, und wie ist sie politisch zu verorten?

Aleksandra Wolke: Als der rechtskonservative Thinktank Ordo Iuris im März-April eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze forderte, entstand als Antwort darauf eine starke Frauenbewegung, aus der unter anderem die Gruppe „Mädels für Mädels“ (Dziewuchy Dziewuchom) hervorging. Dies war mit Abstand die grösste Frauenrechtsbewegung in der Geschichte Polens.

Mark Bergfeld: Diese Bewegung scheint politisch sehr fortschrittlich zu sein. Zum Beispiel wird berücksichtigt, dass es beim Thema Abtreibung nicht ausschliesslich um transgender Frauen geht.

Mikołaj Ratajczak: Die #czarnyprotest Kampagne und der Schwarze Montag richten sich gegen das geplante neue Abtreibungsgesetz. Es hat enormen Zuspruch gegeben. Die Initiative „Ratujmy Kobiety“ (Retten wir die Frauen) hat mehr als 215,000 Unterschriften zugunsten einer Lockerung des bestehenden Abtreibungsgesetzes gesammelt, das Parlament ist bislang nicht darauf eingegangen. Man kann sicher sagen, dass viele Menschen für die Liberalisierung des gegenwärtigen Gesetzes sind, das seit 1993 in Kraft ist.

Mark Bergfeld: Welche Rolle spielt die Katholische Kirche dabei?

Mikołaj Ratajczak: Die Katholische Kirche Polens hat zu dem Thema keine klare Stellung bezogen. Zunächst hat man das neue Gesetz unterstützt und zugelassen, dass dafür an den Kirchen Unterschriften gesammelt wurden. Jetzt heisst es von derselben Stelle, das Frauen nicht wegen einer Abtreibung verfolgt werden sollten. Es ist schwer zu sagen, worin genau die Motivation der Kirche liegt. Eine mögliche Erklärung ist, das sie befürchtet, dass sich die Menschen, vor allem die jungen, von ihr abwenden.

Mark Bergfeld: Könnte der Streik sich auf andere soziale Bewegungen ausweiten, oder bleibt es bei dieser einen Kampagne?

Mikołaj Ratajczak: Auf den ersten Blick richten sich die gegenwärtigen Proteste gegen das neue Abtreibungsgesetz. Aber viele der Frauen und Sympathisanten, die im Internet ihre Unterstützung zeigen und Fotos posten, auf denen sie Schwarz tragen, reden offen über das Recht, frei zu entscheiden.

Die grosse Frage ist, ob die Initiative gegen das geplante Abtreibungsgesetz zu einer neuen sozialen Bewegung heranwächst, oder bestehende Bewegungen unterstützt. Wird man weiter für eine Liberalisierung der Gesetze kämpfen, auch wenn der Gesetzesentwurf der Ratujmy Kobiety Bewegung gescheitert ist? Das bleibt abzuwarten.

Mark Bergfeld: Was war Razems Beitrag zu den Protesten? Haben auch andere Parteien die Bewegung unterstützt?

Aleksandra Wolke: Die Partei Razem unterstützt die Initiative grundsätzlich. Wir versuchen aber, die Energien und Aktivitäten in lokalen Aktionen zu bündeln. Es geht nicht nur darum, einen Tag frei zu nehmen, damit man nicht zur Arbeit gehen muss.

Mikołaj Ratajczak: Die Frage nach der Beziehung von sozialen Bewegungen und politischen Parteien, und nicht nur Razem, halte ich für sehr wichtig. Die (Black Monday-) Proteste wurden von Razem initiiert. Der Streik am Montag wurde von Personen aus dem KOD-Umfeld ausgerufen (Komitet Obrony Demokracji, ‚Kommitee zur Verteidigung der Demokratie‘), einer unabhängigen sozialen Bewegung, die sich für Bürgerrechte und die Einhaltung der Gesetze engagiert. KOD wird von manchen Oppositionsparteien offen unterstützt (Platforma Obywatelska, Nowoczesna, Polskie Stronnictwo Ludowe), einige dieser Parteien haben aber im Parlament für das neue Abtreibungsgesetz gestimmt und den Gegenentwurf von Ratujmy Kobiety abgelehnt. Es ist kaum zu glauben, aber die Europaabgeordneten von Platforma Obywatelska haben sogar gegen eine Petition gestimmt, die Situation der polnischen Frauen im europäischen Parlament zu diskutieren.

Es ist nicht ganz klar, wie das Verhältnis von sozialen Bewegungen, politischen Parteien und Bürgerinitiativen in Bezug auf die gegenwärtigen Proteste aussieht.
Aber es zeigt sich jetzt schon, dass sich die Frage ‚Wie stehst du zur Abtreibungsdebatte‘ zu einer der wichtigsten Grenzlinien in der polnischen Politik entwickelt. Darüber hinaus wird die Beziehung zwischen ausserparlamentarischer Opposition und politischen Parteien -vor allem Razem- auf der Grundlage dieser Frage neu verhandelt werden.

Mark Bergfeld: Gab es auch Unterstützung von den Gewerkschaften?

Mikołaj Ratajczak: Die Gewerkschaft, die in dieser Kampagne aktiv ist, ist eine kleine, aber sehr militante Vereinigung, „Inicjatywa Pracownicza“ (‚Arbeiterinitiative‘). Sie setzt sich ein für die Unabhängigkeit der Arbeiter und organisiert prekär Beschäftigte, Arbeiter in Sonderwirtschaftszonen und andere, die von den grossen Gewerkschaften nicht repräsentiert werden. Obwohl es in den gegenwärtigen Protesten nicht speziell um die Rechte von Arbeiterinnen geht, sind sich die Kameraden von Inicjatywa Pracownicza im Klaren über die Kontrolle des Weiblichen Körpers im Kapitalismus. Sie haben den Streik am Montag offen unterstützt.

Mark Bergfeld: Wie hat Razem London diese Proteste unterstützt?

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Foto: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, CC BY-ND 2.0
Aleksandra Wolke: Im April hat Razem Londyn eine Demonstration vor der polnischen Botschaft mitorganisiert. Es kamen mehr als 400 Personen. Das war die grösste Demonstration von Polen in Grossbritannien seit Jahrzehnten, nur die extreme Rechte hat Vergleichbares geschafft.

Zur Zeit werden die Proteste hier in London von pro-choice Initiativen und Frauengruppen organisiert.
Dieses Wochenende wird viel los sein. Wir werden an den Aktionen als Privatpersonen teilnehmen, und nicht im Namen von Razem, weil es um die Solidarität mit dem Streik der polnischen Frauen geht, der von Razem kritisiert wird, da nicht jeder ungestraft einen Tag frei nehmen kann. Vor allem sozial schwache und Arbeitnehmer in prekären Verhältnissen, die nicht die Unterstützung der Gewerkschaften haben, sowie bestimmte Arbeitszweige wie zB Pflegeberufe, können nicht mal eben einen Tag nicht zur Arbeit erscheinen.

Mark Bergfeld: Wer sind die Hauptakteure hinter dem Streik?

Aleksandra Wolke: Das sind die Personen, die sich zusammengeschlossen haben, nachdem der Gesetzesentwurf von Ordo Iuris letzte Woche im Parlament vorgebracht wurde. Erklärungen zufolge wollen sie dasselbe erreichen wie die Isländer 1975. Aber der Hauptunterschied zwischen dem Streik in Island und dem Streik am Montag in Polen ist, dass in Island die Gewerkschaften an der Organisation beteiligt waren. Das ist in Polen nicht der Fall. Deshalb werden viele Arbeiter im öffentlichen Dienst, wie zB Krankenschwestern, nicht teilnehmen.

Mikołaj Ratajczak: Einer der Hauptakteure ist die Jugend. Es ist wichtig, diese Politisierung zu erwähnen. Bei den letzten Wahlen haben junge Polen vor allem für konservative Parteien gestimmt, wie die regierende PIS (Gesetz und Ordnung), und sich sogar rechten Strömungen angeschlossen. Einer der Gründe ist vielleicht der Mangel an echten Alternativen, an politischen Symbolen, die Schüler und Studenten für linke Initiativen und Politik mobilisieren. In diesem Zusammenhang könnte die ’schwarze‘ Protestbewegung ein wichtiger Wendepunkt sein.

Eine unabhängige Untersuchung im Internet zeigt, dass die schwarze Protestbewegung, initiiert von Razem, sich zu der grössten und effektivsten Internetbasierten Protestkampagne entwickelt hat, die je von einer politischen Partei gestartet wurde. Schätzungen zufolge haben wir allein mit den sozialen Medien bis zu zehn millionen Menschen erreicht.

Mark Bergfeld: Können dieser Streik und die Protestbewegung das Gesetz aufhalten?

Mikołaj Ratajczak: Das Ergebnis ist hoffentlich ein stärkeres politisches Bewusstsein bei jungen Polinnen und Polen und eine hegemoniale Wende in der Diskussion über Abtreibung: weg von der liberalen Sphäre (als eine ‚kulturelle‘ Angelegenheit) und hin zu den Registern linker Politik (als eine ’soziale Angelegenheit‘).

Aleksandra Wolke: Das ist eine schwierige Frage, ob der Streik das Gesetz verhindert, ob er effektiv sein wird. Es ist schwer, vorauszusagen, was tatsächlich geschehen wird. Um ehrlich zu sein, er ist jetzt schon sehr erfolgreich, vor allem in den sozialen Medien. Tausende kommen zu den Aktionen, noch mehr sind interessiert und teilen es.

Wenn der Streik effektiv ist, könnte es auf lokaler Ebene zu unglaublichen Aktionen kommen. Aber leider glaube ich nicht, dass dadurch tatsächlich das Gesetz abgewendet wird. Wenn überhaupt, wird es wegen uns einige Änderungen im Gesetzestext geben. Zum Beispiel könnte es legal bleiben, eine Abtreibung zu ermöglichen, wenn das Leben einer Frau direkt in Gefahr ist (und die Definition dieser ‚direkten Gefahr‘ könnte sich noch ändern). Das ist schon ein wichtiges Ziel!

Zuerst veröffentlicht bei rs21.org.uk.
Übersetzt von San Holo

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