Mit dem Zusammenbruch der Ampel hat das politische Berlin den Wahlkampf eingeläutet. Trotz schlechter Umfragewerte werden allerorten Spitzenkandidaten gekürt. Und die medialen Hauptstadtbüros berichten über lächerliche Schuldzuweisungen und einen kleinlichen Streit um den Wahltermin. Dabei werden zwei Dinge kaschiert: Erstens, der inhaltliche Unterschied zwischen den Parteien ist in Wirklichkeit minimal. Und deshalb besteht, zweitens, große Einigkeit über den autoritären Umbau des Staates, der im Hintergrund weiter vorangetrieben wird. Schon jetzt zeichnet sich ab: Wir dürfen uns auf einen Lagerwahlkampf einstellen, der in Wirklichkeit keiner ist.
Minimale inhaltliche Unterschiede
Der Ampelbruch vollzog sich unter dem Eindruck der Zeitenwende. Deshalb entzündete sich das Scheitern der Ampel in erster Linie an der Frage, wie die umfassenden Rüstungsausgaben finanziert werden sollen. Denn während die FDP die Unterstützung der Ukraine zulasten des Sozialstaates organisieren wollte, argumentieren Sozialdemokraten und Grüne, Militärisches und Soziales würden nicht gegeneinander stehen, vielmehr sei beides gleichzeitig möglich. Bei der Finanzierung der Zeitenwende ging es also nicht mehr um das ob, sondern nur noch um das wie. Das Beispiel der Kindergrundsicherung, für die dann wegen der vielen Rüstungsausgaben kein Geld mehr da war, zeigt aber deutlich, dass auch SPD und Grüne ebenso wie Union und FDP am Ende bei der Strategie des Sozialabbaus ankommen.
Ein wichtiger Faktor bei der Aufrüstung ist auch die Personalressource. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius will das „Verteidigungsvolumen“ von den derzeit 180.000 Soldaten und 60.000 Reservisten auf 460.000 Soldaten, davon 260.000 Reservisten aufstocken. Viel Widerstand gibt es dazu nicht: Zwischen SPD, Grünen, FDP, Union und auch die AfD passt in dieser Frage kein Blatt Papier. Das Land muss kriegstüchtig werden und die Bundeswehr finanziell und personell wachsen.
Vorboten der Mobilmachung
Während also die Parteien tagelang über Wahltermine stritten und sich nun gegenseitig bezichtigten, den Ampelbruch mutwillig herbeigeführt zu haben, vollzieht sich im Hintergrund dieser Debatten nahezu unbemerkt und mit großer Einigkeit unter den Parteien der militaristische Staats- und Gesellschaftsumbau weiter. So billigte die Bundesregierung am Tag nach der Entlassung von Christian Lindner einen Gesetzentwurf des Verteidigungsministeriums zur Neuregelung des Wehrdienstes. Jeder Jugendliche – Mann wie Frau – soll künftig mit Erreichen des 18. Lebensjahres einen Fragebogen erhalten. Für die Männer ist das Ausfüllen verpflichtend. Die Bögen werden durch die Bundeswehr gesichtet, etwa 10.000 Kandidaten zur Musterung eingeladen und schließlich knapp die Hälfte von ihnen für eine sechsmonatige Basisausbildung rekrutiert. Sie sollen der Truppe im Anschluss an ihre Ausbildung als Reservisten zur Verfügung stehen.
Natürlich hätte der Verteidigungsminister Boris Pistorius die Wehrpflicht gern wieder in Gänze eingeführt, war damit aber innerhalb der SPD auf Widerstand gestoßen. Weniger gefährlich ist die Neuregelung dadurch jedoch nicht. Denn sie reaktiviert die Wehrerfassung nach dem Wegfall der Kreiswehrersatzämter und dient so der Einführung der Wehrpflicht durch die Hintertür. Die Bundeswehr hat im Falle eines Krieges nach wie vor das Recht, alle wehrfähigen Männer verpflichtend einzuziehen, das Wehrregister schafft dafür nun die Datengrundlage. Aktuell kann man der Weitergabe seiner Daten an die Bundeswehr durch die Meldebehörden noch individuell widersprechen, mit Inkrafttreten der Neuregelung jedoch erlischt dieses Recht. Ein weiteres Beispiel für die Unterordnung ziviler Rechte.
Zivil-militärische Kooperation bei der beruflichen Laufbahn
Flankiert wird das neue Wehrregister durch eine Vereinbarung zwischen Verteidigungsministerium und Bundesagentur für Arbeit. Diese kam ebenfalls in der Woche des Ampelbruchs zustande. Unter der Maxime „Stärkung der militärischen Personalgewinnung“ soll Arbeitssuchenden künftig ein militärischer Beruf angeboten werden. In einer Zeit, in der die Industrie über Fachkräftemangel klagt, in der Pflegekräfte, Lokführer, Kita-Beschäftigte oder Lehrer fehlen, stellt die Bundesregierung die Weichen für den Personalaufbau in der Bundeswehr?! Ein weiterer Hinweis darauf, dass nicht länger die Privatisierung die größte Gefahr der öffentlichen Daseinsvorsorge ist, sondern mittlerweile ihre Militarisierung. Die Zeitenwende wird damit zum Angriff auf Gesundheitsversorgung, Bildung oder Personenbeförderung.
Dazu wird die Debatte über die Wehrpflicht in der Öffentlichkeit möglichst entpolitisiert geführt. Pistorius bemüht sich nach Kräften, die Rekrutierung unserer Kinder für den Krieg in der Öffentlichkeit wie eine Fachkräftedebatte zu führen und als scheinbaren Verwaltungsakt zu bagatellisieren. Die massiven Verschärfungen bei Zumutbarkeitsregelungen und Sanktionen für Bürgergeldempfänger, die erst vor wenigen Wochen beschlossen worden waren, bekommen jedoch vor diesem Hintergrund noch einmal einen ganz anderen Sinn. Dienten derlei Verschärfungen mit der Einführung von Hartz IV vor allem der Akzeptanz schlechterer Arbeitsbedingungen, leisten die Einschränkungen heute ihren Beitrag dazu, die von Deindustrialisierung und Arbeitsplatzverlust bedrohten Kernbelegschaften der Kriegsmaschinerie zuzuführen.
Ein Lagerwahlkampf, der keiner ist
Der erbärmliche Streit zwischen Union, FDP, SPD und Grünen soll von diesen Entwicklungen ablenken und den Eindruck erwecken, als stünden grundlegende politische Differenzen zwischen den wahlkämpfenden Parteien. Dabei scheint sich schon jetzt ein Lagerwahlkampf abzuzeichnen, bei dem es um die Frage geht, wie schnell, wie frontal und wie stark der Sozialstaat angegriffen werden soll. Wenn der Chef des arbeitgeberfinanzierten Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, fordert, dass das „Sondervermögen Bundeswehr“ noch in dieser Legislaturperiode auf 300 Milliarden Euro aufgestockt werden soll, dann zeigt das, wie stark der Druck auf den Sozialstaat werden wird. Während CDU und FDP bereits jetzt schon eine Agenda 2030 fordern, geben SPD und Grüne vor, den Sozialstaat verteidigen zu wollen. Dabei verschweigen sie, dass sich die Ampel im Juni 2023 in der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ auf das Vorhaben verständigt hatte, die Zeitenwende über den Abbau des Sozialstaates zu finanzieren. Niemand stellt also Sozialkürzungen zugunsten weiter Rüstungsprojekte in Frage. Der Lagerwahlkampf ist in Wirklichkeit keiner und der „erbitterte Streit“ zwischen den Parteien ein großes Ablenkungsmanöver, um die Einigkeit zu kaschieren, die bei Aufrüstung und Zeitenwende besteht.
Es bleibt also zu hoffen, dass wenigstens Die Linke die Auseinandersetzungen mit den Zeitenwendewidersprüchen sucht. Denn es darf erwartet werden, dass CDU und FDP mit einem knallharten „Kanonen statt Butter“-Wahlkampf recht ungeschminkt den Abbau des Sozialstaates fordern werden. Wenn SPD und Grüne darauf mit einer scheinbaren Verteidigung des Sozialstaates reagieren, indem sie das aussichtslose Versprechen „Kanonen und Butter“ machen, ganz so als würden nicht schon jetzt 17 Milliarden Euro im Haushalt fehlen, dann darf Die Linke nicht nur über „Butter“ sprechen. Sie muss vielmehr deutlich machen, dass der Schutz unserer Renten, das Fortbestehen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder eine ausfinanzierte Kindergrundsicherung zwingend Frieden und Entspannungspolitik zur Voraussetzung haben. Wer die Zeitenwende nicht in Frage stellt, wird der Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche und Projekte unter die Militarisierung von Staat und Gesellschaft nichts entgegensetzen können.
Widerspruch und Widersprüche – die Kolumne von Ulrike Eifler