Dieter Dehm, Maulkorb-Mentalität und Selbstreflexion

Die Debatte um Dieter Dehm hat sich in den letzten Tagen wieder etwas beruhigt. Was bleibt außer einem Ausschlussantrag gegen den Politiker der Linken? Für einige Mitglieder der Partei wohl vor allem die Frage, ob sie jetzt auf jedes gesagte Wort aufpassen müssen. Manche sprechen gar von einer neuen „Maulkorb-Mentalität.“

Strichjunge – so bezeichnete Dieter Dehm Bundesaußenminister Heiko Maas in seiner Rede auf dem Ostermarsch. Kein Fehler der ausversehen passierte, sondern mit purer Absicht. Für den Bundessprecher der Linken Arbeitsgemeinschaft Queer Frank Laubenburg ein nogo. Zurecht.

„‚Strichjungen‘ gehörten zu einer der Opfergruppen des Nationalsozialismus. Sie gehörten oftmals zur sozialen Unterschicht und galten als ‚Asoziale‘, also zu jener Gruppe, die bis heute nicht rehabilitiert und entschädigt wurde. Männliche Prostituierte galten als Seuchenherde der Homosexualität und als ‚Volksschädlinge‘. Ihnen drohte Zuchthaus, ‚Schutzhaft‘ und die Verbringung in Konzentrationslager.“ Frank Laubenburg auf Facebook Frank Laubenburg auf Facebook

Richtigerweise erkennt Laubenburg, das gezielte Grenzüberschreitung zur Dehmschen Rehtorik gehört und seine Eitelkeit befriedigt. Auch die kommunistische Plattform kritisiert Dieter Dehm und wirft ihm vor, der Friedenspolitik „einen Bärendienst“ erwiesen zu haben, weil alle über das Wort „Strichjunge“ disktutieren, anstatt über den Inhalt seiner Rede, die wohl gut gewesen sei. Aber nicht nur Kritiker sind laut geworden, sondern auch Dutzende die sich mit Dehm solidarisieren. Sie empfinden die Reaktionen auf seine Rede als Angriff auf sich selbst. Als Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Damit überinterpretieren sie wohl die Kritik an der Äußerung des Politikers. Sie übertragen sie auf sich selbst, vielleicht weil sie mit ihrem Vokabular selbst mal daneben greifen oder zotige Witze reißen. Dadurch verschiebt sich die Debatte wichtig nicht mehr , wie die Rede gemeint war, ob die Kritik falsch verstanden wurde, sondern wie sie bei den Menschen ankam, die sich nun angegriffen fühlen.

Die Empörung über das von Dieter Dehm genutzte Wort ist berechtigt. Er ist nicht erst seit gestern politisch aktiv und hatte etliche Jahrzehnte, um den Gebrauch des eigenen Vokabulars zu reflektieren. Und es ist nicht das erste Mal das Dehm ausfallend wird. Man erinnere sich nur an die Aktion mit seinem teuren Wagen, an dem Deutschlandfahnen zur Fußball WM hingen. Oder an die ein oder andere Bemerkung, die unter der Gürtellinie war. Doch auch die Art und Weise, wie Kritiker von Dehm mit dem Vorfall umgegangen sind, ist schwierig. Man bedenke alleine den Ausschlussantrag des Vorsitzenden der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg, Oliver Nöll.

Denn der Elefant der im Raum steht ist nicht, dass Didi (so nennen ihn seine treusten Fans) etwas Falsches gesagt habe, sondern, dass man jetzt als „Prolet“ in der Partei nicht mehr willkommen ist. Dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Dies kann nicht das Ziel der berechtigten Kritik sein. Wenn die Linkspartei nicht wünscht, dass nur akademisch reflektierte Menschen in ihren Reihen aktiv werden, sondern auch Auszubildende, Schülerinnen und Schüler sowie Menschen aus sogenannten bildungsfernen Milieus, dann muss sie eine neue Willkommenskultur schaffen. Eine, in der man nicht für jedes Wort gleich verurteilt und schief angesehen wird, sondern in der die Selbstreflexion gefördert wird. In der die Erkenntnis bei den Mitgliedern nicht mit dem Vorschlaghammer eingeprügelt wird. Wenn Parteiaktive mit viel Verständnis darauf aufmerksam machen, wieso sich bestimmte Gruppen von einem bestimmten Sprachgebrauch beleidigt und herabgewürdigt fühlen.

Dies würde bedeuten, bei jeglicher berechtigter Kritik an Dieter Dehm, mit etwas mehr Fingerspitzengefühl heranzugehen. Den Sympathisierenden von linker Politik zu erklären, dass  es kein orwelsches Neusprech ist, wenn man darauf achtet nicht „Schwuchtel, Tussi oder Kanake“ zu sagen. Mit dem Vorschlaghammer wird dies nicht gehen, sondern nur durch Eigenerkenntnis:

Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. K. Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, 9.

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6 Antworten

  1. Diether Dehm hat ein wenig zugespitzt.
    Stricher ist kein schönes, aber ein ehrliches Wort – wie Hure, Ossi oder Pack.
    Zu Zeiten von Wehner und Strauß gehörten solche und andere zuspitzenden Worte (Ratten, Schmeißfliegen, Strolch, Übelkrähe) einfach dazu.
    Eine deftige Aussprache. Aber eben auch ehrlich.
    Heute wird dagegen von sauertöpfischen Wächterräten eine laktosefreie Etepetete-Sprache verordnet.
    Damit wird es der AfD noch leichter gemacht, in dieses keimfreie Vakuum hineinzustoßen.

  2. Ich bin sehr für Fingerdpitzengefügl, wenn es darum geht, sich innerhalb einer Partei gegenseitig dabei zu unterstützen, eine respektvolle und nicht-diskriminierende Sprache zu verwenden. Es geht ums Lernen und das verträgt sich nicht mit der Angst, demontiert zu werden, wenn man unbeabsichtigt sprachlich daneben haut.

    Ich fürchte aber Dieter Dehm hat nicht daneben gehauen, sondern er hat genau da drauf gehauen, wo er wollte.
    Und dann setzt die Kritik genau an der richtigen Stelle an. Über die Form kann man natürlich streiten…

  3. Käase, ohne den Furor um das Wort wäre ganze Ostermarsch wieder totgeschwiegen worden, was manchen Nato-Linken wiederum sehr gefallen hätte. Strichjungen sind nicht homo, Nutten nicht per se lesbisch. alles quatsch, alles nur vorgeschoben. Hilffe, er hat Autobahn gesagt, ein Naziwort.

  4. Sorry im dritten reich gabs keine strichjungen da gabs schwule mit rosa winkel im kz keine stricher sondern jeder, der schwul war und erkannt wurde. Die schwule prostitution gabs in den 20er jahren, sie war immer ein randphaenomen, denn wer zahlt, wenn es sex in der szene umsonst gibt. Was dehm sagte ist, dass es hier um kaeuflichkeit geht. Er konnte ja schlecht strassenhure zum minister sagen. Strichjunge ist da noch der vornehmere ausdruck zum modernen stricher. Kein schwuler fuehlt sich dadurch herabgesetzt. Wieso auch.

    1. Oh, jetzt wird hier also Dehm schon mit Geschichtsklitterung und der Leugnung der Ermordung von Strichjungen „verteidigt“. Ein Besuch in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wäre empfehlenswert, dort wird auch an das Schicksal der nach §175a StGB (eingeführt von den Nazis 1935) erinnert. Aber vielleicht ist es sinnvoller, den Kommentar von A. Jung auszudrucken und eine lamierte Fassung an den Stolperstein für Hans Hirchberg in Hamburg zu hängen. Der Kommentar macht ja deutlich, das man immer wieder gegen die Leugnung des Holocauts und der Verfolgung von Mindesrheiten angehen muss.

  5. „Strichjunge“ bezeichnet eine männliche Person, die sich prostituiert. Nicht mehr und nicht weniger.
    Hier wird wieder krampfhaft versucht einen Nazi-Bezug herbeizufantasieren um Dehm zu diffamieren.
    „NATO-Hure“ passt auf Maas nicht, weil er keine Frau ist. Deshalb benutzt er den Ausdruck für einen männlichen Prostituierten. Meiner Meinung nach völlig zu recht.

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