Auch nach seiner umstrittenen Verurteilung zu mehreren Jahren Haft bleibt Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva eine des beliebtesten politischen Persönlichkeiten des Landes. Eine Zusammenfassung über die Amtszeit des ehemaligen Präsidenten.
Brasiliens ehemaliger Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, würde einer Umfrage vom brasilianischen Institut „Paraná Pesquisas“ zufolge wieder zum Präsidenten gewählt, auch nach seiner Verurteilung zu neuneinhalb Jahren Haft.
Die Untersuchung, durchgeführt vom 24. bis zum 27. Juli, befragte 2.020 WählerInnen, welche(n) Kandidaten/in sie wählen würden, wenn heute Präsidentschaftswahlen wären. Als Antwortmöglichkeiten wurden sieben Kandidaten genannt, sowie die Optionen „Niemand“ und „Ich weiß nicht“. Nach der mit 25,8% meistgewählten Antwort „Lula“ steht an zweiter Stelle, mit 18,7%, „Jair Bolsonaro“, ein konservativer angehender Präsidentschaftskandidat, der wiederholt mit frauenfeindlichen, rassistischen und homophoben Aussagen auf sich aufmerksam gemacht hatte.
An dritter Stelle folgt mit 15,7% die Antwort „Niemand“.
Lula, der von 2003 bis 2011 das Land mit der mit von ihm gegründeten Arbeiterpartei „Partido dos trabalhadores“ (PT) regierte, war im Juli wegen Verwicklungen in einem der größten Korruptionsskandale der Geschichte Brasiliens, „Lava Jato“ („Autowäsche“), verurteilt worden. Ihm wird vorgeworfen, vom Bauunternehmen OAS illegale Vorteile für Kauf und Renovierung einer Wohnung erhalten und dem Unternehmen im Gegenzug zu Verträgen mit dem halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verholfen zu haben. Der 71-jährige streitet ab, jemals im Besitz dieser Wohnung gewesen zu sein. Er bleibt solange auf freiem Fuß, bis das Urteil vom zuständigen Berufungsgericht bestätigt oder revidiert wird.
Faires Verfahren?
Das Gerichtsverfahren war international kritisiert worden,[1][2][3] unter anderem weil dem vorsitzenden Richter Sérgio Fernando Moro Befangenheit vorgeworfen wird. Er hatte unzulässigerweise Audios aufnehmen lassen von Lula in Telefongesprächen mit seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff und diese an den Medienkonzern „Globo“ weitergeleitet.
Zudem basiert das Urteil hauptsächlich auf der Aussage von Marcelo Odebrecht, ehemaliger Präsident des gleichnamigen und größten Bauunternehmens Lateinamerikas, das ebenso in dem Korruptionsskandal verwickelt ist. Der Manager wurde wegen Korruption und Geldwäsche zu 19 Jahren Haft verurteilt, doch durch seine Beschuldigungen gegen insgesamt 98 Personen, darunter auch Dilma Rousseff und den aktuellen Präsidenten Michel Temer, konnte Odebrecht sein Strafmaß um neun Jahre verringern.
Stichhaltige Beweise gegen Lula konnten jedoch während des Prozesses nicht vorgelegt werden.
In jedem Fall gilt das Urteil als derber Rückschlag für die Arbeiterpartei, für die er sich im Oktober 2018 als Präsidentschaftskandidat wieder aufstellen lassen wollte.
Lulas Amtszeit – ein Überblick
Lula gewann die Präsidentschaftswahlen 2002, nachdem er schon dreimal ohne Erfolg kandidiert hatte. Während seiner Präsidentschaft befand sich das Land in einer Phase des wirtschaftlichen Wachstums und intensiver Verhandlungen mit der Welthandelsorganisation (WTO). Die Auslandsverschuldung verringerte sich während Lulas Amtszeit, wohingegen sich die internen Schulden erhöhten.
Die Regierung unter Lula ist bekannt für ihre Sozialprogramme: Allen voran die Bolsa Família, eingeführt 2004, die besonders armen Familien einen monatlichen Beitrag leistet, unter der Bedingung, dass die Kinder eine Schule besuchen und regelmäßig geimpft werden.
Des Weiteren wurde unter dem Namen Luz para todos („Licht für alle“) ein Programm eingerichtet, das allen Brasilianern Strom ermöglichen soll, vor allem auch in ländlichen Gebieten.
Mit Brasil Alfabetizado e Educação de Jovens e Adultos (“Brasilien alphabetisiert und Ausbildung Jugendlicher und Erwachsener”) wird gegen den hohen Analphabetismus in Brasilien vorgegangen; mit ProUni soll das Ziel erreicht werden, junge und begabte Menschen mit niedrigem Einkommen den Eintritt zum Hochschulwesen durch Stipendien zu erleichtern.
Allerdings ist Lulas Amtszeit auch geprägt von dem sogenannten Mensalão-Skandal von 2005, bei dem Politiker der PT Abgeordnete bestachen, damit diese im Sinne der Partei abstimmen.
Der Präsident der arbeitenden Klasse
Lula, der selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammt und nur wenige Jahre zur Schule ging, setzte sich schon während der Militärdiktatur in den 1960er und 1970er Jahren als Metallarbeiter und Gewerkschaftler für die Rechte der Arbeiter ein.
Hier ein Auszug seiner Rede vom August 2010, in der es um die (Un-)Möglichkeit geht, dass Brasilien von einem Menschen aus einfachen Verhältnissen regiert werden könnte:
Was meinen Brasilianer zu Lula und seiner Verurteilung?
Nicht jeder Brasilianer unterstützt uneingeschränkt Lula und seine Partei.
Fernando Diogo, 30, wohnt und studiert Public Relations in Deutschland. Er sagt dazu:
Lula ist ein perfekter Sozialist, er hatte immer nur den Plan, an der Macht zu bleiben. Er hat grausame Ideologien eingeführt, wie die Kriminalisierung der Polizei, den Schuldigen seiner Verantwortung zu entziehen, der intellektuellen Arbeit wenig Bedeutung beizumessen und dabei den Schwerpunkt auf Dinge gelegt, die die Sexualität betreffen, wie die Abtreibung. Und was ist die Konsequenz von all dem? In Brasilien werden jährlich 60.000 Menschen ermordet, etwas, das undenkbar gewesen wäre vor 30 Jahren. Brasilien hat einen Rückwärtsschritt eingelegt wie kein anderes Land der Welt und steht kurz vor dem Zusammenbruch. Die Wirtschaft geht zurück. Das Militär ist in den Straßen, weil die Polizei den Diebstählen und Morden schon nicht mehr gewachsen ist! Wenn Brasilien in den Händen bleibt von diesen heimlichen Diktatoren, wird es wie Venezuela enden!
Lula kommt also am Ende doch ins Gefängnis. Und obwohl er so viel Mist gebaut hat, hat es niemand geschafft, die Taten dieses Mafiosos zu beweisen. Lula wurde verurteilt, weil er eine Wohnung aus Bestechungsgeld gekauft hat. Aber mit Sicherheit wird er nicht nur dafür in den Knast gehen.
Carlos Vinicius, 37, kommt aus einer Favela und hat sein eigenes Hostel eröffnet. Seine Meinung ist:
Wenn ich an Lula denke, fällt mir ein typischer Brasilianer ein. Genau wie viele von uns kommt er aus einem sozial schwierigen Umfeld. Ich finde es bewundernswert, dass für ihn das Wichtigste war, den Hunger und die Armut in Brasilien zu beenden und zu versuchen, den Menschen auf dem Land zu helfen. Er hat zum Beispiel Fachschulen eingeführt und einen besseren Zugang zu Universitäten, außerdem ist es auch für den kleinen Mann leichter, ein Unternehmen zu gründen und einen Bankkredit zu bekommen. Und natürlich hat er sich immer wieder mit der Frage beschäftigt, wie man Brasilien sozial gerechter machen kann. Ich finde es nicht fair, dass er verurteilt wurde, weil die Beweise keine richtigen sind. Lula ist eine Bedrohung für die brasilianische Elite, denn wenn er frei wäre, würde er wiedergewählt werden. Das brasilianische Politiksystem ist verseucht von Korruption! Ich finde, wenn er wirklich mit drinsteckt, sollte er verurteilt werden, aber er wäre nur einer von vielen Brasilianern die uns immer weiter bestehlen. Es ist nicht richtig, dass er als der Hauptschuldige gilt.
Maira, 32, ist Wirtschaftsdozentin in Rio de Janeiro. Sie meint:
Während der Regierungszeit von Lula und Dilma von der Arbeiterpartei hat Brasilien aufgehört, sich wirtschaftlich Europa unterzuordnen, was der Fall war, seitdem Europa Brasilien entdeckt hatte. Weil sich das brasilianische Volk erhoben hat, wurden grundlegende Rechte gestärkt, die zum Beispiel Arbeit, Bildung und Rechte für Kinder angehen.
Ein Gastbeitrag von Mareen Butter. Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog globustrotter.com.