Ahmad Omeirat über Austritt – Grüne haben humanitäre Werte verraten

Ahmad Omeirat

Vergangene Woche ist Ahmad Omeirat, Ratsherr in Essen, nach mehr als 14 Jahren aus der Fraktion der Grünen im Essener Stadtrat und der Partei ausgetreten. Wir haben mit ihm über seine Motive, die Veränderung der Grünen und zukünftige Ziele gesprochen.

etos.media: Sie sind vor etwa einer Woche bei den Grünen austreten, wie kam es dazu? Wie haben die Grünen sich verändert?

Ahmad Omeirat: Ich weiß, dass es in früheren Wahlversammlungen der Grünen Mitglieder gab, die Beschlüsse hinterfragten, umänderten oder sogar kippten. Heute spüre ich jedoch, dass innerhalb der Partei eine Art Gehorsam verlangt wird, um näher an den Machtzirkel zu gelangen. Wir veröffentlichen zwar ein Wahlprogramm, doch plötzlich existieren ungeschriebene Gesetze innerhalb der Partei.

Es ist auffällig, dass Personen mit ein wenig Macht in ihrem Kreis- oder Landesverband diese auch demonstrieren – etwa bei der Aufstellung von Landeslisten. Das entspricht eher einem archaischen Muster als einem demokratischen. Je größer die Partei wurde, desto unmenschlicher agierte sie. Dies zeigt sich besonders in Kreisverbänden, die durch Mitgliederzuwachs plötzlich so handeln, als seien sie Teil eines großen Börsenunternehmens.

Ich sehe diese Entwicklung als äußerst problematisch an, verkenne jedoch nicht, dass Professionalisierung neue Arten der Kommunikation mit sich bringen kann. Dennoch darf dies nicht auf Kosten von Demokratie und Menschlichkeit geschehen.

etos.media: In ihrem Austrittschreiben beklagen Sie Intrigen in der Partei.

Ahmad Omeirat: Offene Konfrontationen gab es keine. Über mögliche Intrigen möchte ich nicht öffentlich sprechen. Ich habe ein Agreement mit dem Kreisverband Essen, dass wir professionell mit meinem Austritt umgehen wollen. Die Isolation zeigte sich jedoch in der mangelnden Unterstützung für meine Positionen, die früher im Einklang mit den Grundwerten der Partei standen, und in einer spürbaren Zurückhaltung bei der Einbindung in Entscheidungsprozesse.

etos.media: Deutliche Worte finden Sie auch gegenüber der grünen Außenpolitik, insbesondere zu Gaza, was stört Sie besonders?

Ahmad Omeirat: Neben den Waffenlieferungen sehe ich das Problem in der Rhetorik und den politischen Maßnahmen. Es gab eine Zeit, in der Menschen arabischer Herkunft sich nicht mehr getraut haben, öffentlich über die palästinensische Zivilbevölkerung zu trauern. Ich sah diese Entwicklung als zutiefst besorgniserregend. Viele Menschen hatten Angst vor Konsequenzen, wenn sie öffentlich ihr Mitgefühl zeigten. Es kann nicht sein, dass Essener Bürgerinnen und Bürger mit palästinensischen oder arabischen Wurzeln Angst haben müssen, ihr Mitgefühl auszudrücken, oder dass sie keine Empathie von der deutschen Politik erfahren.

Wir sind Zeugen eines Krieges gewesen, der über 50.000 Menschen auf palästinensischer Seite das Leben gekostet hat. Es ist bemerkenswert und erschreckend, wie in politischen Interviews und Statements dieses Leid und die vielen Toten kaum oder gar nicht erwähnt wurden. Diese Entwicklung konnte ich nicht mittragen.

Die Menschen arabischer Herkunft in Deutschland haben sich oft vergeblich nach einem einzigen Wort der Empathie oder einem ausgewogenen Standpunkt gesehnt. Es geht nicht darum Israel in ein schlechtes Licht zu rücken – Israel selbst stellt sich durch seine Handlungen vor der Weltöffentlichkeit in ein schlechtes Licht. Die mangelnde Anerkennung des palästinensischen Leids ist ein Verrat an den humanitären Prinzipien, die ich immer vertreten habe.

etos.media: Wie hätte eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik stattdessen aussehen können?

Ahmad Omeirat: Eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik hätte die Situation differenziert betrachten müssen. Die Bundesregierung, insbesondere Habeck, hätte klar das Leid aller Beteiligten – sowohl der Geiseln als auch der palästinensischen Bevölkerung – ansprechen müssen. Eine klare Forderung nach einem Waffenstillstand, humanitären Korridoren und einer unabhängigen Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen wäre ein Zeichen gewesen, dass Deutschland seine Verantwortung ernst nimmt.

Darüber hinaus hätte eine verantwortungsvolle deutsche Politik die Möglichkeit prüfen müssen, Verletzte aus Gaza nach Deutschland zu bringen und ihnen hier medizinische Versorgung anzubieten. Ebenso hätte die Bereitstellung deutscher medizinischer Versorgung vor Ort in Gaza gezeigt, dass Deutschland humanitäre Prinzipien über politische Kalkulationen stellt. Solche Maßnahmen hätten ein klares Signal für Menschlichkeit und Gerechtigkeit gesendet.

etos.media: Nicht nur die Außenpolitik und die Veränderung der Partei kritisieren Sie, auch den Umgang mit den Themen Migration und die sogenannte „Clan-Debatte“ greifen Sie scharf an, können Sie das ausführen?

Ahmad Omeirat: Die Grünen im Land haben eine Koalition mit der CDU, und selbst in dieser Zusammenarbeit existiert das diskriminierende Lagebild, das stigmatisierende Zuschreibungen ethnischer Kriminalität enthält. Die Landespartei hat diese Praxis nicht nur geduldet, sondern auch zugelassen, dass bei der Kriminalitätsbekämpfung auf ethnische Merkmale gesetzt wird, ohne ihren Einfluss im Land geltend zu machen, um dem entgegenzuwirken.

Ich spreche seit über zehn Jahren über dieses Thema und habe immer wieder betont, dass diese Art der Kriminalitätsbekämpfung nicht die tatsächlich kriminellen oder strafrechtlich relevanten Personen trifft, sondern die Menschen, die integriert sind und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Es trifft Menschen, die versuchen, mit der Gesellschaft zusammenzukommen, und sich dann plötzlich mit unangenehmen Fragen, Diskriminierung oder sogar Ausgrenzung konfrontiert sehen.

Die Grünen haben es zugelassen, dass wichtige Verfassungsorgane mittlerweile Kriminalität ethnisieren und sie bestimmten Familiennamen zuschreiben – ein absolutes No-Go in der Geschichte der neuen Bundesrepublik Deutschland. Diese Praxis ist nicht nur diskriminierend, sondern auch gefährlich, da sie das Vertrauen in rechtsstaatliche Prinzipien untergräbt und die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund erheblich erschwert.

etos.media: In der Kommunalpolitik spielt auch die Frage von Wohnraum eine große Rolle, was hätten Sie sich in dem Bereich gewünscht?

Ahmad Omeirat: Die Grünen hätten sich stärker für eine sozial gerechte Wohnungspolitik einsetzen müssen. Maßnahmen wie die Einführung eines bundesweiten Mietendeckels, eine konsequente Begrenzung von Mieterhöhungen und der Ausbau von sozialem Wohnungsbau wären dringend notwendig gewesen. Stattdessen wurden oft die Interessen von Immobilienkonzernen und Großinvestoren priorisiert.

etos.media: Das Ruhrgebiet gilt auch Jahrzehnte nach dem Ende der Kohleära als abgehängt, was hätte man machen sollen?

Ahmad Omeirat: Meiner Meinung nach sollten alle Schulen in Deutschland so ausgestattet sein wie in den wohlhabendsten Städten. Es darf keine Zwei-Klassen-Bildung geben, in der Kinder in benachteiligten Regionen mit schlechten Schulgebäuden und mangelnder Ausstattung auskommen müssen, während andere die besten Bedingungen haben.

Wir haben es leider versäumt, in politischen Verhandlungen die nötigen Gelder für eine flächendeckend hochwertige soziale Infrastruktur sicherzustellen. Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sind essenziell für eine gerechte Gesellschaft, doch in vielen Regionen bleiben diese Bereiche chronisch unterfinanziert. Die Stärkung dieser Infrastruktur hätte ein zentrales Ziel sein müssen, nicht nur auf Bundes- und Landesebene, sondern auch in den Kommunen.

Stattdessen wurde zu oft gespart, wo investiert werden müsste – in die Zukunft unserer Kinder und in die Grundversorgung aller Bürgerinnen und Bürger. Eine gerechte Politik hätte klare Prioritäten setzen und endlich massiv in Bildung, Gesundheit und frühkindliche Betreuung investieren müssen, um allen Menschen in Deutschland gleiche Chancen zu ermöglichen.

etos.media: Danke Ihnen für das Gespräch.

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Eine Antwort

  1. Lieber Herr Ahmad Omeirat
    Ich kann jeden Ihrer Gedanken und Sätze unterschreiben, ich teile Ihre solidarische Haltung insbesondere zu Gaza und den Palästinensern in DE.
    Aber: dass Sie 14 Jahre nach Ihrem Fraktionsbeitritt benötigten, um die totale Umkehrung der grünen beim Namen zu nennen und Konsequenzen zu ziehen, glaube ich so leicht nicht.
    Die grünen werden am 23.Febr.2025 die 5 %-Hürde überspringen und sich mit den Altparteien zum Machterhalt vereinen u. mit welcher, spielt für sie erfahrungsgemäß keine Rolle, denn sie haben schon alle Parteien (erfolgreich nur für sich) durch.
    Nun ist ein Ratsherrensitz in einem Stadtparlament nicht mit der Bundespolitik zu vergleichen, denn in Essen müssen neue Mehrheiten gesucht werden.
    Herr Omeirat,
    könnte es sein, dass Sie die Zeichen 2025 erkannt haben, dass mit der Partei Die Grünen kein od. nur sehr schwer Blumentöpfe zu gewinnen sind?
    Ich möchte Ihnen aber zu Gute halten, dass Sie sich möglicherweise diesem elendigen, zu erwartenden Parteiengeschacher entziehen möchten.
    Ich habe nach 19 Jahren „Grünenverteidigung“ leider erst 2003, endgültig den Stecker gezogen; und mit meiner Stimme 2003 den ganzen unmenschlichen Agenda-2010 Mist noch nichts-ahnend unterstützt.

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