Die Idee der Fußfessel für “islamistische Gefährder“ hat mir immer etwas Angst gemacht. Klar – ich weiß auch dass das mit dem Rechtsstaat oftmals so eine Auslegungssache ist. Wenn ein Model vergewaltigt wird und dafür, das öffentlich zu machen, von einem Gericht auch noch bestraft wird, wenn es darauf ankommt wo in der gesellschaftlichen Machthierarchie du stehst, wie deine Steuerhinterziehung verfolgt wird, wenn dir für’s Betteln auf der Straße der Hartz IV-Satz gekürzt wird – selbstverständlich ist das nicht gerecht.
Aber die Idee, islamistische und nach dem neuen Vorstoß von De Maizière auch politische (meint wohl linke) „Gefährder“ vor Demos präventiv mit der Fußfessel zu bestrafen[1], spielt nochmal in einer anderen Liga. „Gefährder“ – das heißt nicht, dass du für etwas, was du getan hast, Hausarrest bekommst. Denn dann wäre deine Tat schon geschehen, und zur Bestrafung bräuchte es Beweise, Gerichtsverfahren, Unschuldsvermutung, … “Gefährder“ bedeutet aber eben, dass man auf all diese Rechte verzichtet und jemandem Hausarrest verpasst, weil er in Zukunft etwas tun KÖNNTE.
Darum ist die Gefährder-Regelung eine enorme Einschränkung selbst des bürgerlichen Rechtsstaats. Anfangs wurde sie nach dem Fall Amri von Heiko Maas für Islamisten in die Diskussion gebracht, es war aber klar, dass der Islamismus hier ein willkommener Grund ist um Gesetze einzuführen und sie früher oder später gegen linke Regimegegner einzusetzen. Trotzdem ist überraschend, wie schnell das nun geht. Es randalieren Autonome, Krawalltouristen, Frustrierte, Faschos (die ja sonst bei jeder zweiten Gelegenheit vom Staat mit Waffen versorgt werden), Hools, AKP-Anhänger und Polizeiprovokateure im Schanzenviertel und schon wenige Tage später folgen die politischen Vorschläge – zufällig geht es auch hier wieder um Aufrüstung und Rechtsbeugung (= Innere „Sicherheit“) und die lang ersehnte Auflösung linker Zentren.
Also wie gesagt: voraussehende Polizeiarbeit (predictive policing) und Gefährder-Regelung bedeuten Bestrafung, ohne dass etwas vorgefallen ist (wer „Minority Report“ noch nicht gesehen hat, sollte das dringend tun). Wie beim Islamismus funktioniert Repression gegen Linke und Regimegegner nach Sippenhaft-Prinzip: drei Reihen vor dir hat sich jemand vermummt – ein Schlagstock in deinen Rippen ist also völlig verhältnismäßig. In der Schanze wurde randaliert – da kann man schon mal in München ein linkes Zentrum schließen. Du musst es nicht gewesen sein, du musst nur irgendwie ins Milieu gehören. Extremist, Islamist, Muslim, Nafri, Autonomer, Nazihool, Linksparteimitglied, Anwohnerin oder empörte Oma – irgendwer wird sie schon verdient haben, die Repression (dass es Nazis nicht treffen wird, das können wir uns denken, aber die sind ja vom Verfassungsschutz schon “gut überwacht“).
Aber was bedeutet es, dass der bürgerliche Staat auf so offensichtlich demokratiefreie Maßnahmen zurückgreift? Mit der französischen Revolution und der Einführung bürgerlichen Rechts war eine wichtige Erkenntnis bürgerlicher Philosophie, dass der Staat am stabilsten regiert, dessen Maßnahmen als gerecht, gleich und frei von Willkür und Gefühlen wie Rachlust und Vergeltung wahrgenommen werden. Vordenker des bürgerlichen Rechtsstaates und der Aufklärung wie Cesare Beccaria (Italien, 18.Jahrhundert), wendeten sich gegen feudale Willkür, Folter oder Todesstrafe. Sie erklärten, dass nur das Prinzip von Gleichheit vor dem Recht und Verhältnismäßigkeit eine stabile Grundlage für bürgerliche Herrschaft wäre. In der Imperialismus-Theorie gibt es das Prinzip auch: “the best case of empire is the case of order“ – wenn du Menschen beherrschen willst, schaffe Stabilität und Akzeptanz für die von dir eingeführten Regeln. Moderne Kontrolltheorien sagen: wenn staatliche Maßnahmen als diskriminierend oder willkürlich empfunden werden, sinkt die Akzeptanz der staatlichen Institutionen in der Bevölkerung. Oder eben auch: keine Regierung kann auf Bajonetten sitzen.
Was wir in den letzten 20 Jahren sehen, ist ein Zusammenbruch dieser systemstabilisierenden Mechanismen. Guantanamo und Massenbombardements haben nicht zu einer Stabilisierung des US-Imperialismus geführt, sondern seine erbittertsten Feinde geschaffen. Genauso werden Rechtsbrüche und Willkür wie Polizeigewalt, Maschinengewehre gegen unbeteiligte Anwohner und Gefährderregelungen weitere Totengräber sein für dieses System. Nicht nur einzelne Politiker, sondern das gesamte Establishment entfremden sich unaufhaltbar von den einfachen Leuten, und das werden feudale Repressionsmethoden nicht aufhalten, sondern beschleunigen.
Das bürgerliche System war nie gerecht. Es war immer ein System von struktureller Gewalt, die die Entfaltung menschlicher Bedürfnisse für die riesige Mehrheit der Bevölkerung massiv einschränkt (Hartz IV, ungleiche Bildungschancen, Armut, ungleicher Zugang zu, Gesundheitssystem, ungleiche Lebenserwartung, Hungerlöhne, Krieg und Mord, Rüstung,…). Das bürgerliche Gesetz war immer schon Ausdruck des herrschenden Willens, wie dem Recht auf Eigentum oder eben Regelungen wie Hartz IV. Aber zu seiner eigenen Sicherheit war es auch immer darauf angewiesen, diese Gesetze möglichst gleich für alle anzuwenden. Und das ist das Prinzip, von dem sich die Politik mehr und mehr abwendet. Rassistische Hetzkampagnen wie die Fahndungsplakate im Kölner Hauptbahnhof, sexistische Urteile wie das im Fall Gina-Lisa, Klassenjustiz, Übergriffe auf die Presse und antilinke Angriffe wie das, was wir gerade erleben, werden das System nicht stabilisieren sondern weiter untergraben.
Sehr viele Menschen haben diese dummen Maßnahmen längst durchschaut. Aber die Taktik der Politik ist es, uns von denen abzuspalten, die den Schritt noch nicht gegangen sind. Ihnen gehören BILD, FAZ, ZEIT und Co, und sie können entscheiden, welche Bilder dort gezeigt werden und welche Forderungen aufgestellt. Sie arbeiten mit der „Salamitaktik“ – Proteste aufspalten, und den radikalen Teil mit Repression überschütten. Um diese Taktik zu verteidigen verstecken sie sich dann hinter Bildern mit brennenden Autos, denn „zu dem brutalen Vorgehen der Polizei gab es keine Alternative“ und fake news (Olaf Scholz „Es gab keine Polizeigewalt“).
Deshalb ist es an uns, Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Wir brauchen: eine ernsthafte Strategiediskussion darüber, welche Protestformen größere Massen ansprechen und welche diese Spaltung vertiefen. Polizeiprovokateure und andere staatliche Eskalationsstrategen müssen enttarnt werden. In Kampagnen müssen wir darauf orientieren, in die Stadtteile zu gehen und mit der einfachen Bevölkerung zu diskutieren über unsere Erfahrungen und Positionen. Wir müssen unsere demokratischen Rechte verteidigen und die Forderungen voranstellen, die uns alle einen gegen die da oben. Ihre Ordnung ist auf Sand gebaut – abschaffen können wir sie aber nur durch das aktive Eingreifen der vereinten Massen!
Katharina Doll, Aktivistin der linksjugend Hamburg und ehemalige Landessprecherin.
[1] http://www.faz.net/aktuell/notfalls-fussfesseln-de-maiziere-will-moegliche-gewalttaeter-von-demos-fernhalten-15107349.html
http://www.bild.de/politik/inland/g20-gipfel/wie-viel-unrecht-darf-ein-rechtsstaat-dulden-52560452.bild.html