Linke Gruppierungen im Allgemeinen und die Partei DIE LINKE im Besonderen bekunden bis heute große Schwierigkeiten, eine schlüssige Position zur Pandemie zu entwickeln. Keine linke Organisation konnte sich bislang zu einem klaren Ziel der Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus durchringen. Unter Naturwissenschaftler:innen setzt sich dagegen die Position durch, dass trotz beginnenden Impfkampagnen eine radikale Eindämmungsstrategie erforderlich ist. Merkwürdigerweise ignorieren linke Organisationen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Dies ist der zweite Teil eines Dreiteilers von Christian Zeller zur radikalen Pandemieeindämmung. Zu Teil 1 geht es hier.
Diese Ignoranz ist ein schwerwiegendes Versagen und wird es umso schwieriger machen, die Menschen von einem konsequenten Kurs gegen die Verwüstungen der Pandemie und der Regierungspolitik zu mobilisieren. Die sich häufenden Mutationen des Sars-CoV-2-Virus erschweren die Eindämmung der Pandemie zusätzlich. Die neue Virusvariante B.1.1.7 lässt gegenwärtig die Ansteckungen in Südengland und London explosionsartig in die Höhe schnellen. Das Virus kennt aber keine Grenzen. Es läuft ein Rennen gegen die Zeit. Das Virus breitet sich viel schneller aus, als sich Menschen impfen lassen können. Eine solidarische europäische Eindämmungsstrategie ist dringend erforderlich.
Zugänge zur Pandemie
Obwohl die Medien jeden Tag über die Pandemie berichten, findet kaum eine öffentliche Diskussion über die Ziele der Pandemiepolitik und der einschränkenden Maßnahmen statt. Zu Beginn der Pandemie hatten die meisten Regierungen eine Herdenimmunität vor Augen. Doch als sich die Krankenhäuser mit Kranken und Toten füllten, korrigierten sie ihren Kurs und leiteten überhastete Lockdowns ein. Seither verfolgen sie nur scheinbar einen Schlingerkurs. Ihr klares Ziel: die Pandemie bis zur Massenimpfung durchstehen und zwar mit möglichst wenig Einschränkungen für die Profiterzielung.
Grob lassen sich drei Zugänge zur Pandemie unterscheiden. Diese drei Perspektiven werden durchaus unterschiedlich begründet und je nach gesellschaftlicher und klassenpolitischer Position mit unterschiedlichen Maßnahmen begleitet, um deren Wirkungen sozial und ökonomisch abzufedern.
- Herdenimmunität: Man lässt die Durchseuchung der Bevölkerung zu in der Annahme, dass sich nach und nach eine Immunisierung entwickele. Diese Strategie ist gescheitert. Auch diejenigen Regierungen, die sie anfänglich propagierten, sind zumindest in der Öffentlichkeit davon abgewichen. Elitäre Mediziner:innen und Akademiker:innen tragen mit der sogenannten Great Barrington Declaration (4. Oktober 2020) diese Orientierung offensiv in die Öffentlichkeit. Diese wird in den USA von reaktionären hyperliberalen Thinktanks wie dem American Institute for Economic Research und in Europa vom ähnlich ausgerichteten Hayek Institut unterstützt. Groteskerweise freundeten sich auch verschiedene Personen aus dem Spektrum der LINKEN in ihrer Verblendung mit dieser Position an, weil sie die Gefährlichkeit des Sars-CoV-2-Virus massiv unterschätzen oder gar negieren, oberflächlich gegen einschränkende Maßnahmen und Lockdowns sind und die Pandemiepolitik der Regierungen einseitig als großes Manöver zur Durchsetzung autoritärer Maßnahmen beurteilen. Es gibt eine überwältigende wissenschaftliche Evidenz, dass diese Strategie die Opferzahlen massiv erhöhen würde und geradezu eine Garantie für einen Kollaps des Gesundheitswesens hervorrufen würde. Die Benachteiligten unserer Gesellschaft litten dabei weitaus am stärksten.
- Abbremsung der Ansteckungen bis zur Massenimpfung: Die Regierungen in Europa verfolgen mehr oder weniger konsistent den Kurs, die Ansteckungen mit dem Sars-CoV-2-Virus so stark einzuschränken, dass das Gesundheitswesen nicht überlastet wird. Dieser Kurs entspricht der Interessenslage der großen Konzerne, die die Zirkulation des Kapitals so weit wie möglich ungestört laufen lassen wollen. Nur wenn sich das Kapital bewegt, lässt sich die unbezahlte Mehrarbeit, also Mehrwert, durch die in den Produktionsprozess „eingesaugte“ Arbeitskraft erzielen. Darum schränkten die Lockdowns fast nie den Bereich der Lohnarbeit ein. Im Frühjahr 2020 fuhren viele Unternehmen nicht wegen Lockdowns ihre Produktion runter, sondern weil ihre Absatzmärkte eingebrochen waren. Zudem wollen die Regierungen mit dieser Strategie die unterschiedlichen Interessens- und Stimmungslagen austarieren. Das erklärt auch die bisweilen verwirrenden Unterschiede zwischen Staaten und Bundesländern. Wenn die Ansteckungen jedoch zu zahlreich werden und ein gesellschaftliches Desaster droht, greifen die Regierungen notgedrungen und widerwillig zum Mittel des Lockdowns. Die konkreten Bestimmungen und Ausführungen dieser Lockdowns erscheinen oft widersprüchlich und willkürlich, was viele Menschen zurecht wütend macht. Dieser Kurs setzt auf die schnellstmögliche Zulassung von Impfstoffen und die rasche Durchführung von massenhaften Impfkampagnen.
Diesem Kurs schließt sich letztlich auch die Partei DIE LINKE an, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie die Konsequenzen dieser Politik für die Lohnabhängigen, die Armen und die Frauen mit zahlreichen sozialpolitischen und wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen abfedern will. Dieser beschränkte Eindämmungskurs erscheint als dermaßen alternativlos, dass nicht einmal antikapitalistische und sozialistische Gruppierungen außerhalb und innerhalb der Partei DIE LINKE, wie beispielsweise die Interventionistische Linke, marx21, ISO, SAV und SOL, in der Lage waren, eigene Ziele zu definieren und eine entsprechende Strategie vorzuschlagen. Diese Gruppierungen unterscheiden sich von DER LINKEN bloß, indem sie einfach weitergehende Begleitmaßnahmen vor allem an den Arbeitsplätzen und stärkeren Schutz der Deklassierten fordern. Einzelne dieser Gruppierungen betonen darüber hinaus, dass die Gewerkschaften die Lohnabhängigen direkt auch in Bezug auf die Gesundheit und den Schutz vor Ansteckung verteidigen müssen. Die SAV betont, dass Maßnahmen zur Eindämmung der Virusausbreitung von den Beschäftigten selbst beschlossen und durchgesetzt werden sollten.
- Radikale Eindämmung der Virusausbreitung, bis jeder einzelne Fall nachvollziehbar ist: Diese Position gewinnt unter Wissenschaftler:innen, die sich mit der Virenausbreitung beschäftigen, zunehmend an Einfluss. Es geht darum, eine Strategie und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, die es erlauben, die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus so stark einzudämmen, dass jeder einzelne Fall nachvollziehbar ist. Ist diese Situation erreicht, können die Maßnahmen gelockert werden. Diesen Kurs haben so unterschiedliche Länder wie Neuseeland, Taiwan, China, Südkorea und Vietnam verfolgt. Die meisten sind damit erfolgreich gewesen und haben die Maßnahmen längst gelockert und sind fast zur Normalität zurückgekehrt. Treten allerdings erneut Infektionen auf, handeln sie entschlossen und konsequent. Mittlerweile propagieren mehrere sozialistische Organisationen, NGOs und Bündnisse in Irland, England, Wales und Schottland diese Orientierung und versuchen, unter dem Motto #ZeroCovid eine massenwirksame Kampagne zu initiieren. Mit den sich häufenden Mutationen erlangt diese Strategie eine zusätzliche Dringlichkeit.
Pandemie als Klassen- und Geschlechterfrage
Die Pandemie und ihre Bekämpfung betreffen die Menschen hochgradig ungleich. Menschen, die unter schlechten Bedingungen dicht gedrängt arbeiten und wohnen, in der Regel also Arme und Migrant:innen, trifft die Pandemie weitaus stärker, als jene, die zu Hause arbeiten können. Die Beschäftigten in der Pflege, im Gesundheitswesen, in der Betreuung, im Unterricht, in Fleischfabriken und teilweise in Logistikzentren weisen eine überdurchschnittliche Ansteckungshäufigkeit auf. Daten über Ansteckungen am Arbeitsplatz werden statistisch ungenügend erhoben. Alleine dieser Sachverhalt ist bereits Ausdruck von Herrschaftsverhältnissen.
Die Maßnahmen zur Einschränkung der Virusausbreitung schränken das Leben der Menschen wiederum ausgesprochen klassen- und geschlechtsspezifisch ein. Sie sind komplett darauf ausgerichtet, die Zirkulation des Kapitals möglichst uneingeschränkt aufrechtzuerhalten und die Menschen weiterhin zur Arbeit zu zwingen und den Frauen einen Großteil der zusätzlichen Betreuungs- und Bildungsarbeit zu Hause aufzubürden. Gerade unter diesem Gesichtspunkt haben die Gewerkschaften und die linken Parteien komplett versagt. Sie haben kaum Konzepte zum Schutz der Arbeitenden und Erwerbslosen entwickelt, kaum konkrete Forderungen erhoben, wonach die Reichen und Vermögenden, die Konzerne und Banken für die Kosten der Pandemie aufzukommen haben. Zentrale Aufgabe von Gewerkschaften ist es, die Lohnabhängigen und selbstverständlich auch ihre Gesundheit zu verteidigen. Anstatt die Unternehmen für ihre mangelnden Schutzmaßnahmen zu kritisieren, stellten sich Gewerkschaftsführungen oftmals hinter die Unternehmen und meinten, es sei schon viel getan worden, jetzt müsse man abwarten, ob die Maßnahmen wirkten. Anstatt dieser Unterordnung müssten die Gewerkschaften vielmehr im Dialog mit den Beschäftigten doppelte Schutzmaßnahmen „von unten“ entwickeln und durchsetzen: zum Schutz vor Ansteckungen und vor der Willkür der Unternehmen.
Angesichts der klassen- und geschlechterspezifischen Betroffenheit durch die Pandemie und die Regierungsmaßnahmen sind die einschränkenden Maßnahmen der Regierungen zu kritisieren. Dafür gelten zwei Kriterien: Reduzieren sie die Ansteckungen? Benachteiligen sie einseitig Lohnabhängige, Arme und Frauen?
Mit Pandemie leben oder Pandemie radikal eindämmen
Schwerwiegend ist, dass weder die Gewerkschaften noch progressive soziale Bewegungen und auch nicht die größeren und kleineren linken Organisationen über das Ziel der eigenen Pandemiepolitik diskutieren. In ihren Stellungnahmen verlangen sie in der Regel Maßnahmen zugunsten der Lohnabhängigen, der Migrant:innen und der Armen und betonen, wie Frauen spezifisch von den Lockdowns betroffen sind. Aber was ist das Ziel in Bezug auf die Ausbreitungsdynamik und Eindämmung der Pandemie selber?
Ich habe die Stellungnahmen der LINKEN und der bereits genannten antikapitalistischen und sozialistischen Gruppierungen seit März 2020 gelesen. Mit Ausnahme der 14 Thesen für eine solidarische Pandemiepolitik der Redaktion der Zeitschrift Prager Frühling und einer überlegten und konstruktiven Kritik daran von Yaak Pabst in der Zeitschrift marx21 lässt sich keine Stellungnahme finden, die sich explizit zum Ziel der eigenen Orientierung äußert. Will man die Ansteckungen einfach etwas reduzieren, oder stärker reduzieren oder gar die Pandemie ausmerzen? Sebastian Rave äußerst sich auf der Webseite der SAV implizit, indem er zurecht kritisiert, die Inzidenzzahl von 50 Fälle auf 100.000 Einwohner:innen pro Woche sei willkürlich und zu hoch, um die Fälle wirklich nachvollziehbar zu machen. Diese Kritik ist richtig. Christian Haasen benennt in der Sozialistischen Zeitung unterschiedliche Ziele der Pandemiepolitik und hält fest, dass die europäischen Länder sich im Unterschied zu Neuseeland nicht für eine Ausmerzung des Sars-CoV-2-Virus entschieden hätten. Seine Argumente, die er in der Folge entwickelt, lassen aber den Schluss zu, dass er die Zielvorgaben des europäischen Kurses nicht prinzipiell kritisiert, sondern dafür, dass die Regierungspolitik zahlreiche Kollateralschäden anrichte.
Das heißt, keine der genannten antikapitalistischen oder sozialistischen Organisationen spricht sich bislang explizit für eine radikale Eindämmung der Pandemie bis hin zur erfolgreichen Einzelfallverfolgung aus. Die Gründe hierfür sehe ich in einer Selbstbeschränkung der eigenen Forderungen aufgrund der eigenen Schwäche und in einem grundlegenden Unverständnis des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur. Doch diese Thematik versuche ich, in einem anderen Artikel zu ergründen.
Tragisch ist, dass auch Sozialist:innen völlig abwegige und irre Vergleich anstellen. In der Januarausgabe der Sozialistischen Zeitung rechnet Gerhard Klas die Hitzetoten mit Coronatoten auf, bezweifelt die Reduktion der Ansteckungen durch Lockdowns und meint, es würden zu viele Sterbefälle als Coronatote erfasst. Alle drei Aussaugen sind rundweg falsch. Völlig ignorant wurden zu Beginn der Pandemie die Coronatoten mit den Verkehrsopfern aufgerechnet. Relativierer – sogar in linken Medien – meinen immer wieder, Covid-19 mit einer Grippe gleichsetzen zu müssen (wobei auch Grippen potentiell hochgefährlich werden können). Alle diese Vergleiche laufen auf eine Relativierung und Verharmlosung der Pandemie hinaus. Diese Relativierungen zeugen vom Unverständnis der Pandemie, einer Ignoranz gegenüber den Charakteristika einer Pandemie. Eine Pandemie hat ihre eigene Dynamik. Warum?
- Die Viren verbreiten sich exponentiell. Das führt dazu, dass viele Menschen die Ausbreitungsgeschwindigkeit unterschätzen. Der neue Sars-CoV-2-Virusstrang B 117 weist eine 50 Prozent höhere Ansteckungsrate auf. Das heißt, die Ausbreitungskurve wird noch schneller steiler.
- Die Viren mutieren. Das heißt aber auch, dass je mehr sich die Viren ausgebreitet haben, desto häufiger treten Mutationen mit überraschenden Eigenschaften auf. Das kann dazu führen, dass die Impfungen weniger oder kürzer oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr wirksam sind.
- Die Viren springen über die Artgrenzen. Am Beispiel der „Nerzfabriken“ in Dänemark konnten wir erfahren, dass Menschen die Viren auf Tiere übertragen haben und die Tiere können diese dann wieder auf den Menschen übertragen, wobei das wiederum mit Mutationen verbunden sein kann.
Aufgrund dieser Sachverhalte sowie der bereits genannten klassen- und geschlechtsspezifischen Wirkung der Pandemie und der mangelhaften Regierungspolitik drängt sich eine radikale Eindämmungsstrategie auf.
Impfen ist als Teil einer Eindämmungsstrategie sinnvoll, aber nicht sofort wirksam
Die Regierungen, die großen Konzerne sowie die Regierungsparteien und Parteien im Regierungsvorzimmer setzen nun wie gebannt auf die anlaufenden Impfkampagnen. Sie hoffen, dass der Albtraum der Pandemie bald vorbei sein wird. Auch linke Organisationen sehnen die Impfung herbei. Das erweist sich bereits jetzt als ein schwerwiegender Irrtum. Denn die Impfungen werden erst zeitverzögert und vor allem global sehr selektiv die Herausforderungen und das Leid lindern. Folgende Sachverhalte schränken die Wirksamkeit der Impfkampagnen ein:
- Das Impfen wird nur langsam voranschreiten. Die Produktionskapazität ist noch nicht vorhanden. Das ist einerseits Konsequenz der Eigentumsmonopole, liegt aber auch daran, dass jede Fabrik ein aufwändiges Prüf- und Validierungsverfahren durchlaufen muss. Das dauert.
- Nur eine Minderheit der Menschen wird geimpft werden. Die Regierungen der imperialistischen reichen Länder meinen, in Afrika reiche es aus, wenn man 20 Prozent der Bevölkerung impfe.
- Die Impfungen sind für Kinder bis zwölf Jahre nicht zugelassen. Mittlerweile wissen wir aber, dass Kinder das Virus ebenfalls weitergeben können.
- Es ist derzeit unklar, ob und inwiefern die Impfungen nicht nur vor Erkrankungen schützen, sondern auch die Ansteckungen verhindern.
- Mit der Zunahme von Mutationen besteht die Gefahr, dass Impfstoffe weniger oder gar nicht mehr wirksam sind. Weil sich die Pandemie bereits so stark ausgebreitet hat, wird es unweigerlich zu weiteren Mutationen kommen. Deren Eigenschaften und Konsequenzen sind ungewiss. Je länger die Ausbreitung des Virus nicht radikal gestoppt wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich Mutationen durchsetzen, die sich der Wirksamkeit der Impfung entziehen.
Das heißt, die Impfkampagnen sind sinnvoll. Es wäre aber vermessen und realitätsfern, von den Impfungen die rasche Lösung des Problems zu erwarten. Das ist ein weiterer Grund, die Virusausbreitung radikal einzudämmen.
Wissenschaftliche Erkenntnis ernstnehmen
In dieser Situation eröffnet der internationale Aufruf, den mehrere hundert Wissenschaftler:innen am 19. Dezember gestartet haben, die Möglichkeit die Ziele der Pandemiebekämpfung offen zu diskutieren und eine konsequente Neuorientierung durchzusetzen. Diese Wissenschaftler:innen fordern eine europaweit koordinierte radikale Eindämmung der Covid-19 Pandemie (https://www.containcovid-pan.eu/).
Die Unterzeichner:innen des Aufrufs stellen drei Postulate auf.
- Erstens sind die Ansteckungen auf maximal zehn Covid-19-Fälle pro Million Menschen pro Tag zu reduzieren.
- Zweitens sind die niedrigen Fallzahlen mit einer Kontrollstrategie – mindestens 300 Tests pro Million Einwohner:innen pro Tag – langfristig zu stabilisieren.
- Drittens ist eine gemeinsame langfristige Vision zu formulieren.
Mittlerweile ist offensichtlich: Je länger die Pandemie andauert, desto mehr Menschen werden sterben und desto länger werden die Lohnabhängigen und die Deklassierten in ihrem Leben noch stärker als ohnehin eingeschränkt und desto repressiver agieren die Regierungen. Je eher es gelingt, eine europaweite Bewegung für eine radikale Eindämmung der Virusausbreitung aufzubauen und entsprechende solidarische Maßnahmen durchzusetzen, desto eher wird es ihnen gelingen, wieder gesellschaftlich Tritt zu fassen und in die Gegenoffensive zu gehen.
Gewerkschaften, emanzipatorische Bewegungen und sozialistische Organisationen sollten diesen Aufruf vorbehaltlos unterstützen und mit einem sozial-ökologischen Programm anreichern. Auf dieser Grundlage sollten sie eine Kampagne in Europa führen. Warum dieser Aufruf so wichtig ist, erkläre ich im Artikel Für eine solidarische europäische Strategie gegen die Pandemie.
Zum Abschluss eine schwerwiegende Analogie: Die progressiven sozialen Bewegungen und die sozialistischen Organisationen stellen sich mittlerweile einhellig hinter das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5° Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, obwohl es mittlerweile unwahrscheinlich geworden ist, dass dieses Ziel noch erreicht werden kann, zumindest unter kapitalistischen Verhältnissen. Diese Grenze von 1,5° Celsius mutet willkürlich an, doch sie entspringt der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass eine Erhitzung rüber diesen Wert hinaus zu unkontrollierbaren Kippunkten mit sich selbst verstärkenden Wirkungsketten führen wird. Ganz ähnlich ist es im Falle der Pandemie wissenschaftlich erwiesen, dass mit der rasanten Virusausbreitung unkontrollierbare Mutationen zunehmen werden, die jede weitere Eindämmung der Pandemie erschweren und das Leid zu vergrößern und zu verlängern. Die Mutationen können die Geschwindigkeit der Übertragbarkeit oder die Letalität erhöhen oder auch die Wirksamkeit von Impfungen vermindern. Der neue Virusstrang B1.1.7 lässt derzeit die Ansteckungen in Teilen von England förmlich explodieren. In kurzer Zeit wird das auch anderswo passieren. Es ist an der Zeit, dass DIE LINKE und sozialistische Organisationen diese Erkenntnis annehmen und entsprechende Konsequenzen ziehen.
Es braucht europaweit koordinierte harte einschränkende Maßnahmen, die solidarisch gestaltet sind, also weite Teile der Wirtschaft ebenfalls umfassen. Diese Maßnahmen müssen für eine kurze Zeit die Zirkulation der Menschen in ganz Europa weitgehend aussetzen. Die Lohnabhängigen und Kleinunternehmen müssen durch ein umfassendes Unterstützungsprogramm mit Lohnfortzahlung und vielen weiteren Begleitmaßnahmen abgesichert werden. Die Finanzierung dieser Maßnahmen ist durch eine Corona-Solidarabgabe auf hohe Vermögen, Gewinne und Einkommen zu realisieren, derart wie es die Anticapitalistas aus dem spanischen Staat schon seit längerer Zeit fordern. Ähnlich wie die Klimabewegung es zunehmend schafft, einen gesellschaftlichen Druck von unten für einen wirksamen Schutz des Klimas aufzubauen, gilt es jetzt – allerdings wirklich sofort –, eine Bewegung von unten für einen wirksamen Schutz der Menschen zu starten.
Verena Kreilinger, Winfried Wolf und Christian Zeller haben soeben eine ausführliche Analyse der Pandemie und der Strategien der Regierungen in den deutschsprachigen Ländern abgeschlossen. Die fordern Gewerkschaften, soziale Bewegungen und linke Organisationen dazu auf, umgehend gemeinsam zu handeln und sich für ein Dringlichkeitsprogramm „von unten“ zur Eindämmung der Pandemie einzusetzen.
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