Russischer Imperialismus unter Putin – Teil 2

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Russischer Imperialismus unter Putin Teil 2

Russlands Invasion in der Ukraine muss in dem breiteren Kontext des globalen imperialistischen Wettbewerbs verstanden werden. Sie ist nicht, wie Russlands Apologeten behaupten, eine direkte Folge der Nato-Erweiterung. Im Februar gab es keine unmittelbare westliche Bedrohung für Russland: Die NATO war nicht dabei, in Russland einzumarschieren, und die NATO wollte die Ukraine auch nicht beitreten lassen, weil sie nicht in den Dritten Weltkrieg zur Verteidigung der Ukraine hineingezogen werden wollte. Natürlich hatte die Invasion auch nichts damit zu tun, Russischsprachige in der Ostukraine vor Völkermord zu schützen oder die angebliche Nazi-Regierung in Kiew zu beseitigen – zwei Lügen, mit denen Putin dies rechtfertigte. Es geht tatsächlich um Russlands Wunsch, seinen Status als Weltmacht wiederzuerlangen. Die Ukraine ist ein Sprungbrett in diesem Projekt.

Teil 2 eines aus dem Englischen übersetzten Artikels zu Putins Imperialismus. Teil 1 erschien am 5. April 2022 hier auf Freiheitliebe.

Die Invasion ist ein Test für den russischen Imperialismus, aber einer, an dem Russland bisher zu scheitern scheint. Putin und die Generäle glaubten an einen schnellen Sieg in der Ukraine. Sie glaubten, dass die USA eine in Abstieg befindliche Macht seien, die durch Misserfolge im Irak und in Afghanistan geschwächt ist. Von interner Instabilität und politischer Polarisierung gebeutelt, so womöglich die Einschätzung der russischen Regierung, würden die USA auf den russischen Angriff zurückhaltend reagieren , nur mit Worten reagieren. Sie glaubten wohl, dass Biden, dessen Popularitätswerte im Januar zu den schlechtesten in der amerikanischen Nachkriegsgeschichte gehörten, seine Aktivitäten auf seine umstrittene Agenda im Kongresses und auf den katastrophalen COVID-19-Ausbruch im Winter zu Hause konzentrieren wollte.

Putin ging wohl davon aus, dass die NATO zu gespalten sei, und deswegen nicht in der Lage sein werde, der Invasion Russlands in die Ukraine Widerstand zu leisten. Die Trump-Administration hatte gegenüber der NATO eine sehr verächtliche Haltung eingenommen, sie als obsolet bezeichnet und so die Beziehungen zwischen Europa und den USA vergiftet. In den Augen von Trump war Deutschland angesichts seiner engen wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland und seiner langjährigen Position als Brücke zwischen Russland und den USA kein zuverlässiger militärischer Partner für die USA in Osteuropa. Nach dem Treffen von Putin mit der chinesischen Führung in Peking im Februar mag Putin vielleicht geglaubt haben, dass die Invasion von China und Russland von China durch die Bereitstellung von Absatzmärkten und Finanzmittel unterstützt werden würde, um die eventuellen Auswirkungen westlicher Sanktionen auszugleichen. Putin glaubte wahrscheinlich auch, dass Russlands Militär in der Lage sein würde, die Ukraine, ein armes Land mit deutlich weniger Ressourcen, das Russland 2014 im Donbass entscheidend geschlagen hatte, schnell militärisch besiegt sein werde.

Keine dieser Annahmen erwies sich als richtig. Russland sieht sich mittlerweile an allen Fronten mit heftigem ukrainischen Widerstand und ernsthaften internen Problemen konfrontiert. Militärisch haben die russischen Streitkräfte Schwierigkeiten, Großstädte einzunehmen. Seine Panzer und gepanzerten Fahrzeuge liegen zu Hunderten verlassen oder zerstört da. Sein Nukleararsenal bietet zwar Schutz vor US-Angriffen, hilft aber nicht bei der Eroberung ukrainischen Territoriums. Die Moral unter den Soldaten scheint niedrig und Nahrung, Treibstoff und Munition knapp zu sein. Tausende russische Soldaten wurden getötet. Eine Ende März durchgesickerte Zahl von etwas weniger als 10.000 Todesfällen wurde von der russischen Regierung bestritten, aber selbst wenn das übertrieben ist, wird die tatsächliche Zahl weit über der offiziellen Zahl der Todesfälle liegen. Es ist möglich, dass sich die Zahl der Todesopfer am Ende des Krieges auf 14.000 zubewegt.

Die Invasion hat bei der ukrainischen Bevölkerung, einschließlich der russischsprachigen Minderheit, eher so gewirkt, dass sie sich hinter ihre Regierung stellt. Der Präsident, der letztes Jahr unter schlechten Umfragewerten litt, ist jetzt sehr beliebt. Die ukrainischen Streitkräfte scheinen sich militärisch gut geschlagen zu haben. Es dürfte für Russland wohl kaum eine Chance geben, in Kiew eine Marionettenregierung zu installieren, die ohne massive russische Militärunterstützung überlebensfähig wäre.

Zu Hause in Russland schürt der Krieg die Unzufriedenheit. Putin unternahm ja keinen Versuch, die Bevölkerung im Vorfeld auf den Krieg einzustimmen. Er lieferte keinen glaubwürdigen „Casus Belli“. Sollte sich der Krieg in die Länge ziehen, droht der Wirtschaft eine schwere Rezession. Der Verlust von Menschenleben und wachsende wirtschaftliche Turbulenzen sind unmittelbare Folgen des Krieges. Zudem fordern die westlichen Finanzsanktionen ihren Tribut.

Staatliche russische Medien bezeichnen die Invasion als „besondere militärische Operation“. Aber Millionen von Menschen werden sich aufgrund der Kontakte mit Menschen, die direkt an den Kämpfen beteiligt oder davon betroffen sind, ein viel klareres Bild von der Situation machen. Es ist schwierig, die öffentliche Meinung in Russland einzuschätzen. Begrenzte Umfragen der liberalen Opposition deuten darauf hin, dass die anfängliche Unterstützung für den Krieg nachlässt, insbesondere unter denjenigen mit niedrigeren Einkommen. Das Ausbleiben eines militärischen Sieges auf ganzer Linie wird Folgen für die Unterstützung für Putin haben. Seine Amtsenthebung durch eine Palastrevolution oder sogar durch eine Volksrevolte kann nicht ausgeschlossen werden. Kein Wunder, dass Putin jetzt gnadenlos gegen diejenigen vorgeht, die er „nationale Verräter“ und „fünfte Kolumnisten“ nennt, weil sie gegen den Krieg sind.

Die NATO ist durch Russlands Angriff auf die Ukraine nicht geschwächt worden. Im Gegenteil, die NATO ist jetzt geschlossen auf die Position der USA eingeschwenkt. Selbst bei Finanzsanktionen, die weitaus umfassender sind, als sie jemals gegen eine andere Großmacht verhängt wurden, ist Europa dem Beispiel der USA gefolgt. Bezeichnenderweise hat Deutschland seinen Versuch, eine Brücke zwischen der NATO und Russland zu schlagen, aufgegeben und liegt nun ganz auf US-Linie, die auf einen scharfen Konflikt mit Russland setzt. Die Bundesregierung hat Pläne angekündigt, die Militärausgaben zu verdoppeln, und lässt nun NATO-Waffen durch Deutschland passieren. Es hat die Gaspipeline Nord Stream 2 ausgesetzt – auch wenn sich Deutschland noch gegen die Versuche der USA sträubt, NATO-Mitglieder zu zwingen, sich dem US-amerikanischen Öl- und Gasboykott gegen Russland anzuschließen. Andere Länder stehen Schlange, um der NATO beizutreten. Für Regierung Boris Johnson in Großbritannien hat der Krieg dazu gedient, erfolgreich von ihren innenpolitischen Krisen abzulenken.

Russlands Schwierigkeiten in der Ukraine und die Reaktion des Westens haben China dazu veranlasst, eine maßvollere Sprache gegenüber seinem „Freund ohne Grenzen“ aufzulegen. Die USA haben China mitgeteilt, dass jeder Versuch, Sanktionen zu umgehen, ganz zu schweigen von Waffenlieferungen an Russland, mit Sanktionen gegen China geahndet würde. Während China gehofft haben könnte, dass die Invasion Russlands die USA von ihrer militärischen Aufrüstung im Indopazifik ablenken würde, deutet einiges darauf hin, dass die Aufrüstung der europäischen NATO-Mitgliedstaaten die USA in die Lage versetzen könnte, sich noch stärker auf Asien zu konzentrieren.

Die Invasion hat China auch die möglichen Folgen einer Invasion Taiwans vor Augen geführt. Die Schwierigkeiten, die Russland hatte, die Kontrolle über ukrainische Städte zu übernehmen, werden nichts im Vergleich zu den Problemen sein, die China im Falle einer amphibischen Invasion Taiwans haben könnte. Der ukrainische Widerstand hat China einen Eindruck von dem Volkswiderstand vermittelt, mit dem sich China im Falle einer Invasion Taiwans konfrontiert sehen könnte. Dies dürfte für China ein Grund sein, eventuelle Angriffspläne zu überdenken – was ganz im Sinne der USA wäre.

Russlands Invasion ist eine der wichtigsten geopolitischen Entwicklungen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Invasion sollte eigentlich die Entschlossenheit von Seiten Russlands signalisieren, seinen Platz in der entstehenden multipolaren Welt zu finden – zusammen mit den USA, China, Indien und der EU, jede mit ihrem eigenen Einflussbereich. Stattdessen hat die Invasion die Begrenztheit der Macht Russlands demonstriert. Wenn sich die militärische Situation nicht schnell grundlegend verändert, wird dies möglicherweise einen großen Rückschlag für die russischen Ansprüche auf regionale Hegemonie darstellen, ganz zu schweigen von seinen globalen Ambitionen. Die Entwicklung der letzten Wochen hat dagegen den USA ermöglicht, nach ihren Debakeln im Nahen Osten und jahrelangen angespannten Beziehungen zu den großen europäischen Mitgliedsstaaten verlorenes Terrain wieder gut zu machen.

Die Situation ist dennoch sehr gefährlich. Der Konflikt ist ein Ausdruck zunehmender Spannungen rund um den Globus, von Taiwan über das Südchinesische Meer bis zum Jemen, bis hin zu anhaltenden Konflikten zwischen Indien und Pakistan, Saudi-Arabien und dem Iran. Amerikas enge Verbündete in Asien, Australien und Japan nutzen Russlands Invasion in der Ukraine, um die Erhöhung ihrer eigenen Militärausgaben in Vorbereitung auf einen Krieg gegen China zu rechtfertigen. Der australische Premierminister Scott Morrison nutzt jede Gelegenheit, um die Bindungen Chinas mit Russland hervorzuheben und auf diesem Wege die ohnehin wachsende Feindseligkeit gegenüber China weiter anzuheizen.

Das Beispiel Europa im Sommer 1914 zeigt, dass Streitigkeiten in einem Winkel der Welt schnell eskalieren können. Die USA und Russland werden vielleicht nicht wegen der Ukraine in den Krieg ziehen, aber die Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden, ebenso wenig wie der Einsatz von Atomwaffen. Der Imperialismus bringt uns nur noch mehr Konflikte, Tod und Zerstörung sowie immer höhere Militärbudgets auf Kosten von Gesundheitsversorgung, Sozialleistungen und Wohlfahrt. Er kann nicht existieren, ohne menschliches Leben zu zerstören. Hier in Australien wollen sowohl Morrison als auch Albanese irgendwann in den kommenden Jahren einen Krieg gegen China führen. Wir müssen uns ihnen in den Weg stellen, indem wir die größtmögliche Antikriegsbewegung und eine sozialistische Organisation schaffen, die den Kampf aufnehmen kann, um den Imperialismus und alle Kriege zu zerschlagen.

Der Artikel von Tom Bramble erschien am 27. März 2022 hier auf RED FLAG, der Webseite der australischen Organisation Socialist Alternative, und wurde von Paul Michel für Die Freiheitsliebe übersetzt. Teil 2 des Texts folgt in wenigen Tagen.

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