Der 7. Oktober wird für die Rechtfertigung der Gewalt missbraucht, anstatt das Gedenken an die Getöteten und Verschleppten für das Streben nach Frieden und Wiedergutmachung einzusetzen. Gerade in Deutschland muss aus historischer Verantwortung das Ziel lauten: Ein gerechter Frieden in Nahost. Eine Analyse von Johannes Fehr, Bundessprecher von MERA 25.
Der 7. Oktober 2023 ist der Tag, an dem viele in Deutschland realisierten, dass die Gewalt in Nahost nicht aufgehört hat. Seit diesem Tag gibt es einen endlosen Strom grausamer Bilder von getöteten Zivilistinnen und Zivilisten, zuerst in Israel, danach im Gazastreifen.
Einigen wird schon an dieser Stelle die Erwähnung Gazas nicht gefallen. Für alle, die Mitgefühl und Empathie besitzen, ist jedoch klar: Jeder dieser Toten ist einer zu viel. Jeder dieser Menschen hat Familie und Freundinnen, die um sie trauern. Auch jeder gefangener Zivilist ist nicht zu rechtfertigen.
Über 1.000 Getötete in Israel, weit über 40.000 in Gaza, hunderte im Westjordanland, jetzt auch schon über 2.000 im Libanon. Angesichts dieses immensen Verlusts von menschlichem Leben ist Trauer und Gedenken angesagt. Und genauso wichtig: Solidarität mit den Lebenden.
Gewalt ohne Ende
Der 7. Oktober ist ein Datum, an das wir uns erinnern werden. Viele, viele Getötete als Teil einer Welle von Gewalt in einer ungerechten und bitteren Welt. Der Schock dieses Datums wird jedoch ausgenutzt – für die Rechtfertigung einer weiteren unglaublichen Eskalation der Gewalt. Während MERA25 und DiEM25 in Deutschland warnen, Völkermord verhindern: Stoppt die Belagerung von Gaza, unterstützt die deutsche Bundesregierung den vernichtenden Angriff auf Gaza als sogenannte Selbstverteidigung.
Voller Einsatz und laute Stimmen, die sich für ein Ende der Gewalt einsetzen, sind angesichts der grausamen Geschehnisse Pflicht. Die Freilassung aller Geiseln und Gefangenen, die Beendigung der Unterdrückung und Besatzung und gleiche Rechte für alle Menschen müssen das Ziel sein. Doch was sowohl logisch als auch menschlich wäre, wird von der Bundesregierung leider nicht unterstützt.
Mensch ist gleich Mensch – eigentlich
Vor dem 7. Oktober 2023 haben in Deutschland viele die grausame Situation in Nahost verdrängt. Auch nach diesem Datum ist das immer noch für viele der Fall und viel zu viele kennen nur Teile der Geschichte. Aber mehr Menschen schauen jetzt hin. Erkennen, das Palästinenserinnen und Palästinenser in deutschen Medien meist nur als Täter oder gesichtslose Opfer vorkommen, genauso Libanesen und Syrer. Was sie nicht sind: Menschen mit gleichen Rechten, Menschen mit dem Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung.
In Deutschland macht das Gefühl der eigenen historischen Schuld viele blind. Bei ihnen wirkt die mediale Einteilung in gut und böse. Vermeintlich gut ist die bedingungslose Unterstützung des Staates Israel und die falsche pauschale Gleichsetzung dessen mit dem Schutz von Jüdinnen und Juden. Böse ist die Hamas und die Palästinenser werden einfach mit ihr gleichgesetzt oder kommen nur als vermeintliche Schutzschilde vor. Es wird kein Unterschied mehr gemacht.
Die Unterstützung der Bundesregierung für einen Genozid
Die Entmenschlichung rechtfertigt dann auch das Vorgehen der eigenen Regierung, die das eigentlich Undenkbare tut: Die Unterstützung eines Genozids mit Waffenlieferungen. Denn nach den USA ist Deutschland der größte Unterstützer des israelischen Militärs und hat Olaf Scholz gerade in dieser Woche nochmal bestätigt: “Wir haben Waffen geliefert und wir werden Waffen liefern”.
Zudem unterstützt man rhetorisch und spricht von Selbstverteidigung, die legitim sei. Nach einigen Monaten sind jedoch so viele Kriegsverbrechen und Grausamkeiten offensichtlich, dass man zumindest davon abweicht. Die neue Linie: Man erwähnt die Hölle, in der die Kinder von Gaza leben (Zitat: Außenministerin Annalena Baerbock), schiebt allerdings die ganze Schuld dafür auf die Hamas (am 6. Oktober 2024 von Olaf Scholz erneut wiederholt). Dabei ist für die Hölle in Gaza eindeutig die israelische Regierung verantwortlich, denn niemals können Kriegsverbrechen die Rechtfertigung für andere Kriegsverbrechen oder gar eines vernichtenden Krieges insgesamt sein.
Doch auch vor der internationalen Justiz liefert die Bundesregierung Unterstützung und schließt sich der Verteidigung Israels vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die Klage Südafrikas an. Dabei hätte man vor allem die Beantragung von Haftbefehlen vor dem Strafgerichtshof in Den Haag sowohl gegen die Führung der Hamas als auch gegen Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant eigentlich unterstützen müssen. Doch damit würde man natürlich die eigenen Waffenlieferungen auch als Unterstützung für Kriegsverbrechen brandmarken.
Gerade in Deutschland: Unser Einsatz ist gefragt
Was macht die Regierung innerhalb Deutschlands? Sie kriminalisiert die Bewegung zur Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern. Die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt, zuerst mit Verboten von Demonstrationen, später mit der Stürmung und dem Abbruch des Palästinakongresses. Dazu kommen Hausdurchsuchungen zur Einschüchterung, der Entzug von Aufenthaltserlaubnissen, Kündigungen, oft nur auf Grundlage einzelner Likes auf Social Media und die Beendigung der Finanzierung für progressive Projekte, wie z.B. dem Oyoun in Berlin.
Der jüngste Höhepunkt: Greta Thunberg kommt nach Berlin, erklärt sich solidarisch und kritisiert die Unterstützung der Bundesregierung für einen Genozid und die Gewalt der deutschen Polizei gegen friedlichen Protest. Das groteske Ergebnis: Sie wird als Antisemitin beschimpft, als gewaltbereite Person eingestuft und konservative Politiker fordern ein Einreiseverbot. So macht sich dieses Land vor den Augen der Weltöffentlichkeit lächerlich.
Denn all dies steht im Widerspruch zu den Lehren aus der deutschen Geschichte. Diese müsste sein: Egal, wer, wann und wo, wenn Menschen verfolgt, unterdrückt und getötet werden, setzen wir uns für sie ein. Denn Mensch ist gleich Mensch, ohne wenn und aber. Sowohl aus historischer Verantwortung als auch aus einfacher Menschlichkeit muss die Losung lauten: Gegen jeden Genozid!
Auch nach dem 7. Oktober 2024 wird das Ringen um Deutungshoheit und die Beendigung der Komplizenschaft weitergehen. Alle sind gefragt, Position zu beziehen, gerade in Deutschland, denn nach der US-Regierung ist die Bundesregierung der größte Unterstützer der israelischen Regierung.